OGH vom 16.02.2005, 7Ob18/04d

OGH vom 16.02.2005, 7Ob18/04d

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dipl. Ing. Werner W*****, vertreten durch Dr. Michael F. Sallinger, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei V***** BetriebsgmbH, *****, vertreten durch Dr. Burkhard Hirn, Rechtsanwalt in Feldkirch, wegen EUR 19.721,69 sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 141/03g-16, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom , GZ 7 Cg 153/02y-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 1.063,80 (darin EUR 177,30 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO kann sich die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage - an den gegenteiligen Ausspruch des Berufungsgerichtes ist der Oberste Gerichtshof nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO) - auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken.

Das Berufungsgericht begründete seinen Zulässigkeitsausspruch damit, dass eine Rsp des Obersten Gerichtshofes darüber, inwieweit bei einer inhaltlich fehlerhaften Ausschreibung die Prüfung der echten Chance (des übergangenen Bewerbers oder Bieters auf Zuschlagerteilung) möglich und zulässig sei, nicht vorliege.

Davon ausgehend meint die Revision der Beklagten, die Vorinstanzen hätten (auch wenn die Schadenersatzklage nach einer widerrufenen Ausschreibung - wie hier - auf culpa in contrahendo gestützt werde) die Frage überprüfen können und müssen, ob für den Kläger eine echte Chance auf Erteilung des Zuschlages bestanden habe oder nicht. Es sei zwar richtig, dass ein Antrag, beim UVS feststellen zu lassen, dass der übergangene Bewerber oder Bieter ohnehin keine "echte Chance" auf Erteilung des Zuschlages gehabt hätte, mit der dadurch eingeräumten Möglichkeit, ein Verfahren zur Abwehr des Schadenersatzanspruches (negatives Vertragsinteresse) einzuleiten, in § 12 Abs 7 VlbgVergG nur für den Zeitraum nach erfolgter Zuschlagerteilung vorgesehen sei. Die Bestimmungen der §§ 12 Abs 7 und 18 Abs 2 und 3 Vorarlberger Vergabegesetz (VlbgVergG) seien aber nach Auffassung der Revisionswerberin analog auf die Ansprüche von früheren Bietern in einem Verfahrensstadium vor Zuschlagerteilung in dem Sinne anzuwenden, dass der Einwand der nicht vorhandenen "echten Chance" dann eben im gerichtlichen Verfahren erhoben werden könne und vom Gericht zu prüfen sei. Das ergebe sich auch daraus, dass der Gesetzgeber im neuen Bundesvergabegesetz BGBl I Nr 99/2002 (§ 181 Abs 2) bzw im neuen Vorarlberger Vergabenachprüfungsgesetz, LGBl 2003 Nr 1 (§ 11 Z 5) eine Regelung getroffen habe, die auch die Folge des Widerrufs einer Ausschreibung umfasse, wobei jetzt ausdrücklich bestimmt sei, dass der UVS über Antrag des Auftraggebers auch in diesem Fall festzustellen habe, ob der Antragsteller bei rechtmäßigem Verhalten eine echte Chance auf Erteilung des Zuschlages gehabt hätte oder nicht.

Der Kläger weist jedoch zu Recht darauf hin, dass insoweit keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO angesprochen werde, weil sich der Oberste Gerichtshof mit dem vom Berufungsgericht bezeichneten Thema in der Entscheidung 4 Ob 62/03a ausführlich befasst und dazu bereits Folgendes klargestellt hat:

Die dortige Klägerin hatte ihren Anspruch auf Ersatz von Projektierungskosten ebenfalls nicht auf eine rechtswidrige Auftragsvergabe, sondern darauf gestützt, dass die Beklagte die ihr als öffentlichem Auftraggeber obliegenden Sorgfalts- und Aufklärungspflichten verletzt habe. Anspruchsgrundlage auch ihres Begehrens war somit die behauptete Verletzung vorvertraglicher Aufklärungs-, Schutz- und Sorgfaltspflichten (culpa in contrahendo) und nicht die vom dort anzuwendenden § 32 nöVergG erfasste Verletzung von Vergabebestimmungen bei Auftragsvergabe: Es war nämlich dort ebenfalls zu keiner Auftragsvergabe gekommen, und die Beklagte hatte die Ausschreibung noch vor Ablauf der Angebotsfrist und noch bevor die Klägerin ihr Angebot gelegt hatte, widerrufen.

Der Oberste Gerichtshof führte dazu aus, es sei schon aus diesem

Grund zweifelhaft, ob die Klägerin als „übergangener Bewerber oder

Bieter" iSd (dort anzuwendenden) § 32 Abs 1 nöVergG angesehen werden

könne und verwies zum Begriff des Bewerbers oder Bieters im Sinn des

§ 122 Abs 2 BVergG auf Diregger (Gibt es nach Bundesvergaberecht eine

"echte Chance" auf Schadenersatz? wbl 2000, 442). Der auf culpa in

contrahendo gegründete Anspruch bleibe nach § 34 nöVergG

(gleichlautend mit § 124 BVergG) von den vergaberechtlichen

Vorschriften ausdrücklich unberührt; seine Beurteilung habe auch dann

nach den Grundsätzen des bürgerlichen Rechts zu erfolgen, wenn der

Vorwurf sich auf eine Verletzung von auf vergaberechtlichen

Grundsätzen beruhenden vorvertraglichen Pflichten beziehe. Insoweit

mache die Klägerin schon deshalb keinen Anspruch nach § 32 Abs 1

nöVergG geltend, weil dieser eine rechtswidrige, das Angebot der

Klägerin übergehende Auftragsvergabe voraussetzte. Eines

Feststellungsbescheids nach § 24 Abs 3 iVm § 35 Abs 2 nöVergG bedürfe

es daher in diesem Fall nicht (4 Ob 62/03a mit Hinweis auf Spunda,

Vergaberechtlicher Feststellungsbescheid nur eingeschränkt nötig,

ecolex 2000, 99). Auch aus dem Gesamtzusammenhang der Abs 1 und 2 des

§ 35 nöVergG werde deutlich, dass die Feststellung des UVS nach § 24

Abs 3 nöVergG nur dann Voraussetzung für die Zulässigkeit einer

Schadenersatzklage sein könne, wenn der geltend gemachte Anspruch auf

einer rechtswidrigen, dh vergabegesetzwidrigen Auftragsvergabe im

Sinn des § 32 desselben Gesetzes beruhe, und die Klägerin mit ihrem

Anbot deshalb übergangen worden sei, obwohl sie eine echte Chance auf

Erteilung des Zuschlags gehabt hätte. ... Die vom Rechtsmittelgericht

vertretene Einschränkung des Anwendungsbereichs dieser Bestimmung auf

jene Fälle, in denen der Widerruf nach Ablauf der Angebotsfrist

erfolgte (bzw der Zuschlag erteilt wurde), begegne daher keinen

Bedenken (4 Ob 62/03a = EvBl 2003/165 = bbl 2003/138 = RdW 2003/612 =

wbl 2004/12 = RPA 2004, 41 [zust Pock]; Hervorhebungen nicht im

Original).

Auch im vorliegenden Fall war letztlich weder ein derartiger Feststellungsbescheid noch eine Prüfung der Frage, ob der Kläger eine echte Chance auf Erteilung des Zuschlags gehabt hätte, möglich, weil die gegenständliche Ausschreibung (nach einer aufhebenden Entscheidung des UVS) noch vor Auftragsvergabe (Erteilung des Zuschlages) widerrufen wurde (2 Ob 2/97a).

Da eine Abweichung von der zit stRsp des Obersten Gerichtshofes, die bereits auf 2 Ob 2/97a zurückgeht, zu Recht gar nicht behauptet wird, ist die Revision auf den Inhalt dieser, vergleichbare Fälle betreffender Entscheidungen zu verweisen; darin wird nämlich - von den oben wiedergegebenen Grundsätzen ausgehend - das gleiche Ergebnis erzielt wie von den Vorinstanzen, welche die Bestimmungen des VlbgVerG (LGBl 20/1998 idF der Novellen LGBl 39/2000 und 58/2001) anzuwenden hatten. Auch nach § 12 Abs 7 leg cit ist aber eindeutig bestimmt, dass der UVS erst nach der Zuschlagserteilung bzw nach Abschluss des Vergabeverfahrens auf Antrag festzustellen habe, ob ein übergangener Bewerber oder Bieter auch bei Einhaltung der Vergabebestimmungen keine "echte Chance" auf Erteilung des Zuschlages gehabt hätte.

Dass sich mittlerweile die Rechtslage geändert hat (§ 11 Abs 5 Vlbg Vergabenachprüfungsgesetz bzw § 162 Abs 5 BVergG 2002), vermag an dieser Beurteilung nichts zu ändern; reichte doch die Behauptung einer "echten Chance" auf die Zuschlagerteilung - wie die Beklagte in erster Instanz selbst noch vorgebracht hat (Punkt 11 auf AS 103) - hier ohnehin nicht aus, weil es im vorliegenden Fall nicht um die Zulässigkeit der Anrufung der ordentlichen Gerichte zur Erlangung von Schadenersatz infolge schuldhafter Verletzung dieser Gesetze, nach Vorliegen einer Feststellung des UVS (bzw des Bundesvergabeamtes) iSd zit Bestimmungen geht, sondern um eine Schadenersatzklage, die - wie bereits ausgeführt - nach einer als nichtig aufgehobenen und widerrufenen Ausschreibung auf culpa in contrahendo, also auf die Verletzung vorvertraglicher Schutz- und Sorgfaltspflichten gestützt wird. Ein derartiger Feststellungsbescheid ist nämlich dann entbehrlich, wenn die Rechtswidrigkeit nicht aus einem Vergaberechtsverstoß abgeleitet wird (stRsp; RIS-Justiz RS0118435 [T1] und RS0115782 [T2]; zuletzt: 2 Ob 274/04i mwN auch zur Arbeitsteilung zwischen den Gerichten und dem Bundesvergabeamt und zu dessen Feststellungskompetenz).

Die Frage nach der "echten Chance" auf die Zuschlagserteilung stellt sich demnach gar nicht; und der Umstand, dass der Kläger ein taugliches Anbot legte, das im Vergabevorschlag auch gereiht wurde, ist unstrittig (vgl zur Haftung der Beklagten aufgrund einer widerrufenen Ausschreibung gegenüber allen Bietern, die sich auf eine ordnungsgemäße Ausschreibung verlassen durften, und ein der Ausschreibung entsprechendes Angebot erstellten: Elsner/Keisler, Zulässigkeit und Haftungsfolgen des Widerrufs, ZVB 2002/60 [Glosse zu 1 Ob 284/01y]; Rummel, Zivilrechtliche Probleme des Vergaberechts, ÖZW 1999, 1; Spunda, Vergaberechtlicher Feststellungsbescheid nur eingeschränkt nötig, ecolex 2000, 99 [zu 2 Ob 2/97a]). Mangels erheblicher, für die Entscheidung des Verfahrens relevanter Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 41, 50 ZPO; die klagende Partei hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels hingewiesen.