OGH vom 26.02.2014, 7Ob14/14f
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Unterbringungssache der Kranken M***** F*****, vertreten durch den Verein VertretungsNetz Sachwalterschaft, Patientenanwaltschaft, Bewohnervertretung (Patientenanwalt Dr. R***** S*****), dieser vertreten durch Mag. Nikolaus Weiser, Rechtsanwalt in Wien, Abteilungsleiter Oberarzt Dr. H***** B*****, vertreten durch Dr. Sabine Prantner, Rechtsanwältin in Innsbruck, über die Revisionsrekurse des Abteilungsleiters, des Klinikdirektors Univ. Prof. Dr. W***** F***** und des Krankenhausträgers T***** GmbH, beide: *****, vertreten durch Dr. Sabine Prantner, Rechtsanwältin in Innsbruck, gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom , GZ 54 R 68/13s 25, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Innsbruck vom , GZ 1 Ub 304/13w 7, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
1. Die Revisionsrekurse des Klinikdirektors Univ. Prof. Dr. W***** F***** und des Krankenhausträgers T***** GmbH werden zurückgewiesen .
2. Dem Revisionsrekurs des Abteilungsleiters wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Die Kranke wurde am im geschlossenen Bereich der U*****klinik untergebracht, am wurde die Unterbringung aufgehoben. Sie leidet an einer ausgeprägten affektiven Beeinträchtigung, wobei es bei Bestehen einer manischen Symptomatik auch immer wieder zu depressiven Einbrüchen kommt. Die Kranke war selbst im geschlossenen Bereich getrieben, psychomotorisch unruhig und maniform angehoben. Die manische Symptomatik war deutlich ausgeprägt. Die Kranke war nicht krankheitseinsichtig und außerhalb der geschlossenen Abteilung wegen ihres hochmanischen und teilweise fremdaggressiven Zustands erheblich selbst und fremdgefährdend.
Bereits am wurde der Kranken vom behandelnden Arzt der Ausgang genehmigt. Angesichts der Schwere der Erkrankung musste sie von einer Pflegeperson begleitet werden, um Gefahren für sie selbst zu vermeiden. Sie hatte den dringenden Wunsch, die geschlossene Abteilung zumindest einmal täglich zu verlassen, um „frische Luft ohne ein Dach zu schnappen, Blumen zu berühren oder Gras zu streicheln“. Die Verwandten der Kranken getrauten sich nicht, mit ihr hinauszugehen. Auf Grund des Pflegeschlüssels und der zur Zeit systemisierten 10 Betten in der Frauenstation „wird behauptet und ist wohl auch wahrscheinlich“, dass die Ressourcen fehlen, alle Kranken täglich für eine Stunde ins Freie zu begleiten. Eine Pflegeperson zur Begleitung der Kranken bei einem Ausgang konnte nicht organisiert werden. Sie kam seit ihrer Aufnahme kein einziges Mal ins Freie. Sie hatte nur die Möglichkeit, sich tagsüber „auf einer Art Terrasse“, die direkt an die geschlossene Station angrenzt, aufzuhalten. Die „Terrasse“ ist 18 bis 20 m 2 (nach dem Vorbringen des Abteilungsleiters 35 m 2 ) groß, auf zwei Seiten von Mauern begrenzt, an den anderen beiden Seiten bis ca Hüfthöhe massiv vergittert und dann bis zu einer Höhe von ca zwei Metern mit bruchsicherem Glas versehen und nach oben mit einer (Holz )Decke abgeschlossen. Auf der „Terrasse“ befinden sich keine Pflanzen. Nach den Angaben des Abteilungsleiters ist für Frischluftzufuhr gesorgt, der Blick auf die mit Bäumen bepflanzte Umgebung möglich und auch die Aufnahme von Sonnenlicht gewährleistet.
Der Verein beantragte am , über die Zulässigkeit der Beschränkung des Rechts der Kranken, sich täglich für die Dauer von etwa einer Stunde im Freien aufzuhalten, gemäß § 34a UbG zu entscheiden.
Der Abteilungsleiter bestreitet, dass das Recht auf Ausgang ins Freie beschränkt worden sei. Der Aufenthalt auf der „Terrasse“ sei ausreichend. Sie vermittle durch Größe, Konstruktion und Gestaltung das Gefühl, sich im Freien zu befinden, womit das Freiheitsrecht gewährleistet sei. Es bestünden keine personellen Ressourcen, Kranke einzeln ins Freie auszuführen. Eine Gefährdung der Kranken hätte auch bei Begleitung von ein bis zwei Pflegepersonen nicht abgewendet werden können. Der Gesetzgeber habe mit § 34a UbG neben der Einräumung des Freiheitsrechts auch auf die Vollzugsmodalitäten, die Einhaltung der Strukturen der psychiatrischen Abteilungen und der Stationsordnung Bezug genommen und das Freiheitsrecht zwingend von diesen „Rahmenbedingungen“ abhängig gemacht. Es sei auch auf die Verhältnismäßigkeit im Rahmen der Zielerreichung abzustellen. Die Einräumung der Freiheitsrechte dürfte keinesfalls überspannt werden.
Das Erstgericht sprach aus, dass das Recht der Kranken auf „Ausgang ins Freie“ gemäß § 34a UbG nicht gewährleistet sei. Die Abteilung müsse der Kranken zumindest täglich für die Dauer von etwa einer Stunde die Möglichkeit bieten, sich ihrem Wunsch entsprechend im Freien aufzuhalten. Die „Terrasse“ gewährleiste dies nur im eingeschränkten Ausmaß. Das Fehlen von Sonnenlicht und frischer Luft stelle schon für gesunde und umso mehr für kranke Menschen ein Problem dar. Personalmangel sei kein tauglicher Grund für die Beschränkung von Freiheitsrechten.
Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung. Die „Terrasse“ erlaube zwar prinzipiell, sich im Freien aufzuhalten, allerdings in einem derart eingeschränkten Ausmaß, dass die in § 34a UbG beabsichtigte Zielsetzung nicht erreicht werde. Auch den Strafgefangenen wurde nach § 43 StVG ein Aufenthalt im Freien, der der physischen und psychischen Gesundheit diene, gewährt. Dieser Aufenthalt sei umso wichtiger für die Gesundung und Genesung von Kranken. Auch wenn die „Terrasse“ 35 m 2 groß wäre und ein „schönes und angenehmes Ambiente mit Grünblick“ (wie vom Abteilungsleiter vorgebracht) böte, ersetzte dies nicht „das Freie“. Es sei keine sinnvolle Freizeitgestaltung und Bewegung möglich. Dass bei der Kranken eine besondere Gefährlichkeit oder außergewöhnliche Umstände vorlägen, die eine generelle Einschränkung ihres Rechts auf Ausgang erforderlich machten, sei weder festgestellt noch vom Abteilungsleiter behauptet worden.
Das Rekursgericht sprach aus, dass der Revisionsrekurs zulässig sei, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu § 34a UbG fehle.
Dagegen richten sich die Revisionsrekurse des Abteilungsleiters, des Klinikdirektors und des Krankenanstaltsträgers mit einem Abänderungsantrag, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Verein beantragt, den Revisionsrekursen nicht Folge zu geben.
Zu 1.:
Rechtliche Beurteilung
Die Revisionsrekurse des Klinikdirektors und des Krankenhausträgers sind unzulässig.
In § 29a iVm § 28 Abs 2 UbG wird nur dem Abteilungsleiter ein Rechtsmittelrecht im Unterbringungsverfahren eingeräumt, nicht jedoch dem Klinikdirektor oder dem Träger des Krankenhauses (vgl Kopetzki , Grundriss des Unterbringungsrechts 3 Rz 438). Die Revisionsrekurse des Klinikdirektors und des Krankenhausträgers sind daher zurückzuweisen.
Zu 2.:
Der Revisionsrekurs des Abteilungsleiters ist zulässig, er ist aber nicht berechtigt.
Beschränkungen sonstiger Rechte des Kranken während der Unterbringung, insbesondere auch der Ausgang ins Freie, sind, soweit nicht besondere Vorschriften bestehen, nur insoweit zulässig, als sie zur Abwehr einer Gefahr im Sinn des § 3 Z 1 UbG oder zum Schutz der Rechte anderer Personen in der psychiatrischen Abteilung unerlässlich sind und zu ihrem Zweck nicht außer Verhältnis stehen. Auf Verlangen des Kranken oder seines Vertreters hat das Gericht unverzüglich über die Zulässigkeit einer solchen Beschränkung zu entscheiden (§ 34a UbG). Das Recht auf Ausgang ins Freie bedeutet nach den Erl 601 BlgNR 24. GP 17, dass der Kranke in der Regel zumindest täglich für die Dauer von etwa einer Stunde die Möglichkeit haben müsse, sich im Freien aufzuhalten. Weitere Kriterien, die festlegten, wie das Recht gewährt werden muss, fehlen sowohl im Gesetz als auch in den Erläuterungen.
Kopetzky aaO, Rz 577/5 ( ders , Die UbG Novelle 2010 in RdM 2011/68, 72 f), meint, dass der Umfang des Rechts auf Ausgang unklar sei. Beim Zugang zur „frischen Luft“ gehe es weniger um einen negatorischen Abwehranspruch gegenüber der Anstalt als um ein Recht auf eine bestimmte positive Gewährleistung. Da sich deren Ausmaß nicht von selbst verstehe, hätte es einer Konkretisierung des Umfangs des zu gewährleistenden Ausgangs bedurft. Sehe man die Zielsetzung dieses Rechts, welches mit § 43 StVG vergleichbar sei, in der Aufrechterhaltung bzw Wiederherstellung der physischen und psychischen Gesundheit der Kranken durch Ermöglichung körperlicher Bewegung im Freien, dann wäre bereits eine nicht ausreichend dimensionierte Freifläche als „Beschränkung“ zu deuten.
Koppensteiner , Der neue § 34a UbG in der Rechtsprechung in ÖZPR 2011/137 führt der Entscheidung des Rekursgerichts Landesgericht Salzburg 21 R 302/11z folgend aus, dass der Ausgang auf eine ca 20 m 2 große Terrasse, die von zwei Seiten mit Mauern begrenzt und deren beide anderen Seiten etwa zwei Meter hoch verglast und bemalt seien, „verständlicherweise“ diesen Ausgang nicht gewähre. Bei Auslegung des Begriffs „ins Freie“ sei auf § 43 StVG zurückzugreifen, wonach der Aufenthalt im Freien der Aufrechterhaltung der physischen und psychischen Gesundheit diene.
Es liegt auf der Hand, dass das Recht auf Ausgang ins Freie nach § 34a UbG den Aufenthalt der Kranken „an der frischen Luft“ und ein gewisses Maß an freier Bewegung, wie es ihnen förderlich ist, bezweckt. Der Aufenthalt unter freiem Himmel vermittelt ein ganz anderes Gefühl als jener auf einer überdachten, von allen Seiten umschlossenen „Terrasse“, mag sie auch eine Frischluftzufuhr durch Gitter und einen Blick auf Bäume gewähren. Einen solchen Ausblick können auch Krankenzimmer in entsprechender Lage bieten, und auch durch das Öffnen von Fenstern kann frische Luft geboten werden. Dass der Aufenthalt im Freien von Ausnahmefällen abgesehen die physische und psychische Gesundheit fördert, entspricht allgemeiner Lebenserfahrung.
Unter dem vom Gesetzgeber nicht näher konkretisierten Begriff „Ausgang ins Freie“ kann daher nach allgemeinem Sprachgebrauch nur verstanden werden, dass der Kranke die Möglichkeit haben soll, tatsächlich unter freien Himmel, das heißt vor allem ohne zusätzliche Begrenzung nach oben zu treten und zumindest entsprechend Platz zu haben, um sich seinem Zustand angemessen frei zu bewegen. Der Aufenthalt in dem hier zu beurteilenden umschlossenen Raum ist selbst ausgehend von den Angaben des Revisionsrekurswerbers nicht mit einem solchen im Freien zu vergleichen, wenn auch Gitter Frischluftzufuhr ermöglichen. Der beschriebene Aufenthaltsraum entspricht nicht einmal dem Begriff einer Terrasse, auch wenn er anstaltsintern als solche bezeichnet wird. Es geht nicht nur darum, den Kranken den „Anschein eines Aufenthalts im Freien“ (der nach dem Revisionsrekurs auf der Terrasse entstehen soll) zu vermitteln. Es ist ihm ein (tatsächlicher) Ausgang ins Freie zu gewähren, soweit dies ohne Fremd und Eigengefährdung möglich ist.
Soweit sich der Revisionsrekurs darauf stützt, dass die Kranke selbst in Begleitung von zwei Pflegepersonen nicht „vor die Türe“ hätte treten können, weil sie sonst sich selbst und andere gefährdet hätte, entfernt er sich von den Feststellungen des Erstgerichts. Danach wurde der Kranken von den Ärzten bereits am ein Ausgang genehmigt. Er fand nur deshalb nicht statt, weil die Verwandten der Kranken sich nicht trauten, sie auszuführen, und eine Begleitung durch eine Pflegeperson seit der Aufnahme der Kranken nicht erfolgte. Es steht also nicht fest, dass der Aufenthalt im Freien für die Kranke aus Gründen der Selbst- oder Fremdgefährdung nur auf der Terrasse möglich gewesen wäre.
Dieses vom Gesetzgeber eingeräumte Recht stellt erhöhte Anforderungen an die Ressourcen der Anstalten, die entsprechend hohe Kosten in der Unterbringung verursachen und deren Bereitstellung teils gar nicht möglich oder zumindest mit Schwierigkeiten verbunden sein mag. Doch ändert dies nichts an der gesetzlichen Anordnung (2 Ob 605/92), die auf die vorhandenen Möglichkeiten der Anstalten nicht abstellt. Es ist dem Obersten Gerichtshof verwehrt, Kostenüberlegungen in seine Entscheidung einfließen zu lassen und Grundrechte ohne gesetzliche Grundlage einzuschränken. Eine möglichst vollständige Gewährleistung von Grundrechten darf nach dem Auftrag des Gesetzgebers nicht an fehlenden Anordnungen oder mangelhaften sachlichen und personellen Aufwendungen der entsprechenden Träger scheitern (2 Ob 2100/96d; RIS Justiz RS0102782).