OGH vom 08.06.1994, 7Ob17/94
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** Versicherungs Aktiengesellschaft, ***** vertreten durch Dr.Gottfried Zandl und Dr.Andreas Grundei, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Parteien 1. Manfred G*****, und 2. Waltraud G*****, beide vertreten durch Hofbauer, Krömer und Nusterer, Rechtsanwälte Partnerschaft in St.Pölten, wegen S 219.703 sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom (richtig: 1994), GZ 16 R 249/93-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes St.Pölten vom , GZ 2 Cg 312/92-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung
1. den
Beschluß
gefaßt:
Die Revision wird insoweit zurückgewiesen, als sie sich gegen die Bestätigung der Abweisung der begehrten Prämien von S 28.000 (Polizzennummer 352-100219), S 1.945 (Polizzennummer 353-114971), S
3.651 (Polizzennummer 361-131908), S 3.516 (Polizzennummer 361-138641), S 27.720 (Polizzennummer 357-107123), S 1.760 (Polizzennummer 364-101361) und S 21.732 (Polizzennummer 310-116242) je samt 4 % Zinsen seit sowie des gegen die zweitbeklagte Partei gerichteten Begehrens von S 16.661 richtet;
2. zu Recht erkannt:
Spruch
Im übrigen wird der Revision nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der erstbeklagten Partei die mit S 7.605,- (darin S 1.267,50 an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Zwischen den Streitteilen wurden folgende Versicherungsverträge abgeschlossen:
Ein Eigenheim-Sicherheitspaket (Feuerversicherung, Leitungswasserschadenversicherung, Sturmschadenversicherung, Haushaltsversicherung) zu Polizzen-Nr.357-107123 mit einer Jahresprämie von S 27.720; Versicherungsnehmer sind die beiden Beklagten;
eine Haushaltsversicherung zu Polizzen-Nr.361-131908 mit einer Jahresprämie von S 3.651; Versicherungsnehmer sind die beiden Beklagten;
eine Feuerversicherung mit Wertanpassungsklausel zu Polizzen-Nr.353-114971 mit einer Jahresprämie von S 1.945;
Versicherungsnehmer sind die beiden Beklagten;
eine Feuer-Betriebsunterbrechungsversicherung zu Polizzen-Nr.352-100219 für die Betriebsart Tischlerei mit einer Vierteljahresprämie von S 7.000 und einer Jahresprämie von S 28.000;
Versicherungsnehmer ist der Erstbeklagte;
eine Haushaltsversicherung zu Polizzen-Nr.361-138641 mit einer Jahresprämie von S 3.516; Versicherungsnehmer ist der Erstbeklagte;
eine Feuerversicherung zu Polizzen-Nr.350-100312 für die Betriebsart Tischlerei mit einer Vierteljahresprämie von S 31.827 und einer Jahresprämie von S 127.308; Versicherungsnehmer ist der Erstbeklagte;
eine Einbruch-Diebstahlversicherung zu Polizzen-Nr.364-101361 mit einer Jahresprämie von S 1.760; Versicherungsnehmer ist der Erstbeklagte;
eine Haftpflichtversicherung zu Polizzen-Nr.310-116242 mit einer Vierteljahresprämie von S 5.433 und einer Jahresprämie von S 21.732;
Versicherungsnehmer ist der Erstbeklagte.
Mit Schreiben vom kündigten die Beklagten diese im Schreiben nach Art und Polizzennummer angeführten Versicherungsverträge auf und führten als Begründung die nicht zufriedenstellende Abwicklung ihres Blitzschadens vom an. Darauf reagierte die klagende Partei mit Schreiben vom , in dem es heißt:
"Betrifft: Polizzen-Nr.353-114971, Blitzschaden vom ...... Zu Ihrem Kündigungsschreiben vom teilen wir Ihnen mit, daß der Vertrag während der angegebenen Laufzeit für beide Vertragsteile bindend ist. Einer vorzeitigen Auflösung des Vertrages können wir nicht zustimmen, da in Ihrem Fall kein hiefür vorliegender Grund vorliegt...."
Mit Schreiben vom hielt die klagende Partei unter Anführung sämtlicher Polizzennummern fest, daß die Kündigung der Beklagten zu Polizze-Nr.353-114971 mit Schreiben vom abgelehnt worden sei. Die klagende Partei führte weiters aus:
"Hinsichtlich der restlichen im Betreff angeführten Verträge lehnen wir Ihre Kündigung nochmals ab und dürfen Sie darauf hinweisen, daß die Kündigungsablehnung zu Polizze-Nr.353-114971 analog auch für alle anderen Verträge zu betrachten ist, da - wie bereits am von uns festgehalten - keine rechtliche Basis für eine Außerkraftsetzung besteht".
Die klagende Partei begehrte vom Erstbeklagten S 219.703 und von der Zweitbeklagten S 16.661 zur ungeteilten Hand mit dem Erstbeklagten, weil trotz mehrfacher Mahnung die Vierteljahresprämien (im Schriftsatz ON 5: die Halbjahresprämien 1992) aus den angeführten Versicherungen seit nicht entrichtet worden seien. Die Kündigung sei unwirksam, weil keine gesetzlichen Kündigungsgründe vorgelegen seien. Dies sei den Beklagten bekannt gewesen. Die Vertreterin der Beklagten, die Firma W***** Versicherungsmakler GesmbH, versuche planmäßig, mit der klagenden Partei bestehende Versicherungsverträge gesetzwidrig aufzukündigen. Sie habe im vorliegenden Fall offensichtlich damit spekuliert, daß die klagende Partei infolge der Urlaubszeit auf die Aufkündigung nicht prompt reagieren könne. Das Vorgehen sei sittenwidrig und verstoße gegen § 1
Die Beklagten wendeten ein, daß ihre Aufkündigung wirksam sei, weil die klagende Partei nicht unverzüglich darauf reagiert habe. Die Kündigung des Vertrages mit der Polizzen-Nr.353-114971 werde überdies auf § 96 VersVG gestützt. Weiters wendeten die Beklagten die aus dem Blitzschaden vom resultierende Forderung von S 100.000 kompensando ein.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, weil die Kündigung der Versicherungsverträge mangels unverzüglicher Zurückweisung rechtswirksam geworden sei.
Das Gericht zweiter Instanz bestätigte dieses Urteil und sprach aus, daß die Revision zulässig sei, weil keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage vorliege, ob die Verpflichtung des Versicherers, unwirksame Kündigungen zurückzuweisen, davon abhänge, ob dem Versicherten die Unwirksamkeit der Kündigung bekannt gewesen sei oder nicht.
Die gegen die Entscheidung zweiter Instanz erhobene Revision der klagenden Partei ist im Umfang der Anfechtung der Abweisung der begehrten Prämien mit Ausnahme jener zu Polizzen-Nr.350-100312 (Feuerversicherung, Versicherungsnehmer: Erstbeklagter) jedenfalls unzulässig.
Gemäß § 55 Abs 1 Z 1 JN sind mehrere von einer einzelnen Person gegen eine einzelne Person in einer Klage erhobene Ansprüche nur dann zusammenzurechnen, wenn sie in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen. In rechtlichem Zusammenhang stehen Ansprüche dann, wenn sie aus einem einheitlichen Vertrag oder einer Gesetzesvorschrift abgeleitet werden. Ein tatsächlicher Zusammenhang liegt vor, wenn die Ansprüche aus demselben Klagssachverhalt abzuleiten sind. Dies ist dann der Fall, wenn das für einen Anspruch erforderliche Sachvorbringen ausreicht, auch über die anderen geltend gemachten Ansprüche entscheiden zu können, ohne daß noch ergänzendes Sachvorbringen erforderlich wäre. Mehrere in einer Klage geltend gemachten Prämienansprüche desselben Versicherers gegen den Versicherungsnehmer aus mehreren nicht zusammenhängenden Versicherungsverträgen stehen nicht in einem solchen Zusammenhang und sind daher nicht zusammenzurechnen. Die von der klagenden Partei geltend gemachten Versicherungsprämien sind somit bei der Berechnung der Revisionszulässigkeit nicht zusammenzurechnen, sondern müssen einzeln betrachtet werden (VersE 1432 mit weiteren Nachweisen). Sie überschreiten bei den genannten Versicherungen den gemäß § 502 Abs 2 ZPO maßgebenden Wert von S 50.000 selbst dann nicht, wenn man davon ausgeht, daß entgegen dem Vorbringen der klagenden Partei nicht bloß die Halbjahresprämien, sondern die Jahresprämien eingeklagt wurden. Hiefür spricht der Umstand, daß die Summe der Halbjahresprämien einschließlich der zu Polizzen-Nr.350-100312 abgeschlossenen Versicherung den Betrag von S 107.816 ergibt, während tatsächlich etwas mehr als Doppelte eingeklagt wurde. Woraus allerdings der Differenzbetrag zwischen der Summe der Jahresprämien von S 215.632 und dem Klagsbetrag von S 219.703 (= S 4.071) resultiert, ist nicht nachvollziehbar.
Lediglich bei der Feuerversicherung zu Polizzen-Nr.350-100312 übersteigt bereits die Halbjahresprämie S 50.000, so daß insoweit die Revision nach § 502 Abs 1 ZPO zulässig ist.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist jedoch nicht berechtigt.
Hinsichtlich des Differenzbetrages von S 4.071 ist das Klagebegehren unschlüssig, so daß insoweit die abweisende Entscheidung der Untergerichte jedenfalls zu bestätigen war.
Im übrigen wurde auch der auf die Feuerversicherung mit der Polizzen-Nr.350-100312 entfallende Prämienbetrag zu Recht abgewiesen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes müssen wirksame Kündigungen vom Versicherer alsbald zurückgewiesen werden. Die Nichtzurückweisung einer aus welchem Grund auch immer unwirksamen Kündigung ist als Zustimmung zur Auflösung des Versicherungsverhältnisses zu werten (VersR 1984, 1208; VersR 1985, 175; GesRZ 1990,41; VersR 1991, 367 ua). Die Ansicht Schauers in RdW 1988, 316 (Warnpflichten bei unwirksamer Kündigung des Versicherungsnehmers), daß der Versicherungsnehmer, der eine unwirksame Kündigung ausgesprochen habe, nicht davon ausgehen dürfe, daß eine Zustimmung zu einer gar nicht abgegebenen Offerte zur vorzeitigen Vertragsauflösung erklärt werde, wurde vom erkennenden Senat bereits ausdrücklich abgelehnt. Dem Argument Schauers wurde entgegengehalten, daß der Absender einer - bloß empfangsbedürftigen - Kündigung damit rechnen darf, daß der Versicherer einen allenfalls bestehenden Grund für deren Unwirksamkeit alsbald geltend machen werde (VersR 1991, 367). Da die (ständige) österreichische Rechtsprechung - insoweit abweichend von einem Teil der deutschen Rechtsprechung (vgl Prölss-Martin VVG25, 141) - das Schweigen des Versicherers als Einverständnis mit der Kündigung bzw als Annahme eines in der Kündigung liegenden Anbotes auf Vertragsaufhebung deutet, kann es dem Versicherten, der den Versicherungsvertrag beenden will, nicht schaden, wenn er vom Mangel der gesetzlichen Voraussetzungen für eine Aufkündigung wußte. Im Gegenteil: Das Bewußtsein des Versicherten, daß die Aufkündigung ohne Einverständnis des Versicherers nicht wirksam wird, spricht umso mehr für das Vorliegen eines Anbotes zur (einvernehmlichen) vorzeitigen Vertragsauflösung. Der Hinweis der Revision auf einige deutsche Entscheidungen, wonach keine Ablehnungspflicht des Versicherers bestehe, wenn der Versicherte die Unwirksamkeit seiner Kündigung offensichtlich kenne, ist daher aufgrund der bereits im Ansatz unterschiedlichen Argumentation zur Zurückweisungspflicht des Versicherers nicht zielführend.
Anders zu beurteilen wäre nur der Fall der arglistigen Irreführung (VersR 1985, 175). Diese würde jedoch voraussetzen, daß der Versicherte dem Versicherer absichtlich das Vorliegen von Tatsachen vortäuscht, die einen gesetzlichen Kündigungsgrund darstellen. Davon kann hier aber keine Rede sein.
Die Beklagten mußten auch nicht damit rechnen, daß unvermeidliche organisatorische Gründe die Beantwortung ihres Kündigungsschreibens verhindern oder über das gebührliche Maß verzögern würden. Wie das Gericht zweiter Instanz zutreffend ausführte, ist bei einer Versicherungsgesellschaft vom Vorhandensein einer zeitgemäßen Büroorganisation auszugehen, die in der Lage ist, auch während der Sommerzeit auf als dringlich anzusehende Postsendungen prompt zu reagieren. Abgesehen davon wurde die vorliegende Kündigung erst gegen Ende der Haupturlaubszeit abgesandt. Die erste Reaktion darauf erfolgte Ende September, also erst Wochen nach dem Zeitpunkt, zu dem mit der Rückkehr der meisten Arbeitnehmer aus dem Urlaub zu rechnen ist. Die ausdrückliche Ablehnung der Kündigung betreffend die hier noch gegenständliche Versicherung erfolgte überhaupt erst in der zweiten Oktober-Hälfte.
Abgesehen davon, daß es an der klagenden Partei gelegen gewesen wäre, die Folge der Vertragsauflösung durch rechtzeitige Zurückweisung der Kündigung abzuwehren, kann den Beklagten schon deshalb nicht schikanöse Rechtsausübung vorgeworfen werden, weil ihnen nicht unterstellt werden kann, es sei ihnen nicht in erster Linie um die Beendigung der Versicherungsverträge, sondern darum gegangen, die klagende Partei zu schädigen (vgl Reischauer in Rummel2 II, Rz 59 zu § 1295 ABGB mwN).
Auf § 1 UWG kann sich die klagende Partei gegenüber den Beklagten nicht berufen, weil - wie die zweite Instanz ebenfalls bereits zutreffend ausgeführt hat - zwischen den Streitteilen kein Wettbewerbsverhältnis besteht. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, daß sich die Beklagten allenfalls von einem Mitbewerber der klagenden Partei beraten und vertreten ließen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 40, 41 und 50 ZPO. Die Beklagten haben auf die Unzulässigkeit eines Teiles der Revision nicht hingewiesen.