OGH vom 24.04.2020, 7Ob55/20v
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W***** GmbH, *****, vertreten durch Dorda Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei C***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Martin Machold, Rechtsanwalt in Wien, wegen 983.525,88 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom , GZ 4 R 158/19s-25, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1.1 Nach § 3 Abs 1 AÜG (Arbeitskräfteüberlassungsgesetz) ist unter Überlassung von Arbeitskräften die Zurverfügungstellung von Dienstnehmern zur Arbeitsleistung an Dritte zu verstehen. Charakteristisch dafür ist, dass die Arbeitskraft ihre Arbeitsleistung nicht im Betrieb ihres Arbeitgebers (Überlassers), sondern in Unterordnung unter dessen Weisungsbefugnis im Betrieb des Beschäftigers erbringt. Die Bestimmung des § 4 AÜG konkretisiert diese Definition und enthält in Abs 2 eine beispielsweise Aufzählung jener Fälle, in denen jedenfalls Arbeitskräfteüberlassung vorliegt, auch wenn die Arbeitskräfte ihre Arbeitsleistung im Betrieb des Werkbestellers in Erfüllung von Werkverträgen erbringen (5 Ob 94/17k).
1.2 Das AÜG dient dem Arbeitnehmerschutz (§ 2 Abs 1 Z 1 AÜG) und regelt primär die Rechtsbeziehungen des Arbeitnehmers. § 4 Abs 2 AÜG bildet daher grundsätzlich keine Grundlage zu einer Qualifikation des Vertragsverhältnisses zwischen Dienstleistungserbringer und Dienstleistungsempfänger (Beschäftiger). Diese Regelung stellt zum Schutz des Arbeitnehmers vielmehr klar, dass auch bei Arbeitsleistung in Erfüllung eines Werkvertrags dem wahren wirtschaftlichen Gehalt nach Arbeitskräfteüberlassung gegeben sein kann, ohne dass damit Aussagen zur schuldrechtlichen Verbindung zwischen dem Dienstgeber der eingesetzten Arbeitskraft und dessen Auftraggeber getroffen würden (5 Ob 94/17k). Das heißt, die zivilrechtliche Qualifikation des Vertrags zwischen Dienstleistungserbringer und Dienstleistungsempfänger ist nach den allgemeinen zivilrechtlichen Regeln vorzunehmen. § 4 AÜG ist nicht einschlägig, weil das AÜG primär die Rechtsbeziehungen des Arbeitnehmers regelt und grundsätzlich nicht das Verhältnis zwischen Dienstleistungserbringer und Dienstleistungsempfänger. Für die hier vorzunehmende Beurteilung des Vertragsverhältnisses zwischen den Streitteilen erweist sich damit – entgegen der Ansicht der Beklagten – die Auslegung des § 4 Abs 2 AÜG als nicht erheblich.
2.1 Vielmehr beurteilt sich, ob – wie die Beklagte meint – ein Dienstnehmerüberlassungsvertrag vorliegt, ausschließlich nach der Vereinbarung der Streitteile. Ob ein Vertrag im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, stellt aber nur dann eine erhebliche Rechtsfrage dar, wenn infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde (RS0042936). Dies ist hier nicht der Fall.
2.2 Vertragsgegenstand der Dienstnehmerüberlassung ist nur die Bereitstellung eines Dienstnehmers zum Zweck der Arbeitsleistung, nicht aber ein bestimmter Arbeitserfolg. Dieser ist nicht Erfüllungsgehilfe des Verleihers (seines Dienstgebers), der daher auch nicht für eine schlechte Arbeitsleistung seines Dienstnehmers haftet. Der Verleiher haftet lediglich für die durchschnittliche berufliche oder fachliche Qualifikation und die Arbeitsbereitschaft des überlassenen Dienstnehmers (vgl RS0021287; RS0021302).
2.3 Nach dem festgestellten Sachverhalt vereinbarten die Streitteile die Übernahme eines Teils der anfallenden laufenden Buchhaltungsarbeiten, nämlich die Verbuchung der Eingangsrechnungen, Bezahlung der Eingangsrechnungen mittels E-Banking und das Mahnwesen für die Klägerin durch die Beklagte. Die Verrechnung erfolgte auch dementsprechend unter dem Titel „Beratung, Verwaltungskosten“.
2.4 Wenn die Vorinstanzen vor diesem Hintergrund nicht von einem Dienstnehmerüberlassungsvertrag zwischen den Streitteilen und damit von der Anwendung des § 1313a ABGB ausgingen, erweist sich dies als nicht korrekturbedürftig.
3.1 Nach § 1313a ABGB haftet derjenige, der einem anderen zu einer Leistung verpflichtet ist, für das Verschulden der Personen, deren er sich zur Erfüllung der Leistung bedient, wie für sein eigenes. Erfüllungsgehilfe ist, wer nach den tatsächlichen Verhältnissen des gegebenen Falls mit dem Willen des Schuldners bei der Erfüllung der diesem obliegenden Verbindlichkeit als seine Hilfsperson tätig wird (RS0028729). Das schuldhafte Verhalten des Erfüllungsgehilfen muss innerhalb des vom Geschäftsherrn übernommenen Pflichtenkreises liegen (RS0028582 [T1]). Nach ständiger Rechtsprechung zu § 1313a ABGB können auch vorsätzliche unerlaubte Handlungen in Erfüllung einer vertraglichen Pflicht in einer dem Schuldner zurechenbaren Weise vom Erfüllungsgehilfen begangen werden, hiezu wird jedoch ein innerer Sachzusammenhang der schädigenden Handlung des Erfüllungsgehilfen mit der Vertragserfüllung gefordert und damit umgekehrt von dieser Haftung jede Schädigung ausgeschlossen, die der Gehilfe dem Gläubiger nur gelegentlich (anlässlich) der Erfüllung zugefügt hat und die einer selbständigen unerlaubten Handlung entsprungen ist. Nur dann, wenn die unerlaubte Handlung des Gehilfen in den Aufgabenbereich eingreift, zu dessen Wahrnehmung er vom Schuldner bestimmt worden ist, hat daher der Schuldner dafür einzustehen (RS0028626). Dementsprechend haftet der Geschäftsherr nicht nach § 1313a ABGB, wenn das Verhalten des Gehilfen aus dem allgemeinen Umkreis des Aufgabenbereichs, den der Gehilfe im Rahmen der Interessenverfolgung für den Schuldner wahrzunehmen hatte, herausfällt (RS0028499; vgl auch RS0028425; RS0121745). Entscheidend ist, welche konkreten Leistungspflichten bzw Schutz- und Sorgfaltspflichten der Geschäftsherr gegenüber seinem Vertragspartner übernommen hat (RS0028425 [T9]).
3.2 Die Beklagte übernahm für die Klägerin insbesondere die Verbuchung der Geschäftsfälle – vor allem der Eingangsrechnungen – im Sage Officeline, dem Buchhaltungsprogramm der Klägerin sowie die Durchführung der Überweisungen zur Bezahlung der Eingangsrechnungen. Diese von der Mitarbeiterin der Beklagten für die Klägerin ausgeführten Tätigkeiten erfolgten mit Wissen und Willen des Geschäftsführers der Beklagten. Die Mitarbeiterin der Beklagten bewirkte eine Vielzahl von Zahlungen für ihre persönlichen Zwecke, indem sie fiktive Rechnungsnummern erstellte, eine zusätzliche Zahlung zu ihren Gunsten im Sage Officeline erfasste, die Daten ins Zahlungssystem ELBA übertrug, die Überweisungen zu ihren Gunsten durch Sammelüberweisungen verschleierte und in Folge im Sage Officeline die zu ihren Gunsten erfassten Zahlungen wieder löschte.
3.3 Die Beurteilung, ob das Fehlverhalten eines Gehilfen noch innerhalb des für den Geschäftsherrn wahrzunehmenden Pflichtenkreises liegt und ein sachlicher Zusammenhang mit dem Interessenverfolgungsprogramm des Geschäftsherrn besteht, entzieht sich einer allgemeinen Aussage und richtet sich typischerweise nach den konkreten Umständen des Einzelfalls (9 Ob 69/13g; vgl RS0028530).
3.4 Die übereinstimmende rechtliche Beurteilung der Vorinstanzen, die Mitarbeiterin der Beklagten sei aufgrund der besonderen konkreten Fallgestaltung als Erfüllungsgehilfin der Beklagten anzusehen, weil sich die Beklagte ihrer zur Erbringung gerade der gegenüber der Klägerin vertraglich übernommenen Verbindlichkeiten bediente, ist nicht zu beanstanden.
4. Ausgehend davon, dass sich die Beklagte das schuldhafte Verhalten ihrer Gehilfin als eigenes anrechnen lassen muss, steht auch die Verneinung eines Mitverschuldens der Klägerin in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung: Hat der Schädiger nämlich vorsätzlich gehandelt, führt auch der Umstand, dass der Geschädigte allenfalls fahrlässig gehandelt hat, nicht zu einer Schadensteilung. Vielmehr überwiegt die Zurechnung des Schadens zum Verantwortungsbereich des Schädigers so stark, dass die Fahrlässigkeit des Geschädigten nicht ins Gewicht fällt (RS0016291; 9 Ob 91/03b). Darüber hinaus entfernt sich die Beklagte, soweit sie ausführt, dass die Klägerin über einen mehrjährigen Zeitraum keinerlei Kontrolltätigkeiten durchgeführt habe, auch vom festgestellten Sachverhalt.
5.1 Der Beginn der Verjährungsfrist setzt die Kenntnis des Verletzten vom Schaden voraus, die bloße Möglichkeit der Kenntnisnahme genügt nicht (RS0034686 [T9, T 15] ua). Die Kenntnis muss dabei den ganzen anspruchsbegründenden Sachverhalt umfassen, insbesondere auch den Ursachenzusammenhang zwischen dem Schaden und einem bestimmten, dem Schädiger anzulastenden Verhalten (RS0034951 [T2]). Der Geschädigte darf sich allerdings nicht passiv verhalten und es darauf ankommen lassen, dass er von der Person des Ersatzpflichtigen eines Tages zufällig Kenntnis erlangt (RS0065360). Wenn er die für die erfolgversprechende Anspruchsverfolgung notwendigen Voraussetzungen ohne nennenswerte Mühe in Erfahrung bringen kann, gilt die Kenntnisnahme schon als in dem Zeitpunkt erlangt, in welchem sie ihm bei angemessener Erkundigung zuteil geworden wäre (RS0034327).
5.2 Wenn die Revision davon ausgeht, dass die Malversationen der Mitarbeiterin der Beklagten bei früheren Kontrollen auffallen hätte müssen, stellt sie auf die bloße Möglichkeit zur Kenntnisnahme des Schadens ab, die – wie ausgeführt – nicht fristauslösend ist. Allfällige Nachforschungen des Geschädigten setzen voraus, dass ihm zumindest ein Schaden oder ein schadensverursachendes Verhalten bekannt ist, wenn auch nicht alle zur Anspruchsverfolgung notwendigen Tatsachen (9 ObA 89/17d). Dass der Klägerin jedoch früher als von den Vorinstanzen angenommene Umstände bekannt waren, aufgrund derer sie auf einen Schaden oder ein schädigendes Verhalten der Mitarbeiterin der Beklagten hätte schließen können, ergibt sich aus dem festgestellten Sachverhalt nicht. Nach den Feststellungen wurde das Verhalten der Mitarbeiterin der Beklagten und der daraus resultierende Schaden der Klägerin erst am bekannt. Davon ausgehend wurde die Klage am innerhalb der Verjährungsfrist eingebracht.
6. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO).
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2020:0070OB00055.20V.0424.000 |
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