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OGH vom 24.04.2019, 7Ob57/19m

OGH vom 24.04.2019, 7Ob57/19m

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der gefährdeten Partei Z***** G*****, vertreten durch Mag. Veronika Sengmüller, Rechtsanwältin in Salzburg, gegen den Gegner der gefährdeten Partei O***** G*****, vertreten durch Dr. Cornelia Mazzucco, Rechtsanwältin in Salzburg, wegen § 382b EO, über den Revisionsrekurs der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom , GZ 21 R 419/18s-18, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Salzburg vom , GZ 41 C 43/18i-11, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung über den Aufhebungsantrag des Gegners der gefährdeten Partei nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Das Erstgericht erließ am (zugestellt am ) eine auf sechs Monate befristete einstweilige Verfügung nach § 382b EO, mit der es dem Antragsgegner verbot, in die Ehewohnung samt Nahebereich zurückzukehren.

Nachdem der Antragsgegner vorerst Widerspruch, in eventu Rekurs, erhoben hatte, beantragte er am die Aufhebung der einstweiligen Verfügung, weil sich die Parteien inzwischen versöhnt hätten. Er legte dazu ein mit datiertes, dem äußeren Anschein nach von der Antragstellerin unterfertigtes und an das Erstgericht adressiertes Schreiben im Original vor, worin diese unter anderem erklärte, den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung unter Anspruchsverzicht zurückzuziehen und damit einverstanden zu sein, dass die einstweilige Verfügung „einvernehmlich aufgehoben“ werde.

Das Erstgericht hob daraufhin die einstweilige Verfügung – ohne weiteres Verfahren – auf, wobei es darauf verwies, dass der Antragsgegner die von der Antragstellerin unterschriebene Erklärung vorgelegt habe. Da ein Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung auch noch im Rechtsmittelverfahren einseitig ohne Verzicht auf den Anspruch zurückgenommen werden könne, bedeute dies für das Verfahren zur Erlassung von einstweiligen Verfügungen, das eine „Einstellung“ nicht kenne, dass die Sicherungsmaßnahme aufzuheben sei.

Dem Rekurs der Antragstellerin (dem das Erstgericht hemmende Wirkung zuerkannte) gab das Rekursgericht nicht Folge und bestätigte die Aufhebung der einstweiligen Verfügung. Beantrage ein Antragsteller selbst die Aufhebung (Einschränkung) der einstweiligen Verfügung oder stimme ihr zu, sodass der Tatbestand des § 39 Abs 1 Z 6 EO vorliege, dann sei ohne dessen Anhörung zu entscheiden. Mit der von der Antragstellerin selbst unterfertigten Erklärung habe sie sich damit einverstanden erklärt, dass die Sicherungsmaßnahme aufgehoben werde. Ihre Einvernahme sei nicht erforderlich gewesen; Nichtigkeit liege nicht vor. Auch ein Verfahrensmangel liege nicht vor, weil die Antragstellerin selbst ausdrücklich ihren Sicherungsantrag zurückgezogen und sich damit einverstanden erklärt habe, dass die Sicherungsmaßnahme einvernehmlich aufgehoben werde. Unter diesen Umständen sei das Erstgericht nicht gehalten gewesen, sie einzuvernehmen, um zu prüfen, ob ihre Willenserklärung wirksam wäre. Dass sie mit der Aufhebung nicht einverstanden sei und die Erklärung nicht ihrem Willen entspreche, sei eine unzulässige Neuerung.

Der Revisionsrekurs der Antragstellerin beantragt die Abänderung dahin, dass der Aufhebungsantrag des Antragsgegners abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Antragsgegner beantragt in der ihm vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs „als unzulässig zu erachten“, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und im Sinne des Aufhebungsantrags berechtigt.

Die Revisionsrekurswerberin führt aus, der Tatbestand des § 39 Abs 1 Z 6 EO liege nicht vor, sie wäre zum Antrag zu hören gewesen. Das vom Antragsgegner vorgelegte Schreiben sei kein eigenständiger Antrag der Antragstellerin, sondern lediglich ein Beweis zum Thema, ob die Antragstellerin eine Aufhebung der einstweiligen Verfügung wolle, was nicht zum Wegfall ihres Sicherungsbedürfnisses führe.

Dazu wurde erwogen:

1. Nach § 45 Abs 3 EO sind, sofern nicht für einzelne Fälle etwas anderes angeordnet ist oder schon eine rechtskräftige Entscheidung über die Einstellung, Einschränkung oder Aufschiebung des Exekutionsverfahrens vorliegt oder der Antrag offenkundig unberechtigt ist, die Parteien vor der Entscheidung über Anträge auf Einstellung, Einschränkung oder Aufschiebung des Exekutionsverfahrens, die nicht vom betreibenden Gläubiger selbst gestellt werden, einzuvernehmen (§ 55 Abs 1 EO).

Nach § 55 Abs 1 EO ergehen die gerichtlichen Entscheidungen und Verfügungen im Exekutionsverfahren ohne vorherige mündliche Verhandlung. Eine vom Gesetz angeordnete Einvernehmung der Parteien oder sonstigen Beteiligten ist an die für mündliche Verhandlungen geltenden Vorschriften nicht gebunden. Sie kann mündlich oder durch das Abfordern schriftlicher Äußerungen und ersterenfalls ohne gleichzeitige Anwesenheit der übrigen einzuvernehmenden Personen und ohne Aufnahme eines Protokolles geschehen; es genügt ein kurzer schriftlicher Aktenvermerk über das Ergebnis der Einvernehmung.

Nach § 55 Abs 2 EO sind alle für eine beantragte richterliche Entscheidung oder Verfügung wesentlichen Umstände vom Antragsteller zu beweisen.

2. Nach § 399 Abs 2 EO ist vor der Entscheidung über in § 399 Abs 1 EO genannte Anträge auf Aufhebung oder Einschränkung einer einstweiligen Verfügung die gefährdete Partei einzuvernehmen.

Gemäß § 402 Abs 4 EO sind die Einstellungsgründe des § 39 Abs 1 EO – darunter vor allem jener der Z 6 – auch im Provisorialverfahren anzuwenden; sie können daher die Aufhebung einer einstweiligen Verfügung rechtfertigen, weil § 399 EO die Aufhebungsgründe nicht taxativ aufzählt. Die Zurückziehung des Sicherungsantrags ist gemäß § 402 Abs 4, § 39 Abs 1 Z 6 EO ein weiterer Grund für die Aufhebung einer bereits erlassenen einstweiligen Verfügung (

RISJustiz RS0005577).

3. Nach § 39 Abs 1 Z 6 EO ist die Exekution unter gleichzeitiger Aufhebung aller bis dahin vollzogenen Exekutionsakte einzustellen, wenn der Gläubiger das Exekutionsbegehren zurückgezogen hat, wenn er auf den Vollzug der bewilligten Exekution überhaupt oder für eine einstweilen noch nicht abgelaufene Frist verzichtet hat, oder wenn er von der Fortsetzung des Exekutionsverfahrens abgestanden ist. Diese drei Tatbestände lassen sich inhaltlich in zwei zusammenfassen. Einerseits ist die Exekution einzustellen, wenn der betreibende Gläubiger dem Gericht gegenüber erklärt, die Exekution nicht weiter fortsetzen zu wollen. Das ist als Einstellungsantrag zu verstehen. Andererseits ist die Exekution bei einem – vom Verpflichteten zu bescheinigenden – außerprozessualen Verzicht auf die Exekution einzustellen (3 Ob 78/13m).

Gemäß § 39 Abs 2 EO kann eine Einstellung der Exekution in den Fällen des § 39 Abs 1 Z 1, 6 und 7 EO nur auf Antrag erfolgen, sonst auch von Amts wegen; der Einstellung von Amts wegen hat jedoch in den unter Z 2 und 3 angegebenen Fällen, sofern nicht schon eine rechtskräftige Entscheidung über die Unzulässigkeit der Exekutionsführung vorliegt, eine Einvernehmung der Parteien vorauszugehen. Erfolgt die Einstellung von Amts wegen, gilt § 39 Abs 2, erfolgt sie über Antrag, gilt § 45 Abs 3 EO (3 Ob 27/99p).

4. Unabhängig davon muss einer Partei aber immer dann wenigstens die Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden, wenn wesentliche Sachverhaltsfeststellungen zu ihren Lasten getroffen werden, und zwar unabhängig davon, ob ein förmliches Beweis- oder Bescheinigungsverfahren abgeführt wird oder ob die Feststellungen aufgrund der bereits bestehenden Aktenlage getroffen werden (3 Ob 27/99p = RS0114670; Jakusch in Angst/Oberhammer, EO³ § 39 [2015] Rz 78).

5. Für eine Sicherungsmaßnahme folgt schon aus § 399 Abs 2 EO, dass vor einer Aufhebung eine Einvernahme des Antragstellers erfolgen muss. Wenn die Einstellungsgründe in Abs 1 leg cit nicht taxativ aufgezählt sind, dann gilt das auch für die Anordnung der vorgängigen Einvernahme. Dies entspricht auch § 45 EO sowie § 39 EO und der dazu ergangenen Rechtsprechung.

6. Hier hat der Antragsgegner einen Aufhebungsantrag mit dem bis dahin nicht aktenkundigen Vorbringen gestellt, dass die Antragstellerin mit der Aufhebung der einstweiligen Verfügung einverstanden sei; zum Beweis dafür legte er eine Urkunde mit einer entsprechenden dem äußeren Anschein nach von der Antragstellerin stammenden Erklärung vor. Damit liegt ein Fall des § 39 Abs 1 Z 6 EO vor. Bei einer einstweiligen Verfügung nach § 382b EO ist daher die Antragstellerin zum Antrag des Gegners bei sonstiger Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 4 ZPO (vgl 3 Ob 27/99p; Jakusch§ 39 Rz 83 und § 55 Rz 2 mwN) im Sinn des § 55 EO zu hören; dies ist hier unterblieben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind aufzuheben und das Verfahren ist an die erste Instanz zurückzuverweisen.

7. Über die vor dem Aufhebungsantrag gestellten Anträge (Widerspruch in eventu Rekurs) wurde noch nicht entschieden. Eine einstweilige Verfügung erlischt auch nicht durch Zeitablauf, sondern bleibt aufrecht, bis sie aus diesem Grund nach § 399 EO aufgehoben wurde (vgl RS0112157), was hier nicht der Fall ist. Die Beschwer der Rechtsmittelwerberin ist aufrecht (vgl RS0001611, RS0041770 [T3, T 10]).

8. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 393 Abs 2 EO iVm § 52 Abs 1 Satz 2 ZPO.

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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2019:0070OB00057.19M.0424.000

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