OGH vom 01.09.2015, 6Ob54/15g
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ. Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei DDr. M***** W*****, gegen die beklagte Partei H***** K*****, vertreten durch Dr. Rudolf Wöran, Rechtsanwalt in Salzburg, als Verfahrenshelfer wegen Räumung und 15.900 EUR sA (Revisionsinteresse Räumung und 15.535 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 412/14p 66, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Text
Begründung:
Nach den Feststellungen der Vorinstanzen hatte der Vater der Beklagten und Großvater des Veräußerers jener Wohnung, in welcher die Beklagte seit 1997 wohnt und welche der Kläger 2012 erwarb, zu Weihnachten 1996 der Beklagten mündlich ein lebenslängliches dingliches Wohnrecht an dieser Wohnung eingeräumt; davon war der Veräußerer der Wohnung, der Sohn der Beklagten, dem der Großvater diese Wohnung 1998 „mit allen Rechten, wie der Geschenkgeber das Geschenkobjekt bisher besessen und benützt hat, oder doch zu besitzen und benützen berechtigt war“, schenkte, von Anfang an in Kenntnis. Anlässlich des Erwerbs der Wohnung nahm der Kläger, dem im Haus bereits eine andere Wohnung gehörte, eine Besichtigung nicht vor; er hatte die Wohnung allerdings zu Studentenzeiten einmal besucht gehabt, als der Sohn der Beklagten die Wohnung als Studentenbude genutzt hatte. Nach der Vertragsunterfertigung teilte ihm der Sohn der Beklagten mit, dass diese die Wohnung lediglich prekaristisch nutze, weshalb eine Räumung „problemlos“ erfolgen könne. Dennoch wiesen die Vorinstanzen sowohl das Räumungsbegehren als auch ein auf Benützungsentgelt gerichtetes Zahlungsbegehren ab.
Rechtliche Beurteilung
1. Der Kläger legt in seiner außerordentlichen Revision nicht näher dar, worin er eine wesentliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zu erkennen glaubt; er geht lediglich davon aus, dass das Berufungsgericht die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs „unrichtig angewendet“ habe. Im Übrigen versucht er unzulässigerweise, die von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen zu bekämpfen beziehungsweise beruft er sich auf einen angeblichen Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens, dessen Vorliegen aber schon das Berufungsgericht verneinte (vgl auch RIS Justiz RS0042963).
2. Die Vorinstanzen haben die Gutgläubigkeit des Klägers beim Erwerb der Wohnung verneint und dies auch ausführlich begründet.
Der erkennende Senat hat erst jüngst ausgeführt (6 Ob 73/13y):
Eine nicht verbücherte, nicht offenkundige Dienstbarkeit erlischt durch den gutgläubigen Erwerb des belasteten Grundstücks (RIS Justiz RS0012151 ). Die Berufung auf die Gutgläubigkeit beim Erwerb einer Liegenschaft hinsichtlich der Freiheit von Dienstbarkeiten ist nur möglich, wenn keine Umstände vorliegen, die bei gehöriger Aufmerksamkeit den wahren vom Grundbuchstand abweichenden Sachverhalt erkennen lassen (RIS Justiz RS0011676 ). Gutgläubigkeit ist schon bei leichter Fahrlässigkeit ausgeschlossen (RIS Justiz RS0011676 [T19]). Ein Fall, der zum Verlust des guten Glaubens führen kann, ist die Offenkundigkeit einer Dienstbarkeit (RIS Justiz RS0107843 ). Für den Begriff der offenkundigen Dienstbarkeit ist es wesentlich, ob man vom dienenden Grundstück aus bei einiger Aufmerksamkeit Einrichtungen oder Vorgänge wahrnehmen kann, die das Bestehen einer Dienstbarkeit vermuten lassen. In jüngerer Zeit hat die Rechtsprechung im Einzelfall auch die Offenkundigkeit von persönlichen Dienstbarkeiten wie Wohnungsdienstbarkeiten bejaht (RIS Justiz RS0011633 [T6, T 7]).
Die Wahrnehmbarkeit äußerer Anzeichen für das Bestehen einer allfälligen Dienstbarkeit und damit zusammenhängend die Frage nach einer allfälligen Erkundigungspflicht des Käufers einer Liegenschaft, dem deren Lastenfreiheit zugesichert wurde, können nur nach den besonderen Umständen des jeweiligen Einzelfalls beurteilt werden (vgl RIS Justiz RS0113777 ). Die Frage, ob hier eine offenkundige Dienstbarkeit vorlag und ob der Erwerber hinsichtlich der Lastenfreiheit von Dienstbarkeiten gutgläubig war, wäre daher nur dann vom Obersten Gerichtshof zu beurteilen, wenn dem Berufungsgericht eine auffallende Fehlbeurteilung unterlaufen wäre.
Ebenfalls einzelfallbezogen ist die Frage zu beurteilen, ob den Erwerber im konkreten Fall eine Erkundigungspflicht getroffen hätte (10 Ob 54/05x; 4 Ob 232/13s) beziehungsweise ob in diesem Fall die Dienstbarkeit für ihn offenkundig geworden wäre.
3. Der Kläger bezieht sich somit in seiner außerordentlichen Revision weitgehend auf überholte Rechtsprechung, wenn er die Meinung vertritt, persönliche Dienstbarkeiten könnten nicht offenkundig sein. Es liegt auch keine auffallende Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen insoweit vor, als sie dem Kläger einen Verstoß gegen die ihn treffenden Erkundigungspflichten vorwarfen und deshalb seine Gutgläubigkeit verneinten. Auch wenn insoweit die Sorgfaltsanforderungen an den Erwerber nicht überspannt werden dürfen und dieser das Bestehen nicht verbücherter Benützungsrechte nicht geradezu vermuten muss (etwa 7 Ob 95/03a), so ist es doch ständige Rechtsprechung, dass das Grundbuch für Dienstbarkeiten von vornherein eine geringere Aussagekraft besitzt, weil diese Rechte erfahrungsgemäß nicht immer lückenlos verbüchert sind (RIS Justiz RS0011669); dieser Umstand muss aber gerade einem Rechtsanwalt bekannt sein. Dass sich der Kläger, wie er nun in der außerordentlichen Revision ausführt, nach einer allfälligen Vermietung der Wohnung erkundigt hätte, entspricht nicht den getroffenen Feststellungen. Dazu kommt, dass der Kläger von einer Besichtigung der Wohnung vor Vertragsunterfertigung Abstand nahm, obwohl er diese nur mehr als 15 Jahre zuvor einmal betreten hatte; dennoch bestätigte er im Kaufvertrag, „das Kaufobjekt selbst besichtigt zu haben und daher aus eigener Wahrnehmung genau zu kennen“.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2015:0060OB00054.15G.0901.000
Fundstelle(n):
AAAAD-63801