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OGH vom 11.07.2005, 7Ob61/05d

OGH vom 11.07.2005, 7Ob61/05d

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der Antragstellerin Manuela B*****, vertreten durch Dr. Walter Mardetschläger und andere Rechtsanwälte in Wien, gegen den Antragsgegner Novica D*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Weber, Rechtsanwalt in Wien, wegen Anerkennung eines ausländischen Scheidungsurteiles, über den Revisionsrekurs des Antragsgegners gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 43 R 734/04s-34, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Josefstadt vom , GZ 1 Nc 119/03x-26, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die angefochtenen Entscheidungen werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung:

Die Parteien schlossen am vor dem Standesamt W***** die Ehe. Die Antragstellerin hat die österreichische, der Antragsgegner die serbische Staatsbürgerschaft. Anfang Jänner 2002 wurde die eheliche Gemeinschaft aufgelöst. Die Eltern der Antragstellerin brachten den Antragsgegner zu seinen Eltern nach Serbien. Die Antragstellerin stellte vor dem Gemeindegericht in N***** den Antrag, die mit dem Antragsgegner geschlossene Ehe für nichtig zu erklären, da ihr dieser verheimlicht habe, dass er an Epilepsie vom Typ Grand Mal leide. Die zuständige Richterin in Serbien informierte den Antragsgegner telefonisch von der anhängigen Klage. Er kümmerte sich jedoch nicht weiter um das Gerichtsverfahren, zumal er der Meinung war, die Familie der Antragstellerin habe einen so herausragenden Rechtsanwalt engagiert, dass er im Verfahren ohnedies keine Chance hätte.

Am wurde erstmals versucht, dem Antragsgegner die Klage samt Ladung zum Gericht zuzustellen. Die Annahme des Schriftstücks wurde von den Eltern des Antragsgegners mit der Begründung verweigert, dass ihr Sohn verreist sei. Etwa Mitte Februar 2002, jedenfalls aber vor dem , kehrte der Antragsgegner nach Österreich zurück. Am verweigerten die Eltern des Antragsgegners neuerlich die Übernahme der Klage samt Ladung. Sie begründeten dies damit, dass sich ihr Sohn in Deutschland befände. Die Mutter des Antragsgegners teilte ihm telefonisch mit, dass versucht worden sei, an ihn gerichtliche Schriftstücke zuzustellen.

Mit Beschluss des Gemeindegerichtes in N***** vom wurde über Antrag der Antragstellerin für den Antragsgegner ein Rechtsanwalt als vorläufiger Vertreter bestellt. Dieser sollte alle Rechte und Pflichten eines gesetzlichen Vertreters bis zum Erscheinen des Beklagten bzw seines Bevollmächtigten vor Gericht oder bis zur Bestellung eines Kurators ausüben, da sich der Antragsgegner an einer unbekannten Anschrift aufhalte. Der vorläufige Vertreter bestritt das Klagebegehren und beantragte, die Ehenichtigkeitsklage als unbegründet abzuweisen.

Das Gemeindegericht N***** erklärte mit Urteil vom die Ehe der Parteien für nichtig. Dieses Urteil wurde dem vorläufigen Vertreter des Antragsgegners am zugestellt und erwuchs in Rechtskraft.

„Im Zeitpunkt der Urteilsfällung" war der Antragstellerin die Adresse des Antragsgegners in Österreich bereits bekannt. Sie teilte diese ihrem Rechtsanwalt in Serbien mit. Ob der Anwalt die Adresse auch dem Gemeindegericht in N***** anzeigte, konnte nicht festgestellt werden.

Aus der Beweiswürdigung des Erstgerichtes und dem angeschlossenen Akt 1 C 95/02i des Bezirksgerichtes Josefstadt (dieses Verfahren auf Aufhebung der Ehe der Parteien mit dem gleichen Begehren ist bis zur Entscheidung im vorliegenden Verfahren unterbrochen) ergibt sich, dass die am verfasste Eheaufhebungsklage der Antragstellerin am beim Bezirksgericht Josefstadt einlangte und dem Antragsgegner als Beklagten an der dort genannten Adresse sofort durch Hinterlegung am zugestellt werden konnte. Er ließ sich auch in den Streit ein.

Die Antragstellerin begehrt die Anerkennung des Urteils des Gemeindegerichtes in N***** vom . Der Antragsgegner sei ursprünglich mit der Scheidung einverstanden gewesen. Er habe erklärt, bei seinen Eltern zu wohnen. Sie habe erst anlässlich des Eheaufhebungs-/Ehescheidungsverfahrens in Österreich im Oktober 2002 eine Zentralmeldeauskunft eingeholt und erfahren, dass der Antragsgegner seit in Österreich gemeldet sei. Der Antragstellerin sei bei Bestellung des Kurators der Aufenthaltsort des Antragsgegners nicht bekannt gewesen. Sie habe ihn zwar in Österreich vermutet, habe jedoch nicht gewusst, an welcher Adresse er erreichbar wäre.

Der Antragsgegner beantragt die Abweisung des Antrages. Der Antragstellerin sei immer bekannt gewesen, wo er sich aufgehalten habe. Ihre Angabe, dass er unbekannten Aufenthalts gewesen sei, sei unrichtig gewesen und habe ihn daran gehindert, sich am Verfahren in Serbien zu beteiligen. Sie habe das Urteil erschlichen.

Das Erstgericht sprach aus, dass das Urteil des Gemeindegerichtes in N***** vom (richtig: ), mit welchem die Nichtigkeit der Ehe zwischen den Parteien ausgesprochen wurde, in Österreich anerkannt werde. In rechtlicher Hinsicht vertrat es die Auffassung, dass § 228a Satz 1 AußStrG idF KindRÄG 2001 anzuwenden sei. Danach sei die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung ausgeschlossen, wenn das rechtliche Gehör des Antragsgegners verletzt worden wäre. Der Antragsgegner sei aber durch den Anruf der zuständigen serbischen Richterin über die Anhängigkeit des Verfahrens informiert und in die Lage versetzt gewesen, seine Rechte im Verfahren zu wahren, indem er zumindest eine ladungsfähige Adresse hinterlassen oder einen selbst gewählten Rechtsanwalt mit seiner Vertretung beauftragen hätte können. Er sei auch durch die Anrufe seiner Mutter von den fehlgeschlagenen Zustellversuchen unterrichtet worden. Er könne sich nicht darauf berufen, dass sein rechtliches Gehör verletzt worden sei.

Das Rekursgericht bestätigte den angefochtenen Beschluss und prüfte die Frage der Anerkennung des ausländischen Urteils nach § 228a Abs 2 Z 2 AußStrG aF. Zwar sei dem Antragsgegner der verfahrenseinleitende Antrag nicht zugestellt worden, er sei aber durch das Telefonat mit der zuständigen Richterin von der anhängigen Klage in Kenntnis gesetzt worden und habe sich deshalb nicht mehr weiter um das Verfahren gekümmert, da er davon ausgegangen sei, dass er in diesem Verfahren „keine Chance" hätte. Das Rekursgericht übersehe nicht, dass das Verfahren in Serbien zu einem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen gewesen sei, zu dem die Antragstellerin schon von der Abgabestelle des Antragsgegners gewusst habe, sei doch aus dem Beiakt 1 C 95/02i des Erstgerichtes aktenkundig, dass an dieser Abgabestelle die eingebrachte Eheaufhebungs/ Scheidungsklage am diktiert und am beim Erstgericht eingelangt und die Zustellung an den Antragsgegner erfolgreich gewesen sei. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs des Antragsgegners könne aber insofern nicht angenommen werden, als der Tatbestand der Kuratorenerschleichung nicht gegeben sei.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der Revisionsrekurs zulässig sei, da aufgrund der nicht eindeutigen Rechtslage auch eine „andere Meinung" vertreten werden könnte.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, er ist auch im Sinne des in jedem Abänderungsantrag enthaltenen Aufhebungsantrages berechtigt.

Das Außerstreitgesetz, BGBl I 112/2003, trat am in Kraft. Es ist - soweit nichts anderes bestimmt wird - auch auf Verfahren anzuwenden, die vor dem Inkrafttreten anhängig geworden sind. Da für die Anerkennung ausländischer Entscheidungen über den Bestand einer Ehe und die Verweigerungsgründe (§§ 97 ff AußStrG nF) keine besonderen Übergangsbestimmungen vorgesehen sind, ist auch auf den vorliegenden Rechtsfall bereits die neue Rechtslage anzuwenden.

Den Antrag auf Anerkennung der Entscheidung kann jeder stellen, der ein rechtliches Interesse daran hat (§ 98 Abs 1 AußStrG). Ein rechtliches Interesse haben jedenfalls die (ehemaligen) Ehegatten (RV 296 BlgNR 21. GP 107).

Die Gründe, wann eine Anerkennung der ausländischen Entscheidung über Ungültigerklärung einer Ehe in Österreich verweigert wird, sind in § 97 Abs 2 AußStrG geregelt und stimmen mit den Verweigerungsgründen des § 228a AußStrG aF überein.

Die Anerkennung der Entscheidung ist zu verweigern, wenn

Z 1 sie den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung (ordre public) offensichtlich widerspricht;

Z 2 das rechtliche Gehör eines der Ehegatten nicht gewahrt wurde, es sei denn, er ist mit der Entscheidung offenkundig einverstanden;

Z 3 die Entscheidung mit einer österreichischen oder einer früher anerkannten Entscheidung unvereinbar ist;

Z 4 die erkennende Behörde bei Anwendung österreichischen Rechts international nicht zuständig gewesen wäre.

Die Prüfung der internationalen Zuständigkeit des Ursprungsstaates (Z 4 leg cit) hat durch eine spiegelbildliche Anwendung des österreichischen internationalen Zuständigkeitsrechtes, also insbesondere des § 76 Abs 2 JN zu erfolgen (RV 296 BlgNR 21. GP 107). Da der Antragsgegner serbischer Staatsbürger ist, ist die internationale Zuständigkeit des Gerichtes, dessen Entscheidung anerkannt werden soll, bei spiegelbildlicher Anwendung des § 76 Abs 2 Z 1 JN gegeben.

Auch das österreichische Gesetz kennt die Aufhebung der Ehe wegen Irrtums (§ 37 Abs 1 EheG) oder wegen arglistiger Täuschung (§ 38 Abs 1 EheG) über die die Person des Ehegatten betreffende Umstände, die ihn bei Kenntnis der Sachlage bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe von der Eingehung der Ehe abgehalten hätten. Zu den Eigenschaften können auch Geisteskrankheiten und schwere seelische Erkrankungen unter bestimmten Umständen gehören (vgl Stabentheiner in Rummel³, §§ 36 bis 38 EheG Rz 5 mwN). Das vorliegende Urteil widerspricht daher grundsätzlich den Wertungen der österreichischen Rechtsordnung noch nicht, was von den Parteien auch nicht bestritten wird. Die einzig hier relevante Frage ist jene, ob das rechtliche Gehör des Antragsgegners in dem Verfahren vor dem Gemeindegericht in N***** gewahrt wurde, obwohl ihm der verfahrenseinleitende Schriftsatz nicht persönlich zugestellt wurde. Das Wissen von einem Verfahren ersetzt die Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftsatzes nicht.

Zur Chancengleichheit und damit zu den Garantien des Art 6 Abs 1 MRK gehört die Gewährleistung des rechtlichen Gehörs (9 ObA 237/02x). Die Gewährung des rechtlichen Gehörs stellt einen derart fundamentalen Grundsatz des Verfahrensrechtes dar, dass dessen Verletzung regelmäßig als Nichtigkeit im Sinne des § 477 Abs 1 Z 4 oder 5 ZPO zu beurteilen ist (RIS-Justiz RS0111369). Nichtigkeit liegt vor, wenn einer Partei die Möglichkeit, vor Gericht zu verhandeln, durch einen ungesetzlichen Vorgang entzogen wird bzw wenn eine Partei in dem Verfahren gar nicht oder, falls sie eines gesetzlichen Vertreters bedarf, nicht durch einen solchen vertreten war (§§ 477 Abs 1 Z 4 und 5). Wird ohne entsprechende Voraussetzungen für eine Partei ein Kurator bestellt, so ist das durchgeführte Verfahren nichtig (RIS-Justiz RS0036484; Kodek in Rechberger², § 477 ZPO, Rz 8), also das rechtliche Gehör der Partei auch im Sinne des § 97 Abs 2 Z 2 AußStrG nicht gewahrt.

Der Antragsgegner hat sich trotz Kenntnis des anhängigen Verfahrens aufgrund eines Telefonats mit der zuständigen Richterin von seinem bekannten Aufenthaltsort entfernt, ohne eine neue Adresse bekanntzugeben. Im Gegenteil, die Eltern des Antragsgegners gaben an, er halte sich in Deutschland auf, obwohl dies nicht den Tatsachen entsprach. Er unterließ die Bekanntgabe einer Adresse, weil er nach den erstgerichtlichen Feststellungen an dem Verfahren kein Interesse hatte, da er davon ausging, ohnedies zu unterliegen. Entzieht sich eine Partei dem Verfahren bewusst und ist unbekannten Aufenthaltes, so liegt in der Bestellung eines vorläufigen Vertreters, nach österreichischem Recht eines Prozesskurators nach §§ 116 ff ZPO, grundsätzlich noch keine Verletzung des rechtlichen Gehörs des Antragsgegners, wenn diese Voraussetzungen bis zur Bestellung weiter vorlagen.

Hier steht aber fest, dass die Bestellung des vorläufigen Vertreters (Kurators) erst am (rund fünf Monate nach dem letzten Zustellversuch) erfolgte, die Antragstellerin nach ihrem Vorbringen den Aufenthaltsort des Antragsgegners in Österreich vermutete, dass sie bereits rund drei Wochen nach der Bestellung, am , in Wien eine Klage gegen den Antragsgegner auf Aufhebung der Ehe verfasste und eine Adresse angab, die ihr nach ihrem Vorbringen durch eine Zentralmeldeanfrage bekannt wurde und an der die Zustellung an den Antragsgegner sofort problemlos bewirkt werden konnte. Die Feststellung des Erstgerichtes, dass der Antragstellerin die Adresse des Antragsgegners erst „im Zeitpunkt der Urteilsfällung" bekannt war, steht damit in aufklärungsbedürftigem Widerspruch. Das Erstgericht hat es im erstinstanzlichen Verfahren unterlassen, mit den Parteien zu erörtern, wann die Antragstellerin die Zentralmeldeanfrage (warum nicht schon früher?) machte und wann die Adresse des Antragsgegners in Österreich vor der Klagseinbringung bekannt wurde sowie seit wann sich die Abgabestelle des Antragsgegners an dieser Adresse befand, an der er auch polizeilich gemeldet war und an der ihm zugestellt werden konnte. Zur Feststellung des Aufenthaltes kommt es auf die polizeiliche Meldung allein nicht an. Der Antragsgegner muss sich auch an der Abgabestelle aufgehalten und eine Zustellung an ihn möglich gewesen sein. Erst wenn feststeht, seit wann der Antragsgegners nunmehr bekannten Aufenthalts war und sich auch nicht allfälligen Zustellungen entzog, wird beurteilt werden können, ob im Zeitpunkt der Kuratorbestellung (vorläufiger Vertreter) die Bestellungsvoraussetzungen (unbekannter Aufenthalt) gegeben waren. War der Antragsgegner im Zeitpunkt der Bestellung nicht unbekannten Aufenthalts oder entzog er sich nicht der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftsatzes, wurde sein rechtliches Gehör verletzt und dem Urteil des Gemeindegerichtes in N***** müsste die Anerkennung verweigert werden.

War der Antragsgegner hingegen im Zeitpunkt der Bestellung unbekannten Aufenthalts oder entzog er sich der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftsatzes, waren die Voraussetzungen der Bestellung gegeben und das rechtliche Gehör des Antragsgegners durch den vorläufigen Vertreter gewahrt. In diesem Fall hätte die Enthebung erst dann zu erfolgen (vgl § 117 Abs 1 Satz 2 ZPO), wenn der Abwesende durch aktives Handeln erkennen lässt, dass er sich am Verfahren künftig selbst beteiligen wird (vgl 8 Ob 33/05v; RIS-Justiz RS0036504). Nicht ausreichend für eine Enthebung ist die Bekanntgabe einer Abgabestelle des Kuranden durch eine andere Person. Dem Auftreten gleichgestellt ist die gehörige Namhaftmachung eines Bevollmächtigten. Der Abwesende muss sich nur zweifelsfrei am Verfahren beteiligen (vgl 8 Ob 33/05v). Das bedeutet, dass das rechtliche Gehör des Antragsgegners durch seine Vertretung durch den bestellten vorläufigen Vertreter gewahrt worden wäre, auch wenn der Antragstellerin später ein Aufenthaltsort des Antragsgegners bekannt wurde, solange sich der Kurand nicht am Verfahren selbst beteiligte.

Mangels entsprechender Erörterungen und Feststellungen im dargelegten Sinn war die Rechtssache noch nicht zur Entscheidung reif, es mussten die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben werden.