OGH vom 18.05.2016, 3Ob67/16y
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin Dr. Lovrek, die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch und die Hofrätin Dr. Kodek als weitere Richter in der Provisorialsache der gefährdeten Partei Mag. M*****, vertreten durch Ing. Mag. Sandro Huber, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Gegner der gefährdeten Partei Dipl. Ing. K*****, vertreten durch Mag. Volker Flick, Mag. Eva Flick, Rechtsanwälte in Graz, wegen einstweiliger Verfügung (§ 382h EO), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom , GZ 2 R 55/16x 11, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Graz Ost vom , GZ 250 C 53/15m 6, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der Beschluss als einstweilige Verfügung insgesamt lautet:
„1.) Zur Sicherung des Anspruchs auf Wohnungserhaltung wird
a) dem Gegner der gefährdeten Partei verboten, über seinen Hälfteanteil an der Liegenschaft EZ ***** Grundbuch ***** rechtsgeschäftlich zu verfügen, ihn insbesondere zu veräußern, zu belasten, zu verpfänden und/oder zu vermieten;
b) ob dem dem Gegner der gefährdeten Partei Dipl. Ing. K*****, geboren am *****, gehörigen Hälfteanteil (B-LNr. 1) an der Liegenschaft EZ ***** Grundbuch ***** das Veräußerungs und Belastungsverbot zugunsten der gefährdeten Partei Mag. M*****, geboren am *****, angemerkt.
Die gefährdete Partei hat die Klage zur Geltendmachung des gesicherten Anspruchs binnen vier Wochen ab Zustellung dieser Entscheidung bei Gericht einzubringen.
Diese einstweilige Verfügung gilt bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtfertigungsklage.“
Die gefährdete Partei hat die Kosten des Sicherungsverfahrens vorläufig selbst zu tragen. Der Gegner der gefährdeten Partei hat die Kosten seiner Rekursbeantwortung und seiner Revisionsrekursbeantwortung endgültig selbst zu tragen.
Text
Begründung:
Die Streitteile sind miteinander verheiratet, ein Scheidungsverfahren ist beim Erstgericht anhängig. Die Parteien sind je zur Hälfte Miteigentümer der im Spruch genannten Liegenschaft mit darauf errichtetem, die Ehewohnung bildendem Einfamilienhaus, das die Antragstellerin mit der gemeinsamen (minderjährigen) Tochter bewohnt; der Antragsgegner ist bereits vor längerer Zeit in die Schweiz gezogen.
Die Antragstellerin beantragte mit Schriftsatz vom die Erlassung der aus dem Spruch ersichtlichen einstweiligen Verfügung gemäß § 382h EO. Sie habe gemäß § 97 ABGB Anspruch auf ungeschmälerte Weiterbenützung der Ehewohnung, weil diese der Befriedigung ihres dringenden Wohnbedürfnisses diene. Der Antragsgegner habe in einem persönlichen Gespräch der Parteien erklärt, dass die Ehewohnung alsbald verkauft werde und sie sich mit der Tochter deshalb eine neue Bleibe suchen müsse; dies alles noch vor Weihnachten 2015. Ihr Rechtsvertreter habe daraufhin den Rechtsvertreter des Antragsgegners mit Schreiben vom um zeitnahe Mitteilung ersucht, ob der Verkauf der Ehewohnung tatsächlich in Betracht gezogen werde. Diese Frage sei bisher nicht beantwortet worden, woraus die Antragstellerin eine begründete Gefahr ableite.
Der Antragsgegner führte in der ihm vom Erstgericht freigestellten Äußerung zum Provisorialantrag aus, dass er eine Veräußerung der Liegenschaft nicht beabsichtige.
Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab. Die in § 382h Abs 2 EO statuierte Ausnahme von den allgemeinen Voraussetzungen für die Erlassung einer einstweiligen Verfügung beziehe sich nur auf die Bescheinigungs , nicht aber auch auf die Behauptungspflicht. Die gefährdete Partei müsse daher nicht nur zum Anspruch, sondern auch zur Gefahrenlage ein geeignetes Tatsachenvorbringen erstatten, also die drohende Eingriffs bzw Verletzungshandlung schlüssig darstellen. Die Antragstellerin habe zwar ihren Anspruch nach § 97 ABGB bescheinigt, ihre Gefährdung aber nicht hinreichend behauptet, weil aus der Ankündigung des Verkaufs der Liegenschaft noch keine konkreten Verkaufsabsichten oder -bemühungen des Antragsgegners hervorgingen.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragstellerin nicht Folge. Das Erstgericht habe zu Recht das Vorbringen der Antragstellerin zur Gefahrenlage als nicht ausreichend konkret angesehen, weil daraus weder ein drohender Verkauf der gesamten Liegenschaft noch eine beabsichtigte Verfügung des Antragsgegners nur über seinen Hälfteanteil abgeleitet werden könne.
Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu.
In ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs macht die Antragstellerin geltend, die Rechtsansicht der Vorinstanzen weiche von der überwiegenden Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ab, wonach die gefährdete Partei gemäß § 382h Abs 2 EO über die Tatsache des eingeleiteten Scheidungsverfahrens hinaus kein weiteres Vorbringen zur Gefährdung zu erstatten habe. Im Übrigen habe sie die Gefährdung ihres Anspruchs ohnehin ausreichend konkret behauptet.
Der Antragsgegner beantragt in seiner ihm vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsrekursbeantwortung , den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.
Der Revisionsrekurs ist wegen einer vom Obersten Gerichtshof aufzugreifenden Fehlbeurteilung der Vorinstanzen zulässig und berechtigt .
Rechtliche Beurteilung
1. Die aus § 97 ABGB abzuleitenden Ansprüche auf Erhaltung der (Ehe )Wohnung zugunsten des darauf angewiesenen Ehegatten gegenüber dem verfügungsberechtigten Ehegatten können, soweit es sich nicht um Geldforderungen handelt, gemäß § 382h EO mittels einstweiliger Verfügung insbesondere durch ein Veräußerungs und Belastungsverbot nach § 382 Z 6 EO (RIS Justiz
RS0115045 [T5]; zuletzt 1 Ob 189/14x mwN) gesichert werden.
2. § 382h EO enthält keine Sonderregelung für die Bescheinigung des zu sichernden Anspruchs. Deshalb muss der Antragsteller sein am Sicherungsobjekt bestehendes Wohnbedürfnis und die Verfügungsberechtigung des anderen Ehegatten behaupten und bescheinigen (1 Ob 67/11a mwN; 1 Ob 189/14x). Wie bereits die Vorinstanzen richtig erkannt haben, ist das dringende Wohnbedürfnis der Antragstellerin an der Ehewohnung nicht zweifelhaft. Der Antragsgegner ist zwar ohne Zustimmung der Antragstellerin nicht über die gesamte Liegenschaft verfügungsberechtigt, jedoch reicht für den Anspruch nach § 97 ABGB das Miteigentum eines der Ehegatten an der Liegenschaft, auf der sich das als Ehewohnung genutzte Einfamilienhaus befindet, aus (1 Ob 189/14x mwN).
3.1. Gemäß § 382h Abs 2 EO ist die Bescheinigung einer konkreten Gefährdung des Wohnungserhaltungsanspruchs im Fall eines zwischen den Parteien bereits anhängigen Scheidungsverfahrens nicht notwendig. Diese Bestimmung begründet eine vom Antragsgegner widerlegbare Rechtsvermutung zugunsten der Gefährdung des Wohnungserhaltungsanspruchs, sodass der Antragsteller über den Umstand des eingeleiteten Scheidungsverfahrens hinaus kein Vorbringen zur Gefährdung seines zu sichernden Anspruchs erstatten muss (RIS Justiz
RS0127000;
RS0115045 [T4]; zuletzt 1 Ob 189/14x).
3.2. Für den Antragsgegner wäre aber selbst dann nichts zu gewinnen, wenn man im Sinn der von den Vorinstanzen herangezogenen gegenteiligen Entscheidung 8 Ob 108/13k davon ausginge, dass die gefährdete Partei die Gefahrenlage zwar nicht bescheinigen muss, jedoch über das anhängige Scheidungsverfahrens hinausgehende Tatsachen, aus denen sie ihre Gefährdung ableitet, konkret zu behaupten hat: Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen ist das Vorbringen der Antragstellerin zur Gefährdung ihres Anspruchs („Drohung“ des Antragsgegners mit einem alsbaldigen Verkauf „des Hauses“ in Verbindung mit dem Ignorieren einer auf die Ernsthaftigkeit dieser Ankündigung abzielenden Anfrage an seinen Rechtsvertreter) ohnehin ausreichend konkret. Es bedarf keiner näheren Begründung, dass insbesondere eine Veräußerung des Hälfteanteils des Antragsgegners an der Liegenschaft geeignet wäre, die künftige Nutzung der Ehewohnung durch die Antragstellerin und ihre Tochter empfindlich zu beeinträchtigen oder sie gar für den Fall einer Auflösung der Miteigentumsgemeinschaft durch den Erwerber der Gefahr der Obdachlosigkeit auszusetzen.
4. Da der Antragsgegner mangels Anführung von Bescheinigungsmitteln nicht einmal den Versuch unternommen hat, seine Behauptung, er beabsichtige ohnehin keine Veräußerung „der Liegenschaft“, zu bescheinigen, konnte er die Rechtsvermutung des § 382h Abs 2 EO nicht widerlegen. Über seinen Antrag auf Erstreckung der ihm gesetzten Äußerungsfrist, also zur Erstattung weiteren Vorbringens (ON 4), hat das Erstgericht zwar nicht ausdrücklich, wohl aber implizit (abweisend) entschieden, indem es unverzüglich nach Einlangen der ablehnenden Stellungnahme zur Fristerstreckung über den Provisorialantrag abgesprochen hat.
5. Da die einstweilige Verfügung zur Sicherung des Wohnungserhaltungsanspruchs nach § 97 ABGB anspruchsgebunden ist, ist sie gemäß § 391 Abs 2 EO mit einer Fristsetzung zur Einbringung einer Rechtsfertigungsklage zu verknüpfen (3 Ob 21/01m mwN; RIS Justiz RS0115045). Aus diesem Grund kommt die von der Antragstellerin angestrebte Erlassung der einstweiligen Verfügung bis zur rechtskräftigen Beendigung des Scheidungsverfahrens und eines allfälligen anschließenden Aufteilungsverfahrens nicht in Betracht.
6. Die für das Verfahren aller drei Instanzen zu fällende Kostenentscheidung beruht hinsichtlich der Antragstellerin auf § 393 Abs 1 EO und bezüglich des Antragsgegners auf §§ 40, 50 ZPO iVm §§ 78, 402 Abs 4 EO.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2016:0030OB00067.16Y.0518.000