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OGH vom 09.08.2006, 4Ob65/06x

OGH vom 09.08.2006, 4Ob65/06x

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Griß als Vorsitzende und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D***** OHG, *****, vertreten durch Dr. Bernhard Kessler, Rechtsanwalt in Dornbirn, gegen die beklagte Partei G***** AG, *****, vertreten durch Gassauer-Fleissner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 220.951 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom , GZ 1 R 282/05p-110, mit dem infolge Berufung der klagenden Partei das Teilurteil des Landesgerichts Feldkirch vom , GZ 8 Cg 40/01m-104, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts sowie die Entscheidung des Erstgerichts, soweit damit ein Betrag von 162.080,85 EUR sA abgewiesen wird, werden aufgehoben und die Rechtssache in diesem Umfang an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Klägerin war aufgrund eines 1997 abgeschlossenen Agenturvertrags als selbstständige Versicherungsvertreterin für die Beklagte tätig. Die Beklagte hat das Vertragsverhältnis mit beendet. Aufgrund des im ersten Rechtsgang ergangenen Teilzwischenurteils des Obersten Gerichtshofs vom , 4 Ob 264/02f = SZ 2002/172 = EvBl 2003/82, 387, steht fest, dass die Klägerin gegenüber der Beklagten dem Grunde nach einen Ausgleichsanspruch nach § 24 HVertrG hat. Gegenstand des zweiten Rechtsgangs sind die Höhe dieses Ausgleichsanspruchs sowie die eingewendete Gegenforderung. Die Klägerin brachte vor, die Beklagte ziehe aus der Kundenzuführung durch die Klägerin auch nach Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses erhebliche Vorteile, weil die vermittelten langjährigen Lebensversicherungsverträge häufig erhöht oder aufgestockt sowie geänderten Familienverhältnissen durch Erhöhung des Deckungsumfangs angepasst würden; auch werde der Prämienumfang durch die Indexklausel erweitert. Dies führe zu neuen Provisionsansprüchen des Versicherungsvertreters. Darüber hinaus könne die Beklagte auch in einem erheblichen Maß Folgeverträge abschließen. Die Klägerin erleide durch die Beendigung des Vertragsverhältnisses künftig einen Provisionsverlust. Es seien keine Einmalprovisionen vereinbart worden, sondern es komme bei einer vorzeitigen Auflösung eines mehrjährigen Versicherungsvertrags zu einer Rückbelastung. Die Klägerin hätte auch nach Vertragsende Überhangprovisionen bezogen, die bei der Bemessung des Rohausgleichs zu berücksichtigen seien. Die Berechnung des Rohausgleichs ergebe, dass dieser höher sei als die durchschnittliche Jahresprovision, die sich mit 176.295 EUR berechne. Deshalb gebühre der Klägerin im Sinne des § 24 Abs 4 HVertrG die durchschnittliche Jahresvergütung. Die Abwanderungsquote sei mit höchstens 20 % pro Jahr anzusetzen. Die Klagsforderung gründe sich infolge der unzulässigen vorzeitigen Auflösung des Agenturverhältnisses auch auf Schadenersatz. Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Klägerin habe nur neue Verträge mit Altkunden der Beklagten vermittelt, was aber bei der Berechnung des Ausgleichsanspruchs nicht zu berücksichtigen sei. Die Verbindung zu Altkunden der Beklagten habe die Klägerin nicht intensiviert. Die Beklagte ziehe keine erheblichen Vorteile im Sinne des § 24 Abs 1 Z 2 HVertrG aus der Tätigkeit der Klägerin, denn der Abschluss nur eines Versicherungsvertrags - auch wenn dieser über längere Zeit bestehe - schaffe noch keine dauerhafte Geschäftsverbindung. Zahlreiche von der Klägerin vermittelte Versicherungsverträge seien storniert worden und bei der Ermittlung des Ausgleichsanspruchs auszuscheiden. Der Klägerin entstehe nach Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses kein Provisionsverlust, weil die erfolgreiche Vermittlung von Lebensversicherungen jeweils durch eine Einmalprovision vollständig abgegolten worden sei. Folgegeschäfte im Sinne des Abschlusses weiterer Lebensversicherungsverträge innerhalb des Prognosezeitraums seien nicht zu erwarten; Folgegeschäfte in anderen Versicherungssparten seien nicht zu berücksichtigen. Die Beklagte wandte eine Gegenforderung von 101.078,81 EUR aufrechnungsweise ein. Auf dem Geschäftskonto der Klägerin hafte ein Negativsaldo in dieser Höhe aus.

Das Erstgericht erkannte mit Teilurteil die Beklagte für schuldig, der Klägerin 14.214,15 EUR sA zu bezahlen und wies das Mehrbegehren von 206.736,85 EUR ab; die Entscheidung über die eingewendete Gegenforderung behielt es vor. Es traf umfangreiche Feststellungen über die Anzahl der von der Klägerin für die Beklagte in den Sparten Lebensversicherung und Sachversicherungen vermittelten Verträge sowie die Umsatzentwicklungen bei den Provisionseinnahmen, einmal einschließlich solcher Kunden, mit denen schon aufrechte Versicherungsvertragsverhältnisse vor 1997 bestanden, andererseits bezogen auf ausschließlich solche Kunden, die die Klägerin neu an die Beklagte vermittelt hat, wobei in beiden Varianten jeweils zwischen Neukunden (die erstmalig während des Auswertungszeitraums einen Vertrag abgeschlossen haben) und Altkunden (die bereits in den Vorjahren Umsätze gebracht haben) unterschieden wurde. Für die erste Variante wurde zugrunde gelegt, dass im Bereich der Lebensversicherung mit 2,18 % der bestehenden Kunden, im Bereich Sachversicherung mit 38,06 % (richtig: 28,06 %) der bestehenden Kunden und im Bereich der fondsgebundenen Lebensversicherung mit 3,19 % der bestehenden Kunden im Folgejahr nach einem Vertragsabschluss ein weiterer Vertragsabschluss erfolgt wäre; ausgehend von diesen Prozentsätzen gelangte das Erstgericht zum Stichtag zu folgenden Barwerten:

Lebensversicherung ATS 18.312,92 EUR 1.330,85

Sachversicherung ATS 167.021,14 EUR 12.137,90

fondsgebundene

Lebensversicherung ATS 10.256,85 EUR 745,39

gesamt ATS 195.590,91 EUR 14.214,15

Für die zweite Variante (Kunden ohne „Bereits-Kunden") sei die

Provision der letzten 12 Monate des Agenturvertrags im Bereich

Lebensversicherung bei 856.339 ATS und im Bereich Sachversicherung

bei 572.925 ATS gelegen. Berücksichtige man, dass im Bereich

Lebensversicherung 2,22 % der Altkunden im Folgejahr nach dem ersten

Vertragsabschluss wieder neue Verträge abschließen, im Bereich

Sachversicherungen 25,46 % der Altkunden, ergebe sich - auf den

Barwert abgezinst - folgender Provisionserlös aus Verträgen mit den

bestehenden Kunden:

Lebensversicherung ATS 18.683,89 EUR 1.357,81

Sachversicherung ATS 143.112,48 EUR 10.400,39

gesamt ATS 161.796,37 EUR 11.758,20

Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, dass die Klägerin der Beklagten neue Kunden zugeführt habe. Der Fortbestand der geschaffenen Geschäftsverbindungen werde vermutet. Eine erhebliche Anzahl von Kunden hätten nach Beendigung des Agenturvertrags ihre Versicherungsverträge bei der Beklagten storniert. Für die weiterhin aufrechten Versicherungsverträge sei anzunehmen, dass die Beklagte daraus erhebliche Vorteile ziehen könne, die darin lägen, dass bei den Sachversicherungen laufend Prämien eingingen und mit diesen Kunden auch nach dem Ablauf von Versicherungsverträgen weitere Verträge abgeschlossen werden könnten. Dem Grundsatz der Billigkeit entsprechend seien im gegenständlichen Fall alle Kunden bei der Ermittlung der Ausgleichszahlung zu berücksichtigen, weil die Klägerin ohnehin der Nachteil treffe, dass aus den Lebensversicherungen keine Folgeprovisionen zu erwarten seien. Zu berücksichtigen seien jene Provisionen, die die Klägerin in Zukunft mit den bereits bestehenden Kunden erzielen könnte und die ihr wegen der Beendigung des Vertragsverhältnisses entgingen. Der Ausgleichsanspruch sei vom Schadenersatzanspruch zu unterscheiden, mit dem unter bestimmten Voraussetzungen der entgangene Gewinn geltend gemacht werden könne. Ausgehend von den getroffenen Feststellungen hätte die Klägerin aufgrund der von ihr vermittelten Kunden und dem bereits vorhandenen Kundenstock, der von ihr betreut wurde, Provisionen in Höhe von 14.214,15 EUR erzielen können. Dieser Betrag liege jedenfalls unter dem Höchstbetrag des § 24 Abs 4 HVertrG. Der Ausgleichsanspruch betrage daher 14.214,15 EUR. Gemäß § 391 Abs 3 ZPO sei mit Teilurteil über die Klagsforderung zu entscheiden, weil die eingewendete Gegenforderung nicht konnex sei. Die Klägerin bekämpfte diese Entscheidung, soweit das Klagebegehren mit einem 44.656 EUR sA übersteigenden Betrag abgewiesen wurde; davon abgesehen erwuchs das Teilurteil daher in Teilrechtskraft. Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil in seinem Ausspruch betreffend die weitere Klagsabweisung von 162.080,85 EUR sA und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Nach der Konzeption des § 24 HVertrG sei der Ausgleichsanspruch ein zusätzlicher Vergütungsanspruch für den - neben der reinen Vermittlungs- bzw Abschlusstätigkeit - erfolgten Aufbau ständiger Geschäftsverbindungen zwischen den neu geworbenen Kunden und dem Unternehmer, der mit der Zahlung der Provisionen für die einzelnen Geschäftsabschlüsse noch nicht (vollständig) abgegolten sei. Der Ausgleichsanspruch solle - bis zur Höhe der durchschnittlichen Jahresvergütung im Sinne des § 24 Abs 4 HVertrG - den Verlust an Provisionen aus jenen Folgegeschäften mit neu geworbenen Kunden ausgleichen, die bei einer gedachten Fortsetzung des Handelsvertreterverhältnisses innerhalb eines bestimmten Zeitraums (des Prognosezeitraums) dem Handelsvertreter noch zugeflossen wären. Deshalb habe auch nicht jeder Handelsvertreter bei Beendigung seines Vertragsverhältnisses einen Anspruch auf Ausgleich. Voraussetzung dafür sei, dass er während des aufrechten Vertragsverhältnisses über die Vermittlung einzelner Geschäftsabschlüsse hinaus dauerhafte Geschäftsverbindungen geschaffen habe, die zu laufenden Nachbestellungen/Folgegeschäften - auch ohne neuerliche unmittelbare Mitwirkung des Handelsvertreters - führten. Handelsvertreter, die Geschäfte über langlebige Wirtschaftsgüter vermittelten, mit deren erstmaliger Anschaffung der Bedarf des Kunden für lange Zeit gedeckt sei, könnten damit keine beständige Geschäftsverbindung zwischen dem Hersteller dieser Produkte und dem Kunden schaffen, denn dafür wäre es erforderlich, dass der Kunde mehr als nur einmal mit dem Unternehmer ein Geschäft abschließe, er also durch wiederholte Geschäftsabschlüsse zum „Stammkunden" werde. Nicht der Abschluss eines einzelnen Geschäfts, auch wenn dieses mit einem neu zugeführten Kunden zustande komme, führe daher zum Entstehen eines Ausgleichanspruchs, sondern erst der Aufbau beständiger Geschäftsverbindungen. Von solchen Geschäftsverbindungen könne erst dann gesprochen werden, wenn ein neu geworbener Kunde nicht nur einmal, sondern immer wieder mit dem Unternehmer ein Geschäft abschließe.

Die Berechnung des Ausgleichsanspruchs habe in einem zweistufigen Verfahren zu erfolgen. Anhand der in § 24 Abs 1 Z 1 bis 3 HVertrG angeführten Kriterien sei zunächst ein der Billigkeit entsprechender „Rohausgleich" zu ermitteln, der dann zum höchst zulässigen Ausgleich nach § 24 Abs 4 HVertrG in Bezug zu setzen sei. Liege der Rohausgleich über der Höchstgrenze des § 24 Abs 4 HVertrG, so sei der Ausgleichsanspruch auf diese Höchstgrenze zu reduzieren, sei er hingegen geringer, dann spiele die Höchstgrenze keine Rolle, der Handelsvertreter habe dann Anspruch auf den Ausgleich in Höhe des errechneten Rohausgleichs. Durch die Ermittlung des Rohausgleichs sollten die Vorteile, die dem Unternehmer durch die Tätigkeit des Handelsvertreters zukommen, bestimmt werden. Diesen Vorteilen werde aus Praktikabilitätserwägungen der Provisionsverlust des Handelsvertreters gleichgesetzt, denn der Unternehmer erspare sich einen Aufwand in der Höhe der nicht mehr zu bezahlenden Provisionen. Zur Ermittlung der Provisionsverluste des Handelsvertreters sei eine Bemessungsgrundlage (Prognosebasis) zu ermitteln, die sich aus den Provisionen des Handelsvertreters der letzten 12 Monate vor Beendigung seiner Tätigkeit mit „intensivierten" Altkunden und Neukunden (relevanten Kunden) ergebe. Die Prognosebasis sei dann durch verschiedene, im Einzelfall anzunehmende Abzugsposten zu korrigieren. So seien Provisionen für verwaltende Tätigkeiten abzuziehen, weil sie kein Entgelt für die Schaffung eines Kundenstammes seien. Weiters seien Provisionen aus Geschäften mit Kunden, die keine „Mehrfachkunden" seien, als Abzugsposten zu berücksichtigen. Schließlich sei die Abwanderungsquote abzuziehen. Diese Quote könne zum Beispiel aus dem Verhältnis des Gesamtumsatzes mit relevanten Kunden zu Jahresbeginn mit dem durch die Abwanderung relevanter Kunden verringerten Jahresumsatz zum Jahresende errechnet werden. Abschließend sei der derart ermittelte Betrag auf den Barwert abzuzinsen. Da die Vorteile des Unternehmers aus Geschäften mit den relevanten Kunden bei Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses noch nicht bekannt seien, weil sie sich naturgemäß erst in der Zukunft verwirklichten, sei eine Prognosebetrachtung in die Zukunft notwendig, wobei ein überschaubarer, in seiner Entwicklung einschätzbarer Prognosezeitraum anzusetzen sei, der in der Regel zwischen drei und fünf Jahren liege. Abschließend sei bei der Berechnung des Rohausgleichs eine Billigkeitskorrektur vorzunehmen, um allenfalls vorliegende Umstände, die den ermittelten Rohausgleich als unbillig erscheinen ließen, berücksichtigen zu können. Schließlich sei dem ermittelten Rohausgleich die Höchstgrenze des § 24 Abs 4 HVertrG gegenüberzustellen. Liege der Rohausgleich über dieser Grenze, werde der darüber liegende Betrag nicht geschuldet. Das Erstgericht habe den Ausgleichsanspruch der Klägerin entsprechend dieser Rechtslage und Berechnungsmethode ermittelt. Es habe als Bemessungsgrundlage die Provisionen der letzten 12 Monate vor Beendigung der Tätigkeit der Klägerin herangezogen, wobei zu deren Gunsten ohnedies auch die Provisionen, die sie für die Vermittlung der sogenannten „Bereits-Kunden" erhalten hat, miteinbezogen worden seien. Ausgehend von der Feststellung, dass im Bereich der Lebensversicherung mit 2,18 % der bestehenden Kunden, im Bereich der Sachversicherung mit 38,06 % (richtig: 28,06 %) der bestehenden Kunden und im Bereich der fondsgebundenen Lebensversicherung mit 3,19 % der bestehenden Kunden im Prognosezeitraum Umsätze erzielt würden, habe das Erstgericht bei der Ermittlung des Rohausgleichs in Wahrheit nicht eine Abwanderungsquote, sondern eine Mehrfachkundenquote zugrunde gelegt. Bei den genannten Prozentsätzen von Kunden handle es sich nämlich nicht um jene, die im Prognosezeitraum von der Beklagten abwandern würden, sondern um solche, die mit der Beklagten in den genannten Sparten weitere Versicherungsverträge abschließen würden. Die Abwanderungsquote sei tatsächlich in den festgestellten Provisionen, die die Klägerin von der Beklagten während des aufrechten Vertragsverhältnisses bezogen habe, enthalten, denn festgestelltermaßen seien bei Stornierungen von Verträgen - verbunden mit einer Abwanderung von Kunden - die Provisionen rückgebucht worden, was sich im Provisionsumsatz niedergeschlagen habe. Dass in den genannten Versicherungssparten nur die angenommenen geringen Prozentsätze von Kunden auf sogenannte „Mehrfachkunden" entfielen, liege in der Natur der betreffenden Versicherungssparten. Insbesondere der Lebensversicherungsvertrag sei ein langfristiges Vertragsverhältnis. Auch das Heranziehen der Jahre 1997 und 1998 als Vergleichsjahre sei nicht zu beanstanden; 1999 habe die Klägerin nämlich mit Altkunden keine Provisionsumsätze erzielt. Auch sei im Herbst dieses Jahres das Vertragsverhältnis zwischen den Streitteilen beendet worden, sodass für dieses Jahr keine vollständigen Vergleichsdaten zur Verfügung stünden. Folgegeschäfte in anderen Versicherungssparten als jenen, in denen die Klägerin unmittelbar Versicherungsverträge vermittelt habe, kämen nicht in Betracht. Die Klägerin habe nämlich keinerlei konkrete Behauptungen darüber aufgestellt, welche von ihr neu vermittelten Kunden in anderen Versicherungssparten als jenen der Lebensversicherung, der Sachversicherung oder der fondsgebundenen Lebensversicherung mit der Beklagten während des Betrachtungszeitraums einen Versicherungsvertrag abgeschlossen hätten. Sie habe den Abschluss solcher Folgeversicherungsverträge auch nicht bewiesen. Die allgemeine Behauptung der Klägerin, von ihr vermittelte Kunden schlössen auch in anderen Versicherungssparten mit der Beklagten Versicherungsverträge ab, reiche nicht aus, um darauf im Rahmen der Ermittlung des Rohausgleichs oder aus Billigkeitserwägungen Bedacht zu nehmen. Einer Auseinandersetzung mit dem von der Klägerin geltend gemachten Schadenersatzanspruch bedürfe es nicht: Einerseits habe die Klägerin dazu kein substanziiertes Vorbringen erstattet, andererseits wäre ein derartiger Anspruch auch bereits verjährt, denn er sei erstmals im Schriftsatz vom geltend gemacht worden. Zu diesem Zeitpunkt sei die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 ABGB - die mit Beendigung des Vertragsverhältnisses zwischen den Streitteilen am zu laufen begonnen habe - schon abgelaufen gewesen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Berechnung des Ausgleichsanspruchs eines selbstständigen Versicherungsvertreters fehlt; sie ist auch berechtigt im Sinne des Aufhebungsantrags.

Vorauszuschicken ist, dass der Ausgleichsanspruch des Versicherungsvertreters nach Beendigung des Vertragsverhältnisses infolge Einfügung eines § 26d HVertrG durch BGBl I 2006/103 vom neu geregelt worden ist (siehe dazu Nocker, Direkte Anwendung des HVertrG auf Versicherungsvertreter, ecolex 2006, 557 ff). Nunmehr findet das HVertrG auf Versicherungsvertreter und -agenten direkt Anwendung (§ 26a HVertrG idF BGBl I 2006/103). Diesen Personen gebührt - wenn und soweit sie keine Ansprüche auf Folge- und Betreuungsprovisionen besitzen - ein Ausgleichsanspruch gem § 24 HVertrG mit der Maßgabe, dass an die Stelle der Zuführung neuer Kunden oder der wesentlichen Erweiterung bestehender Geschäftsverbindungen die Vermittlung neuer Versicherungsverträge oder die wesentliche Erweiterung bestehender Verträge tritt. Diese Bestimmung ist auch auf bestehende Vertragsverhältnisse anzuwenden und tritt mit Wirksamkeit vom in Kraft (§ 29 Abs 4 HVertrG idF BGBl I 2006/103).

Auf eine Änderung der Rechtslage ist in jeder Lage des Verfahrens Bedacht zu nehmen, sofern die neuen Bestimmungen nach ihrem Inhalt auf das in Streit stehende Rechtsverhältnis anzuwenden sind. Es ist daher grundsätzlich nach den Übergangsbestimmungen zu beurteilen, ob eine Gesetzesänderung für ein laufendes Verfahren zu beachten ist (RIS-Justiz RS0031419; 4 Ob 89/01v = ÖBl 2002, 72 - Eismann II). § 5 ABGB legt den zeitlichen Geltungsbereich eines kundgemachten Gesetzes fest. Es sind demnach nur die nach dem Inkrafttreten eines Gesetzes verwirklichten Sachverhalte nach dem neuen Gesetz zu beurteilen; vorher geschehene Handlungen sowie vorher entstandene Rechte unterliegen weiterhin dem alten Gesetz. Der zeitliche Geltungsbereich ist einfach abgrenzbar für einmalige Handlungen oder jene Sachverhalte, die zur Gänze in die Geltungszeit eines der Gesetze fallen (F. Bydlinski in Rummel, ABGB³ § 5 Rz 1 mwN; RIS-Justiz RS0008715).

Der 1997 zwischen den Streitteilen abgeschlossene Agenturvertrag endete am . Die Klägerin leitet ihren Ausgleichsanspruch daher aus einem Sachverhalt ab, der zur Gänze in den Zeitraum vor Inkrafttreten der Novelle zum HVertrG BGBl I 2006/103 fällt; Gleiches gilt für den anzuwendenden Prognosezeitraum von fünf Jahren nach Vertragsbeendigung (dazu unten). Die mit eingetretene Änderung der Rechtslage ist daher im Anlassfall ohne Bedeutung. Sie zeigt jedoch, dass die Rechtsprechung zur analogen Anwendung des § 24 HVertrG dem Willen des Gesetzgebers entsprach. Die Neuregelung führt nämlich - entgegen der Behauptung der Beklagten - gerade nicht dazu, dass ein Ausgleichsanspruch des selbstständigen Versicherungsvertreters zu verneinen wäre. Sie stellt vielmehr - wie oben dargelegt - in § 26d HVertrG idF BGBl I 2006/103 klar, dass dem selbstständigen Versicherungsvertreter „aus verständlichen (und letztlich gerade zu zwingenden) Gründen" (1427 BlgNR 22. GP 4) ein Ausgleichsanspruch zusteht.

Vorauszuschicken ist weiters, dass die Bestimmung der Höhe der nach Billigkeit gebührenden Ausgleichszahlung (§ 24 Abs 1 Z 3 HVertrG) sehr schwierig ist und sich notwendigerweise an den Besonderheiten des Einzelfalls auszurichten hat. Für pauschale Berechnungsweisen oder die Ermittlung der Höhe des Anspruchs nach festen Formeln ist grundsätzlich kein Raum. In aller Regel wird wegen der Komplexität der Materie und der äußerst aufwändigen Beweisführung jeweils nur eine Festsetzung nach § 273 Abs 1 ZPO möglich sein (4 Ob 54/02y). Nach Auffassung der Klägerin wären bei der Berechnung ihres Ausgleichsanspruchs auch spartenübergreifende Folgeverträge in die Bemessung einzubeziehen gewesen. Dem ist entgegenzuhalten, dass der Beweis für die Zuführung neuer Kunden der Klägerin oblag (RIS-Justiz RS0106003); ein entsprechendes Kundenverhalten (dass nämlich etwa von der Klägerin im Bereich Lebensversicherung neu gewonnene Kunden auch Sachversicherungen bei der Beklagten abgeschlossen hätten) kann dem festgestellten Sachverhalt aber nicht entnommen werden. Die Vorinstanzen sind bei ihren Berechnungen einer im Schrifttum aufgezeigten Ermittlungsmethode gefolgt, die vom Senat grundsätzlich gebilligt wird (zum Folgenden siehe Hirtzberger, Der Prognosezeitraum bei Berechnung des Ausgleichsanspruchs des Handelsvertreters, RdW 2003, 243 ff mwN; Nocker, Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, Vertragshändlers und Franchisenehmers, Rz 452 ff).

Bemessungsgrundlage (Prognosebasis) sind die Provisionen des

Handelsvertreters im letzten Jahr vor Beendigung seiner Tätigkeit mit

Neukunden und „intensivierten" Altkunden („relevante Kunden"). Sie

ist durch folgende Abzugsposten zu korrigieren: Provisionen für

verwaltende Tätigkeiten (die kein Entgelt für die Schaffung eines

Kundenstamms sind), Provisionen für die Zuführung jener Kunden, die

keine „Mehrfachkunden" sind (mit denen in Zukunft keine weitere

Geschäftsverbindung erwartet wird) und Umsatzminderung infolge

Abwanderung relevanter Kunden. Der derart ermittelte Betrag ist

sodann auf den Barwert abzuzinsen und einer Prognosebetrachtung zu

unterziehen. Nach einer Billigkeitskorrektur (§ 24 Abs 1 Z 3 HVertrG)

ist dem Rohausgleich die Höchstgrenze des § 24 Abs 4 HVertrG

gegenüberzustellen; liegt der Rohausgleich über dieser Grenze, wird

der darüber liegende Betrag nicht geschuldet.

Dem herangezogenen Prognosezeitraum kommt größte Bedeutung zu, ist

doch der Ausgleichsanspruch um so höher, je länger der Zeitraum

gewählt wird (vgl das Rechenbeispiel bei Hirtzberger aaO 245). Der

Prognosezeitraum bestimmt sich danach, wie lange sich die vom

Handelsvertreter hergestellten Geschäftsverbindungen weiterentwickelt

hätten, wenn der Vertretervertrag fortbestanden hätte. Es muss sich um einen überschaubaren, in seiner Entwicklung einschätzbaren Zeitraum handeln (so auch Viehböck, Der Ausgleichsanspruch nach dem neuen Handelsvertretergesetz, ecolex 1993, 221 [224]). Er hängt in seiner Dauer von den Umständen im Einzelfall ab und kann nicht für alle Arten von Absatzmittlern und alle Branchen ein für alle Mal festgelegt werden. Weder die langjährige Vertretungstätigkeit noch die Langlebigkeit der Wirtschaftsgüter sagen etwas über die Beständigkeit von Kundenbeziehungen aus, weshalb die genannten Parameter für die Länge des Prognosezeitraums unbeachtlich sind. Zu beurteilen ist vielmehr, mit welcher Regelmäßigkeit der Handelsvertreter mit den relevanten Kunden vor Vertragsbeendigung Umsätze erzielt hat. Je mehr solche relevante Kunden vorhanden sind, desto länger wird der Prognosezeitraum sein (Hirtzberger aaO 245). In der deutschen Rechtsprechung wird in der Regel ein Prognosezeitraum zwischen drei und fünf Jahren angenommen (Nachweise bei Küstner/Thume/Otto, Handbuch des gesamten Außendienstrechts7 Band II Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, Warenvertreter, Versicherungs- und Bausparkassenvertreter, Rz 757 ff). Der BGH hat sich wiederholt für einen vierjährigen Prognosezeitraum ausgesprochen, bei Kfz-Vertragshändlern hat er regelmäßig einen fünfjährigen Zeitraum zu Grunde gelegt (zuletzt BGH , VIII ZR 173/04, wrp 2006, 759) und in einem nicht verallgemeinerungsfähigen Einzelfall (Ausgleichsanspruch eines Bezirksstellenleiters eines Toto- und Lotto-Unternehmens) einen Zeitraum von 20 Jahren angenommen.

Die Vorinstanzen haben aus Gründen der Überschaubarkeit einen Prognosezeitraum von fünf Jahren für angemessen erachtet. Dass dies nicht sachgerecht wäre, ist - entgegen den Ausführungen der Rechtsmittelwerberin, die einen zwanzigjährigen Prognosezeitraum angewendet wissen will - nicht zu erkennen. Wird etwa im Neuwagengeschäft das durchschnittliche Nachkaufintervall mit fünf Jahren angenommen (vgl BGH , VIII ZR 173/04, wrp 2006, 759), muss für den Abschluss der entsprechenden Haftpflicht- und Kaskoversicherungen dasselbe gelten. Wird bei Wohnungs- oder Lebensversicherungen die durchschnittliche Laufzeit auch länger als fünf Jahre sein, spielt erfahrungsgemäß die Beständigkeit von Kundenbeziehungen in der Versicherungsbranche eine geringe Rolle; entscheidend für den Vertragsabschluss ist hier weniger das Vertrauen in den bisherigen Vertragspartner, als die im Vergleich zu Mitbewerbern gebotenen Konditionen. Wie schon eingangs aufgezeigt, kommen pauschale Berechnungsweisen oder feste Formeln bei der Berechnung eines Ausgleichsanspruchs nicht in Betracht; dies gilt auch für den Prognosezeitraum. Im Übrigen unterscheidet sich in den hier entscheidenden Punkten die Rechtslage in Deutschland und Österreich substanziell, weshalb die Heranziehung der deutschen Rechtsprechung zur Berechnung des Ausgleichsanspruchs nach österreichischem Recht nicht ohne weiteres möglich ist (Nocker, Der Ausgleichsanspruch des Versicherungsvertreters „analog" § 24 HVertrG, wbl 2004, 53 ff unter Hinweis auf Jabornegg in FN 46). Obwohl die Vorinstanzen einen grundsätzlich tauglichen Berechnungsansatz und einen angemessenen Prognosezeitraum gewählt haben, können ihre Entscheidungen keinen Bestand haben. Ihnen ist nämlich bei der Ausmittlung der Höhe des Ausgleichsanspruchs ein Denkfehler unterlaufen: Sie gehen zwar von einem Prognosezeitraum von fünf Jahren aus, berücksichtigen diesen jedoch in der konkreten Berechnung des Ausgleichsanspruchs nicht, sondern legen ihrer Rechnung die Mehrfachkundenquote für nur ein Jahr zugrunde. Richtigerweise wäre aber zu berücksichtigen gewesen, welche Umsätze die Klägerin mit relevanten Kunden im gesamten Prognosezeitraum von fünf Jahren erzielt hätte. Dieser methodische und logische Widerspruch bewirkt ein unrichtiges Ergebnis. Er ist im Rahmen der rechtlichen Beurteilung aufzugreifen und führt zur Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen im angeordneten Umfang. Das Erstgericht wird den Ausgleichsanspruch der Klägerin unter Vermeidung des aufgezeigten Widerspruchs neu zu berechnen haben, sodass darin die Mehrfachkundenquote für den gesamten Prognosezeitraum (und nicht nur für das erste Jahr nach Vertragsbeendigung) abgebildet ist.

Schadenersatzansprüche der Klägerin hat das Berufungsgericht mit zutreffender Begründung verneint (§ 510 Abs 3 ZPO). Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 zweiter Satz ZPO.