OGH vom 14.05.1981, 7Ob57/80
Norm
AKHB Art 6 Abs 2 litb;
KFG § 64;
Kopf
SZ 54/72
Spruch
Einem minderjährigen Versicherungsnehmer muß die Ablehnung des Versicherungsschutzes unter Klagsfristsetzung nach § 12 Abs. 3 VersVG zu Handen des gesetzlichen Vertreters nicht nur zukommen, sondern auch erklärt werden. Der Versicherer kann Leistungsfreiheit nach materiellem Recht unabhängig von der Wirksamkeit des Ablehnungsschreibens geltend machen
Wegen Verwendung eines zu schnellen Mopeds kann der Versicherer Leistungsfreiheit sowohl nach §§ 23, 25 VersVG als auch nach § 6 Abs. 2 VersVG iVm Art. 6 Abs. 2 lit. b AKHB geltend machen; für die Anwendung der Führerscheinklausel genügt bei jedem Verschuldensgrad die Kenntnis des Versicherungsnehmers, daß das Fahrzeug die erlaubte Höchstgeschwindigkeit erheblich zu überschreiten geeignet war
(OLG Linz 4 R 98/80; KG Ried im Innkreis 2 Cg 222/79)
Text
Die Klägerin macht mit der vorliegenden Regreß- und Feststellungsklage gegen den mit seinem Moped bei ihr haftpflichtversicherten, am 24. Feber 1960 geborenen Beklagten Leistungsfreiheit infolge Versäumung der Klagefrist nach § 12 Abs. 3 VersVG und materiell nach Art. 6 Abs. 2 lit. b AKHB (Führerscheinklausel) geltend.
Der Erstrichter wies das Klagebegehren ab.
Nach seinen Feststellungen forderte die Klägerin nach Erbringung von Leistungen an geschädigte Dritte den damals noch minderjährigen Beklagten mit dem unmittelbar an ihn gerichteten Schreiben vom unter Rechtsbelehrung gemäß § 12 Abs. 3 VersVG zur Einbringung der Deckungsklage auf. An die Eltern des Beklagten wurde keine gleichartige Aufforderung gerichtet, doch zeigte der Beklagte das erhaltene Schreiben seiner Mutter, diese wendete sich dann an einen Rechtsanwalt. Dieser bezweifelte in einem aus Gefälligkeit an die Klägerin gerichteten Schreiben das Vorliegen der behaupteten Obliegenheitsverletzung, erklärte aber zugleich, daß er (wegen befürchteter Interessenkollision) nicht für den Beklagten einschreite. Mit dem an den Rechtsanwalt gerichteten Brief vom blieb die Klägerin bei ihrem Standpunkt, lehnte die Deckung nochmals ab und verwies wieder auf die Klagefrist nach § 12 Abs. 3 VersVG (nach der Aktenlage richtig: setzte nochmals eine solche Frist). Der Rechtsanwalt brachte dieses Schreiben dem Beklagten und dessen Mutter zur Kenntnis, doch unterließen diese die Deckungsklage.
Nach der Rechtansicht des Erstrichters hätte die Klageaufforderung nach § 12 Abs. 3 VersVG an den gesetzlichen Vertreter des minderjährigen Beklagten gerichtet werden müssen; da die Klagefrist noch nicht zu laufen begonnen habe, könne die Klägerin auch noch nicht Rückgriff nehmen.
Das Berufungsgericht hob das Ersturteil unter Rechtskraftvorbehalt auf. Es folgte zwar nicht der Ansicht der Klägerin, daß ein Ablehnungsschreiben an einen minderjährigen Beklagten genügt habe, vertrat aber die Ansicht, es reiche aus, daß es tatsächlich in die Hand des Empfängers komme, sodaß die Mutter des Beklagten als dessen gesetzliche Vertreterin angesichts ihrer positiven Kenntnis nicht so gestellt werden könne, als ob sie nicht benachrichtigt worden wäre. Zu prüfen bleibe dann die Einwendung des Beklagten, durch Erklärungen von Versicherungsvertretern der Klägerin zur Unterlassung der Deckungsklage veranlaßt worden zu sein. Im übrigen werde das Erstgericht zu beachten haben, daß im Umfang der schon vor Ablauf der Klagefrist des § 12 Abs. 3 VersVG erbrachten Leistungen der Nachweis der materiellen Leistungsfreiheit nötig sei, der den Nachweis einer verbotenen Änderung am Fahrzeug erforderte, daß aber andererseits die Regreßklage des Versicherers keinesfalls von einer solchen Ablehnung abhängig sei.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der klagenden Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Die Rekurswerberin bekämpft zu Unrecht die Ansicht der Vorinstanzen, daß die Klagsaufforderung nach § 12 Abs. 3 VersVG nicht wirksam an den damals minderjährigen Versicherungsnehmer allein zugestellt werden konnte. Allerdings hat der OGH in der Entscheidung VersRdSch 1972, 366 = VersR 1972, 654 in einem ähnlichen Fall die Meinung des dortigen Berufungsgerichtes ohne nähere Begründung als zutreffend bezeichnet, daß das bloß an den minderjährigen Versicherungsnehmer zugegangene Schreiben des Versicherers den Vorschriften des § 12 Abs. 3 VersVG entsprochen habe. Dieses Ergebnis könnte auch mit dem Rechtssatz gerechtfertigt werden, daß das Verfügungsrecht eines Minderjährigen die Befugnis zur Prozeßführung über die anläßlich eines solchen Geschäftes entstehenden Ansprüche mitumfasse (Ehrenzweig II/2, 319; JBl. 1954, 258). Andererseits vertreten Lehre und Rechtsprechung in der Bundesrepublik Deutschland die Ansicht, daß das Ablehnungsschreiben an den gesetzlichen Vertreter eines minderjährigen Versicherungsnehmers gerichtet werden muß (Bruck - Möller, VVG[8] I, 265; BGH VersR 1977, 442), wofür aber die Vorschriften des § 131 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 BGB eine klare Rechtsgrundlage bilden. Für das österreichische Recht hat Lentner, VersRdSch 1971, 137, den Standpunkt vertreten, daß der beschränkt Geschäftsfähige nicht über sämtliche Rechtsfolgen aus einem innerhalb der §§ 151, 246 ABGB (aF) geschlossenen Vertrag allein verfügen könne, weil das Gesetz einschränkend auszulegen sei, wo die Gefahr bestehe, daß der nicht voll Geschäftsfähige die Tragweite seines Handelns nicht abzusehen in der Lage sei. Inzwischen bietet die Änderung der Rechtslage durch das VolljährG, BGBl. 108/1973, weitere Anhaltspunkte in dieser Richtung. Nach § 151 Abs. 2 ABGB nF kann ein Minderjähriger nach erreichter Mundigkeit u. a. über sein Einkommen aus eigenem Erwerb soweit verfügen und sich verpflichten, als dadurch nicht die Befriedigung seiner Lebensbedürfnisse gefährdet wird. Die letztgenannte Einschränkung dieser sonst vollen Geschäftsfähigkeit mundiger Minderjähriger hielt der Justizausschuß ungeachtet einer gewissen Minderung der Verkehrssicherheit in Randbereichen des rechtsgeschäftlichen Verhaltens mundiger Minderjähriger für zweckmäßig und vertretbar, um den Lebensunterhalt des jungen Menschen nicht zu gefährden (645 BlgNR, XIII. GP, 3). Selbst bei einer sonst in den Rahmen des eigenen Erwerbseinkommens des Minderjährigen fallenden Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung, wenn also wie hier die Bezahlung der Versicherungsprämie für ein Moped unproblematisch sein mag, kann aber der bei Versäumung der Klagefrist nach § 12 Abs. 3 VersVG unabhängig von der materiellen Rechtslage eintretende Verlust des Versicherungsschutzes (SZ 49/100 u. v. a.) mit dem gleichzeitig drohenden Regreß nach § 158 f. VersVG nicht nur den Lebensunterhalt des Versicherungsnehmers bedrohen, sondern allenfalls sogar seine Existenz vernichten. Der Schutz eines minderjährigen Versicherungsnehmers ist deshalb in solchen Fällen nicht ohne Beteiligung des gesetzlichen Vertreters gewährleistet. Das wird gerade in dem vorliegenden Fall deutlich, wo der Beklagte nach der Aktenlage im ungefähren Zeitpunkt der Ablehnungsschreiben nur ein Arbeitseinkommen von monatlich 5 500 S hatte, der Streitwert der Regreßklage aber über 150 000 S beträgt und die Verordnung BGBl. 605/1980 noch nicht anzuwenden ist, nach der nun die Leistungsfreiheit des Versicherers u. a. im Fall des Art. 6 Abs. 2 lit. b AKHB mit 100 000 S begrenzt ist. Diese Rechts- und Interessenlage erfordert, wenn nicht Kfz-Haftpflichtversicherungsverträge wegen der dargestellten Gefahren aus einer Versäumung der Klagefrist nach § 12 Abs. 3 VersVG überhaupt aus der Verpflichtungsfähigkeit mundiger Minderjähriger nach § 151 Abs. 2 VersVG ausgenommen werden sollen, wenigstens die Herausnahme dieser Klagsaufforderung aus der beschränkten Geschäftsfähigkeit eines minderjährigen Versicherungsnehmers, weil eben sonst die Befriedigung seiner Lebensbedürfnisse gefährdet wird. Ablehnungsschreiben mit Fristsetzung nach § 12 Abs. 3 VersVG müssen demnach grundsätzlich an den (einen) gesetzlichen Vertreter eines mundigen minderjährigen Versicherungsnehmers zugestellt werden.
Entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes reicht dazu aber der bloße Zugang eines nicht an diesen gesetzlichen Vertreter des Minderjährigen gerichteten Ablehnungsschreibens nicht aus. Wohlgenügt es, daß eine solche empfangsbedürftige Willenserklärung des Versicherers dem Adressaten im Sinne des § 862a ABGB zukommt (EvBl. 1975/208 u. v. a.). Wegen der schon erwähnten schweren Rechtsfolgen einer Versäumung der Klagefrist sind aber ebenso strenge Anforderungen an Form und Inhalt des Ablehnungsschreibens zu stellen (ZVR 1973/224 u. v. a.). Deshalb kann es auch nicht genügen, daß der gesetzliche Vertreter bloß auf irgendeine Weise Kenntnis von einem nicht an ihn, sondern unrichtigerweise an den Minderjährigen gerichteten Ablehnungsschreiben erhält. In diesem Fall gelangte das Schriftstück zwar an den Richtigen, aber nicht an den Adressaten. Der insofern allein vertretungsbefugte gesetzliche Vertreter muß keine Aufforderung befolgen, die nicht an ihn gerichtet wurde. Dieser strenge Standpunkt entspricht auch der Lehre (Bruck - Möller a. a.O.; Stiefel - Hofmann, AKB 11, 391; vgl. auch Soergel, BGB[11] I, 597). Da im vorliegenden Fall das erste Ablehnungsschreiben nur an den Beklagten selbst gerichtet war, aber auch der dann einschreitende Rechtsanwalt nicht als Vertreter der Mutter des Beklagten auftrat und dann auch die nochmalige Klagefrist in dem Schreiben an den Rechtsanwalt ausdrücklich wieder dem Beklagten gesetzt wurde, liegt keine Erklärung der klagenden Partei vor, die an einen gesetzlichen Vertreter des damals noch minderjährigen Beklagten adressiert oder auch nur für einen solchen Vertreter bestimmt gewesen wäre. Damit fehlt es überhaupt an einer wirksamen Ablehnungserklärung; es kann dann dahingestellt bleiben, ob die nach der Aktenlage damals schon geschiedene Mutter des Beklagten überhaupt dessen gesetzliche Vertreterin war. Eine Klagsfrist nach § 12 Abs. 3 VersVG wurde nicht wirksam gesetzt. Die Klägerin muß die behauptete Leistungsfreiheit nach materiellem Recht beweisen. Nach der zutreffenden Ansicht des Berufungsgerichtes ist die Fälligkeit des Klagsanspruches dabei keineswegs von einem vorangegangenen gültigen Ablehnungsschreiben im Sinne des § 12 Abs. 3 VersVG abhängig (ZVR 1978/29 u. a.).
Mit Recht bekämpft die Rekurswerberin aber die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß ihre Leistungsfreiheit wegen Verletzung der Führerscheinklausel des Art. 6 Abs. 2 lit. b AKHB den Nachweis einer verbotenen Änderung nach der Zulassung des Fahrzeuges als Moped voraussetze. Der OGH hat in einem gleichartigen Fall, in dem allerdings der Versicherer die Leistungsfreiheit wegen Verwendung eines zu schnellen Mopeds aus dem Titel der Gefahrerhöhung nach den §§ 23, 25 VersVG geltend machte, ausgesprochen, daß die Rechtsfolgen der Gefahrerhöhung auch dann eintreten, wenn ein Fahrzeug in seiner Bauart von jenen Voraussetzungen abweicht, die das Gesetz für seine Zulassung fordert, weil es bei der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung nicht üblich ist, das Fahrzeug vor Abschluß der Versicherung auf seinen Zustand zu untersuchen (ZVR 1980/295 = JBl. 1980, 658 m. w. N.). Das gleiche muß für die Verletzung der Führerscheinklausel gelten, zumal es hier nur auf die Verwendung eines Fahrzeuges ankommt, für das eine Lenkerberechtigung erforderlich gewesen wäre. Das ist aber nach § 64 Abs. 1 KFG jedenfalls der Fall, wenn das verwendete Fahrzeug nicht mehr nach § 2 Z. 14 KFG als Motorfahrrad gilt, weil es die dort vorgeschriebenen Grenzen überschreitet. Es genügt daher, abgesehen von der hohen Wahrscheinlichkeit einer erfolgten Manipulation, die Kenntnis des Versicherungsnehmers, daß das Fahrzeug die erlaubte Höchstgeschwindigkeit erheblich (§ 29 VersVG; SZ 51/137) zu überschreiten geeignet war. Keine Bedenken bestehen andererseits gegen die Anwendung der Führerscheinklausel neben den §§ 23 ff. über die Gefahrstandspflicht. Abgesehen davon, daß auch auf eine Leistungsfreiheit aus dem letztgenannten Grund, weil es sich dabei um eine gesetzliche Obliegenheit handelt (Bruck - Möller, VVG[8] I, 191) bei der Würdigung des vorgetragenen Sachverhaltes Bedacht zu nehmen wäre (JBl 1978, 600), kann § 6 Abs. 2 mit §§ 23 Abs. 1, 25 Abs. 1 VersVG konkurrieren, soweit eine spezielle Sicherheitsvorschrift vom Versicherungsnehmer ein Unterlassen zum Zwecke der Verhütung einer Gefahrerhöhung fordert (Bruck - Möller a. a.O., 385). Das ist hier der Fall, weil die Lenkerprivilegierung des § 64 Abs. 1 KFG bei einem die Geschwindigkeitsgrenze überschreitenden Motorfahrrad nicht mehr in Betracht kommt, sondern ein solches Fahrzeug nur unter den Voraussetzungen der §§ 64 f. KFG gelenkt werden darf (VwGH Slg. 9175/A; 8 Ob 264/79). Damit ist es auch zu rechtfertigen, daß die Beschränkung auf grobes Verschulden nach Art. 7 AKHB zwar für die Leistungsfreiheit nach § 25 VersVG gilt (ZVR 1980/295 wie oben), das zusätzliche Tatbestandsmerkmal des Lenkens eines solchen Fahrzeuges ohne Lenkerberechtigung nach - Art. 6 Abs. 2 lit. b AKHB aber gemäß § 6 Abs. 1 VersVG nur bei fehlendem Verschulden des Versicherungsnehmers nicht zur Leistungsfreiheit des Versicherers führt.