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OGH vom 18.06.2015, 1Ob74/15m

OGH vom 18.06.2015, 1Ob74/15m

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ. Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer Zeni Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Stadt Wien, *****, Wien 9, Währinger Gürtel 18 20, vertreten durch die RUDECK SCHLAGER RECHTSANWALTS KG, Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 71.001 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 14 R 139/14k 17, mit dem das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom , GZ 22 Cg 24/14a 11, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Im Anlassverfahren erteilte die Bezirkshauptmannschaft M***** einer am geborenen georgischen Staatsangehörigen gemäß § 62 Niederlassungs und Aufenthaltsgesetz (NAG; BGBl I 2005/100) eine Aufenthaltsbewilligung, Sonderfall unselbständiger Erwerbstätigkeit (Au pair). Der Nachweis des gemäß § 11 Abs 2 Z 3 NAG erforderlichen Krankenversicherungsschutzes erfolgte durch die Vorlage einer von der ausländischen Staatsangehörigen mit einem inländischen Versicherer für die Dauer ihres Aufenthalts in Österreich (vom bis ) abgeschlossenen Auslandsreisekrankenversicherungsvertrags. Dieser enthält marktübliche Risikoausschlüsse. Die Bezirkshauptmannschaft erachtete den privaten Krankenversicherungsvertrag als im Sinn des § 11 Abs 2 Z 3 NAG ausreichend.

§ 3 der vereinbarten Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die kurzfristige Auslandsreisekrankenversicherung (AVBAR 2007) enthält folgende Risikoausschlüsse:

„ Kein Versicherungsschutz besteht für

3.1 Krankheiten und Unfälle sowie deren Folgen, die aufgrund eines missbräuchlichen Genusses von Alkohol oder Suchtgiften (Morphium, Kokain usw.) eintreten oder verschlechtert werden oder deren Heilbehandlung infolge eines missbräuchlichen Genusses von Alkohol oder Suchtgiften wesentlich erschwert ist, sowie für Entziehungsmaßnahmen und Entziehungskuren;

3.2 Anhaltung bzw. Unterbringung wegen Selbst- oder Fremdgefährdung, Heilbehandlung der Folgen von Selbstmordversuchen sowie Selbstmord;

3.3 Krankheiten und Unfälle sowie deren Folgen, die durch Kriegsereignisse jeder Art, aktive Beteiligung und Unruhen, schuldhafte Beteiligung an Schlägereien oder bei Begehung einer gerichtlich strafbaren Handlung, die Vorsatz voraussetzt, entstehen;

3.4 auf Vorsatz des Versicherungsnehmers oder der versicherten Person beruhende Krankheiten und Unfälle, einschließlich deren Folgen; ...

3.5 Behandlungen, die ausschließlich oder teilweise Grund für den Aufenthalt im vereinbarten Geltungsbereich waren;

3.6 Verschlimmerungen bereits bestehender Erkrankungen und Unfallfolgen, mit denen aufgrund des Gesundheitszustandes der versicherten Person und Art/Dauer des Aufenthalts im vereinbarten Geltungsbereich gerechnet werden musste;

3.7 bestehende Erkrankungen und Unfallfolgen, deren Behandlung während des Aufenthaltes im vereinbarten Geltungsbereich aufgrund des bekannten Verlaufs zu erwarten war bzw. aufgrund eines Therapieplans erfolgt;

3.8 Entbindung, Fehlgeburt oder Schwangerschaftsunterbrechung sowie eine mit der Schwangerschaft in Verbindung stehende medizinisch notwendige Heilbehandlung;

3.9 kosmetische Behandlungen und Operationen und deren Folgen sowie Geschlechtsumwandlungen;

3.10 konservierende oder prothetische Zahnbehandlungen und Zahnimplantationen und deren Folgen sowie auch damit im ursächlichen Zusammenhang stehende vorbereitende Maßnahmen (ausgenommen Behandlung akuter Zahnerkrankungen oder verletzungen);

3.11 nichtärztliche Hauspflege sowie Maßnahmen der Geriatrie, der Rehabilitation und der Heilpädagogik;

3.12 durch Pflegebedürftigkeit bedingte Hilfe und Betreuung;

3.13 die Inanspruchnahme ortsgebundener Heilverfahren (Kuren);

3.14 alle Formen der künstlichen Befruchtung (z.B. In Vitro Fertilisation, Insemination);

3.15 Heilbehelfe (z.B. Brillen, Mieder, Prothesen);

3.16 Impfungen, ärztliche Gutachten und Atteste. “

Die georgische Staatsangehörige, die über keinen Krankenversicherungsschutz nach dem ASVG verfügte, wurde in der Zeit vom 22. 3. bis aufgrund einer akut gewordenen psychischen Erkrankung als unabweisbare Patientin [Anm: im Sinn des § 36 Abs 4 Wiener Krankenanstaltengesetz, LGBl 1987/23 idgF; kurz: WrKAG] in einem öffentlichen Krankenhaus der Klägerin aufgenommen und dort stationär behandelt. Die Behandlung erfolgte im Rahmen einer Unterbringung ohne Verlangen nach dem Unterbringungsgesetz (UbG). Für die Behandlung fielen Pflegegebühren von 71.001 EUR an, die weder von ihr noch vom Privatversicherer bezahlt wurden. Letzterer lehnte die Kostenübernahme mit der Begründung ab, dass für diese Erkrankung kein Versicherungsschutz bestehe.

Hätte die Bezirkshauptmannschaft die Aufenthaltsbewilligung nicht erteilt, wäre (die georgische Staatsangehörige nicht nach Österreich eingereist und) es zu keiner Behandlung im Krankenhaus gekommen, wodurch die Pflegegebühren nicht angefallen wären.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die ihr entstandenen Pflegegebühren aus dem Titel der Amtshaftung wegen rechtswidriger und schuldhafter Erteilung der Aufenthaltsbewilligung an die Drittstaatsangehörige mangels eines alle Risiken abdeckenden Versicherungsschutzes im Sinn des § 11 Abs 2 Z 3 NAG. Entgegen dieser Bestimmung habe die Bezirkshauptmannschaft den privaten Krankenversicherungsvertrag, der eine Vielzahl von Risikoausschlüssen enthalte, als ausreichend erachtet und die Aufenthaltsbewilligung erteilt.

Die Beklagte wendete zusammengefasst und für das Revisionsverfahren von Relevanz ein, die Drittstaatsangehörige habe über eine marktübliche Auslandsreisekrankenversicherung verfügt. Die Akzeptanz dieser Versicherungspolizze durch die Behörde sei rechtmäßig, zumindest aber infolge fehlender Judikatur zur Auslegung des § 11 Abs 2 Z 3 NAG vertretbar gewesen. Da die Drittstaatsangehörige wegen einer akuten psychotischen Störung behandelt worden sei und keine Verschlimmerung einer bereits bestehenden Erkrankung vorgelegen sei, hätte die Klägerin auch gegen diese bzw gegen den Privatversicherer vorgehen können, was sie nicht getan habe. Daraus sei eine Verletzung ihrer Rettungs bzw Schadensminderungspflicht abzuleiten. Schutzzweck von § 11 Abs 2 Z 3 NAG sei in erster Linie der Schutz des Antragstellers, damit dieser über eine ausreichende soziale Sicherheit verfüge.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Beeinträchtigung einer öffentlich rechtlichen Rechtsposition - hier der Möglichkeit der Einhebung von Pflegegebühren sei kein ersatzfähiger Schaden nach dem AHG. Darüber hinaus sei bei einer Einweisung gemäß § 36 Abs 4 letzter Satz WrKAG der Rechtsträger der einweisenden Behörde verpflichtet, die Pflegegebühren zu übernehmen. Im Fall der Unterbringung bestehe der Anspruch auf Pflegegebühren daher nicht gegenüber der psychisch Kranken, sondern gegenüber dem Rechtsträger der einweisenden Behörde. Die Klägerin habe nicht behauptet, dass ihr Anspruch diesem gegenüber uneinbringlich wäre. Jedenfalls wäre es ihr möglich gewesen, Pflegegebührenansprüche gegen die Drittstaatsangehörige in Österreich geltend zu machen, deren Deckungsanspruch gegenüber dem Versicherer zu pfänden und sich überweisen zu lassen. Im Weg der Einbringung einer Drittschuldnerklage hätte sie zunächst zu klären gehabt, ob sich der Versicherer zu Recht auf die Ausschlüsse in den Versicherungspolizzen berufe. Bevor dies nicht feststehe, sei ein Schaden zu verneinen. Zudem umfasse der Schutzzweck des § 11 Abs 2 Z 3 NAG nicht die von der Klägerin geltend gemachten öffentlich rechtlichen Ansprüche auf Pflegegebühren. Diese Bestimmung könne nicht dahin ausgelegt werden, dass sie Fremden die Erlangung eines Aufenthaltstitels gänzlich unmöglich mache. Das Erfordernis eines „alle Risiken abdeckenden Versicherungsschutzes“ könne nicht dahingehend interpretiert werden, dass im Versicherungsvertrag keinerlei Ausschlüsse vorgesehen sein dürften, zumal derartige Versicherungen am Markt nicht erhältlich oder gänzlich unerschwinglich seien. Die Auslegung der Bezirkshauptmannschaft sei jedenfalls vertretbar.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Rechtlich führte es aus, die Klägerin habe eine Vermögensminderung schon deshalb erlitten, weil sie die Drittstaatsangehörige stationär behandelt, mit Medikamenten versorgt, verpflegt und auf der psychiatrischen Station untergebracht habe. Diese sei ebensowenig zur unverzüglichen Zahlung der Pflegegebühren bereit wie der private Krankenversicherer. An einem grundsätzlich ersatzfähigen Schaden im Sinn des § 1293 ABGB sei nicht zu zweifeln. Dem Argument des Erstgerichts, der Anspruch auf Ersatz der Pflegegebühren bestehe nicht gegenüber der psychisch Kranken, sondern gegenüber dem Rechtsträger der einweisenden Behörde, mangle es am Prozessvorbringen der Beklagten in erster Instanz. Dass ein Schaden der Klägerin deshalb nicht entstanden sei, weil ein Dritter zur unverzüglichen Zahlung der aufgelaufenen Pflegegebühren bereit und in der Lage wäre, habe die beklagte Schädigerin zu behaupten und zu beweisen. Eine Rettungspflichtverletzung der Klägerin nach § 2 Abs 2 AHG liege nicht vor. Von ihr sei nicht zu verlangen, dass sie gestützt auf die Pflegegebührenforderung ein Exekutionsverfahren gegen die georgische Staatsangehörige zwecks Pfändung und Überweisung des Deckungsanspruchs gegen den privaten Krankenversicherer anstrebe und danach einen Drittschuldnerprozess gegen diesen zur Klärung der Wirksamkeit der Risikoausschlüsse einleite. Schutzzweck des § 11 Abs 2 Z 3 iVm Z 4 NAG sei zumindest auch, Krankenanstalten vor finanziellen Verlusten dadurch zu bewahren, dass sie unabweisbare Patienten (§ 36 Abs 4 WrKAG) aufnehmen müssen, die über keinen aufrechten Krankenversicherungsschutz verfügen. Dem Umstand, dass für ausländische Antragsteller eine ausreichende soziale Sicherheit bestehe, komme demgegenüber wenn überhaupt nur untergeordnete Bedeutung zu. Der Schutzzweck des § 11 Abs 2 Z 3 NAG umfasse nicht nur privatrechtliche, sondern auch auf öffentlich rechtlichem Weg durchzusetzende Ansprüche.

Bei der Beurteilung der Vertretbarkeit der Auffassung der Bezirkshauptmannschaft sei mitzubedenken, dass eine alle Risiken abdeckende Krankenversicherung am Markt nicht erhältlich oder gänzlich unerschwinglich sei. Würde man tatsächlich eine „alle Risken“ abdeckende Krankenversicherungspolizze verlangen, wäre es einem Fremden praktisch unmöglich, die allgemeinen Voraussetzungen des § 11 Abs 2 NAG zu erfüllen, zumal auch die Möglichkeit einer Haftungserklärung im Sinn des § 11 Abs 6 NAG nur dann bestehe, wenn dies beim jeweiligen Aufenthaltszweck ausdrücklich angeführt sei. Eine derartige Absicht könne dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden. Zudem enthalte die vorgelegte Versicherungspolizze den Hinweis, dass die Drittstaatsangehörige „sozialversichert nach ASVG (zB Gebietskrankenkassen)“ sei. Wenn auch dieser Hinweis unrichtig gewesen sei, lasse dieser Beisatz „allenfalls die Schlussfolgerung“ zu, Leistungen, die unter den Versicherungsausschluss der Polizze fielen, würden ohnedies vom gesetzlichen Krankenversicherungsträger abgedeckt werden. Auch die gesetzliche Krankenversicherung nach dem ASVG decke nicht „alle Risken“ ab, werde doch eine Anstaltspflege, die nicht durch die Notwendigkeit ärztlicher Behandlung bedingt sei (Asylierung), nicht auf Kosten des Krankenversicherungsträgers gewährt (§ 144 Abs 3 ASVG), weil die bloß faktische stationäre Aufnahme allein eine Leistungspflicht des gesetzlichen Krankenversicherungs-trägers für die Anstaltspflege nicht begründe. Das Risiko, dass Pflegegebühren etwa deshalb aufliefen, weil der Fremde aufgrund missbräuchlichen Alkoholgenusses in die Krankenanstalt aufgenommen werde (im Sinn des Risikoausschlusses nach § 3.1 AVBAR 2007), wäre nicht einmal bei Vorliegen einer gesetzlichen Krankenversicherung abgedeckt. Aufgrund des Fehlens höchstgerichtlicher Rechtsprechung, eines „gewissen Widerspruchs der anzuwendenden gesetzlichen Bestimmung“ zu europarechtlichen Vorgaben betreffend die Visaerteilung und des nicht völlig eindeutig abgrenzbaren Bedeutungsgehalts des Begriffs „alle Risken“ im Zusammenhang mit dem intendierten Krankenversicherungsschutz sei die Rechtsansicht der Bezirkshauptmannschaft vertretbar. Ein schuldhaftes Organverhalten sei zu verneinen.

Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision gemäß § 502 Abs 1 ZPO für nicht zulässig, weil die Prüfung der Vertretbarkeit einer Rechtsauffassung von den Umständen des Einzelfalls abhänge und bei der Auslegung von nicht in die Kompetenz der ordentlichen Gerichte fallenden Rechtsmaterien dem Obersten Gerichtshof keine Leitfunktion zukomme.

Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, das Rechtsmittel der Prozessgegnerin zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage im Hinblick auf § 11 Abs 2 Z 3 NAG zulässig und im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

1. Wird Amtshaftung wegen Rechtswidrigkeit eines Bescheids geltend gemacht, darf das Amtshaftungsgericht dessen Rechtswidrigkeit nur annehmen, wenn dies der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen hat (RIS Justiz RS0050218; zuletzt 1 Ob 129/12w; Schragel , AHG³ Rz 264). Vor der Anrufung des Verwaltungsgerichtshofs nach § 11 Abs 1 AHG hat das Amtshaftungsgericht selbständig zu prüfen, ob ein Schaden eingetreten und der gebotene Kausalzusammenhang gegeben ist, kein Verstoß gegen die Rettungspflicht gemäß § 2 Abs 2 AHG vorliegt und dem Organ (dem ersten Anschein nach) ein Verschulden zur Last fallen kann (RIS Justiz RS0050237; RS0050218).

2. Der Oberste Gerichtshof teilt die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass die der Klägerin entstandenen Pflegegebühren, die weder von der untergebrachten Drittstaatsangehörigen noch nach der Aktenlage im Hinblick auf den nach § 3.2 AVBAR 2007 vereinbarten Risikoausschluss von ihrem privaten Krankenversicherer bezahlt wurden, ein ersatzfähiger Schaden sind, dieser vom Schutzzweck des § 11 Abs 2 Z 3 NAG erfasst ist und von der Klägerin nicht im Sinn des § 2 Abs 2 AHG verlangt werden kann, zwecks Schadensabwendung gegen den Versicherer zu prozessieren, sodass insofern auf dessen Begründung verwiesen werden kann (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO).

Das Allgemeine Krankenhaus der Stadt Wien Medizinischer Universitätscampus ist eine Teilunternehmung der Unternehmung „Wiener Krankenanstaltenverbund“ (§ 1 Abs 3 Z 2 der Verordnung des Gemeinderates, mit der ein Statut für die Unternehmung „Wiener Krankenanstaltenverbund“ erlassen wird, ABl der Stadt Wien 2011/50 idgF), der keine eigene Rechtspersönlichkeit zukommt (§ 71 Abs 2 Wiener Stadtverfassung, LGBl 1968/28, iVm § 1 Abs 2 der genannten Verordnung). Rechtsträger des öffentlichen Krankenhauses, bei dem der geltend gemachte Schaden eintrat ist wie das Berufungsgericht zutreffend ausführte die klagende Stadt.

Das Bestehen eines ausreichenden Krankenversicherungsschutzes im Sinn des § 11 Abs 2 Z 3 NAG bezweckt, wie sich auch aus Z 4 dieser Bestimmung ergibt, dass der Aufenthalt des Fremden für Bund, Land und Gemeinde zu keiner finanziellen Belastung führen darf (ErläutRV 952 BlgNR XXII. GP 121). Damit soll der klagende Rechtsträger davor bewahrt werden, dass er (im Sinn des § 36 Abs 4 WrKAG) unabweisbare Patienten aufnehmen muss, die über keinen aufrechten Versicherungsschutz verfügen, und ihm dadurch die geltend gemachten Pflegegebühren entstehen. Auch die Kausalität der Erteilung der Aufenthaltsbewilligung durch die Bezirkshauptmannschaft für den eingetretene Schaden steht nach den getroffenen Feststellungen fest.

3.1. Der erkennende Senat hält vorbehaltlich der Prüfung durch den Verwaltungsgerichtshof die Erteilung der Aufenthaltsbewilligung infolge der zahlreichen Risikoausschlüsse enthaltenden Auslandsreisekranken-versicherungsvertrags für rechtswidrig. Die Entscheidung der Bezirkshauptmannschaft beruht auch dem ersten Anschein nach entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanzen nicht auf einer bei pflichtgemäßer Überlegung vertretbaren Gesetzesauslegung oder Rechtsanwendung.

3.2. Voraussetzung für die Erteilung der Aufenthaltsbewilligung nach § 62 NAG ist nach dessen Z 1 unter anderem, dass der Fremde (Drittstaatsangehörige) über einen alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist (§ 11 Abs 2 Z 3 NAG). Nach § 7 Abs 1 Z 6 Niederlassungs und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung (BGBl II 2005/451) ist der Nachweis über einen in Österreich leistungspflichtigen und alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz insbesondere durch eine entsprechende Versicherungspolizze zu erbringen, sofern kein Fall der gesetzlichen Pflichtversicherung bestehen wird oder besteht. Unter gesetzlicher „Pflichtversicherung“ nach dieser Verordnungsbestimmung ist die Vollversicherung (vgl § 4 Abs 1 Z 1 ASVG) oder zumindest die Teilversicherung in der Krankenversicherung (§ 7 Z 1 und § 8 Abs 1 Z 1 ASVG) zu verstehen.

3.3. Die georgische Staatsangehörige erhielt als Au pair Kraft die Aufenthaltsbewilligung nach § 62 NAG. Diese Bestimmung betrifft Fälle, in denen der beabsichtigte Aufenthalt mehr als sechs Monate dauert. Ansonsten ist je nach beabsichtigter Dauer des Aufenthalts ein Visum C (bis zu einem Zeitraum von drei Monaten) oder ein Visum D (für einen Zeitraum von drei bis sechs Monaten) je nach § 20 FPG aF erforderlich ( Kreuzhuber/Hudsky , Arbeitsmigration [2011] Rz 286; vgl Lindmayr , Handbuch zur Ausländerbeschäftigung 11 [2012] Rz 770 [zu § 62 NAG]). Da hier nicht die Visumserteilung zu beurteilen ist und § 11 Abs 2 Z 3 NAG nicht nach dem unionsrechtlichen Visakodex auszulegen ist, wie das Berufungsgericht selbst erkennt, kann es auf eine einschränkende Auslegung einer Bestimmung des Fremdenpolizeigesetzes 2005 nicht ankommen.

Bei der Tätigkeit einer Au pair Kraft handelt es sich um die Tätigkeit einer in die Hausgemeinschaft aufgenommenen Dienstnehmerin (oder eines Dienstnehmers) nach dem Hausgehilfen und Hausangestelltengesetz (BGBl 1962/235 idgF), deren Arbeitsplatz durch die Aufgabe der „Betreuung von Kindern der Gastfamilie“ gekennzeichnet ist und die sich zugleich zum Zweck des Erwerbs von Kenntnissen der deutschen Sprache und dem Kennenlernen der österreichischen Kultur in Österreich aufhält (VwGH 2014/09/0004). Die georgische Staatsangehörige verfügte über keinen Krankenversicherungsschutz nach dem ASVG. Dass sie aufgrund der Höhe des Entgelts einen Rechtsanspruch auf die Vollversicherung gehabt hätte (vgl VwGH 2003/08/0173 [zur Rechtslage vor dem SRÄG 2007]), behauptet die Beklagte nicht. Der Vermerk in der Versicherungspolizze, dass die Versicherungsnehmerin „sozialversichert nach ASVG (zB Gebietskrankenkassen)“ sei, entbindet weder die Drittstaatsangehörige von ihrer Verpflichtung zum initiativen Nachweis eines alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutzes (vgl VwGH 2008/22/0391; zur Mitwirkungspflicht des Fremden: § 29 Abs 1 NAG), noch die Bezirkshauptmannschaft von Erhebungen, ob tatsächlich eine gesetzliche Krankenversicherung besteht oder bestehen wird.

Bei einer Beschäftigung bis zur Geringfügigkeitsgrenze (Wert für 2012: monatlich 376,26 EUR) entsteht wie offenkundig hier nur die Pflichtversicherung in der Unfallversicherung (Teilversicherung gemäß § 7 Z 3 lit a ASVG; Lindmayr aaO Rz 119; vgl Blume in Sonntag , ASVG 6 [2015] § 49 Rz 172; R. Müller in Mosler/Müller/Pfeil , Der SV Komm § 49 ASVG Rz 214). Verfügt die Au pair Kraft in ihrem Heimatstaat nicht über eine für die Vertragsdauer gültige Krankenversicherung, die auch in Österreich Versicherungsschutz gewährt, ist eine private Krankenversicherung abzuschließen ( Lindmayr aaO). Der Gesetzgeber des SRÄG 2007 (Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales 110 BlgNR XXIII. GP 12) geht davon aus, dass die Aufenthaltsbewilligung der Au pair Kraft an den Abschluss einer privaten Krankenversicherung geknüpft ist. Die Au pair Kraft hat gegenüber ihrem Dienstgeber insbesondere Anspruch auf Abschluss eines privaten Krankenversicherungsschutzes ( R. Müller aaO), auch wenn die Aufwendungen dafür gemäß § 49 Abs 3 Z 27 ASVG nicht zum Entgelt nach den sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen zählen.

Der Gesetzgeber geht davon aus, dass die inländische gesetzliche Pflichtversicherung (Krankenversicherung) die Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs 2 Z 3 NAG erfüllt. Zwar sind die Kosten der Unterbringung in öffentlichen Krankenanstalten dann nicht vom Krankenversicherungsträger zu zahlen (sogenannter „Asylierungsfall“ im Sinn des § 144 Abs 3 ASVG), wenn beispielsweise ein Versicherter bei Alkoholisierung lediglich der Ausnüchterung bedarf und mangels Behandlungsbedürftigkeit der Versicherungsfall der Krankheit zu verneinen ist (RIS Justiz RS0084002 [T3]) oder wenn die Unterbringung überwiegend öffentlichen Interessen der Gefahrenabwehr und nicht den Behandlungsinteressen des untergebrachten Patienten dient (10 ObS 50/11t = RIS Justiz RS0127083 = SZ 2011/97 = RdM 2012/102, 145 [ Windisch Graetz ] = ZAS 2012/38, 214 [ Stadler ] = DRdA 2012/53, 599 [ Födermayr ]). Dass die Unterbringung der psychisch kranken Drittstaatsangehörigen nach §§ 8 ff UbG nicht ihren Behandlungsinteressen diente, wurde nicht behauptet und steht auch nicht fest. Vielmehr wurde die akut gewordene psychische Erkrankung der Patientin stationär behandelt.

Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass für die georgische Staatsangehörige vor Erteilung der Aufenthaltsbewilligung die freiwillige Selbstversicherung in der Krankenversicherung schon deshalb nicht in Betracht kam, weil diese ihren Wohnsitz im Inland voraussetzt (§ 16 Abs 1 ASVG), ganz abgesehen davon, dass auch keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie zu den Personengruppen nach Abs 2 dieser Bestimmung zählte.

3.4. Zum Umfang eines privaten Krankenversicherungsschutzes, der die Voraussetzungen des § 11 Abs 2 Z 3 NAG erfüllt, besteht soweit überblickbar keine Rechtsprechung des Verwaltungs-gerichtshofs oder des Verfassungsgerichtshofs. Geklärt ist nur, dass eine Reisekrankenversicherung mit einer Gültigkeitsdauer von sechs Monaten nicht ausreicht, wenn der beantragte Aufenthaltstitel für die Dauer von 12 Monaten auszustellen wäre (VwGH 2008/22/0391). In der Literatur ( Kutscher/Völker / Witt , Niederlassungs und Aufenthaltsrecht [2010] 45) wird zu § 11 Abs 2 Z 3 NAG die Ansicht vertreten, dass sich der Leistungsumfang der Krankenversicherung an der gesetzlichen Pflichtversicherung zu orientieren hat und (insoweit auch diesen folgend Kreuzhuber/Hudsky aaO Rz 174) im Fall, dass die gesetzliche Pflichtversicherung nach Erhalt des Aufenthaltstitels abgeschlossen werden kann, als Überbrückung eine Reisekrankenversicherung tauglich ist.

3.5. Dass der österreichische Versicherer, mit dem die Drittstaatsangehörige die Auslandsreisekranken-versicherung abschloss, im Inland leistungspflichtig wäre und sich die vereinbarte Dauer des Versicherungsschutzes mit der Dauer des beantragten Aufenthaltstitels deckte, ist unstrittig. Wenn das Erstgericht behauptet, dass ein privater Krankenversicherungsvertrag ohne Risikoausschlüsse am Markt nicht erhältlich oder gänzlich unerschwinglich sei, bleibt es dafür die Begründung schuldig. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, verlangt § 11 Abs 2 Z 3 NAG dessen ungeachtet einen „alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz“.

Der abgeschlossene Auslandsreisekranken-versicherungsvertrag enthält zwar [nur] die marktüblichen Risikoausschlüsse, die Drittstaatsangehörige verfügte danach aber nicht über einen alle Risiken abdeckenden und der gesetzlichen Pflichtversicherung entsprechenden Krankenversicherungsschutz. So besteht kein Versicherungsschutz für die Anhaltung oder Unterbringung wegen Selbst oder Fremdgefährdung (§ 3.2 AVBAR 2007), weshalb der private Krankenversicherer für die Pflegegebühren der Klägerin nicht aufkam. Weiters besteht keine Deckungspflicht des Versicherers bei Verschlimmerungen bereits bestehender Erkrankungen und Unfallfolgen, mit denen aufgrund des Gesundheitszustands der versicherten Person gerechnet werden muss (§ 3.6 AVBAR 2007), für bestehende Erkrankungen und Unfallfolgen, deren Behandlung während des Aufenthalts aufgrund des bekannten Verlaufs zu erwarten war (§ 3.7 AVBAR 2007), für die Entbindung sowie eine mit der Schwangerschaft in Verbindung stehende medizinisch notwendige Heilbehandlung (§ 3.8 AVBAR 2007), für konservierende oder prothetische Zahnbehandlungen und Zahnimplantationen und deren Folgen mit Ausnahme der Behandlung akuter Zahnerkrankungen oder verletzungen (§ 3.10 AVBAR 2007) und auch nicht für Heilbehelfe (§ 3.15 AVBAR 2007) sowie für Impfungen (§ 3.16 AVBAR 2007). Diese umfangreichen Risikoausschlüsse gehen erkennbar über das hinaus, was der Gesetzgeber mit dem Begriff „alle Risken“ im Zusammenhang mit dem intendierten Krankenversicherungsschutz bezweckt. Sechzehn durchaus weitreichende Ausschlüsse vom privaten Krankenversicherungsschutz erfüllen nicht die Voraussetzung des § 11 Abs 2 Z 3 NAG. Die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels nach § 62 NAG erfolgte daher nach Ansicht des erkennenden Senats rechtswidrig, weil die Drittstaatsangehörige über keinen ausreichenden Krankenversicherungsschutz verfügte. Falls die Bezirkshauptmannschaft trotz des eindeutigen Wortlauts des § 11 Abs 2 Z 3 NAG ohne weitere Begründung die vorgelegte Versicherungspolizze als ausreichend erachtete, wich sie von einer klaren Gesetzeslage ab und ließ somit nicht erkennen, dass ihre Entscheidung auf einer sorgfältigen Beurteilung beruhte, sodass allem Anschein nach ein Verschulden des der Beklagten zuzurechnenden Organs vorliegt.

4. Aus den dargelegten Gründen hält der erkennende Senat den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft M*****, dessen Datum, Aktenzahl und konkreter Inhalt nicht bekannt ist, nach der Aktenlage für rechtswidrig. Insofern besteht die Vorlagepflicht nach § 11 Abs 1 AHG. Der Antrag an den Verwaltungsgerichtshof setzt nach § 65 Abs 2 VwGG die Bezeichnung des Bescheids, dessen Überprüfung verlangt wird, voraus. Zwar gaben die Parteien im Rahmen der Erörterung durch den Erstrichter gemäß § 182 Abs 1 ZPO an, dass sie das Datum des Bescheids „in der heutigen Verhandlung“ nicht bekannt geben könnten und den Bescheid nicht vorlegen wollten, „zumal sie dies nicht für erforderlich erachten“, wobei die Klägerin nach ihrem Vorbringen über den Bescheid gar nicht verfügt. Aus § 11 Abs 1 AHG iVm § 65 Abs 2 VwGG ist aber abzuleiten, dass die Parteien verpflichtet sind, dem Amtshaftungsgericht zur Ermöglichung eines Verfahrens nach Art 133 Abs 2 B VG den Bescheid genau zu bezeichnen. Dies wird das Erstgericht nach Erörterung mit den Parteien von diesen zu verlangen haben. Im Übrigen ist die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofs Sache des Prozessgerichts, also des Gerichts erster Instanz, das allein das Verfahren in einer Weise unterbrechen kann, dass nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs die dann notwendige Erörterung des entstandenen Sachverhalts stattfinden kann (1 Ob 200/07d mwN).

5. Der Revision ist daher Folge zu geben und die Rechtssache an das Erstgericht zwecks entsprechenden Vorgehens zurückzuverweisen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2015:0010OB00074.15M.0618.000