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OGH vom 19.06.2018, 1Ob73/18v

OGH vom 19.06.2018, 1Ob73/18v

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. HoferZeniRennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Dr. C***** N*****, und 2. R***** S*****, beide vertreten durch die Salburg Rechtsanwalts GmbH, Wien, gegen die beklagten Parteien 1. M***** AG, *****, vertreten durch die BennIbler Rechtsanwälte GmbH, Wien, und 2. A***** Ltd, *****, vertreten durch die CMS ReichRohrwig Hainz, Rechtsanwälte GmbH, Wien, wegen zuletzt 20.515,66 EUR sA (erstklagende Partei) und 42.914,71 EUR sA (zweitklagende Partei), über die Revision der erstbeklagten Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Wien vom , GZ 4 R 128/17y35, mit dem das Teilurteil des Handelsgerichts Wien vom , GZ 67 Cg 60/15w30, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

1. Das Teilurteil des Berufungsgerichts wird teilweise abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts insoweit wiederhergestellt wird, als das Begehren, die erstbeklagte Partei sei schuldig, der erstklagenden Partei 7.423,31 EUR samt 4 % Zinsen pa seit binnen 14 Tagen zu zahlen, abgewiesen wird.

Die Kostenentscheidung bleibt insoweit dem Erstgericht vorbehalten.

2. Im Übrigen, also im Umfang von 13.092,35 EUR samt 4 % Zinsen pa seit werden die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben und es wird dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die darauf entfallenden Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerinnen machen Schadenersatzansprüche aus dem Erwerb von an der Wiener Börse gehandelten und von der Zweitbeklagten emittierten Zertifikaten geltend. Die Erstbeklagte fungierte als Depotbank und war für die Platzierung der Zertifikate an der Wiener Börse zuständig. Die Klägerinnen erwarben von der Erstbeklagten solche Zertifikate und begehren nun Ersatz für den aus dem Wertverlust des Investments resultierenden Schaden. Das Verfahren zwischen den Klägerinnen und der Zweitbeklagten endete mit einem gerichtlichen Vergleich; jenes zwischen der Zweitklägerin und der Erstbeklagten ruht. Verfahrensgegenstand (schon des Ersturteils) ist daher allein das Begehren der Erstklägerin gegenüber der erstbeklagten Bank.

Unstrittig ist, dass die Erstklägerin (im Folgenden nur mehr Klägerin) am 1.305 Zertifikate im „Bruttowert“ von 19.989,99 EUR und am 489 Stück zu einem „Bruttowert“ von 9.970,47 EUR kaufte und für die Zertifikate vom bis Dividenden in Höhe von 1.291,71 EUR erhielt. Bei deren Verkauf am erzielte sie einen Erlös von 8.053,09 EUR.

Zum ersten Investment kam es dadurch, dass sich ein selbständiger Anlageberater bei der Klägerin erkundigte, ob sie Interesse an einer Finanzberatung und der Überprüfung ihrer Versicherungsverträge habe. Dieses Informationsangebot nahm die Klägerin an, weil sie zu diesem Zweck frei verfügbares Geld zu Anlagezwecken zur Verfügung hatte. Der Anlageberater besprach mit der Klägerin ihre Finanzsituation und auch ihr Anlageziel, mit dem erzielten Geldbetrag eine Eigentumswohnung anschaffen zu wollen. Die Klägerin „kommunizierte“, dass sie das Geld sicher veranlagen wolle, da sie in den nächsten drei oder vier Jahren Sozialversicherungsabgaben nachzuzahlen haben werde. Sie äußerte, sie wolle ihr Geld „sicher parken“ und „nicht in windige Aktien investieren“. Aufgrund ihres Anlageziels und weil ihr die Investition in eine sichere Vermögensanlage wichtig war, empfahl ihr der Anlageberater als einzige Investmentmöglichkeit den Ankauf der später auch tatsächlich erworbenen Zertifikate. Er war der Meinung, dass hinter den Immobilienaktien tatsächliche reale Werte stünden und es sich daher um risikoarme Produkte handle. Die von ihm präsentierte Werbebroschüre blätterte die Klägerin nicht im Einzelnen durch und nahm sie auch später nicht mit nach Hause. Der Anlageberater verwies anhand der Broschüre auf Renditen von 8 bis 10 % und darauf, dass damit bessere Erträge als auf einem Sparbuch erwirtschaftet werden könnten. Auch wies er darauf hin, dass es bei diesem Produkt zu Kursschwankungen kommen könne. Ein Total oder Teilverlustrisiko war beim Beratungsgespräch aber kein Thema, vielmehr suggerierte der Anlageberater der Klägerin, dass sich der Kurs stetig nach oben entwickeln würde. Er vermittelte ihr den Eindruck, das Ausfüllen des Anlegerprofils sei eine reine Formsache, wobei die Ankreuzungen durch ihn erfolgten. Die Unterfertigung durch die Klägerin erfolgte, ohne die Formulare im Einzelnen durchgelesen zu haben. Hätte der Kurschart in der Werbebroschüre einen deutlich volatileren Verlauf aufgewiesen, hätte der Anlageberater die Anlage nicht vermittelt. Die Klägerin hätte sie nicht erworben, wenn vor ihrem ersten Ankauf eine Zacke nach unten ausgebildet gewesen wäre, weil sie dann der Anpreisung einer stetig kontinuierlichen Entwicklung nicht geglaubt hätte. Ihr war zwar bekannt, dass ein möglicher Mehrertrag auch ein möglicherweise erhöhtes Veranlagungsrisiko bedeutet, über das konkrete Verlustrisiko war sie sich aber nicht im Klaren. Der Anlageberater selbst las zu keinem Zeitpunkt ad hocMitteilungen und hätte Inhalte aus dem Kapitalmarktprospekt nicht darstellen können. Er verließ sich auf die von seinem „Haftungsdach gegebenen Informationen“ und die Inhalte der Werbebroschüre. Die Klägerin las ebenfalls ad hocMitteilungen nicht, hatte aber vor ihrem ersten Ankauf bereits aus der Zeitung erfahren, dass „bei M***** ein neues Einkaufszentrum im Osten geplant“ sei, „die Investitionen im Osten gut liefen“ und eine Kapitalerhöhung erfolgreich am Markt platziert worden sei. Hätte sie aus der Tagespresse erfahren, dass eine Kapitalerhöhung vor ihrem ersten Ankauf nicht erfolgreich am Markt platziert werden konnte, hätte sie den Anlageberater nach der Bedeutung dieses Umstands für eine Investition in M***** befragt. Als die Klägerin in den Jahren 2007/2008 vom Kursverfall erfuhr, kontaktierte sie ihren Anlageberater, der sie jedoch vertröstete und ihr riet, sie solle abwarten, es werde sich der Kurs seines Erachtens wieder erholen. Das Erstgericht konnte nicht feststellen, in welches andere Finanzprodukt die Klägerin – wenn die Ankäufe dieser Zertifikate unterblieben wären – ihr Kapital investiert hätte und, ob eine solche Alternativanlage kapitalerhaltend gewesen wäre; zum zweiten Ankauf am auch nicht, wie es zu diesem Erwerb gekommen war und welche Umstände die Klägerin dazu verleiteten. Es traf aber ausführlich Feststellungen zu den auf Seiten der beklagten Parteien betroffenen Gesellschaften und personellen Verflechtungen, zu unrichtigen ad hocMitteilungen über erfolgreich am Markt platzierte Kapitalerhöhungen und dazu, inwieweit und wann die tatsächlich vorgefallenen Umstände der Erstbeklagten als Immissionsbank bereits bekannt gewesen waren sowie zur Herstellung der Werbebroschüre im Zusammenwirken mit der Erstbeklagten und ihrem Inhalt; so etwa dazu, dass die Zertifikate unzutreffend als „Aktien“ bezeichnet und der unrichtige Eindruck erweckt worden sei, sie würden den Schwankungen des Aktienmarkts nicht unterliegen und seien damit „sicherer“ als andere Aktien.

Die Klägerin begehrte zuletzt die Zahlung von 20.515,66 EUR als Ausgleich für den durch die Vermögensveranlagung erlittenen Verlust und stützt sich dazu auch auf Schadenersatz wegen Irreführung über das Risiko im Werbefolder.

Die Erstbeklagte wendete Verjährung ein, bestritt das ihr vorgeworfene Fehlverhalten und auch die behauptete Alternativveranlagung. Sie warf ihrerseits der Klägerin ein Mitverschulden vor, weil sie die Risikohinweise nicht gelesen habe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es gelangte zur Beurteilung, dass allfällige Ansprüche zwar nicht verjährt seien, weil dem Privatbeteiligtenanschluss Unterbrechungswirkung zukomme, führte aber aus, es habe sich weder listige Irreführung noch die hypothetische Alternativveranlagung nachweisen lassen. Die Behauptungs und Beweislast für letztere und auch für deren Entwicklung treffe den Anleger unter der Voraussetzung, dass er bei korrekter Beratung überhaupt veranlagt hätte, wovon bei einem – „wie hier bei der Erstklägerin vorliegend“ – vorgefassten Anlageentschluss auszugehen sei. Die Klägerin habe das ihr zum Investitionszeitpunkt zur Verfügung stehende Geld sicher veranlagen wollen. Unklar sei aber, für welche (konkrete) Alternativveranlagung sie sich letztlich entschieden hätte und ob diese kapitalerhaltend gewesen wäre.

Der gegen diese Entscheidung erhobenen Berufung der Klägerin gab das Berufungsgericht Folge und dem Klagebegehren zur Gänze statt; die ordentliche Revision sei zulässig. Dem Privatbeteiligtenanschluss, der schon vielfach einer rechtlichen Beurteilung durch den Obersten Gerichtshof unterzogen worden sei, sei Unterbrechungswirkung zugekommen. Nach gefestigter Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs hafte die Bank, die der Klägerin die Wertpapiere (kraft Selbsteintritt) verkauft habe, dann, wenn sie konkrete Anhaltspunkte dafür gehabt oder sogar positiv gewusst habe, dass das kundennähere Unternehmen seine Pflichten nicht erfüllen werde. Die nachgeschaltete Bank bleibe also auch bei Beiziehung eines „kundennäheren“ Wertpapierdienstleistungsunternehmens beratungspflichtig, wenn die Gefahr bestehe, dass der vorgeschaltete Rechtsträger den Kunden nicht objektiv berate. Dass diese Veranlagung einerseits dem – erhöhten – Risiko eines Aktieninvestments unterliege und andererseits der Werbefolder diese irreführend als sichere Immobilienveranlagung in Zeiten stark schwankender Aktienmärkte verharmlose, entspreche mittlerweile der ständigen Judikatur des Obersten Gerichtshofs in dieser „Massencausa“. Die Erstbeklagte hätte dies erkennen und überdies ins Kalkül ziehen müssen, dass auch derjenige, der die vorgelagerten Beratungsgespräche führe, dem Folder gemäß eine unrichtige Risikoaufklärung vornehmen werde. Die Beklagte habe daher für die Fehlvorstellung der Klägerin über das wahre Risiko der Veranlagung einzustehen, weil sie es verabsäumt habe, ihrer eigenen Beratungspflicht nachzukommen und der Klägerin das wahre aktientypische Kapitalverlustrisiko zu erläutern. Die Negativfeststellung zur hypothetischen Alternativveranlagung schade der Klägerin nicht; es wäre an der Erstbeklagten gelegen, ein ausdrückliches Vorbringen zu erstatten, dass die Klägerin den investierten Betrag bei korrekter Beratung anderweitig veranlagt oder insoweit einen vorgefassten Anlageentschluss gehabt hätte, weil es sich dabei um eine anspruchsvernichtende Tatsache handle. Der schlichte Einschub des Erstgerichts dazu, dass bei der Klägerin von einem vorgefassten Anlageentschluss auszugehen sei, entbehre jeglicher Darlegungen, anhand welcher Annahmen davon auszugehen sei. Wenn ein vorgefasster Anlageentschluss fehle, mangle es an der Relevanz der Entwicklung einer hypothetischen Alternativveranlagung für die Entscheidung. Auch für den Fall, dass ein gänzlicher Kapitalerhalt einer Alternativveranlagung nicht feststellbar sei, könne dies nicht zur vollen Klagsabweisung führen, könne doch nicht von einem 70%igen Kursverlust auch der Alternativveranlagung ausgegangen werden. Zuletzt verneinte das Berufungsgericht ein Mitverschulden der Klägerin, weil es sich – vergleichbar mit dem zu 2 Ob 238/12g entschiedenen Fall – um eine unerfahrene Anlegerin handle, die sich über Initiative des Beraters auf ein Beratungsgespräch eingelassen habe und ausdrücklich auf Sicherheit bedacht gewesen sei. Habe die Ausfüllung des Anlegerprofils eine „reine Formsache“ dargestellt, könne ein ins Gewicht fallendes Mitverschulden der Klägerin nicht darin liegen, dass sie darin enthaltene Risikohinweise nicht beachtet habe. „Schon dies“ habe zur „spruchgemäßen Klagsstattgebung“ zu führen, sodass sich ein Eingehen auf den von der Berufungswerberin aufgeworfenen Aspekt der Arglist erübrige.

Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht als zulässig, weil es der Klarstellung und „Schärfung der höchstgerichtlichen Judikatur“ zur Behauptungs und Beweislast zu jenen Kriterien bedürfe, anhand derer zu beurteilen sei, ob die Voraussetzungen dafür erfüllt seien, dass es überhaupt auf eine Entwicklung einer hypothetischen Alternativveranlagung ankomme. Darüber hinaus erschien ihm klärungsbedürftig, ob eine Negativfeststellung zum Werterhalt der Alternative zu Lasten eines auf Sicherheit bedachten Geschädigten gehe.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Revision der Erstbeklagten ist zulässig und berechtigt.

1. Zum „zweiten Ankauf“:

1.1. Konnte nicht festgestellt werden, wie es zum Erwerb der 489 Stück Zertifikate am kam und welche Umstände die Klägerin zu diesem Zweitkauf verleiteten, fehlt jeglicher Anknüpfungspunkt, aus dem sich eine Haftung der Erstbeklagten ableiten ließe. Eine Annahme, dass davor erfolgte Beratungen und anlässlich des ersten Ankaufs entwickelte (Fehl-)Vorstellungen über die Vermögensveranlagung ursächlich für den zweiten Ankauf gewesen seien, liefe der unbekämpften Feststellung zuwider. Aus dem – auch für den Obersten Gerichtshof bindend festgestellten – Sachverhalt lässt sich damit nicht schlussfolgern, warum für einen erlittenen Schaden der Klägerin eine Handlung oder Unterlassung der Erstbeklagten kausal sein sollte, weswegen die Revisionswerberin zu Recht jede Haftung für den zweiten Ankauf zurückweist. Das klageabweisende Ersturteil ist daher für aus dem zweiten Ankauf abgeleitete Ansprüche wiederherzustellen. Unter Berücksichtigung der auf diesen Anteil an den Zertifikaten entfallenden Dividenden sind dies 7.423,31 EUR des Klagebegehrens.

1.2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 Abs 3 ZPO; schon das Berufungsgericht behielt die Kostenentscheidung in seinem Urteil vor.

2. Zum „ersten Ankauf“:

2.1. Auch wenn im Allgemeinen jede Partei, die für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Tatsachen zu behaupten und zu beweisen hat (RISJustiz RS0037797), bedarf es für jene Tatsachen, die der Prozessgegner iSd §§ 266, 267 ZPO ausdrücklich oder schlüssig zugestanden hat, keines Beweises (RISJustiz RS0039941); darauf ist auch im Rechtsmittelverfahren Bedacht zu nehmen (RISJustiz RS0040101). Den „Dialog“ darüber, welcher Sachverhalt sich zugetragen hat, aus dessen Inhalt dann das Gericht ableitet, welche Tatsachen im Verfahren als strittig eines Beweises bedürfen, beginnt im Zivilprozess der Kläger mit seinem Sachvortrag in der Klage, auf den der Beklagte in der Klagebeantwortung reagiert („Tatsachen und Umstände, auf welche sich die Einwendungen ... der beklagten Partei gründen … anzugeben“; § 239 Abs 1 ZPO). Hat dabei eine Partei von sich aus zu ihren (eigenen) Lasten gehende Tatsachenbehauptungen aufgestellt, bedarf es keines – im vorliegenden Fall vom Berufungsgericht offenbar geforderten – Wiederholens, der vom Kläger selbst schon vorgebrachten und für den Beklagten günstigen Tatsachen. Wird das Schweigen des Prozessgegners oder dessen bloß formales Bestreiten, nämlich sogar bei den für ihn ungünstigen Tatsachen als Zugeständnis gewertet, wenn konkretes Gegenvorbringen erwartet werden kann (vgl RISJustiz RS0039977; RS0039927 [T15]), kann umgekehrt dem Schweigen zu den für eine Partei günstigen Umständen, auf die sich der andere berufen hat, im Regelfall keine andere Bedeutung zukommen, als dass diese (dadurch „begünstigte“) Partei – genauso wie der Prozessgegner selbst – von ihrem Vorliegen ausgeht.

2.2. Die Klägerin selbst war es, die schon in der Klage angab, hätte sie nicht in diese Zertifikate investiert, hätte sie „ihr Geld auf einem Sparbuch veranlagt“. Darauf reagierte die Erstbeklagte damit, dass sie von der Klägerin forderte, die Alternativveranlagung nicht nur zu behaupten, sondern auch zu beweisen. Sie erachtete die konkrete von der Klägerin behauptete hypothetische Alternativveranlagung auf einem Sparbuch als „ausgeschlossen“, weil sie sich nach einer Geldveranlagung erkundigt habe, die mehr Ertrag abwerfe als ein Sparbuch. Die Klägerin replizierte, sie hätte mit dem „tatsächlich getätigten Investment“ einen höheren Ertrag als mit einem Sparbuch erzielen wollen, dies allerdings unter der Voraussetzung, dass – wie vorgegaukelt – ein höherer Ertrag damit auch mit keinem bzw geringem Risiko möglich sei; bei richtiger Aufklärung über das Risiko hätte sie auf eine „höhere Rendite“ zugunsten der Sicherheit verzichtet und in ein Sparbuch investiert. Später behauptete sie als Alternativveranlagung (die dann von der Erstbeklagten ebenfalls bestritten wurde) eine Veranlagung in einen von ihr unter Angabe des Namens der Gesellschaft konkretisierten Mischfonds. Ausgehend von diesem (vorbehaltlosen) Vorbringen, kann der von ihr in der Revisionsbeantwortung eingenommene Standpunkt, ihr Vorbringen sei unter dem „klaren Vorbehalt zu sehen“, dass überhaupt ein Alternativinvestment heranzuziehen ist, nicht geteilt werden.

2.3. Hat nun die Klägerin selbst vorgebracht, dass und wie sie bei richtiger Aufklärung veranlagt hätte, bedurfte es keines weiteren (eigenen) Vorbringens der Erstbeklagten zu einem Anlageentschluss, weil dieser damit von der Klägerin selbst dargelegt wurde. Das Erstgericht ging daher zutreffend – und ohne Feststellungen dazu zu treffen – davon aus, dass die Klägerin entschlossen war, das Geld zu veranlagen, war dies doch zwischen den Parteien gar nicht strittig (vgl auch 6 Ob 32/17z: Anlageentschluss angenommen, wenn der Kläger selbst vorbringt, „er hätte, hätte er die klagsgegenständlichen Papiere nicht erworben, sein Kapital stattdessen in Gold angelegt“).

2.4. Unter der – hier gegebenen – Voraussetzung, dass der Anleger bei richtiger Beratung überhaupt veranlagt hätte, kommt es aber für die Ermittlung der Höhe des Schadenersatzes – eine Vertragsanfechtung wegen eines Willensmangels hat die Klägerin im Verfahren erster Instanz nicht erklärt – auf einen Vergleich mit der hypothetischen Alternativveranlagung an. Dabei trifft nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung den Anleger die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass er bei korrekter Information nicht nur die tatsächlich gezeichnete Anlageform nicht erworben hätte, sondern auch dafür, wie er sich dann hypothetisch alternativ verhalten und sich so sein Vermögen entwickelt hätte (6 Ob 32/17z; 3 Ob 167/17f je mwN). Dabei kommt ihm aber zugute, dass wegen der Unmöglichkeit eines exakten Nachweises von Ereignissen, die tatsächlich nicht stattgefunden haben, keine strengen Anforderungen an den Beweis des hypothetischen Kausalverlaufs zu stellen sind (vgl dazu mit ausführlichen Nachweisen 8 Ob 2/17b).

Der Senat hat zu einem vergleichbaren Fall bereits klargestellt, dass dann, wenn zwar zu einer konkreten Alternativveranlagung eine Negativfeststellung getroffen wurde, aber andererseits feststeht, dass sich der Anleger (zusammengefasst) für eine sichere Anlageart entschieden hätte, nicht der Schluss gezogen werden könne, der Kläger hätte gar keinen Schaden nachweisen können, und erläutert, es liege in der Natur der Sache, dass ein Anleger, dem von seinem Berater eine Vermögensanlage als sicher und renditeträchtig angepriesen worden sei und der auf diese Angaben vertraut habe, im Nachhinein häufig nicht ganz konkret angeben könne, welche andere Vermögensanlage er gewählt hätte, wenn er sich nicht für das ihm vorgeschlagene Anlageprodukt entschieden hätte. Im Nachhinein werde er regelmäßig nur in der Lage sein, eine gewisse „Gruppe“ von möglichen Anlageprodukten, etwa im Sinn einer bestimmten „Risikoklasse“, zu nennen, die seinen Anlagezielen entsprochen hätte und aus der er letztlich – häufig nach den Empfehlungen des Beraters – ein konkretes ausgewählt hätte. Es reiche in solchen Fällen aus, festzustellen, für welche „Anlageart“ sich der Geschädigte bei ordnungsgemäßer Beratung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit entschieden hätte. Maßgebend für den Schadenersatzanspruch [in Geld] sei dann die typische Entwicklung solcher Anlagen, wobei Ausreißer nach oben oder unten unbeachtlich wären; gegebenenfalls könnte auf § 273 ZPO zurückgegriffen werden (1 Ob 112/17b unter Verweis auch auf 4 Ob 67/12z).

2.5. Auch im vorliegenden Fall kann dem Urteil (untermauert auch durch die Ausführungen in der Beweiswürdigung) eindeutig entnommen werden, dass eine „sichere“ Veranlagung gewählt werden sollte. Die Negativfeststellung zur Alternativveranlagung gründete das Erstgericht (nur) darauf, dass die Aussage der Klägerin zur (konkreten) hypothetischen Alternativveranlagung (Lebensversicherung mit Kapitalgarantie) mit dem Vorbringen zu zwei bestimmten, nacheinander genannten Veranlagungen (Sparbuch, Mischfonds einer näher bezeichneten Gesellschaft) nicht in Einklang gestanden sei. Da die Aussage einer Partei konkrete Prozessbehauptungen nicht ersetzen könne, sei aufgrund des Widerspruchs zwischen Vorbringen und Aussage unklar, für welche Alternativveranlagung sich die Klägerin letztlich tatsächlich entschieden hätte und ob diese dann kapitalerhaltend gewesen wäre. Das Erstgericht ging damit wie es auch im Rahmen seiner Ausführungen zur rechtlichen Beurteilung darlegte – davon aus, dass die Klägerin ihr Geld sicher veranlagen wollte und legte auch richtigerweise (bloß) das Beweismaß einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu Grunde. Es bezog dieses Erfordernis der Überzeugung aber dann auf zwei (insoweit schon widersprüchlich vorgebrachte) konkrete Anlageprodukte, nicht aber auf eine – nach der Rechtsprechung für den Nachweis der Höhe des Schadens ausreichende – Anlageart. Nur dann, wenn es dem Erstgericht nicht möglich sein sollte, zu einer solchen – im weiteren Verfahren mit der Klägerin noch zu erörternden – „sicheren“ Anlageart und deren Entwicklung (gegebenenfalls unter Anwendung des § 273 ZPO) Feststellungen zu treffen, ginge eine solche auf die Alternativanlageart bezogene Negativfeststellung zu ihren Lasten.

2.6. Damit erweist sich die Rechtssache im Hinblick auf das Schadenersatzbegehren für den ersten Ankauf als noch nicht entscheidungsreif.

3. Der – unzutreffenden – Argumentation der Erstbeklagten, das (gesamte) Klagebegehren sei wegen fehlender „Belangung“ iSd § 1497 ABGB und mangels Vollmacht des Klagevertreters spruchreif im Sinne einer Abweisung, sei kurz Folgendes entgegnet:

3.1. Zu diesem Privatbeteiligtenanschluss (von ungefähr 8.000 Anlegern, unter denen sich auch die Klägerin befand) hat der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen, dass ihm Unterbrechungswirkung zukommt, soweit damit der Schädiger wegen des gleichen Vermögensnachteils (im Strafverfahren wie im jeweiligen Zivilprozess) „belangt“ wurde. Mit Ausführungen dazu, dass der Anspruch mangels Zustellung der Anschlusserklärung an die Erstbeklagte verjährt sei, weil ein „Belangen“ ohne Verständigung des Betroffenen „nicht möglich“ sei, übergeht die Erstbeklagte diese höchstgerichtliche Rechtsprechung. Der Gesetzgeber stellt es dem Geschädigten frei, ob er seine zivilrechtlichen Ansprüche mit eigener Klage oder als Privatbeteiligter im Strafverfahren verfolgen will. Entscheidet er sich für die zweite Möglichkeit, kann ihm der Vorwurf einer Nachlässigkeit bei der Rechtsverfolgung – die maßgebliche rechtspolitische Rechtfertigung für kurze subjektive Verjährungsfristen – zweifellos nicht gemacht werden. Die in der Revision ins Treffen geführte gegenteilige Ansicht von Schima/Wallisch (Keine „Belangung“ gemäß § 1497 ABGB durch den Privatbeteiligtenanschluss ohne Information des Schädigers, wbl 2017, 559) wurde vom Obersten Gerichtshof bereits mehrmals ausdrücklich abgelehnt (10 Ob 45/17s = ÖJZ 2018, 511 [zust Madl] ua).

3.2. Die von der Revisionswerberin aufgeworfene Frage, ob grundsätzlich eine erst nach Ablauf der Verjährungsfrist erteilte nachträgliche Genehmigung einer zunächst vollmachtslos gesetzten Prozesshandlung durch den Vertretenen eine „eingetretene Verjährung rückwirkend beseitigen“ könnte, stellt sich derzeit nicht. Das Erstgericht führte aus, es bestehe kein Zweifel an der ausreichenden Bevollmächtigung des Klagevertreters durch die Klägerin „sowohl für das strafrechtliche Ermittlungs- als auch das gegenständliche Zivilverfahren“. Anders als die Revision nun unterstellt, ging es also nicht bloß von einer nur für das Zivilverfahren erteilten Vollmacht aus. Es trifft aber zu, dass es auf den zur Vollmachtserteilung im erstinstanzlichen Verfahren erhobenen Einwand der Erstbeklagten, sie bestreite, dass der Prozessfinanzierungsvertrag vor dem Privatbeteiligtenanschluss geschlossen worden sei nicht einging und keine Feststellungen traf, aus denen sich die Vollmachtserteilung für den Privatbeteiligtenanschluss nachvollziehbar ableiten ließe. Dies wird im weiteren Verfahren nachzuholen sein.

4. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO, hatte doch das Berufungsgericht die Kostenentscheidung bis zur rechtskräftigen Erledigung der Streitsache vorbehalten.

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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2018:0010OB00073.18V.0619.000

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