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OGH vom 10.05.2017, 3Ob57/17d

OGH vom 10.05.2017, 3Ob57/17d

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin Dr. Lovrek, die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch und die Hofrätin Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** GmbH, *****, vertreten durch Tschurtschenthaler Rechtsanwälte GmbH in Klagenfurt am Wörthersee, gegen die beklagte Partei G***** OG, *****, vertreten durch Dr. Wolfgang Vanis Rechtsanwalt GmbH in Wien, und die Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei 1. Mag. H*****, 2. Dr. M*****, beide *****, 3. MMag. M*****, Erst- und Drittnebenintervenient vertreten durch Dr. Michael Rami, Rechtsanwalt in Wien, wegen 676.692,05 EUR sA, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Rekursgericht vom , GZ 2 R 13/17z-28, womit der Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt vom , GZ 25 Cg 62/15d-22, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Die eigens für den Ankauf dreier Seeliegenschaften gegründete Klägerin stützt ihr Honorarrückforderungsbegehren gegen die beklagte Anwaltsgesellschaft auf die Anfechtung einer (nach Abschluss einer Honorarvereinbarung mit dem früheren Landeshauptmann eines österreichischen Bundeslandes getroffenen) neuen Honorarvereinbarung wegen arglistiger Irreführung.

In der Verhandlungstagsatzung am (S 22 in ON 21) legte die Beklagte „aus prozessualer Vorsicht“ sechs IKEASäcke mit Urkunden, bestehend aus Fotokopien ihres gesamten Handakts zu dem Auftragsverhältnis, vor. Diese „Urkundenkonvolute“ wurden von der Erstrichterin verlesen und als Beilagen ./13 bis ./44 zum Akt genommen (wobei jede Beilagenbezeichnung einen Ordner des kopierten Handakts umfasst).

Die Klägerin behielt sich in der Verhandlungstagsatzung die Erklärung zu den Beilagen vor und beantragte, der Beklagten die Zustellung von Ausfertigungen dieser Beilagen (im „WebERV“) an sie aufzutragen.

Das erörterte mit den Parteien, dass die vorgelegten Urkundenkonvolute die Kapazitäten des WebERV zur elektronischen Einbringung von Urkunden überschritten. Es verkündete den Beschluss, wonach der Beklagten aufgetragen wird, der Klägerin binnen drei Wochen Gleichschriften der vorgelegten Urkunden Beilagen ./13 bis ./44 zu übermitteln.

Dem gegen die schriftliche Ausfertigung dieses Beschlusses erhobenen Rekurs gab das Folge, wies den Antrag der Klägerin auf Vorlage und Zustellung einer Abschrift der als Beilagen ./11 (richtig: ./13) bis ./44 bezeichneten Urkunden ab und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu.

Rechtlich beurteilte das Rekursgericht den Rekurs als zulässig und vertrat die Auffassung, das Erstgricht habe den Auftrag ohne gesetzliche Grundlage erteilt. Bei Urkundenvorlagen in der Verhandlung genüge die einfache Vorlage. § 81 Abs 1 ZPO sei nur auf Urkundenvorlagen mittels Schriftsatzes anwendbar.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Klägerin ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; er ist jedoch nicht berechtigt.

1. Der vom Erstgericht gefasste Beschluss ist ein im Zusammenhang mit der Beweisaufnahme stehender verfahrensleitender Beschluss (vgl E. Kodek in Rechberger ZPO4 § 521a Rz 4; 3 Ob 28/11f = RIS-Justiz RS0126770). Das Rekursverfahren ist in diesem Fall einseitig (§ 521a Abs 1 ZPO), wobei die Einseitigkeit auch im Revisionsrekursverfahren gilt.

2. Entgegen der im Revisionsrekurs vertretenen Auffassung war der Rekurs der Beklagten gegen den erstgerichtlichen Beschluss zulässig.

2.1 Vorauszuschicken ist, dass Rechtsmittelausschlüsse als Ausnahmen vom geltenden Rechtsmittelsystem grundsätzlich einschränkend auszulegen sind (4 Ob 9/17b).

2.2 § 319 Abs 1 ZPO sieht vor, dass gegen die zufolge §§ 298, 299, 300, 301, 309 Abs 1 und 2, 310, 314 und 315 ergehenden gerichtlichen „Beschlüsse, Anordnungen und Aufträge“ ein Rechtsmittel nicht zulässig ist. Wie das Rekursgericht zutreffend erkannte, ist ein der Beklagten erteilter Auftrag, bereits zum Akt genommene und verlesene Urkunden in Fotokopie an die Klägerin zu übermitteln, keinem der in § 319 Abs 1 ZPO geregelten Tatbestände zu unterstellen. Auch ein Fall des § 291 Abs 1 ZPO oder des § 319 Abs 2 ZPO, wonach gegen die dort genannten Beschlüsse ein abgesondertes Rechtsmittel nicht zulässig ist, liegt nicht vor.

2.3 Es gilt daher der auch auf prozessleitende Beschlüsse (E. Kodek in Rechberger ZPO4 § 514 Rz 2 mwN) anwendbare allgemeine Grundsatz, wonach im zivilgerichtlichen Verfahren ergangene Beschlüsse, auch wenn sie nicht gesetzlich vorgesehen sind (8 Ob 38/07g = RIS-Justiz RS0122109), anfechtbar sind, wenn ihre Anfechtung nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist (Zechner in Fasching/Konecny IV/1² Vor §§ 514 ff ZPO Rz 30 ff; zu Beschlüssen anlässlich des Urkundenbeweises, die in § 319 ZPO nicht aufgezählt sind, ausdrücklich Fasching III 405).

3. Auch inhaltlich ist die Rechtsauffassung des Rekursgerichts zu billigen:

3.1 (Nur) Wenn dem Gegner ein Exemplar des überreichten Schriftsatzes zuzustellen ist, sind demselben gemäß § 81 Abs 1 ZPO auch Abschriften der Beilagen des Schriftsatzes anzuschließen. Diese Vorschrift, der im Anwendungsbereich der Verordnung der Bundesministerin für Justiz über den elektronischen Rechtsverkehr (ERV 2006; zur Form elektronischer Eingaben eingehend M. Schneider/Gottwald in Fasching/Konecny II/2³ § 74 Rz 39 ff) keine Bedeutung mehr zukommt, ist jedoch auf die Vorlage von Urkunden in der Verhandlungstagsatzung nicht anwendbar.

3.2 Mangels korrespondierender Vorschrift für diese Art der Urkundenvorlage geht auch die Literatur davon aus, dass in der Verhandlung eine Vorlage in einfacher Ausfertigung genügt (Rechberger in Rechberger ZPO4 § 297 Rz 1; Kodek in Fasching/Konecny III² § 297 ZPO Rz 7; Konecny/Schneider in Fasching/Konecny II/2³ § 81 ZPO Rz 1). Die im Anwaltsprozess aus Kollegialität übliche zweifache Vorlage (Kodek in Fasching/Konecny III² § 297 ZPO Rz 7) begründet keinen Rechtsanspruch.

3.3 Es trifft auch nicht zu, dass durch die ERV 2006 in Zusammenhang mit den einschlägigen Vorschriften der §§ 89a ff GOG eine Verpflichtung geschaffen wäre, in der Verhandlung vorgelegte Urkunden (zusätzlich) elektronisch einzubringen. Eine Verpflichtung, Beilagen in Form von elektronischen Urkunden anzuschließen, besteht vielmehr gemäß § 89c Abs 2 Z 3 GOG ausschließlich in Bezug auf Beilagen zu elektronischen Eingaben.

3.4 Der von der Revisionsrekurswerberin angestrebten analogen Anwendung von § 81 Abs 1 ZPO auf die Urkundenvorlage in der Verhandlung steht daher Folgendes entgegen:

a) Der erkennbare Zweck der Vorschrift des § 81 Abs 1 ZPO liegt – soweit dem Schriftsatz wie hier eine Verhandlung nachfolgt – darin, dem Gegner eine Vorbereitung auf diese Verhandlung zu ermöglichen. Erfolgt die Vorlage hingegen in der Verhandlung, verschafft die zusätzliche Aushändigung von Urkundenabschriften gegenüber der Einsichtnahme in die für den Gerichtsakt bestimmten Urkunden (§ 298 Abs 1 ZPO) keinen Vorteil bezüglich der in der Verhandlung abzugebenden Urkundenerklärungen iSd § 298 Abs 3 ZPO.

b) Dazu kommt, dass § 77 Abs 2 ZPO selbst für Urkundenvorlagen in einem Schriftsatz, dem eine Verhandlung nachfolgt, eine Ausnahme von der zweifachen Vorlage ua gerade dann vorsieht, wenn die Urkunden „von bedeutendem Umfange“ sind; was hier in Anbetracht der Vorlage des gesamten Handakts der Beklagten, bestehend aus sechs mit mehr als 30 Aktenordnern gefüllten IKEA-Säcken, jedenfalls zutrifft. (Auch) In diesem Fall ist es ausreichend, wenn im Schriftsatz die Urkunden genau bezeichnet sind und das Anerbieten gemacht wird, dem Gegner Einsicht zu gewähren. Auf die sich schon aus § 297 ZPO ergebende Bezeichnungspflicht hat bereits das Rekursgericht zutreffend verwiesen.

c) Sieht aber der Gesetzgeber sogar für die an sich gebotene zweifache Vorlage von Urkunden in Schriftsätzen bei – wie hier – bedeutendem Urkundenumfang eine Ausnahme vor, müsste die von der Klägerin gewünschte Analogie schon daran scheitern, dass dann gerade die Voraussetzungen für diese Ausnahme vorliegen.

d) Die Auslegung des Rekursgerichts bewirkt entgegen der Meinung der Klägerin weder eine Verletzung ihres rechtlichen Gehörs noch einen Verstoß gegen den Grundsatz der Waffengleichheit: Die Klägerin kann in alle von der Beklagten vorgelegten Urkunden unbeschränkt Einsicht nehmen und sich zu ihnen äußern. Sie kann gemäß § 89i Abs 1 GOG den Antrag auf Übermittlung einer Aktenkopie gegen Kostenersatz stellen, dem nach Maßgabe der technischen Möglichkeiten zu entsprechen ist (vgl dazu Rassi in Fasching/Konecny II/3³ § 219 ZPO Rz 70). Sie ist überdies berechtigt, Abschriften (Fotografien) von den Urkunden herzustellen, soweit sie das für erforderlich erachtet. Ihr dabei entstehende Kosten hat sie zwar zunächst selbst zu tragen (§ 40 Abs 1 ZPO); sie kann aber im Fall des Obsiegens vom Gegner Ersatz verlangen, wenn die Kosten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren.

4. Dem unberechtigten Revisionsrekurs ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekurses gründet sich auf §§ 40, 50 ZPO.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2017:0030OB00057.17D.0510.000
Schlagworte:
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