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OGH vom 18.04.2007, 7Ob58/07s

OGH vom 18.04.2007, 7Ob58/07s

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mathilde K*****, vertreten durch Brand Lang Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei G***** AG, *****, vertreten durch Dr. Herbert Salficky, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 91.899,70 sA, über den Rekurs der Beklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 183/06f-31, mit dem das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom , GZ 16 Cg 13/05v-27, infolge Berufung der Klägerin aufgehoben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen wurde, den Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Rekursbeantwortung sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Klägerin hat bei der Beklagten für ihr Sportartikelhandelsgeschäft eine Betriebs (Bündel-)Versicherung abgeschlossen, die auch das Risiko des Einbruchsdiebstahls umfasst. Unbekämpft steht fest, dass in der Nacht auf den in das Geschäft der Klägerin eingebrochen und Ware entwendet wurde. Zum Zeitpunkt des Einbruchsdiebstahls hatte die Klägerin die mit fällige Jahresversicherungsprämie nicht bezahlt. Die Beklagte hatte der Klägerin aufgrund ihres automatischen Mahnsystems am und am - nicht eingeschrieben - schriftliche Mahnungen geschickt. Danach hatte die Klägerin am telefonisch um Umstellung auf halbjährliche Prämienzahlung ersucht, was die Beklagte genehmigt hatte; damit war der Prämienrückstand auf EUR 821 gesunken. Dieser Rückstand wurde von der Klägerin am Morgen des (also nach dem Einbruchsdiebstahl) beglichen. Die Klägerin begehrte aus der Versicherung zuletzt den Ersatz eines Schadens von EUR 91.899,70 sA (EUR 89.800 für die gestohlenen Waren und EUR 2.099,70 an Einbruchsschäden). Das Mahnschreiben vom sei ihr nicht zugegangen. In der Umstellung auf eine halbjährliche Zahlungsweise sei eine Stundungsvereinbarung gelegen. Die Beklagte beantragte Klagsabweisung. Sie sei zum Diebstahlszeitpunkt leistungsfrei gewesen, weil die Klägerin die Versicherungsprämie trotz qualifizierter Mahnung (§ 39 VersVG) nicht bezahlt gehabt habe. Eine von der Klägerin behauptete Stundungsvereinbarung sei nicht getroffen worden. Im Übrigen werde der behauptete Warenverlust bestritten.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte im Wesentlichen noch fest, dass die Post der Klägerin durch eine tüchtige Briefträgerin immer im Geschäftslokal abgegeben werde. Ferner, dass der Schaden, auch der Beschädigungsschaden, nicht feststellbar sei. Der Warenabgang durch den Einbruchsdiebstahl könne nicht ermittelt werden, weil die Buchhaltung der Klägerin chaotisch und nicht nachvollziehbar sei.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt dahin, die Beklagte sei leistungsfrei, weil die Klägerin im Zeitpunkt des Versicherungsfalles im Prämienrückstand gewesen sei. Darauf, ob die Klägerin die Mahnungen erhalten habe, komme es „nicht so sehr" an. Darüber hinaus scheitere die Klage auch aus Beweiswürdigungsgründen mangels jedweder Nachvollziehbarkeit des angeblich durch den Einbruchsdiebstahl der Klägerin entstandenen Schadens.

Das von der Klägerin angerufene Berufungsgericht hob das Ersturteil auf und trug dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung auf. Dem Ersturteil hafteten Mängel an, weil Feststellungen zur streiterheblichen Frage fehlten, ob die Zustellung der Mahnung vom der Klägerin zugegangen sei oder nicht. Die Klägerin habe aus der Umstellung auf halbjährliche Prämienzahlung keineswegs auf eine Stundung der bereits seit fälligen Prämie schließen können. Streitentscheidend sei daher, ob sich die Beklagte gemäß § 39 Abs 2 VersVG auf Leistungsfreiheit berufen könne, was den Zugang einer dem § 39 Abs 1 VersVG entsprechenden (qualifizierten) Mahnung voraussetze, der vom Versicherer zu beweisen sei. Wäre die Beklagte danach nicht leistungsfrei, wäre der Warenverlust unter Verwertung der dazu vorliegenden Beweisergebnisse gemäß § 273 Abs 1 ZPO zu schätzen: Dass in das Geschäft eingebrochen worden sei und Waren entwendet worden seien, stehe fest. Der Täter habe im Strafverfahren dazu angegeben, glaublich 80 bis 100 Trainingsanzüge erbeutet zu haben. Es sei unzulässig, eine an und für sich in ihrem Bestand unklare Forderung, die dem Grunde nach zu Recht bestehe, mit Berufung auf § 273 ZPO mit „Null" zu bemessen und so zu verneinen.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, 1. weil keine oberstgerichtliche Judikatur zur Frage bestehe, inwieweit im Fall einer Vertragsänderung (einer Änderung der Zahlungsweise von jährlicher auf halbjährliche Prämienzahlung) nach Eintritt der Leistungsfreiheit infolge qualifizierter Mahnung etwa im Fall der Stundung sämtliche eingetretene nachteiligen Folgen für den Versicherungsnehmer beseitigt würden, wenn der Versicherer nicht darauf hinweise, dass die Änderung keine Beseitigung der Leistungsfreiheit bewirke und 2. weil es zu § 273 ZPO einer Klarstellung bedürfe, „dass in einem Fall einer unter diese Bestimmung fallenden Forderung, in dem ein Beweis [der Schadenshöhe] - aus welchen Gründen auch immer - überhaupt nicht erbracht werden kann, keine sinnvolle Alternative zur richterlichen Schätzung und damit auch kein Ermessensspielraum in dieser Frage besteht und der Richter in diesem Fall die Pflicht hat, den Schaden oder das Interesse nach § 273 ZPO zu schätzen."

Mit ihrem Rekurs beantragt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. In eventu möge der angefochtene Beschluss aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.

Die Klägerin beantragt in der Rekursbeantwortung, das Rechtsmittel ihrer Prozessgegnerin als unzulässig zurückzuweisen oder ihm keine Folge zu geben.

Der Rekurs ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts mangels erheblicher Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig:

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionswerberin weist selbst zutreffend darauf hin, dass die erste vom Berufungsgericht in seiner Zulassungsbegründung aufgeworfene Frage betreffend die Konkludenz von Willenserklärungen keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO darstellt (RIS-Justiz RS0043253). Sind doch für die Beurteilung der Konkludenz einer Willenserklärung oder der Schlüssigkeit eines Verhaltens immer die Umstände des Einzelfalls maßgeblich. Zufolge dieser Einzelfallsbezogenheit kommt einer derartigen Entscheidung daher nur dann eine über den Anlassfall hinausgehende Bedeutung zu, wenn ihr Ergebnis den Grundsätzen des Gesetzes und der Logik widerspricht, ihre Unanfechtbarkeit daher mit der Rechtssicherheit nicht vereinbar wäre (stRsp, vgl etwa wobl 1992, 188/121; 5 Ob 520/93; 7 Ob 138/99s, RIS-Justiz RS0042776 [T11] uva). Davon kann im vorliegenden Fall gar keine Rede sein. Inwiefern im - bloßen - Ansuchen der Klägerin auf Änderung der Zahlungsweise nach dem sehr strengen Maßstab des § 863 ABGB („kein vernünftiger Grund, daran zu zweifeln") ohne Weiteres auch ein Stundungsersuchen gelegen sein soll, ist nicht zu erkennen. Um so weniger kann in der Entsprechung des Änderungswunsches der Klägerin durch die Beklagte die Zustimmung zu einem Stundungsersuchen gesehen werden.

Aber auch die - ohnehin nur für den Fall, dass die Beklagte nicht zufolge Prämienverzugs der Klägerin leistungsfrei wäre, sich stellende - Frage der Anwendbarkeit des § 273 ZPO zur Bestimmung der Schadenshöhe bildet keinen Grund für die Zulässigkeit des Rechtsmittels der Beklagten. Die Norm des § 273 ZPO stellt inhaltlich einerseits die Einräumung eines - gebundenen - Ermessens an das Gericht dar, den Schaden, von dem feststeht, dass er zu ersetzen ist, nach freier Überzeugung festzusetzen. Andererseits enthält sie eine Einschränkung der allgemeinen Beweislastregel, dass der Kläger (Geschädigte) Bestand und Höhe der Forderung (des Schadens) erweisen müsse (RIS-Justiz RS0040459). Die dem Gericht erteilte Befugnis, im Fall der Unmöglichkeit (oder besonderen Schwierigkeit) des Beweises der Höhe einer Forderung die Höhe des Betrages nach freier Überzeugung festzusetzen, hat zur Folge, dass den Kläger bezüglich der Forderung keine unbedingte Beweislast trifft (RIS-Justiz RS0040436); wird § 273 ZPO - wegen Beweisschwierigkeiten - angewendet, ist auf die (dem materiellen Recht zugehörenden) Beweislastregeln nicht mehr Bedacht zu nehmen (RIS-Justiz RS0040447). Die Entscheidung des Gerichtes darüber, ob es den § 273 ZPO anwenden darf, ist eine rein verfahrensrechtliche Entscheidung. Wurde zu Unrecht die Anwendbarkeit des § 273 ZPO bejaht oder verneint, muss dies mit Mängelrüge bekämpft werden (RIS-Justiz RS0040282). Ob § 273 Abs 1 ZPO anzuwenden ist, entscheiden richterliche Erfahrung, allgemeine Lebenserfahrung oder auch die Zwischenergebnisse des bereits durchgeführten Beweisverfahrens (2 Ob 66/87, ZVR 1988/138 mwN). Die Anwendung des § 273 ZPO wird selbst durch eine schuldhafte Herbeiführung des Beweisnotstandes nicht ausgeschlossen (2 Ob 714/86 mwN; ZVR 1988, 308/138, ua; RIS-Justiz RS0040479).

Ob (wie im eben zitierten Rechtssatz weiters noch ausgesprochen) nicht nur eine fahrlässige, sondern auch eine sogar vorsätzliche Herbeiführung des Beweisnotstands der Anwendung des § 273 Abs 1 ZPO nicht entgegensteht, muss hier nicht näher untersucht und erörtert werden, weil ein solcher Fall nicht festgestellt ist (in der Entscheidung 7 Ob 546/92, RZ 1993/91 wurde betont, dass § 273 ZPO jedenfalls dann nicht angewendet werden könne, wenn der Beweispflichtige beweisunwillig sei). Ist die Unsicherheit, welche Waren im Einzelnen gestohlen wurden und damit die Unbestimmbarkeit der Höhe des Diebstahlsschadens - wie hier - auf eine „chaotische" Buchführung zurückzuführen, besteht kein Anlass, von der bisherigen Judikaturlinie, wonach in der Regel auch eine fahrlässige Herbeiführung eines Beweisnotstandes die Anwendung des § 273 Abs 1 ZPO nicht ausschließt, abzuweichen.

Die umfassenden, Lehrmeinungen und einschlägige Rechtsprechung zitierenden Ausführungen der Rekurswerberin gehen insofern nicht vom festgestellten Sachverhalt aus, als sie unterstellen, dass der klagsgegenständliche Anspruch auch dem Grunde nach nicht feststehe. Dies ist unrichtig, da das Vorliegen eines Einbruchsdiebstahls (also dass in das Geschäftslokal der Klägerin eingebrochen und dort Waren gestohlen wurden) ausdrücklich feststeht und insofern von einer durch einen Versicherungsfall verursachten Schädigung der Klägerin auszugehen ist. Ungeklärt geblieben ist lediglich die Höhe dieses Schadens. Da der Vorwurf der Rekurswerberin, das Berufungsgericht sei von oberstgerichtlicher Judikatur abgewichen, auf der - unrichtigen - Prämisse beruht, der Anspruch stehe auch dem Grunde nach nicht fest, muss dieser Vorwurf ins Leere gehen. Die Auffassung des Berufungsgerichtes, die (ohnehin nur hilfsweise geäußerte) Meinung des Erstgerichtes, die Klagsabweisung lasse sich auch darauf stützen, dass die Klägerin keinerlei Beweis zur Schadenshöhe erbringen habe können, sei unrichtig, entspricht der in der Entscheidung 5 Ob 312/00v (mwN) geäußerten Rechtsansicht, dass es einen Verfahrensmangel darstellt, wenn das Gericht eine Beweislastentscheidung fällt, obwohl eine Schadensschätzung nach § 273 Abs 1 ZPO angebracht wäre.

Der Ausspruch über die Kosten der Rekursbeantwortung beruht auf § 52 Abs 1 ZPO (8 Ob 8/04s; 8 Ob 78/04k; 6 Ob 196/05z uva; vgl RIS-Justiz RS0035976).