OGH 24.04.2019, 7Ob56/19i
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. H***** H*****, vertreten durch Dr. Karl Schön, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei H***** Ltd, *****, vertreten durch Winternitz Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen 63.153,93 EUR sA, infolge der außerordentlichen Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 118/18i-38, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom , GZ 59 Cg 33/17v-34, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
1. Die Akten werden dem Erstgericht hinsichtlich der Forderung der H***** & S***** AG zurückgestellt.
2. Nach Abklärung der Zulässigkeit der Revision dazu sind die Akten dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung über die außerordentliche Revision wieder vorzulegen.
Text
Begründung:
Der Kläger begehrt die Zahlung von 63.153,93 EUR sA. Er sei Vorstand der H***** AG und der H***** & S***** AG. Diese hätten mit der Beklagten zu den Polizzen Nr 153004979 und Nr 153004977 einen Vermögensschaden-Haftpflichtversicherungsvertrag abgeschlossen. Der Kläger sei jeweils versicherte Person. Er sei als Vorstand der beiden Gesellschaften für die inhaltliche und organisatorische Vorbereitung und Durchführung der Beschlussfassungen bei den Hauptversammlungen am verantwortlich gewesen. Diese Beschlussfassungen seien in der Folge von einem Aktionär als gesetzwidrig angefochten worden. In den gegen die H***** AG und die H***** & S***** AG geführten Prozessen (35 Cg 52/14g und 20 Cg 24/14d jeweils des Handelsgerichts Wien) seien letztlich außergerichtliche Lösungen erzielt, „Ewiges Ruhen“ vereinbart und in der Folge in eigens dafür einberufenen außerordentlichen Hauptversammlungen die angefochtenen Beschlussfassungen dem Gesetz entsprechend korrigiert worden. Aufgrund seiner fahrlässigen Fehlleistungen bei der Vorbereitung und Durchführung der Hauptversammlungen begehre die H***** AG 42.309,77 EUR und die H***** & S***** AG 20.844,16 EUR an Schadenersatz vom Kläger. Er habe diese Forderungen der beiden Gesellschaften befriedigt und begehre nunmehr Ersatz von der Beklagten aus den bestehenden Vermögensschaden-Haftpflichtversicherungsverträgen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers gegen die klagsabweisende Entscheidung des Erstgerichts nicht Folge und ließ die ordentliche Revision nicht zu.
Dagegen richtet der Kläger seine außerordentliche Revision.
Rechtliche Beurteilung
Das Erstgericht legte das Rechtsmittel dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung vor. Diese Vorgangsweise entspricht jedoch nicht hinsichtlich beider Forderungen der Rechtslage:
1. Werden in einer Klage mehrere Forderungen geltend gemacht, dann bilden sie nur dann einen einheitlichen Streitgegenstand – und damit einen einheitlichen Entscheidungsgegenstand des Berufungsgerichts –, wenn die Voraussetzungen des § 55 Abs 1 JN vorliegen; andernfalls sind sie getrennt zu behandeln (RIS-Justiz RS0053096).
Mehrere in einer Klage geltend gemachte Forderungen sind nach § 55 Abs 1 Z 1 JN zusammenzurechnen, wenn sie von einer einzelnen Partei gegen eine einzelne Partei erhoben werden und in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen (RS0042741). Ein tatsächlicher oder rechtlicher Zusammenhang liegt nur vor, wenn die Forderungen aus einer gemeinsamen Tatsache oder einem gemeinsamen Rechtsgrund entstanden sind (RS0037905). Er ist dann zu bejahen, wenn alle Klagsansprüche aus demselben Sachverhalt abzuleiten sind, wenn also das für einen Anspruch erforderliche Sachvorbringen ausreicht, auch über die anderen geltend gemachten Ansprüche entscheiden zu können, ohne dass noch ein ergänzendes Sachvorbringen erforderlich wäre (RS0042766). Im rechtlichen Zusammenhang stehen Ansprüche insbesondere, wenn sie aus einer Gesetzesvorschrift oder aus einem einheitlichen Rechtsgeschäft abgeleitet werden. Ein rechtlicher, zumindest aber ein tatsächlicher Zusammenhang mehrerer Ansprüche wird in der Regel auch bei einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang dieser Ansprüche bestehen (RS0037648).
2. Ein innerer tatsächlicher oder rechtlicher Zusammenhang besteht aber dann nicht, wenn jeder der mehreren Ansprüche ein verschiedenes rechtliches oder tatsächliches Schicksal haben kann; in einem solchen Fall ist jeder Anspruch gesondert zu beurteilen, ohne dass eine Zusammenrechnung stattfindet (RS0037899).
Selbst wenn sich aus einem Versicherungsvertrag zwei Entschädigungsbegehren ableiten, können die geltend gemachten Ansprüche grundsätzlich ein eigenes rechtliches Schicksal haben und kann die Leistungspflicht des beklagten Versicherers verschieden sein (RS0106626). Umso mehr muss dies gelten, wenn die erhobenen Ansprüche – Befriedigung von Haftpflichtansprüchen verschiedener Geschädigter – auf zwei verschiedenen Vermögensschaden-Haftpflichtversicherungsverträgen beruhen.
3. Hat das Berufungsgericht aber über mehrere Entscheidungsgegenstände entschieden, deren Werte nicht zusammenzurechnen sind, ist die Revisionszulässigkeit für jeden Entscheidungsgegenstand gesondert zu beurteilen (§ 55 Abs 4 JN). Die von der Revision umfassten Ansprüche übersteigen hier jeweils 5.000 EUR. Der Anspruch betreffend die H***** AG übersteigt auch 30.000 EUR, was aber nicht auf den Anspruch betreffend die H***** & S***** AG zutrifft.
4. Da das Berufungsgericht ausgesprochen hat, dass die ordentliche Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig ist, kann der Kläger gemäß § 508 Abs 1 ZPO, den Anspruch die H***** & S***** AG betreffend, (nur) einen Antrag an das Berufungsgericht stellen, seinen Ausspruch dahin abzuändern, dass die ordentliche Revision doch für zulässig erklärt werde.
Wird gegen eine solche Entscheidung eine ordentliche oder eine außerordentliche Revision erhoben, hat – auch wenn das Rechtsmittel an den Obersten Gerichtshof gerichtet ist – das Erstgericht dieses Rechtsmittel dem Berufungsgericht vorzulegen. Solange eine Abänderung des Zulassungsausspruchs durch das Berufungsgericht den die H***** & S***** AG betreffenden Anspruch nicht erfolgt, mangelt es dem Obersten Gerichtshof an der funktionellen Zuständigkeit (7 Ob 166/18i). Er darf nur und erst dann entscheiden, wenn das Gericht zweiter Instanz gemäß § 508 Abs 3 ZPO ausgesprochen hat, dass ein ordentliches Rechtsmittel doch zulässig sei (RS0109623).
5. Der Akt ist daher dem Erstgericht zurückzustellen, welches das Rechtsmittel dem Berufungsgericht vorzulegen hat.
6. Ob die im Schriftsatz enthaltenen Ausführungen den Erfordernissen des § 508 Abs 1 ZPO entsprechen, bleibt der Beurteilung der Vorinstanzen vorbehalten (RS0109623 [insbesondere T5, T8], RS0109620 [insbesondere T2]).
7. Nach Abklärung sind die Akten umgehend dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung hinsichtlich der außerordentlichen Revision die Forderung der H***** AG betreffend vorzulegen.
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. H***** H*****, vertreten durch Dr. Karl Schön, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei H***** Ltd *****, vertreten durch Winternitz Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen 63.153,93 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 118/18i-38, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Der Kläger ist Vorstand der H***** & S***** AG (in Hinkunft AG). Diese hat mit der Beklagten einen Vermögensschaden-Haftpflichtversicherungsvertrag (D&O Versicherung) abgeschlossen, nach welchem der Kläger bei der Beklagten auch für Schäden haftpflichtversichert ist, die er der AG im Rahmen seiner Vorstandstätigkeit zufügt. Mit Anfechtungsklage begehrte eine Aktionärin die nachstehenden in der ordentlichen Hauptversammlung vom gefassten Beschlüsse für nichtig zu erklären: 1. Verwendung des Bilanzgewinns, insbesondere durch Ausschüttung einer Sonderdividende und Vortrag eines Restgewinns; 2. die Erteilung der Entlastung des Klägers für das Geschäftsjahr 2013; 3. die Erteilung der Entlastung der Mitglieder des Aufsichtsrats; 4. die Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds. In diesem Verfahren trat nach einer außergerichtlichen Einigung Ruhen ein.
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist noch das Begehren des Klägers auf Zahlung von 42.309,77 EUR. Aufgrund seiner fahrlässigen Fehlleistungen bei der Vorbereitung und Durchführung der Hauptversammlung habe die AG diesen Betrag an Schadenersatz von ihm gefordert. Er habe diese Forderung befriedigt und begehre nunmehr Ersatz von der Beklagten aus der bestehenden Vermögensschaden- Haftpflichtversicherung.
Rechtliche Beurteilung
1. Die Schlüssigkeit einer Klage kann nur anhand des konkreten Vorbringens im Einzelfall geprüft werden. Die Schlüssigkeitsfrage kann daher – vom Fall einer groben Fehlbeurteilung abgesehen – keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO sein (RS0116144; RS0037780).
Eine solche Fehlbeurteilung liegt hier nicht vor:
2. Für das Vorliegen des Versicherungsfalls trifft nach der allgemeinen Risikoumschreibung den Versicherungsnehmer – hier den versicherten Kläger – die Beweislast (RS0043438) und damit die Behauptungslast. Der Kläger begehrt Ersatz für die von ihm behauptetermaßen bereits befriedigten Schadenersatzansprüche der AG. In der Haftpflichtversicherung umfasst die Leistungspflicht des Versicherers insoweit nur die Befriedigung berechtigter Schadenersatzansprüche. In der Hauptversammlung wurden mehrere voneinander unabhängige und damit gesondert zu beurteilende Beschlüsse gefasst. Die gegenüber der AG hinsichtlich der einzelnen Beschlüsse geltend gemachten Anfechtungsansprüche hätten damit auch ein unterschiedliches rechtliches Schicksal haben können. Somit hätte es Behauptungen des Klägers bedurft, welches konkrete rechtswidrige und schuldhafte Verhalten – in Bezug auf welchen der Hauptversammlungsbeschlüsse – dessen Nichtigkeit begründete und damit welchen (von ihm bereits ersetzten) Schaden der AG, er dadurch verursachte. Dem ist der Kläger – trotz mehrfacher Erörterung – nicht nachgekommen. Der Hinweis auf Gesetzesbestimmungen und die Verwendung von Rechtsbegriffen kann ein substanziiertes Vorbringen ebenso wenig ersetzen wie der Verweis auf das Anfechtungsverfahren zwischen der Aktionärin und der AG, bei dem es ohnehin nicht um konkrete Pflichtverstöße des Klägers ging.
Insbesondere ist hervorzuheben:
2.1 Der Kläger verwies im erstgerichtlichen Verfahren zwar allgemein und ohne einen konkreten Zusammenhang mit einem der Beschlüsse herzustellen darauf, dass gemäß § 96 AktG die Berichte des Aufsichtsrats aufzulegen seien, er behauptete jedoch nicht einmal ausdrücklich, den Bericht des Aufsichtsrats tatsächlich nicht aufgelegt zu haben. Im Übrigen ist nach der nunmehr ständig vertretenen Relevanztheorie der Zweck der eingehaltenen Verfahrensbestimmungen für die Anfechtbarkeit entscheidend. Nur wenn durch die Verletzung ein konkretes Informations- oder Partizipationsinteresse eines Aktionärs verletzt wurde, begründet dies die Anfechtbarkeit; irrelevante Mängel scheiden aus (RS0121481 [insb T4]). Zur Relevanz eines allfälligen Verstoßes fehlt gleichfalls jegliches Vorbringen.
2.2 Der Kläger brachte vor, dass die Ausschüttung einer Sonderdividende und eines Gewinnvortrags satzungswidrig gewesen sei. Dies konkretisierte er dahingehend, dass eine nachträglich eingeholte Rechtsexpertise gezeigt habe, dass die Beschlussfassung über die Verwendung des Bilanzgewinns kritisch gewesen sei, weil der in dem Beschluss vorgesehene Gewinnvortrag wie auch die Zusatzdividende aus der Satzung zwar ableitbar, aber wahrscheinlich zu unbestimmt formuliert und wegen formeller Strenge des Aktienrechts wohl gerade nicht zulässig gewesen seien. Aufgrund des gesetzwidrig gefassten Beschlusses habe die Satzung geändert werden müssen.
Abgesehen davon, dass der Kläger mit diesen Ausführungen rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten seinerseits tatsächlich in Abrede stellte, behauptete er im erstgerichtlichen Verfahren auch gar nicht, dass ihm früher rechtliche Bedenken gegen die Satzung hätten kommen und er vorbeugend eine Satzungsänderung hätte anregen müssen. Offen bleibt auch, aus welchem Grund ein allfällig satzungswidriger Beschluss nicht dessen, sondern die Änderung der Satzung bedingen soll und inwiefern die Kosten einer notwendigen Satzungsänderung auf ein Fehlverhalten des Klägers zurückzuführen wäre.
2.3 Kein Vorbringen wurde erstattet, welchen (kausalen) Pflichtverstoß er jeweils im Zusammenhang mit den Beschlussfassungen über seine Entlastung, jene der Aufsichtsratsmitglieder und die Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds, gesetzt hat, der die Anfechtbarkeit der Beschlüsse zur Folge hatte.
2.4 Damit hält sich die Beurteilung des Berufungsgerichts, das Klagebegehren sei unschlüssig im Rahmen der oberstgerichtlichen Rechtsprechung, wogegen der Kläger auch keine stichhaltigen Argumente zu bringen vermag.
3. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO).
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2019:0070OB00056.19I.0424.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
YAAAD-64493