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OGH vom 15.02.2017, 7Ob17/17a

OGH vom 15.02.2017, 7Ob17/17a

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und durch die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** K*****, vertreten durch Dr. Klemens Dallinger, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei U***** AG, *****, vertreten durch Dr. Ernst Maiditsch M.B.L.-HSG Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Klagenfurt am Wörthersee, wegen Feststellung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 4 R 27/16v-47, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Die geltend gemachten Nichtigkeiten, Verfahrensmängel und Aktenwidrigkeiten wurden geprüft. Sie liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

2. Gemäß § 62 VersVG – dem Art 8 AHVB im Wesentlichen nachgebildet ist – ist der Versicherungsnehmer verpflichtet, bei Eintritt des Versicherungsfalls nach Möglichkeit für die Abwendung und Minderung des Schadens zu sorgen und hat dabei, soweit ihm dies möglich ist, Weisungen des Versicherers einzuholen und zu befolgen.

Nach § 62 VersVG ist der Versicherungsnehmer verpflichtet, bei Eintritt des Versicherungsfalls den Schaden möglichst abzuwenden oder zu mindern. Die Rettungspflicht gilt zeitlich unbeschränkt, solange der Schaden abgewendet oder gemindert oder der Umfang der Entschädigung gemindert werden kann. Sie verlangt inhaltlich vom Versicherungsnehmer die ihm in der jeweiligen Situation möglichen und zumutbaren Rettungsmaßnahmen (RISJustiz RS0080649 [T1]) unverzüglich und mit der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt zu ergreifen (RISJustiz RS0080649 [T2]). Der Versicherer hat den Verstoß gegen die Obliegenheit, der Versicherungsnehmer das Fehlen von Vorsatz und grober Fahrlässigkeit zu beweisen. Misslingt dem Versicherungsnehmer dieser Beweis, so muss er nachweisen, welcher Teil des Schadens mit Sicherheit auch bei korrektem Verhalten entstanden wäre (RISJustiz RS0043510).

3. Grobe Fahrlässigkeit wird allgemein im Versicherungsvertragsrecht dann als gegeben erachtet, wenn schon einfachste, naheliegende Überlegungen nicht angestellt und Maßnahmen nicht ergriffen werden, die jedermann einleuchten müssen; wenn jedenfalls völlige Gleichgültigkeit gegen das vorliegt, was offenbar unter den gebotenen Umständen hätte geschehen müssen (RISJustiz RS0080371). Grobe Fahrlässigkeit erfordert, dass ein objektiv besonders schwerer Sorgfaltsverstoß bei Würdigung aller Umstände des konkreten Falls auch subjektiv schwerstens vorzuwerfen ist (RISJustiz RS0030272). Bei der Beurteilung, ob grobe Fahrlässigkeit vorliegt, müssen die Umstände des einzelnen Falls und die persönlichen Verhältnisse berücksichtigt werden (RISJustiz RS0030309).

Dass das Berufungsgericht (die Kenntnis der wesentlichen Umstände des Haftpflichtprozesses bei der Beklagten unterstellend und unter Zugrundelegung der offenbar von der Beklagten ohnedies geplanten Erhebung einer eigenen Berufung) die der Beklagten auch angekündigte Entscheidung der Klägerin, keine eigene Berufung einbringen zu wollen, nicht als auf Vorsatz oder groben Verschulden beruhend beurteilte, zumal sie damit rechnen konnte, dass die Beklagte ihr in dieser Situation eine entsprechende Weisung erteilen würde, ist jedenfalls vertretbar (vgl 7 Ob 33/16b). Es ist nämlich keinesfalls offensichtlich oder auch nur zu vermuten, dass der beklagte Versicherer ein (gesondertes) Interesse an der Erhebung eines Rechtsmittels durch die Klägerin als Versicherungsnehmerin (hier als Versicherte) selbst haben könnte, wenn er als deren Nebenintervenient ohnehin unbeschränkt die Möglichkeit hat, seinen Rechtsstandpunkt im eigenen angekündigten und auch eingebrachten Rechtsmittel Rechnung zu tragen.

Dass eine Weisung erteilt worden wäre, brachte die Beklagte im erstgerichtlichen Verfahren aber nicht vor. Abgesehen vom Neuerungsverbot lässt sich aus dem mit der Revision vorgelegten Schreiben auch keine konkrete Weisung erkennen. Der Klägerin wird nämlich vorgeworfen, dass sie (trotz offenbarer Streitigkeiten, ob Deckung zu gewähren sei) untätig sei und der Beklagten die Erledigung sämtlicher Aufgaben überlasse. Der Satz „Bringen Sie die Berufung im Interesse Ihrer Mandantin ein“ ist von einem objektiven Erklärungsempfänger vielmehr so zu verstehen, dass die Beklagte von ihrem Vorhaben, eine Berufung zu erheben, abgeht und es der Klägerin überlässt, ob sie selbst ein Rechtsmittel einbringt. Nicht erkennbar ist hingegen, dass die Beklagte die Klägerin anweist, jedenfalls eine Berufung zu erheben.

4. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2017:0070OB00017.17A.0215.000
Schlagworte:
Vertragsversicherungsrecht

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