OGH vom 15.04.2008, 5Ob284/07m
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Floßmann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hurch, Dr. Höllwerth, Dr. Grohmann und Dr. E. Solé als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Republik Österreich (Zollamt Wien), vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17-19, gegen die beklagte Partei A***** I***** S***** Ö*****, vertreten durch Dr. Michael Stöger, Rechtsanwalt in Wien, wegen 36.336,41 EUR sA über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 15 R 140/07d-27, den Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1.1. Die Beklagte vertritt den Rechtsstandpunkt, das Begehren der Klägerin sei verfristet. Die Notifikation nach Art 11 Abs 1 TIR-Abkommen (1978) sei am und die Zahlungsaufforderung an die Beklagte erst am , also nicht innerhalb der Verjährungsfrist von 2 Jahren erfolgt. Eine Unterbrechung dieser Frist im Sinn des Art 11 Abs 2 TIR-Abkommen (1978) hätte nur durch ein Verfahren zwischen der Zollbehörde und dem bürgenden Verband (der Beklagten) eintreten können. Das (Finanz-)Strafverfahren gegen den Transportunternehmer habe dagegen auf den Fristenlauf keinen Einfluss.
1.2. Der für die hier vorzunehmende rechtliche Beurteilung maßgebliche Inhalt des Art 11 Abs 1 und 2 TIR-Abkommen (1978) lautet:
„(1) Ist ein Carnet TIR nicht oder unter Vorbehalt erledigt worden, so können die zuständigen Behörden vom bürgenden Verband die Entrichtung der in Artikel 8 Absätze 1 und 2 genannten Beträge nur verlangen, wenn sie dem bürgenden Verband innerhalb eines Jahres nach der Annahme des Carnet TIR durch die Zollbehörden die Nichterledigung oder die Erledigung unter Vorbehalt schriftlich mitgeteilt haben. Das gleiche gilt, wenn die Erledigungsbescheinigung mißbräuchlich oder betrügerisch erwirkt worden ist, jedoch beträgt in diesen Fällen die Frist zwei Jahre.
(2) Die Aufforderung zur Entrichtung der in Artikel 8 Absätze 1 und 2 genannten Beträge ist an den bürgenden Verband frühestens drei Monate und spätestens zwei Jahre nach dem Tage der Mitteilung an den Verband zu richten, daß das Carnet nicht oder nur unter Vorbehalt erledigt oder die Erledigungsbescheinigung mißbräuchlich oder betrügerisch erwirkt worden ist. Ist jedoch innerhalb der genannten Frist von zwei Jahren die Sache zum Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens gemacht worden, so muß die Zahlungsaufforderung binnen einem Jahr nach dem Tage ergehen, an dem die gerichtliche Entscheidung rechtskräftig geworden ist."
Mit der Auslegung des - in Art 11 Abs 2 Satz 2 TIR-Abkommen (1978) enthaltenen - Begriffs „die Sache", die „zum Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens gemacht worden (ist)", hat sich bereits der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , 93/16/0162, auseinandergesetzt und ist im Zusammenhang mit den Art 8 Abs 1, 10 Abs 1 und 11 Abs 1 TIR-Abkommen (1978) zum Ergebnis gelangt, dass es sich dabei um jenen Komplex von Sach- und Rechtsfragen handelt, der sich auf den Umstand eines Zuwiderhandelns im Sinn des Art 8 Abs 1 TIR-Abkommen (1978) und damit auf den Grund des Vorbehalts gemäß Art 10 Abs 1 TIR-Abkommen (1978) bezieht. Dieses Verständnis führte im genannten Erkenntnis zum Ergebnis, dass ein Strafverfahren gegen jene Personen, die sich durch die inkriminierten Handlungen ua des versuchten schweren Betrugs sowie der Finanzvergehen des gewerbs- und bandenmäßigen Schmuggels schuldig gemacht hatten, als „gerichtliches Verfahren" im Sinn der genannten Regelung des Art 11 Abs 2 TIR-Abkommen (1978) galt. Diesem Auslegungsergebnis hat sich das Berufungsgericht in der insoweit durchaus vergleichbaren, hier vorliegenden Konstellation angeschlossen und eine Anspruchsverfristung unter Bedachtnahme auf den Abschluss des gegen die Täter eingeleiteten Strafverfahrens verneint.
1.3. Der Standpunkt der Beklagten, die den Begriff „gerichtliches Verfahren" nur auf Zivilverfahren zwischen der Zollbehörde und dem bürgenden Verband verstanden wissen will, ist schon mit dem Wortlaut des Abkommens nicht vereinbar, würde eine - durchaus verfahrensökonomische - Möglichkeit der Fristverlängerung zur Klärung des maßgeblichen Sachverhalts aufgrund eines gegen die Täter eingeleiteten Strafverfahrens zur Gänze ausschließen und die Möglichkeit einer verfahrensbedingten Fristverlängerung auf gänzlich unpraktische Fallkonstellationen reduzieren.
Die weitere Behauptung der Beklagten, mit dem in der englischen Fassung des TIR-Abkommens (1978) verwendeten Begriffs „legal proceedings" seien nur zivil-, nicht aber strafgerichtliche Verfahren gemeint, ist ebenfalls unzutreffend. Unter „legal proceedings" sind allgemein „Gerichtsverfahren" oder „Prozesse" gemeint (Dietl/Lorenz, Dictionary of Legal, Commercial und Political Terms6, 462; Köbler, Rechtsenglisch7, 364; Langenscheidt Alpmann, Fachwörterbuch Kompakt Englisch, 315). Eine Unterscheidung in „civil proceedings" (Zivilprozess) und „criminal proceedings" (Strafprozess; vgl Dietl/Lorenz, aaO, 120 und 194) erfolgt in Art 11 Abs 2 der englischen Fassung des TIR-Abkommens (1978) gerade nicht. Das vom Berufungsgericht gewonnene Auslegungsergebnis steht demnach mit dem insofern eindeutigen Inhalt des Art 11 Abs 2 TIR-Abkommen (1978) in Einklang. Die Beklagte zeigt in diesem Punkt keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Verletzung der gesetzlichen Auslegungsregeln durch das Berufungsgericht auf.
2.1. Die Beklagte ist der Ansicht, die Erfolglosigkeit der Einbringlichmachung der Forderung gegenüber den primär haftenden Personen sei nach Art 8 Abs 7 TIR-Abkommen (1978) Voraussetzung dafür, dass die Klägerin ihre Ansprüche gegenüber dem bürgenden Verband geltend machen könne.
2.2. Mit der Auslegung des Art 8 Abs 7 TIR-Abkommen (1978) hat sich der Oberste Gerichtshof bereits in 1 Ob 40/03v (= SZ 2003/61 = RdW 2003/484, 569) befasst; er ist dort zum Ergebnis gelangt, dass die vor Inanspruchnahme des bürgenden Verbands erforderliche Vorkehrung der Zollbehörde, die Entrichtung der fälligen Eingangsabgaben und Ausgangsabgaben - soweit möglich - von den unmittelbaren Abgabenschuldnern zu verlangen, lediglich der dem gemeinen Bürgen gebotenen Vorausmahnung des Zollschuldners entspricht. Die Bürgschaft des Verbands ist dagegen keine Ausfallbürgschaft (RIS-Justiz RS0117647). Einer neuerlichen Befassung mit diesem Thema bedarf es im vorliegenden Zusammenhang nicht, hat doch das Erstgericht festgestellt, dass die fraglichen Einfuhrzollschulden bei den Abgabenschuldnern uneinbringlich sind.
3.1. Die Beklagte macht geltend, die Zollbehörden hätten ihre Verpflichtungen aus dem TIR-Abkommen (1978) verletzt, weil sie zur Verhinderung betrügerischer Handlungen die A***** GmbH von weiteren Transporten ausschließen hätten müssen.
3.2. Nach den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen steht nicht fest, dass schon vor dem hier zu beurteilenden Transportfall die slowenischen Zollbehörden die Annahme von Carnet TIRs der A***** GmbH abgelehnt hätten. Es ist auch nicht erwiesen, dass beim hier vorgelegenen Carnet TIR die Trennabschnitte 2 nicht innerhalb einer Frist von 5 Tagen nach Beendigung des TIR-Verfahrens an die zentralen Stellen oder an die Abgangs- bzw Eintrittszollstellen retourniert worden seien. Auch im Übrigen fehlt es an erstgerichtlichen Feststellungen, nach denen eine Verletzung der von der Beklagten reklamierten Verpflichtung der Zollbehörden zur Durchführung stichprobenartiger Kontrollen erweislich wäre.
4.1. Die Beklagte meint, es habe deshalb an einer wesentlichen Voraussetzung eines TIR-Transports und damit für die Anwendbarkeit des TIR-Abkommens (1978) gefehlt, weil schon dem slowakischen Zoll keine gültigen Carnet TIRs vorgelegen seien. Da der Stempel des slowakischen Abgangszollamts gefälscht worden sei, könne ein TIR-Transport nicht begonnen und demnach auch kein Verfahren unter dem TIR-Regime in Österreich stattgefunden haben.
4.2. Der Oberste Gerichtshof hat sich in vergleichbarem Zusammenhang bereits in 1 Ob 40/03v (= SZ 2003/61 = RdW 2003/484, 569) mit der Frage der Haftung der bürgenden Verbände auseinandergesetzt. Danach beginnt die Haftung der bürgenden Verbände nach dem TIR-Verfahren gegenüber den Zollbehörden der Transitländer, durch die die Waren mit einem Carnet TIR befördert werden, jeweils mit der Einfuhr der Waren. Diese Haftung setzt die Annahme des Carnet TIR durch eine Abgangszollstelle nicht voraus (RIS-Justiz RS0117644; Art 8 Abs 4 TIR-Abkommen [1978]). Die Beklagte zeigt keine Gründe auf, die ein Abgehen von dieser Entscheidung nahelegen.
Die Beklagte macht demnach insgesamt keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO geltend; ihre außerordentliche Revision ist somit unzulässig und zurückzuweisen.
Fundstelle(n):
FAAAD-64268