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OGH 04.04.2017, 5Ob30/17y

OGH 04.04.2017, 5Ob30/17y

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R*, vertreten durch Dr. Harald Friedl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. R*, vertreten durch Mag. Dr. Felix Sehorz, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung und Beseitigung (Gesamtstreitwert 34.000 EUR) über die „außerordentliche“ Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 12 R 74/16i-20, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 18 Cg 29/15i-14 bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Akten werden dem Berufungsgericht übermittelt.

Text

Begründung:

Die Parteien sind jeweils Mit- und Wohnungseigentümer der Liegenschaft EZ * KG * mit der Adresse * in *. Anlässlich des Verkaufs einzelner Wohnungen vom Kläger an den Beklagten stimmte der Kläger der Sanierung, Umgestaltung und Zusammenlegung der verkauften Wohnungen und der Errichtung eines Balkons zu. Pläne über diesen Balkon existierten damals noch nicht. Tatsächlich wurde der Balkon mittels Konsolen an der Außenwand des Hauses abgestützt. Entwässert wird der Balkon mittels zweier Regenfallrohre in den Hofbereich vor der Wohnung Top 1–4. Überdies montierte der Beklagte ohne Zustimmung des Klägers ein Klimagerät in einem Lichthof.

Der Kläger begehrte in der mit insgesamt 34.000 EUR bewerteten Klage vom Beklagten, es zu unterlassen

1. die Außenwand des Hauses durch Streben zur Abstützung des errichteten Balkons in Anspruch zu nehmen sowie die Streben zur Abstützung des Balkons an der Außenwand zu entfernen;

2. die Außenwand des Hauses durch ein Klimaaußengerät im Lichthof in Anspruch zu nehmen sowie das Gerät zu entfernen;

3. den Balkon mittels der beiden an der Außenwand nach unten geführten Rinnen am Haus in den Bereich vor dem Wohnungseigentumsobjekt Top 1–4 ohne Einmündung in ein Abwassersystem zu entwässern.

Zur Begründung stützte er sich hinsichtlich der Konsolen des Balkons darauf, weder er noch die anderen Miteigentümer hätten ihre Zustimmung zur Inanspruchnahme allgemeiner Teile über die Errichtung einer selbsttragenden Kragplatte hinaus erteilt. Auch eine Zustimmung zur Anbringung eines Klimaaußengeräts liege nicht vor. Die montierten Regenwasserrinnen mündeten nicht ordnungsgemäß in das Entwässerungssystem, sondern in den Garten der ebenerdigen Wohnung Top 1–4. Dabei handle es sich um eine unzulässige Immission.

Das Erstgericht gab dem Unterlassungs- und Entfernungsbegehren in Bezug auf das Klimaaußengerät im Lichthof statt, wies hingegen die Klagebegehren betreffend die Streben zur Abstützung des Balkons und die Entwässerungsrinnen ab.

Das Berufungsgericht gab den Berufungen des Klägers (gegen den gesamten klagsabweisenden Teil) und des Beklagten (gegen den klagsstattgebenden Teil) jeweils nicht Folge. Es sprach aus, dass „der Wert des Entscheidungsgegenstands“ insgesamt 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Die Bewertung des Entscheidungsgegenstands orientiere sich an der unbedenklichen Streitwertangabe des Klägers.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof, dem die Akten mit einem als „außerordentliche Revision“ bezeichneten Schriftsatz des Klägers vorgelegt wurden, ist (derzeit) zu einer Entscheidung über das Rechtsmittel aus folgenden Gründen nicht berufen:

1. Gemäß § 502 Abs 3 ZPO ist die Revision
– außer im Fall des § 508 Abs 3 ZPO – jedenfalls unzulässig, wenn der Entscheidungsgegenstand an Geld oder Geldeswert zwar 5.000 EUR, nicht aber insgesamt 30.000 EUR übersteigt und das Berufungsgericht die ordentliche Revision nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO für nicht zulässig erklärt hat. Bilden mehrere Ansprüche den Entscheidungsgegenstand des Berufungsgerichts, hat eine Zusammenrechnung nur zu erfolgen, wenn die Voraussetzungen des § 55 Abs 1 JN erfüllt sind (RIS-Justiz RS0042741; RS0053096). Mehrere in einer Klage geltend gemachte Ansprüche sind zusammenzurechnen, wenn sie in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen. Ein rechtlicher Zusammenhang liegt vor, wenn die Ansprüche aus demselben Vertrag oder derselben Rechtsnorm abgeleitet werden und miteinander in einem unmittelbar wirtschaftlichen Zusammenhang stehen (RIS-Justiz RS0037648). Er ist aber dann nicht anzunehmen, wenn jeder der mehreren Ansprüche ein verschiedenes und tatsächliches Schicksal haben kann; in einem solchen Fall ist jeder Anspruch gesondert zu beurteilen, ohne dass eine Zusammenrechnung stattfindet (RIS-Justiz RS0037648 [T18]; RS0037899). Bei Beurteilung dieser Frage ist vom Vorbringen der Kläger auszugehen (RIS-Justiz RS0042741). Mehrere Ansprüche aus einer Eigentumsfreiheitsklage nach § 523 ABGB, die sich auf verschiedene Eingriffshandlungen des Beklagten stützen, stehen nicht in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang iSd § 55 Abs 1 Z 1 JN (RIS-Justiz RS0110012).

2. Hier macht der Kläger drei Unterlassungs- und zwei Entfernungsbegehren geltend und stützt sich auf jeweils unterschiedliche Eingriffe. Die Inanspruchnahme der Außenwand des Hauses für Streben zur Abstützung des errichteten Balkons steht mit der Inanspruchnahme der Außenwand – an anderer Stelle – für das Klimaaußengerät im Lichthof in keinerlei Zusammenhang. Der Unterlassungsanspruch in Bezug auf die Regenfallrohre wird vom Kläger gar nicht auf eine fehlende Zustimmung zur Errichtung dieser Rohre, sondern auf die Unzulässigkeit der dadurch bewirkten Immission gestützt. Mangels eines tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhangs iSd § 55 Abs 1 JN liegen die Voraussetzungen für eine Zusammenrechnung nicht vor, sodass die Revisionszulässigkeit für jeden einzelnen Entscheidungsgegenstand gemäß § 55 Abs 4 JN gesondert zu beurteilen ist (RIS-Justiz RS0042741 [T18]).

3. Das Berufungsgericht hat allerdings die nach obigen Ausführungen gebotene Differenzierung bei seiner an der Pauschalbewertung des Klägers orientierten Gesamtbewertung des Entscheidungsgegenstands unterlassen, was zu berichtigen sein wird. Das Berufungsgericht wird im Sinn vorstehender Ausführungen eine Bewertung jedes einzelnen Entscheidungsgegenstands vorzunehmen haben.

4. Sollte sich dabei ergeben, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands bei getrennter Betrachtung jeweils zwar 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigt, käme eine Zuständigkeit des Obersten Gerichtshofs zur Entscheidung nur dann in Betracht, wenn das Gericht zweiter Instanz gemäß § 508 Abs 3 ZPO ausspricht, dass ein ordentliches Rechtsmittel doch zulässig sei. Ob der Schriftsatz des Klägers diesfalls den Erfordernissen des § 508 Abs 1 ZPO entspricht oder allenfalls einer Verbesserung bedarf, obliegt der Beurteilung der Vorinstanzen.

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Rudolf S*, vertreten durch Dr. Harald Friedl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. Rico F*, vertreten durch Mag. Dr. Felix Sehorz, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung und Beseitigung (Gesamtstreitwert 34.000 EUR) über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 12 R 74/16i-20, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom , GZ 12 R 74/16i-25, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 18 Cg 29/15i-14, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung:

Die Parteien sind jeweils Mit- und Wohnungseigentümer der Liegenschaft EZ * mit der Adresse M* in * W*. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur mehr das Begehren des Klägers, der Beklagte möge es unterlassen, die Außenwand des Hauses durch Streben zur Abstützung des errichteten Balkons in Anspruch zu nehmen, sowie die Streben zur Abstützung des Balkons an der Außenwand entfernen.

Die Vorinstanzen wiesen dieses Begehren mangels Eigenmacht des Beklagten ab. Das Berufungsgericht sprach letztlich aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands (nur) dieses Teils des ursprünglich drei Unterlassungs- und Entfernungsbegehren umfassenden Klagebegehrens 30.000 EUR übersteige.

Die – somit zulässige – außerordentliche Revision des Beklagten zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.

Rechtliche Beurteilung

1. Gegen einen Wohnungseigentümer, der eigenmächtig, also ohne vorherige Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer, Änderungen einschließlich Widmungsänderungen iSd § 16 Abs 2 WEG vornimmt, kann jeder einzelne Wohnungseigentümer im streitigen Rechtsweg nach allgemeinen Grundsätzen petitorisch mit Klage nach § 523 ABGB auf Beseitigung der Änderung und Wiederherstellung des früheren Zustands sowie gegebenenfalls auf Unterlassung künftiger Änderungen vorgehen (RIS-Justiz RS0083156).

2. Der Streitrichter hat in einem solchen Fall die Genehmigungsbedürftigkeit der Änderung und die eigenmächtige Rechtsanmaßung als Vorfrage über die Berechtigung des Unterlassungs- und Wiederherstellungsbegehrens zu prüfen; die Genehmigungsfähigkeit selbst ist nicht Gegenstand des Verfahrens (RIS-Justiz RS0083156 [T1, T20]).

3. Nicht eigenmächtig handelt, wer die Zustimmung der Miteigentümer eingeholt hat. Die Verpflichtung anderer Miteigentümer aus einer Vereinbarung, der Änderung einzelner Objekte oder allgemeiner Teile der Liegenschaft zuzustimmen, ergibt sich aus dem jeweiligen Vertrag und nicht etwa nach den Grundsätzen des Miteigentums oder des Wohnungseigentums (4 Ob 109/11z = immolex 2012/27 [Cerha]). Nur dann, wenn einer derartigen Vereinbarung die Grenzen baulicher Veränderungen nicht ausdrücklich zu entnehmen sind und sie sich nicht aus der dem Erklärungsgegner erkennbaren Absicht des Erklärenden ergeben, können die für die rechtsgestaltende Entscheidung solcher Streitigkeiten unter Mit- und Wohnungseigentümern bestehenden Regeln als Mittel ergänzender Auslegung herangezogen werden, um den Vertrag so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht (RIS-Justiz RS0083047).

4. Die Auslegung des Umfangs einer Zustimmungserklärung eines Wohnungseigentümers zu beabsichtigten baulichen Maßnahmen unter Einbeziehung allgemeiner Teile der Liegenschaft hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab und berührt damit regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage (RIS-Justiz RS0083047 [T1]). Auch ob ein Vertrag im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, stellt nur dann eine erhebliche Rechtsfrage dar, wenn infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde. Dies gilt auch für die ergänzende Vertragsauslegung (RIS-Justiz RS0042936 [T41]; RS0044358 [T41]).

5.1. Dass der Kläger seine Zustimmung zur Errichtung eines Balkons durch den Beklagten erteilt hat, ist im Revisionsverfahren nicht mehr strittig. Umstritten ist der Umfang dieser Zustimmungserklärung insbesondere im Hinblick auf die Abstützung des Balkons an der Außenmauer. Abzustellen ist dabei primär auf die zwischen den Streitteilen getroffenen Vereinbarungen (1 Ob 144/02m = bbl 2003, 157; 4 Ob 109/11z = immolex 2012/27 [Cerha]).

5.2. Die Vorinstanzen gingen als Grundlage für die Auslegung der Zustimmungserklärung des Klägers übereinstimmend davon aus, dieser habe sich ursprünglich keine besondere technische Ausführung des Balkons ausbedungen, habe die sich objektiv aus den Plänen ergebenden Ausführungen akzeptiert und hätte – wäre ihm die Art der Errichtung des Balkons wesentlich gewesen – vertragliche Vorkehrungen getroffen und später entsprechende Nachforschungen angestellt (was er nicht tat). Aus diesen Umständen und dem späteren Verhalten des Klägers, der zwei Jahre lang die Art der Errichtung des Balkons mittels Konsolen an der Außenmauer nicht beanstandete, zogen die Vorinstanzen ihren Schluss auf den Inhalt der Zustimmungserklärung dahingehend, dass diese jedenfalls keinen bestimmten technischen Einschränkungen unterliegen sollte. Eine grobe Fehlbeurteilung ist darin nicht zu erkennen.

5.3. Einer ergänzenden Vertragsauslegung – die nur dann Platz zu greifen hat, wenn eine „Vertragslücke“ vorliegt (RIS-Justiz RS0017829) – bedarf es hier schon mangels eines von den Parteien nicht bedachten Problemfalls nicht. Nach den Feststellungen teilte der Beklagte dem Kläger vor Unterfertigung des Einreichplans ohnedies mit, dass der Balkon auf Konsolen befestigt werde (ohne allerdings deren nähere Ausführung zu nennen). Im Grundriss des Einreichplans findet sich der Vermerk „Stahlkonsolen“ im Bereich des Balkons. Dass der Kläger vom Begriff der „Konsole“ eine vom allgemeinen Bedeutungsinhalt „ein aus der Wand herausragender Vorsprung“ (vgl www.wikipedia.org) abweichende Vorstellung gehabt hätte, wurde ebensowenig behauptet oder festgestellt, wie dass sich seine Zustimmung nur auf eine ganz bestimmte Errichtungsart der Konsolen (etwa die technische Ausführung entsprechend der statischen Beschreibung ./4) bezogen hätte und die tatsächliche Ausführung davon abgewichen wäre. Die Auffassung des Berufungsgerichts, weitere Feststellungen als Grundlage der Vertragsauslegung seien nicht erforderlich, ist somit keineswegs unvertretbar und bedarf keiner Korrektur im Einzelfall.

5.4. Die Grundsätze des § 16 Abs 2 WEG könnten zwar im Rahmen einer gebotenen ergänzenden Vertragsauslegung als Mittel herangezogen werden (RIS-Justiz RS0083047). Da es hier aber mangels Vertragslücke gar nicht einer ergänzenden Vertragsauslegung bedarf, zumal sich die Zustimmungserklärung des Klägers nach der Vertrauenstheorie jedenfalls auf die Errichtung eines Balkons mittels Konsolen – ohne nähere Festlegung auf eine bestimmte Art der Ausführung – bezog, bedarf es auch der vermissten Feststellungen zu den Kriterien des § 16 Abs 2 WEG für die rechtliche Beurteilung nach der vertretbaren Auffassung des Berufungsgerichts nicht.

6. Die außerordentliche Revision war somit zurückzuweisen, ohne dass dies einer weiteren Begründung bedürfte (§ 510 Abs 3 ZPO).

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
Schlagworte
15 streitiges Wohnrecht, 1 Generalabonnement
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2017:E117964
Datenquelle

Fundstelle(n):
CAAAD-63206