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OGH vom 27.02.2020, 2Ob60/19s

OGH vom 27.02.2020, 2Ob60/19s

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé und die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach der am ***** 2016 verstorbenen E***** H*****, zuletzt wohnhaft in *****, wegen Feststellung des Erbrechts zwischen den Antragstellern 1. W***** H*****, vertreten durch Urbanek & Rudolph Rechtsanwälte OG in St. Pölten, und 2. R***** H*****, vertreten durch Mag. Alexander Lubich, Rechtsanwalt in Wien, über den Revisionsrekurs des Erstantragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 44 R 105/18v-66, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Donaustadt vom , GZ 51 A 93/16s-48, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Der Erstantragsteller ist schuldig, dem Zweitantragsteller die mit 1.961,82 EUR (darin enthalten 326,97 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die am ***** 2016 verstorbene Erblasserin hinterließ zwei Söhne, die beiden Antragsteller. Mit Testament vom hatte sie ihre Söhne zu gleichteiligen Erben eingesetzt.

Der Erstantragsteller gab eine bedingte Erbantrittserklärung zum gesamten Nachlass ab und beantragte die Einantwortung des gesamten Nachlasses an ihn. Im Verfahren über das Erbrecht brachte er vor, der Zweitantragsteller sei erbunwürdig. Es bestehe der Verdacht, dass er sich das Vermögen bzw Vermögensteile der Erblasserin zu deren Lebzeiten mit Bereicherungsabsicht angeeignet und somit die Straftaten nach § 127, 128, 133, 147 StGB gegen die Erblasserin begangen habe. Weiters habe er gegen seine aus dem Rechtsverhältnis zwischen Eltern und Kindern entspringenden Pflichten gröblich verstoßen. Gleichzeitig mit dem Entzug von Vermögenswerten habe er der Erblasserin nämlich Fürsorglichkeit und Anständigkeit vorgegaukelt, nur um deren besonderes Vertrauen zu erschleichen bzw deren Demenz und Geschäftsunfähigkeit auszunützen.

Der Zweitantragsteller bestritt diese Vorwürfe und wandte ein, dass ihm die Erblasserin die fraglichen Vermögensteile im Herbst 2014 geschenkt und er diese Schenkung angenommen habe.

Das Erstgericht stellte aufgrund des Testaments vom das Erbrecht des Erstantragstellers und des Zweitantragstellers je zur Hälfte des Nachlasses fest und wies die darüber hinausgehende Erbantrittserklärung des Erstantragstellers zurück. Selbst wenn der Zweitantragsteller die Vermögenswerte gestohlen oder veruntreut haben sollte, wäre der erste Fall des § 540 ABGB nicht gegeben, weil § 166 StGB zu beachten sei. Da aber der erste Fall des § 540 ABGB ein spezielleres Verhalten regle, spreche viel dafür, dass ein Familiendiebstahl nicht unter den zweiten Fall des § 540 ABGB zu subsumieren sei.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR nicht übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.

Das Rekursgericht vertrat die Ansicht, Erbunwürdigkeit iSd § 540 zweiter Fall ABGB liege zB vor, wenn das Kind seine schwer kranke Mutter nicht im Krankenhaus besuche und erkläre, „die soll hin werden“, oder bei Handlungen, die auch ein Hilfloslassen im Notstand iSd § 768 Z 2 ABGB nach sich zögen, wie zB Vernachlässigung der Unterhaltspflicht in einem derartigen Ausmaß, dass der Unterhaltsberechtigte in einen Notstand gerate, oder, wenn bei lebensbedrohlicher Erkrankung Besuche im Krankenhaus und jegliche menschliche Anteilnahme unterlassen würden, sowie bei völligem Alleinlassen betagter Eltern in ihrer Vereinsamung. Unter Zugrundelegung dieser Beispiele sei ein Familiendiebstahl nach § 166 StGB nicht unter den zweiten Fall des § 540 ABGB zu subsumieren.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei zuzulassen, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage bestehe, ob das Vorliegen einer strafbaren Handlung nach § 166 StGB einen Fall der Erbunwürdigkeit nach § 540 zweiter Fall ABGB idF vor dem ErbRÄG 2015 darstellen könne.

Der Erstantragsteller vertritt in seinem auf gänzliche Stattgebung seines Antrags gerichteten Revisionsrekurs den Standpunkt, dass diese Frage zu bejahen sei, sofern – wie hier – „Tatvor- und Nachbereitungshandlungen“ hinzuträten, zumal der Zweitantragsteller der Erblasserin aktiv vorgespielt habe, sie zu umsorgen und sich um ihre Belange zu kümmern, um sie in Sicherheit zu wiegen. Damit habe er seine Pflicht zur anständigen Begegnung nach § 137 ABGB gröblich vernachlässigt und es liege Erbunwürdigkeit vor.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG) – Ausspruch des Rekursgerichts ist der Revisionsrekurs . Die Entscheidung hängt letztlich nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG ab:

1. Aufgrund des Todeszeitpunkts der Erblasserin sind gemäß § 1503 Abs 7 Z 1 und 2 ABGB auf den vorliegenden Fall noch die vor dem Inkrafttreten des ErbRÄG 2015, BGBl I 2015/87, geltenden Bestimmungen anzuwenden.

2. Der Fall der gröblichen Vernachlässigung der sich aus dem Rechtsverhältnis zwischen Eltern und Kindern ergebenden Pflichten dem Erblasser gegenüber wurde mit dem ErbRÄG 1989, BGBl 656/1989, als Erbunwürdigkeitsgrund in § 540 ABGB aufgenommen.

Hintergrund dieser Änderung war (ua), dass durch das ErbRÄG 1989 die erbrechtliche Gleichstellung von unehelichen mit ehelichen Kindern und damit das wechselseitige gesetzliche Erbrecht zwischen unehelichen Vätern und Kindern geschaffen wurde. In den Materialien (JAB 1158 BlgNR 17. GP 3) wurde dazu ausgeführt, damit gewinne der Fall an Bedeutung, dass die Pflichten, die sich aus dem (unehelichen) familienrechtlichen Verhältnis ergeben, nicht erfüllt werden. Eine solche Pflichtverletzung komme gerade gegenüber Minderjährigen vor und wiege dann auch besonders schwer. Da ein unmündiges Kind aber die Pflichtverletzung nicht als Enterbungsgrund geltend machen könne, weil es nicht letztwillig verfügen könne, solle diese Pflichtverletzung kein Enterbungs-, sondern ein Erbunwürdigkeitsgrund sein, der unabhängig von einer letztwilligen Verfügung des Erblassers die Erbfolge verhindere.

3. Nicht jede Pflichtverletzung kommt daher nach § 540 zweiter Fall ABGB als Erbunwürdigkeitsgrund in Frage, sie muss vielmehr „gröblich“, also gewichtig oder schwer anstößig sein (vgl Likar-Peer in Klang³ § 540 Rz 37; Eccher in Schwimann/Kodek4 III § 540 Rz 16; Gitschthaler, Erbunwürdigkeit/Enterbung bei Vernachlässigung familienrechtlicher Pflichten, EF-Z 2018/51, 108 [111]).

4. Die vom Rekursgericht als erheblich iSd § 62 Abs 1 AußStrG bezeichnete Rechtsfrage, ob eine nicht schon nach dem ersten Fall des § 540 ABGB aF zur Erbunwürdigkeit führende strafbare Handlung im Familienkreis (§ 166 StGB) für sich genommen den Tatbestand des zweiten Falles erfüllen könnte, kann allerdings auf sich beruhen:

Denn der Erstantragsteller selbst sieht in seinem Revisionsrekurs das Kriterium einer gröblichen Vernachlässigung der sich gegenüber dem Erblasser aus dem Familienverhältnis ergebenden Pflichten nur darin verwirklicht, dass zur behaupteten Straftat diverse weitere Pflichtverletzungen des Zweitantragstellers hinzugetreten sind. Diese von ihm angeführten „zusätzlichen“ Pflichtverletzungen erschöpfen sich aber in ganz allgemein gehaltenen Vorwürfen („aktives Vorspiegeln“; „in Sicherheit wiegen“; „Vorgaukeln von Fürsorglichkeit“; „Ausnützen von Demenz und Geschäftsunfähigkeit“) ohne konkretes Tatsachensubstrat. Damit vermag er eine Anstößigkeit oder Gewichtigkeit im Sinne der erforderlichen gröblichen Pflichtverletzung – auch in Zusammenschau mit der behaupteten strafbaren Handlung im Familienkreis (§ 166 StGB) – nicht darzutun.

5. Der Revisionsrekurs ist daher mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 78, 185 AußStrG.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2020:0020OB00060.19S.0227.000

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