OGH vom 04.04.2017, 5Ob36/17f
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden und die Hofrätin Dr. Grohmann sowie die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache des Betroffenen T***** S*****, vertreten durch Dr. Karl Claus & Mag. Dieter Berthold, Rechtsanwaltspartnerschaft KG in Mistelbach, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Betroffenen gegen den Beschluss des Landesgerichts Korneuburg als Rekursgericht vom , GZ 23 R 137/16h-198, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Mistelbach vom , GZ 7 P 45/16g-191, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Der Kläger begehrte – vertreten durch die für ihn nun auch im Revisionsrekursverfahren einschreitende Rechtsanwaltsgesellschaft – in seiner Klage vom (AZ 42 Cg 114/15t des Landesgerichts St. Pölten) vom ***** M***** die Rückabwicklung des Kaufvertrags vom betreffend zwei Liegenschaften wegen Geschäftsunfähigkeit, Drohung und Täuschung. Das ***** M***** bemängelte in der Klagebeantwortung unter Hinweis auf den vereinbarten Kaufpreis den Streitwert, der mit zumindest 2.180.000 EUR festzusetzen sei. Eine Entscheidung darüber ist noch nicht erfolgt. Das Landesgericht St. Pölten setzte das Verfahren wegen Bedenken gegen die Prozessfähigkeit des Klägers gemäß § 6a ZPO aus. Aufgrund zweier Gutachten von psychiatrischen Sachverständigen bestellte das Bezirksgericht Mistelbach am Dr. Harald Beber zum Sachwalter für die Vertretung vor Gerichten, Behörden und Sozialversicherungsträgern. Über dessen Antrag genehmigten die Vorinstanzen die Klagsrückziehung unter Anspruchsverzicht im Verfahren AZ 42 Cg 114/15t des Landesgerichts St. Pölten im Wesentlichen mit der Begründung, im Falle des höchstwahrscheinlichen Unterliegens in diesem Prozess habe der Betroffene mit immensen Kostenfolgen zu rechnen. Das ***** M***** habe angeboten, bei Klagsrückziehung unter Anspruchsverzicht auf Kostenersatz zu verzichten, sodass diese Vorgangsweise im Wohl des Betroffenen liege.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen erhobene außerordentliche Revisionsrekurs des Betroffenen ist zulässig, zeigt aber keine erhebliche Rechtsfrage auf.
1.1. Nach ständiger Rechtsprechung (RISJustiz RS0124785; 3 Ob 175/12z; Beck in Gitschthaler/Höllwerth AußStrG § 132 Rz 90 mwN) steht der betroffenen Person, wenn sie des Gebrauchs der Vernunft nicht gänzlich beraubt ist, im Sachwalterbetreuungsverfahren bei Uneinigkeit zwischen ihr und dem Sachwalter über eine Maßnahme, die der Genehmigung des Pflegschaftsgerichts bedarf, ein eigenes Rekursrecht gegen eine dem Willen des Sachwalters folgende gerichtliche Entscheidung auch dann zu, wenn die bekämpfte Entscheidung in den Wirkungsbereich des Sachwalters fällt. Der Betroffene kann auch einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen bevollmächtigen, wenn er bei der Vollmachtserteilung fähig war, den Zweck der erteilten Vollmacht zu erfassen (RISJustiz RS0006540), nur bei offenkundiger Unfähigkeit zu dieser Erkenntnis wäre die Bevollmächtigung des Rechtsanwalts unwirksam (Beck aaO).
1.2. Das erforderliche Minimum an Einsichtsfähigkeit in das Wesen der Vollmachtserteilung ist hier beim Betroffenen nach der Aktenlage ohne jeden Zweifel zu bejahen; die psychiatrischen Gutachten im Sachwalterbestellungsverfahren (ON 153 – Dr. Schneider; ON 169 – Dr. Brosch) diagnostizierten zwar eine wahnhafte Störung der Kognitionsfunktion und eine beginnende demenzielle Entwicklung, lassen aber nicht den Schluss zu, der Betroffene wäre nicht fähig, den Zweck einer seinem Anwalt erteilten Prozessvollmacht zu erfassen. Dazu kommt, dass der Betroffene für das 2006 durch Einstellung beendete Sachwalterschaftsverfahren AZ 2 P 75/02b des Bezirksgerichts Mistelbach der auch jetzt für ihn einschreitenden Rechtsanwaltsgesellschaft im November 2011 Vollmacht zum Zweck der Akteneinsicht erteilt hatte (ON 145). Damals war an seiner Geschäftsfähigkeit nach der Aktenlage nicht zu zweifeln, eine Kündigung dieser Vollmacht in weiterer Folge ist nicht aktenkundig.
1.3. An der Vertretungsbefugnis der Einschreiter für den Betroffenen ist somit nicht zu zweifeln.
2.1. Aus § 167 Abs 3 ABGB, der auch für die Rechte und Pflichten des Sachwalters gilt, ergibt sich, dass die Vertretungshandlungen und Einwilligungen eines gesetzlichen Vertreters in Vermögensangelegenheiten zu ihrer Rechtswirksamkeit dann der Genehmigung des Gerichts bedürfen, wenn die Vermögensangelegenheit nicht zum ordentlichen Wirtschaftsbetrieb gehört. Dazu gehören insbesondere die Erhebung einer Klage und alle verfahrensrechtlichen Verfügungen, die den Verfahrensgegenstand an sich betreffen. Bei dieser Entscheidung ist auf das Wohl des Pflegebefohlenen, insbesondere auch der behinderten Person, Bedacht zu nehmen. Ob im Einzelfall eine Prozessführung im Interesse des Pflegebefohlenen liegt, ist eine Ermessensentscheidung (RISJustiz RS0048207). Im Vordergrund dieser Beurteilung steht die Feststellung der Erfolgsaussichten, also das Risiko des angestrebten Prozesses und die Wahrscheinlichkeit eines drohenden Vermögensteils insbesondere durch eine Belastung mit Prozesskosten (RISJustiz RS0048156; RS0108029 [T3, T 8]; Beck in Gitschthaler/Höllwerth AußStrG § 132 Rz 67). Abzustellen ist darauf, ob in einem vergleichbaren Fall ein verantwortungsbewusster gesetzlicher Vertreter unter Berücksichtigung der Tatsachengrundlage, der Beweisbarkeit der Prozessbehauptungen und der rechtlichen Rahmenbedingungen den Prozess einleiten würde (RISJustiz RS0108029; Beck aaO).
2.2. Die Beurteilung der Vorinstanzen, die Erfolgsaussichten des vom Betroffenen eingeleiteten Prozesses seien gering und der Prozessverlust werde immense Kostenfolgen nach sich ziehen, wird im Revisionsrekurs nicht in Zweifel gezogen. Der bloße Hinweis, es sei nicht ausgeschlossen, dass der Betroffene in den nächsten Wochen oder Monaten allenfalls noch Urkunden an den Sachwalter übergeben könnte, die seine Ansprüche beweisen lassen, reicht nicht aus, die schlüssig begründete Beurteilung der Vorinstanzen in Bezug auf das große Prozessrisiko zu erschüttern. Ein verantwortungsbewusster gesetzlicher Vertreter würde jedenfalls nicht in der bloßen Hoffnung, er würde in Zukunft allenfalls noch beweiskräftige Urkunden auffinden, einen derartigen Prozess einleiten oder auch nur fortsetzen, zumal sich das Ausmaß der Kostenbelastung für den Betroffenen aufgrund der Streitwertbemängelung der Beklagten – über die das Landesgericht St. Pölten bislang nicht entschieden hat – im Fall des Prozessverlustes noch deutlich erhöhen könnte.
2.3. Richtig ist, dass eine Klagsrücknahme unter Anspruchsverzicht ein Prozesshindernis für eine neuerliche Klagsführung darstellt (RISJustiz RS0039761; RS0039789). Die Beurteilung der Vorinstanzen, im Hinblick darauf, dass die beklagte Partei im CgVerfahren nur unter der Voraussetzung der Klagsrücknahme unter Anspruchsverzicht bereit ist, auf einen Kostenersatzanspruch zu verzichten, sei aber das Interesse des Pflegebefohlenen an der Beendigung dieses Prozesses ohne Kostenersatzpflicht höher zu bewerten als die bloß abstrakte Möglichkeit, eine derartige Klage mit nur sehr geringen Erfolgsaussichten noch einmal einbringen zu können, ist jedenfalls vertretbar und bedarf keiner Korrektur durch den Obersten Gerichtshof.
3.1. Die Argumentation, die Vorinstanzen hätten nur eine Klagsrückziehung ohne Anspruchsverzicht genehmigen dürfen und dann abwarten müssen, ob die Beklagte dieser Vorgangsweise zustimme, übersehen die ständige Rechtsprechung (RISJustiz RS0048113), wonach Vertretungshandlungen oder Einwilligungen des gesetzlichen Vertreters in der vorgelegten Form nur genehmigt, nicht aber abgeändert werden dürfen. Dies gilt etwa auch für eine Klagsführung, deren teilweise Genehmigung nicht möglich ist (10 Ob 114/07y). Eine Genehmigung der Klagsrückziehung ohne Anspruchsverzicht ist schon aus rechtlichen Gründen ausgeschlossen.
3.2. Das Argument, die Vorinstanzen hätten nicht geprüft, ob die Beklagte im CgVerfahren einer Klagsrückziehung ohne Anspruchsverzicht bzw einem Ruhen des Verfahrens zustimme, lässt außer Acht, dass sie nach den erstgerichtlichen Feststellungen nur für den Fall der Klagsrückziehung unter Anspruchsverzicht bereit war, auf Kostenersatz zu verzichten. Als Entscheidungsgrundlage dafür stand der unbedenkliche Bericht des Sachwalters zur Verfügung. Dass diese Feststellung des Erstgerichts auf einem mangelhaften Verfahren beruht hätte, führte der Betroffene in seinem Rekurs nicht aus, im Revisionsrekurs kann er dies nicht mehr nachholen (RISJustiz RS0043111; für das Sachwalterverfahren [T27]).
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2017:0050OB00036.17F.0404.000 |
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