OGH vom 16.04.2013, 3Ob60/13i
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Univ.-Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der (nunmehr volljährigen) Antragstellerin L*****, vertreten durch Dr. Angela Lenzi, Rechtsanwältin in Wien, gegen den Antragsgegner R*****, wegen Unterhalts, über den Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 48 R 186/12a 234, womit infolge Rekurses der Antragstellerin der Beschluss des Bezirksgerichts Donaustadt vom , GZ PU 340/10i 218, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache dem Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.
Text
Begründung:
Mit Beschluss des Erstgerichts vom , ON 202, wurde ua zum Teil einem Antrag des Vaters auf Unterhaltsherabsetzung stattgegeben und ein Antrag seiner am geborenen Tochter, vertreten durch die Mutter als gesetzliche Vertreterin, auf Unterhaltserhöhung zur Gänze abgewiesen. Die Zustellung dieses Beschlusses an die Mutter erfolgte am . Diese erhob dagegen in Vertretung ihrer Tochter einen am beim Erstgericht überreichten Rekurs, ON 205, der vom Rekursgericht, das gleichzeitig einem Rekurs des Vaters gegen ON 202 (rechtskräftig) nicht Folge gab, mit Beschluss vom , ON 212, zugestellt am , als verspätet zurückgewiesen wurde, weil die Rekursfrist schon am geendet habe.
Daraufhin überreichte die Mutter am namens der Antragstellerin einen Wiedereinsetzungsantrag , verbunden mit einem Rekurs gegen ON 202, beim Erstgericht. Darin brachte sie ua vor, erst mit Zustellung des Beschlusses ON 212 hätten ihre Tochter und sie erstmals von der Verspätung des Rekurses Kenntnis erlangt; als Gründe für die Wiedereinsetzung machte sie neben der Vielzahl von weiteren gerichtlichen Zustellungen, Rekursen, Äußerungen und Stellungnahmen im zeitlichen Zusammenhang mit der Zustellung von ON 212 auch geltend, sie habe die Rekursfrist wegen der eigenen und der Erkrankung ihrer Tochter um einen Tag zu spät auf den vorgemerkt und den Rekurs deshalb unbewusst um einen Tag verspätet abgegeben. Ihre Tochter sei am von einer Schulsprachwoche in Irland mit einem grippalen Infekt in schlechtem Zustand zurückgekehrt und habe in der Folge gepflegt werden müssen; wegen eines schon im Jänner 2010 von ihrer Tochter erlittenen Gehörsturzes dritten Grades habe sich die Mutter in erster Linie um deren Gesundheit gekümmert. Am 23. und 24. Februar sei auch die Mutter erkrankt. Sie sei keine Juristin, dennoch sei ihr eine verspätete Eingabe zum ersten Mal passiert, dies aufgrund der unvorhergesehenen und unabwendbaren Ereignisse. Zur Bescheinigung ihrer Behauptungen legte die Mutter zahlreiche Schriftstücke vor und berief sich sowohl auf ihre Einvernahme als auch jene von Zeugen.
Das Erstgericht wies den Antrag ab (ON 218). Es traf nur Feststellungen zur ohnehin unstrittigen Verspätung des Rekurses ON 205, nicht aber zu den behaupteten Gründen für die Verspätung. Rechtlich folgerte es, die Mutter habe trotz der Krankheit ihrer Tochter rechtzeitig Kenntnis von dem Beschluss erlangt. Aufgrund der zahlreichen Gerichtsverfahren und der dem Beschluss angeschlossenen Rechtsmittelbelehrung hätte sie wissen müssen, dass die Rekursfrist am ende.
Das Rekursgericht gab dem wegen zwischenzeitigem Eintritt der Volljährigkeit der Tochter von dieser genehmigten Rekurs dagegen nicht Folge (ON 234). Amtsbekannt sei, dass die Mutter aufgrund zahlreicher anhängiger Gerichtsverfahren im Umgang mit Gerichten vertraut sei und ihr daher insbesondere die Bedeutung der Rechtsmittelfristen bekannt sein müsse. Eine unrichtige Berechnung der Frist sei daher grundsätzlich also ohne Hinzutreten besonderer Umstände - als grober Fehler, der eine Bewilligung der Wiedereinsetzung ausschließe, zu qualifizieren. Es seien zwar derartige besondere Umstände, nämlich eine unerwartet intensive Beschäftigung mit anderen Gerichtssendungen und die Erkrankung ihrer Tochter, behauptet worden. Eine Bescheinigung dieser Behauptungen sei ihr jedoch nicht gelungen, weil sämtliche von der Rekurswerberin als Bescheinigungsmittel vorgelegten Urkunden nicht den Zeitraum beträfen, der für die Erhebung des Rekurses offen gestanden sei. Der ordentliche Revisionsrekurs wurde für nicht zulässig erklärt, weil eine erhebliche Rechtsfrage nicht zu klären gewesen sei.
Über Zulassungsvorstellung der Antragstellerin änderte das Rekursgericht den Zulässigkeitsausspruch ab. Für seine Auffassung, dass sämtliche von der Antragstellerin vorgelegten Bescheinigungsmittel nicht aus dem Zeitraum 23. Februar bis stammten, sei es bei Bestimmung des Beginns und des Ablaufs der von der Antragstellerin versäumten Rekursfrist von offensichtlich unrichtigen Zeitpunkten ausgegangen. Zur Wahrung der Rechtssicherheit sei daher die Anrufung des Obersten Gerichtshofs zu ermöglichen.
In ihrem Revisionsrekurs macht die Antragstellerin ua geltend, das Rekursgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, die Wiedereinsetzungsgründe seien nicht bescheinigt worden. Das Rekursgericht habe offensichtlich der Entscheidung eine andere Rekursfrist als die hier in Rede stehende vom 22. Februar bis zugrunde gelegt, weil die geltend gemachten Umstände sehr wohl in die Rekursfrist gefallen seien. Daraus leitet die Antragstellerin sowohl Nichtigkeit der Rekursentscheidung als auch unrichtige rechtliche Beurteilung ab. Wegen fehlender Feststellungen würden auch sekundäre Feststellungsmängel bestehen. Überdies habe das Rekursgericht an das Verhalten der berufstätigen Mutter der Antragstellerin zu Unrecht denselben Maßstab wie an berufsmäßige Parteienvertreter angelegt. Auch wenn diese teilweise mit dem Gerichtsablauf vertraut sei und Fristen kenne, sei sie dennoch nur juristische Laiin, deren irrtümlich fehlerhafte Eintragung einer Rekursfrist nicht von vornherein als grober Fehler zu qualifizieren sei.
Der Vater trat dem in seiner Revisionsrekursbeantwortung entgegen. Gerade das Wissen um eine Vielzahl erforderlicher Büroarbeiten erfordere entsprechende Gewissenhaftigkeit, die die Mutter, die nicht einmal die Vornahme einer Fristenevidenz behauptet habe, gröblich verletzt habe. Dieses grobe Verschulden müsse sich die Antragstellerin zurechnen lassen.
Rechtliche Beurteilung
Die Anfechtung der Bestätigung der Abweisung eines Wiedereinsetzungsantrags (§ 21 AußStrG) ist im Außerstreitverfahren nicht jedenfalls ausgeschlossen, sondern zulässig, wenn die Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG vorliegen (RIS-Justiz RS0121841). Obwohl der Beurteilung, ob ein Fehlverhalten über den minderen Grad eines Versehens hinausgeht, regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung zukommt (RIS-Justiz RS0116535), ist der Revisionsrekurs zulässig , weil die Rechtsansicht des Rekursgerichts, der Mutter sei die unrichtige Berechnung der Rekursfrist als grober Fehler anzulasten, der die Bewilligung der Wiedereinsetzung ausschließe, eine aus Gründen der Rechtssicherheit korrekturbedürftige Fehlbeurteilung darstellt; er ist auch im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt .
1. Die von der Antragstellerin in der unrichtigen Begründung des Rekursgerichts erblickte Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 9 ZPO (richtig: § 57 Z 1 AußStrG) ist nicht gegeben. Es liegt nämlich weder ein Widerspruch im Spruch der Entscheidung selbst vor noch ist eine Überprüfung der angefochtenen Entscheidung unmöglich (RIS-Justiz RS0121710).
2. Da die Vorinstanzen keine Feststellungen zu den im Wiedereinsetzungsantrag geltend gemachten Umständen getroffen haben, ist zu prüfen, ob zumindest ein tauglicher Wiedereinsetzungsgrund behauptet wurde. Das ist aus folgenden Gründen zu bejahen.
3.1. § 21 AußStrG ordnet an, dass die Bestimmungen der ZPO über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, ausgenommen § 154, sinngemäß anzuwenden sind, wenn der aus der Versäumung einer Frist oder Tagsatzung entstehende Rechtsnachteil nicht durch ein Rechtsmittel oder einen neuen Antrag abgewendet werden kann.
3.2. Nach § 146 Abs 1 ZPO ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn eine Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ua an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozesshandlung verhindert wurde, wobei ein minderer Grad des Versehens, das heißt leichte Fahrlässigkeit, die Wiedereinsetzung nicht hindert. Leichte Fahrlässigkeit liegt dann vor, wenn der Fehler auch einem sorgfältigen Menschen gelegentlich unterläuft, als grob fahrlässig ist hingegen ein Verhalten dann zu bewerten, wenn dieses auf auffallende Sorglosigkeit des Wiedereinsetzungswerbers zurückzuführen ist, der Fehler also einem ordentlichen Menschen in dieser Form regelmäßig nicht passiert. Stets ist aber im Einzelfall unter Bedachtnahme auf die persönlichen Verhältnisse zu entscheiden, ob das sorgfaltswidrige Verhalten erheblich von dem eines maßgerechten Durchschnittsmenschen abweicht (3 Ob 175/03m; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny ² § 146 Rz 55 mwN).
Der Wiedereinsetzungswerber (bzw sein Vertreter: § 39 ZPO) darf nicht auffallend sorglos gehandelt haben; er darf somit die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht in diesem Sinne außer Acht gelassen haben (RIS-Justiz RS0036800). An das Maß der zur Annahme eines unvorhergesehenen Ereignisses erforderlichen Aufmerksamkeit und Voraussicht ist zwar ein strenger Maßstab anzulegen, doch darf dies nicht zu einer Überspannung der an die Partei oder an deren Vertreter zu stellenden Anforderungen führen. Es ist jenes Maß zu fordern, wie es nach der Lebenserfahrung von einer vernünftigen und durchschnittlich gewissenhaften Person angesichts der Bedeutung der vorzunehmenden Handlung unter den gegebenen Umständen aufgewendet zu werden pflegt (4 Ob 507/77 = RIS-Justiz RS0036696).
Grobes Verschulden des Vertreters und dessen Hilfskräfte bei Versäumung befristeter Prozesshandlungen ist im Wiedereinsetzungsverfahren der Partei zuzurechnen (RIS Justiz RS0111777; RS0036729). Dabei ist an rechtskundige Personen, insbesondere an berufsmäßige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen, als an rechtsunkundige Parteien (RIS-Justiz RS0036784). Ein Verschulden eines Kanzleiangestellten/Mitarbeiters steht der Bewilligung der Wiedereinsetzung dann nicht entgegen, wenn es sich um ein einmaliges Versehen handelt, das angesichts der bisherigen Verlässlichkeit und Bewährung nicht zu erwarten war und dem Rechtsvertreter/der Partei nicht die Verletzung der von ihm/ihr zu erwartenden Sorgfalts-, Organisations- und Kontrollpflichten vorgeworfen werden muss (RIS-Justiz RS0036813 [T5 und T 7]). Auch das Verschulden ihres gesetzlichen Vertreters ist der Partei zuzurechnen ( Deixler-Hübner § 146 Rz 53).
3.3. Den Behauptungen im Wiedereinsetzungs-antrag ist zu entnehmen, dass sich die zwar im Verkehr mit Gerichten nicht unerfahrene, dennoch aber nicht juristisch ausgebildete und deshalb als juristischer Laie zu qualifizierende Mutter der Antragstellerin nach Erhalt der Entscheidung des Erstgerichts ON 202 das Ende der für eine Rekurserhebung dagegen zur Verfügung stehenden Frist vormerkte. Das Argument in der Revisionsrekursbeantwortung, es sei nicht einmal die Vornahme einer Fristenevidenz behauptet worden, erweist sich somit als aktenwidrig und unbeachtlich. Die Vormerkung des Endes der Rekursfrist, die ja eine Auseinandersetzung mit deren Beginn und Dauer voraussetzt, stellt jedenfalls ein Verhalten dar, das gegenüber Rechtsunkundigen keinen Vorwurf einer Sorgfaltswidrigkeit erlaubt. Fehlerhaft war lediglich die Ermittlung des letzten Tags der Frist, der irrtümlich nicht mit dem 7. sondern mit dem angenommen wurde. Bedenkt man den notorischen Umstand, dass es sich beim Jahr 2012 um ein Schaltjahr handelte, weshalb der Februar ausnahmsweise 29 Tage zählte und die 14-tägige Rekursfrist einen Tag früher im März 2012 endete als sie in einem Normaljahr geendet hätte, so kann in dem dargestellten Irrtum und dessen Nichterkennen der gesetzlichen Vertreterin stand ja keine private Kanzleiorganisation mit möglichen Kontrollmechansismen zur Verfügung keineswegs eine auffallende Sorglosigkeit erkannt werden. Vielmehr passierte der Mutter der Antragstellerin die Richtigkeit ihrer Behauptungen unterstellt ein Fehler, wie er jedem sorgfältigen Menschen gelegentlich passieren kann, sodass er der Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht entgegensteht.
Darauf, ob der Fehler der Mutter durch weiteren Schriftverkehr und/oder ihre eigene Erkrankung sowie jene ihrer Tochter ausgelöst oder begünstigt war, kommt es dann nicht mehr an, weil auch ohne das Vorliegen derartiger Umstände grobe Fahrlässigkeit der Mutter im Umgang mit der Entscheidung ON 202 und deren beabsichtigter Bekämpfung zu verneinen ist.
4.1. Ist die Prozesshandlung durch einen Irrtum versäumt worden, beginnt die Frist für den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit dessen möglicher Aufklärung, sofern diese durch auffallende Sorglosigkeit unterblieben ist (RIS-Justiz RS0036742). Das Hindernis ist jedenfalls dann weggefallen, wenn der Partei selbst unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Möglichkeiten unter Bedachtnahme auf die im § 147 Abs 3 ZPO zum Ausdruck gebrachten Handlungspflicht zugemutet werden kann, die Prozesshandlung nachzuholen (RIS-Justiz RS0036621 [T1]). Bei der Beurteilung, ob die mögliche Aufklärung durch auffallende Sorglosigkeit unterblieben ist, darf kein strengerer Maßstab angelegt werden als bei der Versäumung der Frist selbst (RIS-Justiz RS0036827; RS0036608).
4.2. Auch in diesem Zusammenhang ist daher zu berücksichtigen, dass es sich bei der gesetzlichen Vertreterin der Antragstellerin um keine Juristin handelt, weshalb jener strenge Sorgfaltsmaßstab, der an berufsmäßige Parteienvertreter in diesem Zusammenhang angewendet wird (vgl RIS-Justiz RS0036590; Gitschthaler in R echberger ³ §§ 148-149 ZPO Rz 8 f) für sie nicht gilt. Auch im Erkennen des Irrtums über das Ende der Rekursfrist erst mit Zustellung der zurückweisenden Rekursentscheidung ON 212 wie dies ebenso behauptet wurde kann daher ebenfalls keine auffallende Sorglosigkeit der Mutter der Antragstellerin erblickt werden.
5. Zusammengefasst enthält der Wiedereinsetzungsantrag die Behauptung tauglicher Gründe, weshalb das Erstgericht zur Aufnahme der dafür angebotenen Bescheinigungsmittel und zu Sachverhaltsfeststellungen verpflichtet gewesen wäre. Das wird im zweiten Rechtsgang nachzuholen sein.