OGH vom 14.07.2009, 4Ob71/09h
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Barbara M*****, vertreten durch Dr. Christine Kolbitsch und andere Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Dkfm. Franz ***** M*****, vertreten durch Dr. Rudolf Breuer, Rechtsanwalt in Wiener Neustadt, wegen 8.089,38 EUR sA sowie monatlich 677,54 EUR und 1.834,16 EUR, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom , GZ 16 R 408/08a-25, womit die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Mödling vom , GZ 13 C 79/07y-19, zurückgewiesen wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rekursverfahrens vor dem Obersten Gerichtshof sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Während des beim Erstgericht anhängigen Ehescheidungsverfahrens der Streitteile erwirkte die Klägerin eine auf § 382e EO (idF vor 2. GeSchG, BGBl I 2009/40) gestützte einstweilige Verfügung, mit welcher dem Beklagten aufgetragen wurde, die Hälfte der Raten für näher bestimmte Hypothekardarlehen zu bezahlen, und zwar jeweils die bis zur Rechtswirksamkeit der einstweiligen Verfügung aufgelaufenen Rückstände binnen drei Tagen und die künftig fällig werdenden Beträge jeweils bei Fälligkeit. Entsprechend der gemäß § 391 Abs 2 EO gesetzten Frist für die Einbringung der Klage erhob die Klägerin - noch vor inzwischen rechtskräftiger Scheidung der Ehe aus dem überwiegenden Verschulden des Beklagten - „Rechtfertigungsklage". Sie begehrte den Beklagten zu verpflichten, die Hälfte der Raten für näher bestimmte Kredite zu zahlen, und zwar die bis zur Rechtskraft des Urteils aufgelaufenen Rückstände binnen 14 Tagen, die künftig fällig werdenden Beträge jeweils bei Fälligkeit. Der Beklagte zahle vereinbarungswidrig für die gemeinsam aufgenommenen und auf der gemeinsamen Liegenschaft sichergestellten Kredite nichts zurück, wobei er in Kauf nehme, dass die Bank auf das eheliche Haus greife und die Klägerin so ihre Wohnmöglichkeit verliere. Auf diese sei die Klägerin samt vier ehelichen Kindern aber angewiesen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Das Berufungsgericht wies die dagegen von der Klägerin erhobene Berufung mit der Begründung als verspätet zurück, der geltend gemachte Anspruch habe Unterhaltscharakter, weshalb die verhandlungsfreie Zeit auf den Anfang und den Ablauf der Berufungsfrist keinen Einfluss gehabt habe (§ 224 Abs 1 Z 4 ZPO iVm § 225 Abs 2 ZPO). Das angefochtene Urteil sei der Klägerin am zugestellt worden, weshalb die Berufung spätestens am eingebracht/zur Post gegeben hätte werden müssen. Die erst am zur Post gegebene Berufung sei daher verspätet.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs der Klägerin ist zulässig und berechtigt.
Der gegen die Zurückweisung der Berufung wegen Verspätung erhobene Rekurs ist gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO ohne Beschränkung auf wesentliche Rechtsfragen nach § 502 Abs 1 ZPO und auch unabhängig vom Wert des Entscheidungsgegenstands zulässig, weil die Beschränkung des § 528 Abs 2 ZPO schon nach ihrem Wortlaut nur für Rekurse gegen Entscheidungen eines Rekursgerichts und § 519 Abs 2 ZPO nur für Aufhebungsbeschlüsse nach § 519 Abs 1 Z 3 ZPO gelten (RIS-Justiz RS0042770).
Nach § 97 ABGB hat ein Ehegatte, der über die zur Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses des anderen Ehegatten dienende Wohnung verfügungsberechtigt ist, alles zu unterlassen und vorzukehren, damit der auf die Wohnung angewiesene Gatte diese nicht verliere. Auf dieser Grundlage kann ihm auch die Zahlung von Wohnungserhaltungskosten (insbesondere der Miete) aufgetragen werden (zuletzt 4 Ob 55/07b = JBl 2008, 171; RIS-Justiz RS0111673). Das gilt auch bei Nichtbestehen eines Geldunterhaltsanspruchs nach der Prozentsatzmethode, wenn der andere Ehegatte nicht in der Lage ist, diese Kosten ohne Gefährdung seiner über den Wohnbedarf hinausgehenden übrigen Unterhaltsbedürfnisse zu tragen (RIS-Justiz RS0085176). Damit wird im Rahmen des § 97 ABGB ein Zahlungsanspruch begründet, der getrennt vom eigentlichen Unterhaltsanspruch zu sehen ist. Seit dem Eherechts-Änderungsgesetz 1999 kann dieser Anspruch nach § 382e EO (seit 2. GeSchG BGBl I 2009/40 nunmehr § 382h EO) gesichert werden. Ein Rückgriff auf (erhöhten) einstweiligen Unterhalt nach § 382 Z 8 lit a EO ist daher nicht mehr erforderlich. Der in 9 Ob 226/02d = SZ 2002/179 unter Hinweis auf 3 Ob 520/87 = SZ 60/97 aufrecht erhaltene Vorrang des einstweiligen Unterhalts vor einer einstweiligen Verfügung nach § 382e EO ist dahin zu verstehen, dass - im Sinn einer klaren Trennung der Anspruchsgrundlagen - ein Geldanspruch nach § 97 ABGB nicht bestehen kann, wenn die Erhaltung der Wohnung ohnehin nur mit jenen Mitteln möglich ist, die dem auf die Wohnung angewiesenen Ehegatten unabhängig davon zur Verfügung stehen (4 Ob 55/07b mwN). Zweck von § 97 ABGB ist es, dem betroffenen Ehegatten jene Wohnmöglichkeit zu erhalten, die ihm bisher zur Deckung des den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Bedürfnisses gedient hat und die er weiterhin benötigt (RIS-Justiz RS0009570); er soll insofern vor Willkürakten des anderen Gatten geschützt werden (RIS-Justiz RS0009580). Dieser Regelungszweck begründet einen Zahlungsanspruch, wenn der in der Wohnung verbliebene Ehegatte die Zahlungen nicht aus eigenem leisten kann; denn nur dann droht ein Verlust der Wohnung, den abzuwehren der verfügungsberechtigte Ehegatte nach § 97 ABGB vorkehren muss (4 Ob 55/07b mwN). Der auf § 97 ABGB gestützte Zahlungsanspruch ist daher kein bloßer Teil des Unterhaltsanspruchs, mag er sich mit diesem auch vielfach überschneiden; es handelt sich um einen familienrechtlichen Anspruch, der Ausfluss der spezifischen Beistandspflicht während aufrechter Ehe ist (RIS-Justiz RS0009534).
Zutreffend verweist die Klägerin auch darauf, dass Ansprüche nach § 97 ABGB schon bisher von der Rechtsprechung den anderen aus dem gegenseitigen Verhältnis der Ehegatten entspringenden Streitigkeiten nach § 49 Abs 2 Z 2b JN (früher Z 2c) zugeordnet werden und nicht den Streitigkeiten über den aus dem Gesetz gebührenden Unterhalt nach § 49 Abs 2 Z 2 JN (3 Ob 541/91 = JBl 1992, 704; 7 Ob 760/80 = SZ 54/37; Simotta in Fasching/Konecny2, § 49 JN Rz 42 mwN).
Auf die Frage, inwieweit der Wohnungserhaltungsanspruch nach § 97 ABGB auch nach Rechtskraft der Ehescheidung erhoben oder weiter betrieben werden kann, ist für die Einordnung des hier geltend gemachten Anspruchs als Unterhaltsstreitigkeit oder anderer aus dem Eheverhältnis abgeleiteter Anspruch (zwecks Einordnung als Ferialsache) ebenso ohne Belang, wie die allfällig ausdehnende Anwendung der Ausnahmeregel des § 406 ZPO (Klagbarkeit noch nicht fälliger Ansprüche).
Zusammenfassend ist festzuhalten: Der Anspruch auf Fortzahlung anteiliger Wohnungsfinanzierungskosten zwecks Erhalt der vom Ehegatten dringend benötigten Wohnmöglichkeit nach § 97 ABGB ist nicht als Unterhaltsanspruch im Sinn des § 224 Abs 1 Z 4 ZPO aufzufassen und daher keine Ferialsache.
Da hier keine Ferialsache vorliegt, konnte die Urteilszustellung am den Lauf der Berufungsfrist nicht in Gang setzen. Die von der Klägerin am zur Post gegebene Berufung ist daher nicht verspätet. Der berufungsgerichtliche Zurückweisungsbeschluss, der von der Verspätung des Rechtsmittels ausging, ist daher aufzuheben und dem Berufungsgericht die Sachentscheidung über die klägerische Berufung aufzutragen.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.