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OGH 24.01.2018, 7Ob1/18z

OGH 24.01.2018, 7Ob1/18z

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Ing. P***** V*****, 2. Bc. A***** V*****, beide *****, 3. E***** a.s., 4. E***** a.s., 5. V***** a.s., 6. E***** a.s. und 7. B***** s.r.o., dritt- bis siebtklagende Partei *****, alle vertreten durch Alix Frank Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. W***** AG, *****, 2. C***** a.s., *****, und 3. S*****, alle vertreten durch e|n|w|c Natlacen Walderdorff Cancola Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung, über den Revisionsrekurs der klagenden Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom , GZ 3 R 27/16m-5, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau vom , GZ 3 Cg 18/16h-2, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

I. Das mit Beschluss vom , AZ 7 Ob 148/16i, gemäß § 90a GOG ausgesetzte Verfahren wird von Amts wegen fortgesetzt.

II. Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

III. Die Kläger sind schuldig, den Beklagten binnen 14 Tagen 2.664,03 EUR (darin 444 EUR an Umsatzsteuer) an Kosten zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Kläger begehrten die Feststellung der Haftung der Beklagten für die aus der rechtswidrigen Ablehnung des Sanierungsplans durch die Beklagten in ihrer Funktion als Mitglieder des Gläubigerausschusses im Sanierungsverfahren der V***** s.r.o. resultierenden Schäden. Bei der V***** s.r.o. handle es sich um eine Gesellschaft nach slowakischem Recht, über deren Vermögen in der Slowakei ein Konkursverfahren eröffnet worden sei. In dem eingeleiteten Sanierungsverfahren seien die Beklagten zu den (einzigen) Mitgliedern des Gläubigerausschusses bestellt worden. In dieser Funktion hätten sie in der Sitzung vom den von der Gemeinschuldnerin vorgelegten Sanierungsplan ohne nachvollziehbare Begründung abgelehnt, weshalb das Sanierungsverfahren gescheitert sei. Im daraufhin (neuerlich) eröffneten Konkursverfahren werde es zur Verwertung des Vermögens der Gemeinschuldnerin kommen. Aus diesem Grund würden der Erstkläger und die Zweitklägerin einen massiven Wertverlust der von ihnen an der Gemeinschuldnerin gehaltenen Geschäftsanteile und einen Gewinnentgang erleiden. Die Dritt- bis Siebtklägerinnen seien als Projektgesellschaften durch das wegen der Ablehnung des Sanierungsplans drohende Scheitern von Bauprojekten bzw deren Verzögerungen geschädigt. Die Beklagten hätten die allgemeine Präventionsobliegenheit nach § 415 slowakisches BGB sowie ihre Pflichten nach der slowakischen Insolvenzordnung als Mitglieder des Gläubigerausschusses verletzt, insbesondere nicht im gemeinsamen Interesse aller Gläubiger gehandelt, und seien daher nach § 420 slowakisches BGB haftpflichtig für die eingetretenen Schäden.

Zur Zuständigkeit beriefen sich die Kläger auf Art 4 und 8 EuGVVO 2012. Eine vom Anwendungsbereich der EuGVVO 2012 ausgenommene Insolvenzsache im Sinn des Art 1 Abs 2 lit b EuGVVO 2012 liege nicht vor. Die Rechtsgrundlage des Feststellungsbegehrens liege nicht im Insolvenzrecht, sondern im allgemeinen Schadenersatzrecht. Das Verfahren habe keinen spezifisch insolvenzrechtlichen Inhalt und diene keinem spezifisch insolvenzrechtlichen Zweck.

Das Erstgericht wies die Klage – vor Zustellung der Klage an die Beklagten a limine – wegen fehlender internationaler Zuständigkeit zurück. Das Klagebegehren sei untrennbar mit der Funktion der Beklagten als Mitglieder des Gläubigerausschusses und den sich daraus ergebenden Pflichten nach der slowakischen Insolvenzordnung verbunden. Die Klage leite sich daher unmittelbar aus dem Insolvenzrecht ab und stehe damit in engem Zusammenhang. Die Klage sei somit nach Art 1 Abs 2 lit b EuGVVO 2012 von deren Anwendungsbereich ausgenommen; auf sie sei die EuInsVO anzuwenden.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss. Den Kernpunkt des Verfahrens stelle der Vorwurf dar, dass die Beklagten als Mitglieder des Gläubigerausschusses – und damit eines nach slowakischem Recht obligatorischen Organs im Insolvenzverfahren – gegen ihre in der slowakischen Insolvenzordnung normierten Verpflichtungen verstoßen hätten. Nicht maßgeblich sei, in welchem Gesetz die Anspruchsgrundlage geregelt sei. Die Klage diene dem Zweck des Insolvenzverfahrens, indem sie ein obligatorisches Organ anhalte, seinen Pflichten im Verfahren und zum Nutzen der Gläubigergesamtheit nachzukommen. Die Klage unterliege als Annexverfahren zum Insolvenzverfahren der Ausnahmebestimmung des Art 1 Abs 2 lit b EuGVVO 2012.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Zur Frage, ob eine Haftungsklage wie die gegenständliche als insolvenzähnliches Annexverfahren anzusehen sei, liege keine Rechtsprechung vor.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Kläger mit dem Antrag auf Abänderung dahin, dass das Erstgericht für sachlich und örtlich zuständig erklärt werde. Hilfsweise stellen die Kläger auch einen Aufhebungsantrag.

Aufgrund des Revisionsrekurses hat der Senat mit Beschluss vom , AZ 7 Ob 148/16i, dem EuGH gemäß Art 267 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt und das Verfahren ausgesetzt:

Ist Art 1 Abs 2 lit b der Verordnung (EU) Nr 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO 2012) dahin auszulegen, dass eine auf einen deliktischen Schadenersatzanspruch gegen Mitglieder eines Gläubigerausschusses wegen ihres rechtswidrigen Abstimmungsverhaltens über einen Sanierungsplan in einem Insolvenzverfahren gestützte Klage der Inhaber von Geschäftsanteilen an der Gemeinschuldnerin – wie des Erstklägers und der Zweitklägerin – und der in Geschäftsbeziehung mit der Gemeinschuldnerin stehenden Projektgesellschaften – wie der Dritt- bis Siebtklägerinnen – im Sinn von Art 1 Abs 2 lit b EuGVVO 2012 die Insolvenz betrifft und daher vom sachlichen Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgeschlossen ist?

Der , wie folgt geantwortet:

Art 1 Abs 2 lit b der Verordnung (EU) Nr 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass diese Bestimmung auf eine deliktische Schadenersatzklage anzuwenden ist, die gegen Mitglieder eines Gläubigerausschusses wegen ihres Verhaltens bei einer Abstimmung über einen Sanierungsplan in einem Insolvenzverfahren erhoben worden ist, und dass eine solche Klage folglich vom sachlichen Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen ist.

Nach Vorliegen der Vorabentscheidung ist das Revisionsrekursverfahren fortzusetzen.

Rechtliche Beurteilung

In der Sache ist der Revisionsrekurs aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig; er ist aber nicht berechtigt.

1. Aufgrund der Vorabentscheidung ist davon auszugehen, dass die von den Klägern erhobene deliktische Schadenersatzklage gegen Mitglieder des Gläubigerausschusses wegen ihres Verhaltens bei einer Abstimmung über den Sanierungsplan im Insolvenzverfahren zufolge Art 1 Abs 2 lit b EuGVVO 2012 vom sachlichen Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen ist. Vielmehr fällt die Klage in den Anwendungsbereich des hier noch maßgeblichen (vgl Art 92 EuInsVO 2015; Hänel in Vallender, EuInsVO 2015, Art 6 Rn 28) Art 3 Abs 1 EuInsVO 2000.

2. Nach herrschender Ansicht wurde (vor Inkrafttreten des Art 6 Abs 1 EuInsVO 2015), insbesondere dem (Seagon/Deko Marty = AnwBl 2009/8195 [Duursma-Kepplinger]) folgend, die internationale Zuständigkeit für Annexverfahren aus Art 1 Abs 2 lit b EuGVÜ/EuGVVO im Zusammenhalt mit Art 3 Abs 1 EuInsVO 2000 abgeleitet (vis attractiva concursus; lex fori concursus) und insoweit eine (jedenfalls für die vorliegende Konstellation) ausschließliche internationale Zuständigkeit des Mitgliedstaats der Insolvenzeröffnung (hier: Slowenien) angenommen (vgl BGH IX ZR 39/06; Duursma-Kepplinger, AnwBl 2009/8195 [Entscheidungsanmerkung] mwN; Pannen, Europäische Insolvenzordnung, Art 3 EuInsVO Rn 96 ff; vgl insb zur Entstehungsgeschichte des Art 6 EuInsVO 2015 auch Erwägungsgrund Nr 5 EuInsVO 2015; Hänel in Vallender, EuInsVO 2015, Art 6 Rn 5; Paulus, Europäische Insolvenzverordnung7 [2017] Art 6 Rn 1; Mankowski in Mankowski/Müller/Schmidt, EuInsVO 2015 Art 6 Rn 1 und 27). Daraus folgt, dass die Vorinstanzen die internationale Zuständigkeit österreichischer Gerichte mit Recht verneint haben.

3. Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Die unterlegenen Kläger haben den Beklagten die Kosten des Zwischenverfahrens beim EuGH sowie den damit verbundenen Kostenbestimmungsantrag zu ersetzen (vgl 4 Ob 3/16v). Der Streitgenossenzuschlag beträgt 45 %.

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2018:0070OB00001.18Z.0124.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
LAAAD-63430