OGH vom 18.09.1991, 1Ob583/91
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann, Dr.Schlosser, Dr.Graf und Dr.Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Republik Österreich (Österreichische Bundesbahnen), vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1., Singerstraße 17-19, wider die beklagte Partei Johanna S***** OHG, *****, vertreten durch Dr.Roland Kassowitz, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien als Berufungsgerichtes vom 28.Feber 1991, GZ 41 R 97/91-9, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Fünfhaus vom , GZ 6 C 2006/90-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß
gefaßt:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 2.720 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Text
Begründung:
Das Erstgericht erkannte die Aufkündigung als wirksam und trug der beklagten Partei auf, den Bestandgegenstand - einen näher bezeichneten Verkaufsraum in der Kassenhalle des Wiener Westbahnhofes samt einem Raum im Verbindungstrakt dieses Bahnhofes und einem weiteren Raum im Keller - geräumt von ihren Fahrnissen der klagenden Partei binnen 14 Tagen zu übergeben.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Diesen Ausspruch begründete es damit, die Frage, ob die Vermietung von Räumen im Bahnhofsgebäude zum Betrieb von Verkaufsständen, an welchen die Reisenden mit dem Nötigsten versorgt werden sollen, als im Rahmen des Betriebs des Verkehrsunternehmens geschlossen anzusehen sei, in der veröffentlichten Rechtsprechung bisher nicht erörtert worden sei.
Die von der beklagten Partei erhobene Revision ist nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision gegen das Urteil des Berufungsgerichtes nur zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer dort näher bezeichneten Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt. Eine solche Rechtsfrage zeigt die beklagte Partei - wie im folgenden zu zeigen sein wird - jedoch nicht auf; die von den Vorinstanzen bloß im Ergebnis richtig getroffene Entscheidung in der Sache ist auch von der Lösung einer solchen Rechtsfrage nicht abhängig, weil das aufgekündigte Bestandverhältnis - worauf die klagende Partei in der Revisionsbeantwortung zutreffend hinweist - nicht als Geschäftsraummiete, sondern als Unternehmenspacht zu beurteilen ist:
Für die Unterscheidung zwischen Geschäftsraummiete und Unternehmenspacht lassen sich zwar keine allgemein gültigen Regeln aufstellen, sondern es kommt stets auf die Gesamtheit aller erheblichen Umstände des Einzelfalles an, doch ist ein Bestandverhältnis im allgemeinen als Unternehmenspacht zu beurteilen, wenn es ein lebendes Unternehmen, also eine organisierte Erwerbsgelegenheit mit jenen Merkmalen, die unter dem Begriff good will zusammengefaßt werden, zum Gegenstand hat (JBl 1989, 310 und 312; SZ 58/8 uva). Neben den Räumlichkeiten muß dem Bestandnehmer in der Regel also auch all das überlassen werden, was für den Betrieb des in Bestand gegebenen Unternehmens und dessen wirtschaftlichen Fortbestand notwendig ist, somit die Betriebsmittel, wie die Geschäftseinrichtung und das Warenlager, der Kundenstock, das erforderliche Personal und die Gewerbeberechtigung. Das bedeutet allerdings noch nicht, daß im Einzelfall all diese Merkmale gleichzeitig zutreffen müssen, um Unternehmenspacht annehmen zu können. Fehlt es an einzelnen für die Überlassung eines Unternehmens zu dessen Betrieb typischen Merkmalen, so ist entscheidend, ob die dafür maßgeblichen Elemente in wirtschaftlicher Hinsicht überwiegen (SZ 58/8; MietSlg 32.262/23 uva).
Der erkennende Senat hat mit seinen Entscheidungen vom , 1 Ob 549/90 (teilweise veröffentlicht in Jus Extra 1990/439) - in einem Fall, in dem die klagende Partei einer Reisebürogesellschaft Räumlichkeiten auf einem anderen, ähnlich bedeutenden Bahnhof zur Durchführung des Geldwechseldienstes sowie zum Betrieb der Zimmervermittlung und einer Auskunftsstelle zu vergleichbaren Bedingungen überlassen hatte - und vom , 1 Ob 567/90 (teilweise veröffentlicht in Jus Extra 1990/669, 673, 676 und 677 sowie in exolex 1991, 165), die die Überlassung eines Kiosks am Wiener Westbahnhof zu gleichen Bedingungen zum Gegenstand hatte, ausgesprochen, daß Einrichtungen wie das dort betriebene Unternehmen auf großen Bahnhöfen - ähnlich wie solche Betriebe in Großhotels udgl - in erster Linie dazu dienen, die Reisenden mit Waren bzw Dienstleistungen zu versorgen, die diese gerade auf großen Bahnhöfen erwarten, sich deshalb häufig erst dort damit eindecken und somit auf solche Einrichtungen angewiesen sind. Andererseits könnten derartige Unternehmen ohne den durch den Hauptbetrieb gesicherten Kundenkreis gar nicht bestehen, sodaß ihr Erfolg ganz entscheidend von diesem Hauptbetrieb und dessen Umfang abhängig ist, wogegen der Tüchtigkeit des Unternehmers des Nebenbetriebes für den Unternehmenserfolg nur ein geringer Stellenwert beizumessen ist. Kunden, die nicht auch die Dienste des Hauptbetriebes in Anspruch nehmen, spielen für den Nebenbetrieb daher nur eine untergeordnete Rolle. Bei solcher betrieblicher Verknüpfung steht deshalb nicht die Überlassung von Räumen im Mittelpunkt, sondern es sind die Überlassung einer schon seit langer Zeit bestehenden Erwerbsgelegenheit, insbesondere die Überlassung eines gesicherten Kundenstockes an den Bestandnehmer, sowie die - noch näher zu erörternde - Betriebspflicht von ausschlaggebender Bedeutung. Dagegen treten die vom Bestandnehmer angeschaffte - letztlich unbedeutende - Geschäftseinrichtung und die Gewerbeberechtigung nachgerade in den Hindergrund, zumal der Pächter eines Gewerbes ohnedies den für dessen Ausübung vorgeschriebenen persönlichen Voraussetzungen entsprechen muß (§ 40 Abs 2 GewO 1973).
Maßgebliches Kriterium der Unternehmenspacht ist auch die Betriebspflicht. Punkt 2, 1, wonach der Pächter zur ordnungsgemäßen Betriebsführung während der festgesetzten Betriebszeit verpflichtet ist, und Punkt 2, 2 AVN-1965, die - ebenso wie in den zitierten Fällen - in den Bestandvertrag mit der beklagten Partei ausdrücklich einbezogen sind, ist die Betriebspflicht des (jeweiligen) Bestandnehmers impliziert, weil dieser danach nicht nur zum ordnungsgemäßen Betrieb während der Geschäftszeit verpflichtet ist, sondern die Geschäftszeiten vom Bestandgeber festgesetzt werden. Daß dieser am Betrieb des Unternehmens besonderes Interesse hat, folgt im übrigen nicht zuletzt auch aus seiner Beteiligung am steuerpflichtigen Umsatz, wenngleich diese Beteiligung für sich allein noch keinen verläßlichen Schluß auf die Unternehmenspacht zuließe (vgl NRSp 1990, 87).
Das Bestandverhältnis zwischen den Streitteilen ist deshalb eine nicht mit gesetzlichem Kündigungsschutz ausgestattete Unternehmenspacht, sodaß es auf die von den Vorinstanzen bejahte Frage, ob das Bestandverhältnis vom Anwendungsbereich des Mietrechtsgesetzes gemäß dessen § 1 Abs 2 Z 1 ausgeschlossen sein könnte, überhaupt nicht ankommt.
Ist somit das Bestandverhältnis im Sinne dieser Rechtsprechung als Unternehmenspacht zu beurteilen, ist den ausschließlich auf die mietrechtlichen Eingriffsnormen gestützten Einwendungen der beklagten Partei der Boden entzogen; die Entscheidung des Berufungsgerichtes erweist sich im Ergebnis als richtig, ohne daß sie von der Lösung einer im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO erheblichen Rechtsfrage abhängig ist.
Die Revision ist deshalb zurückzuweisen; einer weitergehenden Begründung bedarf dieser Beschluß nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO; die klagende Partei hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision ausdrücklich hingewiesen.