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OGH vom 23.10.2014, 2Ob73/14w

OGH vom 23.10.2014, 2Ob73/14w

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat Dr. Veith als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher, Dr. Nowotny und Dr. Rassi als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei j***** gmbh, *****, vertreten durch Dr. Gunther Huber, Rechtsanwalt in Traun, gegen die beklagte Partei S***** Gesellschaft m.b.H., *****, vertreten durch GKP Gabl Kogler Leitner Stöglehner Bodingbauer Rechtsanwälte OG in Linz, wegen 5.544,77 EUR, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Berufungsgericht vom , GZ 14 R 215/13f 21, womit das Urteil des Bezirksgerichts Traun vom , GZ 2 C 340/13t 16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung einschließlich des nicht angefochtenen und bereits rechtskräftig erledigten Teils insgesamt zu lauten hat:

„Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 5.544,77 EUR samt 8 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab zu zahlen, wird abgewiesen.“

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 4.524,21 EUR (darin enthalten 544,03 EUR USt und 1.260 EUR Barauslagen) bestimmten Verfahrenskosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die klagende Partei stellte als Überlasser im Sinne des Arbeitskräfteüberlassungsgesetzes (AÜG) ihren Dienstnehmer K***** H***** der beklagten Partei als Beschäftiger im Rahmen eines Überlassungsvertrags bei. Dessen Einsatz auf der Baustelle der beklagten Partei umfasste Malerarbeiten samt den üblichen Nacharbeiten. Dem Vertragsverhältnis zwischen den Streitteilen lagen die AGB der klagenden Partei zugrunde, worin auf die auch gesetzlichen Pflichten des Beschäftigers zur An- und Einweisung der überlassenen Arbeitskraft verwiesen wird. Punkt 7 der AGB lautet:

„7. Pflichten des Auftraggebers (Beschäftiger)

Der Auftraggeber (Beschäftiger) ist zur Einhaltung der jeweiligen Arbeitnehmerschutzvorschriften verpflichtet. Weiters verpflichtet sich der Auftraggeber (Beschäftiger) die jeweils gültigen Arbeitszeitgesetze einzuhalten. Der Auftraggeber (Beschäftiger) übernimmt die Fürsorgepflicht für die ihm überlassene Arbeitskraft und weist die überlassene Arbeitskraft auf jede Art von Gefahren im Beschäftigerbetrieb hin. Weiters verpflichtet sich der Auftraggeber (Beschäftiger) die Arbeitszeit, wie in der Auftragsbestätigung vereinbart, einzuhalten. Bei Unterschreitung der vereinbarten Mindestarbeitszeit (38,5 Stunden) ist die Firma j***** gmbh berechtigt, die Differenz in Rechnung zu stellen.“

K***** H***** wurde ab auf einer Baustelle in Traun von der beklagten Partei als Maler eingesetzt. Es steht nicht fest, ob er an der Baustelle über die erforderlichen Sicherheits- und Gesundheitsschutzmaßnahmen unterwiesen wurde. K***** H***** arbeitete ungesichert (ohne Verwendung von Sicherheitsgurt und Befestigungsseil), wobei von den Vertretern der beklagten Partei weder K***** H***** von den Arbeiten abgehalten noch seine mangelnde Sicherung beanstandet wurde. Am stürzte K***** H***** im Zuge von Außenarbeiten an der Fassade von einem Vordach ab und verletzte sich bei diesem Arbeitsunfall schwer.

K***** H***** befand sich ca zweieinhalb Monate im Krankenstand, wodurch der klagenden Partei Kosten für die Lohnfortzahlung in der Höhe von brutto 5.019,37 EUR entstanden sind (exklusive Kommunalsteuer und der Dienstgeberbeiträge zum Familienlastenausgleichsfonds).

Die klagende Partei begehrte 5.544,77 EUR (einschließlich Kommunalsteuer und Dienstgeberbeiträge) für die ihr gegenüber K***** H***** erwachsenen Lohnfortzahlungen. Die beklagte Partei habe gegen Punkt 7 der klägerischen AGB verstoßen, indem Arbeitnehmerschutzvorschriften nicht eingehalten worden seien. Der Mitarbeiter sei auf der Baustelle entgegen den gesetzlichen Arbeitnehmerschutzbestimmungen ungesichert gewesen und von der beklagten Partei auch nie unterwiesen worden. Die Haftungsbeschränkungen des ASVG seien nicht auf vertragliche Ansprüche zwischen Überlasser und Beschäftiger anzuwenden.

Die beklagte Partei berief sich auf das ihr zustehende Dienstgeberhaftungsprivileg, das auch nicht unter Bezugnahme auf die AGB der klagenden Partei umgangen werden könne.

Das Erstgericht gab der Klage in Anknüpfung an den eingangs zusammengefasst referierten Sachverhalt im Ausmaß von 5.019,37 EUR sA statt und wies das Mehrbegehren (Kommunalsteuer und Dienstgeberbeiträge) rechtskräftig ab. In rechtlicher Hinsicht ging es davon aus, dass die beklagte Partei als Beschäftiger die Funktion des Arbeitgebers im Sinne des Arbeitnehmerschutzes übernommen habe, weil K***** H***** als Arbeitnehmer im Betrieb der beklagten Partei für betriebseigene Zwecke eingesetzt worden sei. Es warf der beklagten Partei einen Verstoß gegen die Arbeitnehmerschutzbestimmungen vor. Auch einem Beschäftiger im Rahmen der Arbeitskräfteüberlassung komme das Dienstgeberhaftungsprivileg nach § 333 Abs 1 ASVG zugute. Der beklagten Partei könne auch kein Vorsatz iSd § 1294 ABGB hinsichtlich der Verletzung von K***** H***** unterstellt werden. Das Dienstgeberhaftungsprivileg gelte allerdings nur für das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, eine schadenersatzrechtliche Haftung gegenüber Dritten werde dadurch nicht ausgeschlossen. Dem Dienstgeber werde aus der Verletzung seines Dienstnehmers in Analogie zu § 1358 ABGB und § 67 VersVG ein eigener Anspruch zuerkannt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Es schloss sich in der rechtlichen Beurteilung im Wesentlichen den Argumenten des Erstgerichts an. Zwischen den Streitteilen begründe der Überlassungsvertrag das Rechtsverhältnis; die Bestimmungen des ASVG seien im Verhältnis zwischen Überlasser und Beschäftiger hingegen nicht einschlägig. Durch die Miteinbeziehung der Bestimmungen des AÜG in den Überlassungsvertrag könne die klagende Partei ihre Forderung überdies auf eine vertragliche Haftung stützen. Dabei sei die Verletzung der in § 6 AÜG normierten Fürsorgepflichten Haftungsansatzpunkt. Die Zulässigkeit der ordentlichen Revision stützte das Berufungsgericht auf den Umstand, dass für die hier zu beurteilende Fallkonstellation (Arbeitskräfteüberlassung schädigender Beschäftiger) keine gesicherte Judikatur vorliege.

Gegen dieses Berufungsurteil richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der beklagten Partei ist aus dem vom Berufungsgericht angeführten Grund zulässig. Sie ist auch berechtigt.

1. Der Oberste Gerichtshof vertritt in den sogenannten Lohnfortzahlungsfällen seit der Grundsatzentscheidung 2 Ob 21/94 = SZ 67/52 in ständiger Rechtsprechung (vgl 2 Ob 53/94; 2 Ob 43/95; 2 Ob 8/96 uva; RIS Justiz RS0043287; RS0020106 [T3, T 4, T 6]) die Rechtsansicht, dass es aufgrund einer gesetzlichen Lohnfortzahlungspflicht (zB § 8 AngG,§ 2 EFZG) zu einer bloßen Verlagerung des Schadens auf den Dienstgeber des Verletzten kommt. Der entsprechende Ersatzanspruch gegen den Schädiger geht analog § 1358 ABGB,§ 67 VersVG mit der Lohnfortzahlung auf den Dienstgeber über. Der Schädiger hat daher dem Dienstgeber den auf ihn überwälzten Schaden des Dienstnehmers zu ersetzen und nicht einen eigenen Schaden des Dienstgebers aus dem Ausfall der Arbeitskraft (RIS Justiz RS0043287 [T3]; Danzl in KBB 4 § 1325 Rz 17).

2. Die beklagte Partei hält der ihr gegenüber geltend gemachten Haftung für die geleistete Lohnfortzahlung das Dienstgeberhaftungsprivileg des § 333 ASVG entgegen.

In § 7 Abs 2 AÜG ist ausdrücklich festgehalten, dass § 332 Abs 5 und § 333 ASVG auch für die überlassenen Arbeitskräfte gelten. Der Hinweis auf § 333 ASVG in § 7 Abs 2 AÜG erfolgte durch die Novelle des AÜG mit dem BGBl I 2012/98. Wenngleich diese Fassung erst am (also nach dem gegenständlichen Unfall) in Kraft trat, war auch schon bisher anerkannt, dass sich der Beschäftiger nach dem AÜG gegenüber den überlassenen Dienstnehmern auf § 333 ASVG berufen kann (3 Ob 296/53 = SZ 26/126 [noch zu § 899 RVO]; 9 ObA 322/98p; 8 ObA 5/03y; Jabornegg , Haftungsprobleme bei Einbeziehung Dritter in das Arbeitsverhältnis, in Tomandl , Haftungsprobleme im Arbeitsverhältnis [1991] 97 [115]; Neumayr in Schwimann ABGB³ VII § 333 ASVG Rz 31 ff mwN; Schindler in ZellKomm 2 § 7 AÜG Rz 6; Wiesinger , Haftungsfragen bei der Überlassung von Bauarbeitern, bbl 2012, 12 [16] ). Auch den Materialien zur Novelle des AÜG ist zu entnehmen, dass die Ergänzung des § 7 Abs 2 AÜG lediglich der Klarstellung gedient habe und der bisherigen Judikatur entspreche (Erläut RV 1903 BlgNR 24. GP 3).

3. Der Haftungsausschluss gilt aber nicht nur dann, wenn der geschädigte Arbeitnehmer selbst Ansprüche gegenüber dem Schädiger geltend macht, sondern auch für den Fall, dass der Dienstgeber den Ersatz des aufgrund Lohnfortzahlung auf ihn überwälzten Schaden des Arbeitnehmers begehrt. So hat etwa der erkennende Senat in der Entscheidung 2 Ob 276/04h bereits bejaht, dass dem klagenden Arbeitgeber das Haftungsprivileg hinsichtlich seiner aus der Lohnfortzahlung an geschädigte Arbeitnehmer resultierenden Ersatzansprüche grundsätzlich entgegengehalten werden kann, während dies für eigene Ansprüche des Arbeitgebers (zB Gebäudeschaden, Erzeugungsausfall etc) verneint wurde.

4. Das zwischen den Streitteilen bestehende Vertragsverhältnis hindert nicht die Anwendung des § 333 ASVG. Zum einen ergeben sich die aus dem Überlassungsvertrag (eingangs referierten) vertraglichen Verpflichtungen ohnedies bereits aus dem AÜG (vgl § 6 AÜG; vgl dazu zB Schwarz in Sacherer/Schwarz, Arbeitskräfteüberlassungsgesetz [2006] 156 ff; Tomandl , Arbeitskräfteüberlassung [2014] 69). Zum anderen ändert ein Verstoß gegen eine auch vertraglich abgesicherte Fürsorgepflicht der beklagten Partei nichts daran, dass es sich bei dem eingetretenen Schaden um einen solchen des verletzten Dienstnehmers handelt, der lediglich auf die klagende Partei übergegangen ist.

5. Zusammengefasst ist somit festzuhalten, dass die Vorinstanzen die Anwendung des § 333 ASVG zu Unrecht verneint haben. Vielmehr kann der Beschäftiger bei einem Arbeitsunfall eines ihm überlassenen Arbeitnehmers auch gegenüber dem Überlasser einem von diesem wegen Lohnfortzahlung geltend gemachten Anspruch das Haftungsprivileg des § 333 ASVG entgegenhalten.

In Stattgebung der Revision war das angefochtene Urteil daher im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern.

6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Bei der Kostenbestimmung für das Berufungs- und Revisionsverfahren war zu beachten, dass der ERV Erhöhungsbetrag nach § 23a RATG nicht 3,60 EUR, sondern jeweils nur 1,80 EUR beträgt, weil es sich bei der Berufungs- und der Revisionsschrift um keine verfahrenseinleitenden Schriftsätze handelt (2 Ob 47/14x). Der Einheitssatz für den Revisionsschriftsatz beträgt 60 % (§ 23 Abs 3 RATG; 2 Ob 47/14x).

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2014:0020OB00073.14W.1023.000