OGH vom 17.04.2013, 7Ob59/13x

OGH vom 17.04.2013, 7Ob59/13x

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Unterbringungssache des Patienten T***** G*****, geboren am *****, vertreten durch den Verein gemäß § 13 UbG VertretungsNetz Sachwalterschaft, Patientenanwaltschaft, Bewohnervertretung, 1140 Wien, Baumgartner Höhe 1 (Patientenanwalt Mag. B***** R*****), vertreten durch Mag. Nikolaus Weiser, Rechtsanwalt in Wien, Abteilungsleiterin Prim. Dr. M***** W*****, per Adresse *****, vertreten durch Dr. Heinrich Fassl, Rechtsanwalt in Wien, über die Revisionsrekurse des Vereins und der Abteilungsleiterin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 44 R 685/12d 14, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Fünfhaus vom , GZ 32 Ub 1066/12h 5, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

1. Der Revisionsrekurs des Vereins und die Revisionsrekursbeantwortung der Abteilungsleiterin werden zurückgewiesen.

2. Dem Revisionsrekurs der Abteilungsleiterin wird Folge gegeben. Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der Beschluss insgesamt lautet:

Die Beschränkungen des Kranken durch Vierpunkt Fixierung am von 18:02 Uhr bis 18:35 Uhr und Unterbringung in einem psychiatrischen Netzbett vom , 18:50 Uhr bis , 07:30 Uhr, am von 10:05 Uhr bis 14:05 Uhr und vom , 23:50 Uhr bis , 06:15 Uhr, waren zulässig.

Text

Begründung:

Der Kranke war, nachdem er sich seiner Mutter gegenüber nach LSD Konsum aggressiv und drohend verhalten hatte, vom um 18:02 Uhr ohne eigenes Verlangen bis untergebracht. Er war impulsiv angespannt, desorganisiert paranoid wahnhaft, zerfahren sowie massiv ich gestört und in einem angstvollen Erregungszustand.

Dem Verein wurde am um 18:33 Uhr per Fax unter Verwendung des Formulars „Anordnung und zeitlicher Ablauf einer Beschränkung“ gemeldet, dass eine Vierpunkt Fixierung am selben Tag von 18:02 Uhr bis , (vorgedruckt) 08:00 Uhr angeordnet wurde. Die Vierpunkt Fixierung wurde auf Anordnung des Arztes bereits um 18:35 Uhr aufgehoben und der Kranke nunmehr von 18:50 Uhr bis , 07:30 Uhr, in ein psychiatrisches Netzbett verlegt. Davon wurde der Verein nicht informiert.

Dem Verein wurde am um 10:24 Uhr per Fax unter Verwendung des gleichen Formulars gemeldet, dass der Kranke um 10:05 Uhr erneut im Netzbett untergebracht wurde. Im Formular wurde im Feld „bis“ kein Datum ausgefüllt, es ist jedoch wieder 08:00 Uhr angeführt. Der Kranke befand sich am tatsächlich nur von 10:05 Uhr bis 14:05 Uhr und neuerlich von 23:50 Uhr bis , 06:15 Uhr im Netzbett. Davon, dass die Anwendung der Maßnahme unterbrochen wurde, wurde der Verein nicht verständigt.

Beide Verständigungen enthielten die Gründe für die Beschränkungen.

Das Erstgericht sprach aus, dass die am Kranken vorgenommenen Beschränkungen der Bewegungsfreiheit unzulässig waren, weil der Verein nicht vollständig über deren Anordnung und Aufhebung informiert worden sei.

Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts hinsichtlich des Aufenthalts des Kranken im psychiatrischen Netzbett vom 18:50 Uhr bis 07:30 Uhr und vom 23:50 Uhr bis 06:15 Uhr, änderte sie aber im Übrigen dahingehend ab, dass die gemeldeten Beschränkungen durch Vierpunkt Fixierung und durch Verlegung ins psychiatrische Netzbett am von 10:05 Uhr bis 14:05 Uhr zulässig gewesen seien. Die ärztliche Anordnung müsse sich auf einzelne, konkrete Maßnahmen beziehen. Die Abteilungsleiterin sei verpflichtet, eine Änderung der Anordnung dem Verein zu melden, so die Abänderung der Vierpunkt Fixierung in eine Unterbringung in einem Netzbett und die neuerliche Unterbringung im Netzbett, nachdem diese einmal aufgehoben worden sei. In Ermangelung der entsprechenden Meldungen sei es dem Verein verwehrt, zu überprüfen, ob sich der Zustand des Kranken so weit gebessert habe, dass keine Maßnahmen mehr erforderlich seien oder die angeordneten Maßnahmen der Verhältnismäßigkeit entsprächen. Hingegen normiere das Gesetz keine Verpflichtung, die Beendigung der Beschränkung nach § 33 Abs 3 UbG dem Verein mitzuteilen.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil Judikatur zur Frage der Meldepflicht für die Beendigung einer Beschränkung nach § 33 Abs 3 UbG fehle.

Dagegen richten sich die Revisionsrekurse des Vereins und der Abteilungsleiterin, die wechselweise auch Revisionsrekursbeantwortungen erstatteten.

Rechtliche Beurteilung

Zu 1.:

Der Revisionsrekurs des Vereins ist verspätet.

Der Beschluss des Rekursgerichts wurde entsprechend dem der Entscheidung angeschlossenen Rückschein dem Verein am zugestellt. Die vierzehntägige Revisionsrekursfrist (§ 38a Abs 3 UbG) endete daher am . Der erst am elektronisch eingebrachte Revisionsrekurs erweist sich daher als verspätet.

Der Abteilungsleiterin kommt ein Recht zur Erstattung einer Revisionsrekursbeantwortung nicht zu (§ 38a iVm §§ 29a und 28 Abs 3 UbG).

Zu 2.:

Der Revisionsrekurs der Abteilungsleiterin ist zulässig, er ist auch berechtigt.

Auf Antrag des Kranken oder seines Vertreters hat das Gericht nachträglich über die Zulässigkeit der Beschränkung der Bewegungsfreiheit nach § 33 UbG auch zu entscheiden, wenn diese bereits beendet ist (§ 38a Abs 1 UbG).

Beschränkungen des Kranken in seiner Bewegungsfreiheit sind nach Art, Umfang und Dauer nur insoweit zulässig, als sie im Einzelfall zur Abwehr einer Gefahr im Sinn des § 3 Z 1 UbG sowie zur ärztlichen Behandlung oder Betreuung unerlässlich sind und zu ihrem Zweck nicht außer Verhältnis stehen (§ 33 Abs 1 UbG). Beschränkungen der Bewegungsfreiheit auf einen Raum oder innerhalb eines Raumes sind vom behandelnden Arzt jeweils besonders anzuordnen, in der Krankengeschichte unter Angabe des Grundes zu beurkunden und unverzüglich dem Vertreter des Kranken mitzuteilen. Auf Verlangen des Kranken oder seines Vertreters hat das Gericht über die Zulässigkeit einer solchen Beschränkung unverzüglich zu entscheiden (§ 33 Abs 3 UbG).

Die formellen Voraussetzungen sind im Zusammenhang mit Art 5 Abs 1 MRK und dem (Art 1 Abs 2, Art 2 Abs 1) PersFrG zu sehen. Danach muss jeder Freiheitsentzug auf die „gesetzlich vorgeschriebene Weise“ erfolgen. Es wird nicht nur die Einhaltung der einfach gesetzlichen Vorschriften zu einer Bedingung der Verfassungsmäßigkeit des Freiheitsentzugs; die Formulierung „gesetzlich vorgeschriebene Weise“ enthält auch eine Verpflichtung des Gesetzgebers, entsprechende Verfahrensregelungen zu erlassen. Wesentlich ist auch, dass das Verfahren über jenes prozessuale Instrumentarium verfügt, das eine hinreichende Abklärung des maßgeblichen Sachverhalts ermöglicht. Die Überprüfbarkeit formeller Zulässigkeitsvoraussetzungen leitet sich aus den verfassungsrechtlichen Anforderungen einer umfassenden Rechtmäßigkeitskontrolle freiheitsentziehender Maßnahmen ab (7 Ob 235/11a zur Dokumentationspflicht nach § 6 HeimAufG mwN).

Die unverzügliche Mitteilung an den Vertreter des Kranken unterliegt damit als formelle Voraussetzung der Überprüfung durch das Gericht (RIS Justiz RS0121011). Es handelt sich dabei nicht um eine bloße Ordnungsvorschrift. Ein Unterlassen der Meldung bewirkt die Unzulässigkeit der Maßnahme (RIS Justiz RS0121228; Kopetzki , Grundriss des Unterbringungsrechts³, Rz 558). Sie hat den Zweck, es dem Vertreter des Kranken zu ermöglichen, eine Entscheidung des Gerichts über die Zulässigkeit einer solchen Beschränkung zu verlangen (7 Ob 208/12g; Kopetzki aaO Rz 559).

Der Einsatz einer den Körper äußerst beengenden Maßnahme wie einer Vierpunkt Fixierung ist gravierender als eine Unterbringung in einem Netzbett, die dem Kranken eine relativ größere Bewegungsfreiheit erlaubt. Verbessert sich während des bereits gemeldeten Zeitraums der Gesundheitszustand des Kranken so weit, dass die zunächst gerechtfertigte und gemeldete gravierendere Maßnahme durch eine gelindere ersetzt oder die Maßnahme vorübergehend ausgesetzt werden kann, so wird hier die Freiheitsbeschränkung (durch Ersatz der Vierpunkt Fixierung durch ein Netzbett) nur gemildert, nicht vergrößert. Von der Ausweitung einer Freiheitsbeschränkung muss der Vertreter des Kranken unverzüglich informiert werden. Die Anwendung dieser gelinderen Maßnahme aber ist von der Meldung der gravierenderen Maßnahme gedeckt. Wird die gelindere Maßnahme nicht ihrerseits unverzüglich gemeldet, bewirkt dies keinen Eingriff in die Freiheitsrechte des Kranken, die die Maßnahme unzulässig machen würde . Die gravierendere Maßnahme wird überdies eher zu einem Überprüfungsantrag des Vereins zum Schutz des Kranken führen als eine gelindere. Der Schutz ist daher gewährleistet und die Meldung erfüllt ihren Zweck. Es liegt aber auf der Hand, dass die vollständige Meldung auch aller Änderungen der gemeldeten Maßnahmen die Zusammenarbeit zwischen Krankenanstalt und Verein bedeutend erleichtern und auch verhindern würde, dass allenfalls unnötige Überprüfungsanträge für Maßnahmen gestellt werden, die nicht zur Gänze in Vollzug gesetzt wurden.

Die Frage ist hier, ob es nach § 33 Abs 3 UbG zulässig ist, eine freiheitsbeschränkende Maßnahme für einen voraussichtlichen Zeitraum anzuordnen. Dafür, dass die Anordnung nicht situationsadäquat erfolgt wäre, also auf Grund des Gesundheitszustands des Kranken nicht gerechtfertigt gewesen wäre, gibt es keine Anhaltspunkte und wurde dies auch vom Verein, der sich nur darauf stützt, dass ihm die Daten der Beendigung der Maßnahmen hätten mitgeteilt werden müssen, nicht behauptet. Entspricht die Anordnung der Beschränkung den voraussehbaren Notwendigkeiten und überschreitet sie den Zeitraum eines Tages (24 Stunden) nicht, so ist dies im Einzelfall zulässig (vgl 7 Ob 208/12g zu den täglichen Sammelmitteilungen).

Bei der zweiten Meldung wurde offenbar irrtümlich kein Datum als Endzeitpunkt angeführt. Aus der ersten Meldung geht aber hervor, dass sich die Meldungen grundsätzlich auf den nachfolgenden Tag 08:00 Uhr beziehen. Würde eine Maßnahme (egal welche) länger als 08:00 Uhr dauern, so müsste diese neuerlich gemeldet werden. Keine der beschränkenden Maßnahmen dauerte aber länger als es der Meldung entsprach, sodass die Maßnahmen zulässig waren.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2013:0070OB00059.13X.0417.000