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OGH vom 25.05.2016, 2Ob70/16g

OGH vom 25.05.2016, 2Ob70/16g

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Veith und Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé sowie den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R***** G*****, vertreten durch Mag. Thomas Nitsch, Dr. Sacha Pajor, Rechtsanwälte in Mödling, wider die beklagte Partei J***** U*****, vertreten durch Dr. Andreas A. Lintl, Rechtsanwalt in Wien, wegen 12.533,14 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom , GZ 18 R 103/15y 44, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Zwischenurteil des Bezirksgerichts Mödling vom , GZ 3 C 565/14f 36, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahingehend abgeändert, dass das Zwischenurteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Am gegen 10:15 Uhr ereignete sich in G***** auf dem H*****weg ein Unfall, an dem der Kläger als Lenker einer Vespa P200E und das von der beklagten Partei gehaltene und geführte Pferd Arabella beteiligt waren.

Die Beklagte hatte 2004 die damals 4 jährige Haflingerstute Arabella gekauft, die sie seither im Offenstall auf einem von ihr gepachteten am H*****weg gelegenen Areal mit Viereck und Koppel hält. Die Beklagte hat Reiterpass, Reiternadel und die Lizenz für Dressur und Sprungturniere und bildete Arabella aus. Sie nahm mit ihr an zahlreichen Turnieren und Messen teil und ritt regelmäßig mit ihr vier- bis fünfmal in der Woche jeweils ein bis eineinhalb Stunden. Das Pferd zeigte keine Untugenden und verhielt sich auch bei Trubel ruhig und unproblematisch.

Der H*****weg verläuft im unmittelbaren Nahbereich des Unfallorts weitgehend geradlinig und ist zwischen 3,4 und 3,6 m breit. Rechterhand aus Sicht des Klägers befindet sich eine völlig sichtabdeckende Hecke, hinter der ein nicht eingezäuntes Wiesengelände angrenzt. Linkerhand aus Sicht des Klägers sind Gatterbereiche einschließlich Nutzgebäude für Pferde, so auch das von der Beklagten gepachtete Areal, auf dem das Stallgebäude auf Höhe des Endes der vis á vis gelegenen sichtabdeckenden Hecke beginnt und an den H*****weg grenzt. Für den H*****weg gilt ein ausgeschildertes Fahrverbot für Pkws und einspurige Motorfahrzeuge, von dem Anrainer ausgenommen sind. Er erschließt landwirtschaftlich genutztes Gebiet, wird aber häufig von Kfz-Lenkern als Abkürzung bei Fahrten nach und von G***** genutzt, sodass Arabella mit Motorgeräusch vertraut war.

Die Pferdehaltung im Bereich des H*****wegs gibt es seit zumindest zehn Jahren und umfasst ca 50 Tiere.

Der Kläger war am mit der Vespa P200E zu einer im Nahbereich des H*****wegs aufgestellten Fasanschütte unterwegs, die er als Pächter der Jagdgenossenschaft G***** befüllen wollte. Von dort wollte er zu Weingärten weiterfahren, die über den H*****weg erreicht werden und von ihm gepachtet sind, um diese zu kontrollieren.

Die Beklagte hielt sich mit dem Pferd in einer Entfernung von 50 bis 60 m rechts vom H*****weg auf der nicht eingezäunten Wiese auf. Sie hatte Arabella nach dem Reiten im Viereck mit Halfter und Führstrick dorthin zum Grasen geführt, was sie regelmäßig machte. Sie stand den Führstrick haltend etwa 1,2 m von Arabella entfernt, als sich Arabella erschreckte. Es kann nicht festgestellt werden, was zum Erschrecken geführt hatte. Das den Pferden als Fluchttieren eigene instinktive Verhalten ließ Arabella ausbrechen und Richtung Stall und damit Richtung H*****weg weglaufen. Ein Zurückhalten eines durchgehenden Pferdes ist nicht möglich, egal ob das Pferd mit Halfter und Führstrick oder mit Zaumzeug geführt wird.

Als Arabella etwa am Ende der aus Sicht des näher kommenden Klägers rechts gelegenen Buschreihe auftauchte und erstmals für den Kläger wahrnehmbar war, leitete er prompt aus der fahrbahnmittigen Fahrlinie aus etwa 30 km/h eine Bremsung und ein Ausweichmanöver nach links ein, konnte aber die Kollision nicht verhindern. Da dem Kläger nur eine Abwehrzeit von etwa einer Sekunde zur Verfügung stand, was der Vorbremsdauer entspricht, hatte eine allenfalls schlecht funktionierende Bremse am Klagsfahrzeug keinen Einfluss auf das Geschehen. Um aus 30 km/h anhalten zu können, wären rund zwei Sekunden notwendig gewesen.

Durch die Kollision stürzte der Kläger und wurde verletzt. Das Motorrad wurde beschädigt.

Wenn der Beklagten auch bewusst war, dass man einem Tier nicht absolut vertrauen kann und Arabella im Fall des Ausbrechens von der gegenständlichen Wiese Richtung Stall und damit über die Straße laufen würde, rechnete sie nicht mit einem solchen Geschehen, da Derartiges bis zum gegenständlichen Unfall mit Arabella noch nie passiert war und es auch keine sonstigen Vorfälle, insbesondere durch Erschrecken verursachte, mit Arabella gegeben hatte. Das Ausbrechen eines Pferdes kann niemals ausgeschlossen werden, was jedem im Umgang mit Pferden Vertrauten bekannt ist.

Der Kläger begehrt 12.533,14 EUR sA; dieser Betrag setzt sich aus Schmerzengeld, Verdienstentgang, Kosten einer Ersatzkraft, Pflegekosten, Sachschaden am Fahrzeug und Nebenkosten zusammen. Er brachte vor, die Beklagte hätte das Pferd an einem nicht eingezäunten Ort nicht lediglich mit Halfter und Strick führen dürfen, da Pferde bei Erschrecken nicht zurückgehalten werden könnten. Die Beklagte habe auch gewusst bzw wissen müssen, dass ihr Pferd im Falle des Aufscheuens und Losreißens eine Straße überquere, die regelmäßig frequentiert werde. Die Beklagte hätte an der gegenständlichen Örtlichkeit das Pferd nur mit einem Steiggebiss führen dürfen. Jedenfalls wäre ein Führen am Zaumzeug vonnöten gewesen und nicht lediglich am Halfter.

Die Beklagte beantragt die Klagsabweisung und wendet ein, sie habe sämtliche Vorsichtsmaßnahmen eingehalten, die in der konkreten Situation erforderlich gewesen seien. Ein Führen des Pferdes am Zaumzeug sei einerseits objektiv nicht angezeigt gewesen und hätte andererseits auch ein Durchbrechen des Pferdes nicht verhindert. Dass der Haltestrick gerissen sei und das Pferd dadurch auf den Feldweg habe laufen können, stelle einen nicht erwartbaren und nicht beherrschbaren Zufall dar. Aufgrund des Fahrverbots habe sie nicht damit rechnen müssen, dass der Kläger diesen Weg befahre. Er sei auch kein Anrainer am H*****weg. Die eingehaltene Fahrgeschwindigkeit von 30 km/h sei relativ überhöht gewesen, zumal sich der Kläger aufgrund der ihm bekannten Reitställe besonders vorsichtig hätte verhalten müssen. Ihn treffe daher jedenfalls das überwiegende Mitverschulden.

Das Erstgericht sprach mit Zwischenurteil aus, dass das Klagebegehren dem Grunde nach zu Recht bestehe. Es beurteilte den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt rechtlich dahin, auch wenn die Beklagte Arabella als nicht schreckhaftes Tier gekannt habe, so hätte sie doch im Wissen, dass jedes Pferd durchgehen könne, Arabella nicht auf eine Wiese zum Grasen führen dürfen, wo mangels Zauns der Fluchtweg offen sei und das Pferd überdies bei der Flucht einen von Kraftfahrzeugen benutzten Weg queren werde. Dies sei ihr als Sorgfaltsverstoß anzulasten.

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab. Es ging in rechtlicher Hinsicht davon aus, beim Scheuen, Aufbäumen oder gar Durchgehen eines Pferdes handle es sich um Umstände, die auch beim Führen am Halfter durch eine erwachsene Person niemals mit Sicherheit ausgeschlossen werden könnten und die für sich allein jedenfalls noch nicht die Annahme auffallend sorglosen Verhaltens des Pferdeführers rechtfertigten (RIS Justiz RS0042536). Im Licht der allgemein zur Tierhalterhaftung bestehenden Rechtsprechung erscheine in der konkreten Situation die Verwahrung der an sich gutmütigen und auch an Straßenverkehr und Verkehrslärm gewöhnten Stute durch die Beklagte ordnungsgemäß. Es komme immer wieder vor, dass Pferde auch von erfahrenen Reitern nicht unverzüglich unter Kontrolle gebracht werden könnten (RIS Justiz RS0044112). Die Sorgfaltspflichten dürften nicht überspannt und dadurch das Halten von an und für sich ungefährlichen Haustieren unmöglich gemacht werden. Der Unfall sei durch eine äußerst unglückliche Verkettung der Umstände passiert.

Das Berufungsgericht ließ erst nachträglich auf Antrag des Klägers dessen Revision gemäß § 508 Abs 3 ZPO zu, weil der Revisionswerber zutreffend aufgezeigt habe, dass sich die Entscheidung 2 Ob 8/94, auf die sich der Rechtssatz RIS Justiz RS0042536 beziehe, mit Gehilfenhaftung befasst habe und daher nicht einschlägig sei. Es gebe noch keine höchstgerichtliche Judikatur zur Frage, ob das Führen eines Pferdes mit einem Führstrick auch außerhalb eingezäunter Gebiete als sorgfaltswidrig anzusehen sei, wenn beim Durchgehen des Pferdes dieses nicht zurückgehalten werden könne und zu erwarten sei, dass es einen auch von Kraftfahrzeugen genutzten Weg überqueren werde.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinn einer gänzlichen Klagsstattgebung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt, die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht von der einschlägigen oberstgerichtlichen Rechtsprechung abgewichen ist; sie ist auch berechtigt.

Der Revisionswerber argumentiert, Pferde könnten angesichts des festgestellten Fluchtverhaltens nicht als ungefährliche Haustiere angesehen werden. Der Tierhalter hafte selbst dann, wenn ihn subjektiv kein Verschulden treffe, weil er für die objektiv gebotene Sorgfalt nach dem Maßstab des § 1299 ABGB hafte. Weil Pferde Fluchttiere seien, hätte das Pferd nur in einem umzäunten Bereich grasen dürfen.

Rechtliche Beurteilung

Hierzu wurde erwogen:

1. Begründung des Berufungsgerichts:

Das Berufungsgericht hat in seinem Zulassungsbeschluss selbst erkannt, dass die von ihm herangezogene Entscheidung 2 Ob 8/94 (2 Ob 9/94) = ZVR 1996/23 = RIS Justiz RS0042536 die Abweisung des Klagebegehrens nicht tragen kann, weil es dort nicht unmittelbar um die Tierhalterhaftung nach § 1320 ABGB, sondern um die Gehilfenhaftung nach § 1315 ABGB ging.

Zutreffend zeigt die Revision auf, dass auch der vom Berufungsgericht zitierte Rechtssatz RIS Justiz RS0044112 nicht einschlägig ist, weil sich die dort angeführten Entscheidungen mit dem (hier nicht relevanten) Verhältnis zwischen Reitern und Pferden befassen.

2. Gesetzeslage und Rechtsprechung zum allgemeinen Sorgfaltsmaßstab des Tierhalters:

2.1. Gesetz: § 1320 ABGB lautet: „ Wird jemand durch ein Tier beschädigt, so ist derjenige dafür verantwortlich, der es dazu angetrieben, gereizt oder zu verwahren vernachlässigt hat. Derjenige, der das Tier hält, ist verantwortlich, wenn er nicht beweist, dass er für die erforderliche Verwahrung oder Beaufsichtigung gesorgt hatte. “

2.2. Rechtsprechung: Es sind die Interessen abzuwägen: Stellt ein Tier eine Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit von Menschen, des anerkannt höchsten Guts, dar, so muss die geforderte Verwahrung des Tiers durch Einzäunen, Anketten, Anlegen eines Maulkorbs oder Führen an der Leine als eine durchaus zumutbare und keine gravierenden Interessen beeinträchtigende Maßnahme anerkannt werden, die jedenfalls in keinem Verhältnis zu der andernfalls bestehenden Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit von Menschen steht (RIS Justiz RS0030081). Das Erfordernis einer ordnungsgemäßen Verwahrung darf nicht überspannt werden. Es kann vom Tierhalter nicht eine Verwahrung von in der Regel gutmütigen und ungefährlichen Haustieren verlangt werden, die jede nur denkbare Beschädigung mit Sicherheit ausschließt, sondern es müssen jene Vorkehrungen als genügend angesehen werden, die vom Tierhalter unter Berücksichtigung des bisherigen Verhaltens des Tieres billigerweise erwartet werden können (RIS Justiz RS0030365). Der Tierhalter hat bei der Verwahrung und Beaufsichtigung des Tieres die objektiv erforderliche Sorgfalt einzuhalten. Er hat daher zu beweisen, dass er sich nicht rechtswidrig verhielt; misslingt ihm dieser Beweis, haftet er für sein rechtswidriges, wenn auch schuldloses Verhalten (RIS Justiz RS0105089). Der Gesetzgeber hat in § 1320 ABGB keine (volle) Gefährdungshaftung normiert. Die besondere Tiergefahr wird dadurch berücksichtigt, dass nicht auf das subjektive Verschulden des Halters, sondern auf die objektiv gebotene Sorgfalt abgestellt wird (RIS Justiz RS0030291 [T13]; Danzl in KBB 4 § 1320 Rz 4).

3. Zum Sorgfaltsmaßstab speziell beim Halten von Pferden:

3.1. Auszugehen ist von den Feststellungen, dass Pferde Fluchttiere sind, bei denen ein Ausbrechen niemals ausgeschlossen werden kann, was jedem im Umgang mit Pferden Vertrauten bekannt ist. Ein Zurückhalten eines durchgehenden Pferdes ist nicht möglich, egal ob das Pferd mit Halfter und Führstrick oder mit Zaumzeug geführt wird.

3.2. In der Entscheidung 2 Ob 15/82 ZVR 1984/123 = RZ 1984/14 = RIS Justiz RS0030365 (T7, T 8) gab es bei der Pferdekoppel einen elektrischen Weidezaun in einer Höhe von 50 cm. Dahinter befand sich eine Pappelreihe, an der in einer Höhe von 1 m bis 1,2 m Stangen angenagelt waren. Bereits vor dem Unfall waren die Pferde mehrmals ausgebrochen. Obwohl Halter von Warmblutpferden stets mit der Unberechenbarkeit des Verhaltens dieser Tiere rechnen müssen, da sie als ausgesprochene Fluchttiere bekannt sind, verstärkte der Beklagte den Zaun nach den Ausbrüchen der Pferde nicht. Als wieder einmal Pferde ausgebrochen waren, stürzte der mit einer Geschwindigkeit von ca 40 km/h herannahende Lenker eines Mopeds beim Versuch, einem ausgebrochenen, wegen einer sichtbehindernden Hecke plötzlich auftauchenden Pferd auszuweichen. Der Mopedlenker hatte prompt reagiert und somit den Sturz nicht verhindern können.

Der Oberste Gerichtshof bejahte die Haftung des Pferdehalters, weil er gewusst habe, dass die getroffenen Vorkehrungen ein Entweichen der Pferde nicht verhindern könnten. Als Pferdezüchter müssten ihm aber auch die besonderen Eigenschaften der Warmblutpferde (unberechenbares Verhalten als Fluchttiere) bekannt sein, sodass selbst eine Gewöhnung an den Zaun deren Entweichen weiterhin leicht vorhersehbar erscheinen habe lassen.

3.3. In der Entscheidung 2 Ob 11/85 SZ 58/56 waren d ie vom Beklagten gehaltenen Pferde während der Nacht von einer ca 1000 m von der Unfallstelle entfernten Weidefläche, die durch einen in der Höhe von 90 bis 95 cm angebrachten elektrischen Weidezaun gesichert war, ausgebrochen. Der Oberste Gerichtshof bejahte die Haftung und führte aus:

„ Der Oberste Gerichtshof hat zwar seit seiner Entscheidung 2 Ob 211/72 vom = ZVR 1974/65 daran festgehalten (ZVR 1974/18; 1977/296; 1979/100; 1979/130; SZ 52/86), dass die Umzäunung einer Weidefläche mittels eines Elektrozauns bei Rindern eine hinlängliche Verwahrung im Sinne des § 1320 ABGB darstellt, soferne diese den Elektrozaun respektieren (ZVR 1980/158). Im Hinblick auf die furchtsame und leicht erregbare Natur von Pferden als Lauf und Fluchttieren, die nach den Feststellungen schon bei geringfügigen Anlässen panikartige Fluchtreaktionen setzen, während welcher die sonst für sie in einem Elektrozaun gelegene psychische Schranke zwangsläufig unwirksam wird, liegt bei Pferden eine wesentlich größere Gefahr des Ausbrechens aus einer derartigen Umzäunung vor als bei Rindern. Hinsichtlich Tieren aber, von denen bekannt ist, dass sie nicht bloß ganz ausnahmsweise, sondern sehr leicht Reaktionen setzen, bei welchen ein Elektrozaun überhaupt kein Hindernis darstellt, kann mit einem solchen Zaun zwangsläufig nicht das Auslangen gefunden werden.

(…)

Die durch auf die Straße laufende Pferde in hohem Grade gefährdeten Teilnehmer am Straßenverkehr müssen im Sinne der in RZ 1984/14 veröffentlichten Entscheidung des erkennenden Senates keineswegs einen um des finanziellen Vorteiles des Pferdehalters willen verminderten Schutz in Kauf nehmen. Schließlich kommt auch der Entfernung des gegenständlichen Weideplatzes von 800 bis 1000 m zu den mehreren Hauptverkehrsstraßen beziehungsweise zur Eisenbahnlinie keine entscheidende Bedeutung zu, zumal aufgeschrecktes Vieh erfahrungsgemäß auch solche Strecken ohne weiteres zurücklegen kann (VersR 1976, 1087) … .“ (vgl auch RIS Justiz RS0030100 [T1]: Ein 80 cm hoher elektrischer Weidezaun, der unmittelbar an einen von der Öffentlichkeit benützten Weg grenzt, ist unzureichend.)

3.4. In der Entscheidung 2 Ob 19/93 ZVR 1993/162 war die Weide durch einen rund 1,2 m hohen Stacheldrahtzaun samt Absperrung mit einem 1,8 m hohen, mit einer einhängbaren Kette verschließbaren Holzgatter eingezäunt. Der Forstweg im Bereich der Weide wurde häufig von Wanderern begangen und hin und wieder auch von Motorradfahrern befahren. Der klagende Motorradfahrer stürzte beim Versuch, Pferden auszuweichen.

Der Oberste Gerichtshof führte aus, der beklagte Tierhalter habe gewusst, dass seine Weide häufig von Wanderern begangen und hin und wieder auch von Motorradfahrern befahren werde. Auch wenn dies bis jetzt noch nie geschehen sei, habe er damit rechnen müssen, dass unachtsame Personen das Gatter nicht wieder schließen würden. Gerade bei einer Benützung der Weide durch Motorradfahrer habe befürchtet werden müssen, dass diese während der Zeit, da sie auf der Weide fahren, das Gatter offenlassen würden, um nicht zum Schließen des Gatters absteigen zu müssen. Bei offenem Gatter habe weiters aber auch damit gerechnet werden müssen, dass die Pferde die Weide verlassen würden; schließlich handle es sich bei Pferden um Lauftiere. Eine Entfernung von 1,5 km (zur nächsten öffentlichen Straße) bzw von 4 km (zur Unfallstelle) stelle für derartige Tiere kein unüberwindliches Hindernis dar. Der Beklagte hätte daher trotz der relativ großen Entfernung zur nächsten öffentlichen Straße dafür sorgen müssen, dass die Tiere nicht entkommen können. Dem Argument der damit verbundenen Kosten sei entgegenzuhalten, dass die durch auf die Straße laufenden Pferde in hohem Grade gefährdeten Teilnehmer am Straßenverkehr keineswegs einen um des finanziellen Vorteils des Pferdehalters willen verminderten Schutz in Kauf nehmen müssen (vgl auch RIS Justiz RS0030418: In der Nähe einer stark befahrenen Straße kann das Abschließen von Weidetoren erforderlich sein; ähnlich RS0030107).

3.5. In den Fällen 2 Ob 46/01f und 2 Ob 211/09g ZVR 2010/149 ( Schwarzenegger ) trat beim Halter eines Pferdes eine plötzliche unvorhergesehene gesundheitliche Beeinträchtigung bzw eine Bewusstlosigkeit ein, wodurch das jeweils herrenlose Pferd einen Unfall verursachte. Der Oberste Gerichtshof bejahte in beiden Entscheidungen die Haftung des Pferdehalters gemäß § 1320 ABGB, weil d er gesundheitsbedingte Verlust der Herrschaft über das Pferdegespann durch den Halter nicht der objektiv gebotenen Sorgfalt entspreche; auf dessen fehlendes subjektives Verschulden komme es nicht an (RIS Justiz RS0114918).

4. Folgerungen für den vorliegenden Fall:

4.1. Aufgrund des unberechenbaren Verhaltens von Pferden als Fluchttieren können Pferde (auch angesichts ihrer Größe und des dadurch gegebenen Risikos eines Schadens) nicht als ungefährliche Haustiere angesehen werden. Daran ändert auch nichts, dass das gegenständliche Pferd Arabella bis zum Unfall keine Untugenden zeigte und sich auch bei Trubel ruhig und unproblematisch verhielt. Die unter Punkt 2.2. zitierte Rechtsprechung (RIS Justiz RS0030365), wonach Tierhalter von gutmütigen und ungefährlichen Tieren bezüglich der Verwahrungspflicht einem weniger strengen Maßstab unterliegen, ist daher nicht anzuwenden.

4.2. Nach der weiteren unter Punkt 2.2. zitierten allgemeinen wie auch nach der speziell zu Pferden ergangenen, in Punkt 3. angeführten Rechtsprechung ist die Haftung der Beklagten zu bejahen:

4.2.1. Bei den in den Punkten 3.2. bis 3.4. behandelten Fällen waren zwar – im Gegensatz zum vorliegenden Fall – unbeaufsichtigte Pferde wegen letztlich unzureichender Einzäunung ausgekommen und verursachten dadurch einen Unfall. Dass die Beklagte im vorliegenden Fall das Pferd Arabella beaufsichtigte, kann sie aber insofern nicht entlasten, als das Ausbrechen eines Pferdes niemals ausgeschlossen werden kann und ein Zurückhalten eines durchgehenden Pferdes nicht möglich ist. Mit anderen Worten: Die Beklagte hat mit der zur Verhinderung einer Schädigung Dritter unzureichenden Beaufsichtigung des Pferdes im Sinn von § 1320 Satz 2 ABGB nicht bewiesen, dass sie für die erforderliche Verwahrung oder Beaufsichtigung des Pferdes gesorgt hatte. Dazu wäre nach den angeführten Entscheidungen eine ausreichende Umzäunung der Wiese erforderlich gewesen. Dies führt zu ihrer Haftung nach der genannten Gesetzesstelle.

4.2.2. Zum selben Ergebnis führen die unter Punkt 3.5. genannten Entscheidungen: Dort wurde eine Haftung der durch eine unvorhergesehene gesundheitliche Beeinträchtigung bzw eine Bewusstlosigkeit beeinträchtigten und daher subjektiv schuldlosen Pferdehalter wegen Nichteinhaltung der objektiv gebotenen Sorgfalt bejaht. Umso mehr muss hier eine Haftung der Beklagten bejaht werden, die von der Gefährlichkeit von Pferden (Fluchttiere, unberechenbares Ausbrechen) – so wie jeder im Umgang mit Pferden Vertraute (S 11 des Ersturteils) – wusste, was ihr auch subjektiv vorgeworfen werden kann.

5. Zu den Einwendungen der Beklagten:

5.1. Die vom Kläger eingehaltene Geschwindigkeit von 30 km/h begründet kein Mitverschulden (vgl den unter Punkt 3.2. angeführten, mit dem vorliegenden Sachverhalt recht ähnlichen Fall 2 Ob 15/82, in dem eine Geschwindigkeit des Mopedfahrers von 40 km/h nicht als Mitverschulden gewertet wurde).

5.2. Die Beklagte hält in der Revisionsbeantwortung den schon in erster Instanz als Mitverschulden des Klägers geltend gemachten Vorwurf aufrecht, der Kläger sei kein Anrainer gewesen und hätte daher dort nicht fahren dürfen.

Dem ist zu entgegnen: Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs umfasst d er Begriff „Anrainer“ neben dem Eigentümer einer neben der Straße gelegenen Liegenschaft auch jene Personen, welche an solchen Liegenschaften ein Bestandrecht besitzen oder zur Ausübung des Jagdrechts auf solchen Liegenschaften berechtigt sind (ZVR 1966/82 S 101; GZ 0807/80, VwSlg 10226 A/1980). Ob die Fasanschütte oder die vom Kläger gepachteten Weingärten „neben“ dem H*****weg gelegen sind, lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen. Selbst wenn dies nicht der Fall und demnach der Kläger kein Anrainer bezüglich des H*****wegs sein sollte, wäre sein rechtswidriges Befahren dieses Wegs nicht haftungsbegründend, weil es am Rechtswidrigkeitszusammenhang mangelte: Sind durch die Missachtung des Fahrverbots keine Gefahren verwirklicht worden, die das beschränkte Fahrverbot verhindern sollte, so kann der Beklagte nicht allein wegen des Verstoßes gegen diese Anordnung für den Schaden haftbar gemacht werden (RIS Justiz RS0027750). Mangels Rechtswidrigkeits zusammenhangs begründet es gegenüber demjenigen, der den Rechtsvorrang verletzt, kein Mitverschulden, wenn eine Fahrbahn, für die ein eingeschränktes Fahrverbot gilt, rechtswidrig benützt wird (ZVR 1984/82 = RIS Justiz RS0027750 [T1]). Die Gefahr der Massierung des Verkehrs auf einer Straße mit begrenztem Verkehrsteilnehmerbereich ist dann nicht verwirklicht, wenn sich der Unfall auch bei der Beteiligung eines berechtigten Verkehrsteilnehmers (Anrainers) ereignet hätte (RIS Justiz RS0027750 [T4]).

6. Ergebnis:

Die Beklagte haftet für den unfallkausalen Schaden, den Kläger trifft kein Mitverschulden. Es war daher das die Haftung der Beklagten aussprechende Zwischenurteil des Erstgerichts wiederherzustellen.

7. Kosten:

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf die §§ 393 Abs 4 iVm 52 Abs 4 ZPO.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2016:0020OB00070.16G.0525.000