OGH vom 10.10.1951, 3Ob432/51

OGH vom 10.10.1951, 3Ob432/51

Norm

Handelsgesetzbuch § 133;

Handelsgesetzbuch § 140;

Handelsgesetzbuch § 142;

ZPO § 267;

Kopf

SZ 24/269

Spruch

Die Übernahme eines Geschäftes ohne Liquidation nach § 142 HGB. ist, wenn beide Gesellschafter sich Verfehlungen zuschulden kommen ließen, nur dann möglich, wenn die Verfehlungen des einen so schwer und überwiegend sind, daß die Verfehlungen des anderen demgegenüber als unerheblich erscheinen.

Entscheidung vom , 3 Ob 432/51.

I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.

Text

Ernst S. (der Kläger und Widerbeklagte, im folgenden Kläger genannt) und Hermann H. (der Beklagte und Widerkläger, im folgenden Beklagter genannt) haben am einen Gesellschaftsvertrag über eine offene Handelsgesellschaft abgeschlossen. Beide Gesellschafter begehren nunmehr gemäß § 142 HGB. den Ausspruch, daß sie für berechtigt erklärt werden, die Kaffeekonditorei H. ohne Liquidation zu übernehmen.

Das Erstgericht hat beide Klagebegehren mit Teilurteil abgewiesen. Es stellte auf beiden Seiten Verfehlungen gegen den Gesellschaftsvertrag fest, beurteilte die Verfehlungen des Beklagten allerdings als schwerer, hat aber gleichwohl auch das Übernahmsbegehren des Klägers aus Billigkeitsgrunden abgewiesen. Es hat hiebei berücksichtigt, daß der Beklagte durch viele Jahre ständig im Betrieb mitgearbeitet, so zum Gedeihen des Unternehmens beigetragen habe und der Gesellschaftsvertrag den Versuch einer vergleichsweisen Regelung der Erbansprüche des Beklagten und der Mutter des Klägers an der Verlassenschaft nach der Gattin des Beklagten darstelle, der Beklagte der Überzeugung gewesen sei, er sei Alleininhaber des Betriebes, und die Gesellschaft praktisch nicht existent geworden sei. Gegen das Urteil haben beide Teile Berufung eingebracht.

Das Berufungsgericht hat beiden Berufungen nicht Folge gegeben und das Ersturteil bestätigt.

Der Oberste Gerichtshof erachtete die Revision für nicht begrundet.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Nach herrschender Rechtslehre stellt die Regelung des § 142 HGB. eine äußerste Notmaßregel dar, um in Fällen einer Zweimanngesellschaft zu verhindern, daß der wirtschaftliche Wert, der in dem Unternehmen der Gesellschaft steckt, durch die Ausschließung des schuldigen Gesellschafters verloren geht. Durch die Übernahme des Geschäftes nach Maßgabe des § 142 HGB. geht zwar die Rechtsform des Unternehmens verloren, aber es bleibt dieses erhalten. Der Regelfall des § 142 HGB. ist der, daß nur ein Gesellschafter sich Verfehlungen gegen die Gesellschaftstreue hat zuschulden kommen lassen. Für den Ausnahmsfall, daß beide Gesellschafter sich gesellschaftswidrig verhalten haben, ist die Judikatur zu § 142 HGB. zu dem Ergebnis gelangt, daß bei beiderseitigen Verfehlungen dem Ausschließungsantrag eines der Gesellschafter nur dann der Vorzug gegeben werden könne, wenn die Verfehlungen des anderen Teiles so schwer und überwiegend sind, daß die Verfehlungen des Mitgesellschafters demgegenüber als unerheblich erscheinen. In diesem Sinne hat das Deutsche Reichsgericht wiederholt entschieden und hat zuletzt in der Entscheidung vom , Jahrbuch der Höchstrichterlichen Rechtsprechung, Jahrgang 1942, unter Nr. 375 folgenden Rechtssatz geprägt: Für ein Übernahmsverlangen eines Gesellschafters gemäß § 142 HGB. ist kein Raum, wenn beiderseitige Verfehlungen der Gesellschafter vorliegen, die jedem Teil das Recht geben würden, die Auflösung der Gesellschaft gemäß § 133 HGB. zu verlangen. Nur dann, wenn eine gegenseitige Abwägung ergibt, daß die Verfehlungen des einen die des anderen völlig in den Hintergrund drängen und daß im Verhältnis hiezu die des anderen gar nicht mehr als wichtiger Grund erscheinen, kann diesem anderen trotz seines eigenen gesellschaftswidrigen Verhaltens das Übernahmerecht zugesprochen werden. Im gleichen Sinne führt der Kommentar zum Handelsgesetzbuch von Schlegelberger 1. Aufl. zu § 140 Anm. 5 aus: "Haben sich beide Parteien etwas zuschulden kommen lassen, wird in der Regel eine Ausschließung nicht in Betracht kommen, sondern eine Auflösung. Es kann nicht zu Lasten eines Gesellschafters das Geschäft dem anderen erhalten werden." Der Oberste Gerichtshof, der zu der hier aufgetauchten Rechtsfrage noch nicht Stellung genommen hat, hat keine Bedenken, sich dieser in der Judikatur und im Schrifttum vertretenen Meinung anzuschließen. Wird aber der Rechtsfall im Lichte dieser Meinung einer Prüfung unterzogen, so kann das Ergebnis nur sein, das Urteil des Berufungsgerichtes zu bestätigen. Der Kläger hat sich nach den Feststellungen der Vorinstanzen allerdings nur eine Verfehlung gegen die Gesellschaftstreue zuschulden kommen lassen. Diese Verfehlung ist aber solcher Art, daß sie unter gar keinen Umständen als unerheblich und gegenüber den Verfehlungen des Beklagten nicht ins Gewicht fallend erscheinen könnte. Wie das Erstgericht festgestellt hat - eine Feststellung, die das Berufungsgericht übernahm -, ist der Kläger wegen schwerer körperlicher Verletzung des Bruders des Beklagten und Versuches, auch den Beklagten körperlich schwer zu verletzen, wegen Verbrechens zur Strafe des schweren Kerkers in der Dauer von vier Monaten verurteilt worden. Der Vorfall hat sich im Zusammenhang mit dem Geschäftsbetrieb ereignet. Der Versuch der Revision, die vom Kläger begangene strafbare Handlung als einen bloßen Notwehrexzeß hinzustellen, scheitert schon daran, daß die Zivilgerichte gemäß § 268 ZPO., soweit es auf die Zurechnung einer strafbaren Handlung ankommt, an den Inhalt eines rechtskräftigen Straferkenntnisses gebunden sind.

In Anbetracht dieser Rechtslage erschien es dem Obersten Gerichtshof nicht mehr erforderlich, noch die Frage zu erörtern, ob ein dem Klagebegehren stattgebender Spruch, daß der Kläger zur Übernahme des Geschäftes im Sinne des § 142 HGB. berechtigt sei, wegen der Verdienste des Beklagten um das Gedeihen und die günstige Entwicklung der Kaffeekonditorei bis zum Jahre 1945 unbillig wäre.

Aus den gleichen Erwägungen brauchte auch der Rüge der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens nicht nähergetreten zu werden. Bei der vom Berufungsgericht zutreffend vertretenen Rechtsansicht bestand für dieses kein Anlaß, sich mit dem Berufungsgrund der Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens zu befassen.