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OGH vom 19.10.2016, 7Nc18/16f

OGH vom 19.10.2016, 7Nc18/16f

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Höllwerth und Dr. Singer als weitere Richter in der Rechtssache der Antragstellerin f***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Bernhard Krump, Rechtsanwalt in Gössendorf, gegen die Antragsgegnerin Q***** Ltd, *****, wegen Ordination (§ 28 JN), den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Ordinationsantrag wird abgewiesen.

Text

Begründung:

Nach den Behauptungen im Ordinationsantrag beabsichtigt die Antragstellerin, die Antragsgegnerin infolge teilweiser Nichterfüllung des Kaufvertrags aus dem Jahr 2007 (unterbliebene Lieferung von zehn Containerladungen an Kürbiskernen) und Unterlassen der vereinbarten Ersatzlieferung auf den Differenzbetrag zwischen dem Marktpreis und dem vereinbarten Preis von insgesamt 462.387 EUR in Anspruch zu nehmen; ein Nachteil in zumindest dieser Höhe sei ihr aus zwischenzeitig erforderlich gewordenen Deckungskäufen entstanden. Die Antragsgegnerin habe zwar Ersatzlieferungen zu einem späteren Zeitpunkt ausdrücklich zugesagt, diese jedoch nicht vorgenommen. Der Sitz der Antragstellerin sei ebenso im Inland gelegen wie der Wohnsitz ihrer Gesellschafter mit österreichischer Staatsbürgerschaft. Die Antragsgegnerin sei eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach chinesischem Recht mit Hauptsitz in der Volksrepublik China. Nach allgemeinen Zuständigkeitsregeln wäre das Verfahren vor einem chinesischen Volksgericht einzuleiten; dies sei der Antragstellerin unzumutbar im Sinn des § 28 Abs 1 Z 2 JN. In der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 7 Nc 4/13t sei durch eine vorgelegte Warnung der Wirtschaftskammer Österreich als bescheinigt angenommen worden, dass Verfahren vor chinesischen Volksgerichten sehr zeit- und kostenintensiv seien, weshalb sie nur bei großen Streitwerten in Betracht gezogen werden sollten, und es werde von der Wahl chinesischer ordentlicher Gerichte abgeraten, weil die Verfahren häufig lange dauerten und die Urteile nach wie vor „unberechenbar“ seien. Das Österreichische Außenwirtschaftscenter Peking der Wirtschaftskammer Österreich habe die Antragstellerin mit Schreiben vom (dem Antrag beiliegend) gleichartig gewarnt. Sollte hingegen die im Vertrag enthaltene Schiedsklausel auf die vorliegende Streitigkeit anzuwenden sein, so sei der Antragstellerin auch eine Verfahrensführung vor dem darin vorgesehenen Schiedsgericht „China International Economic Trade and Arbitrage Commission“ (in der Folge: CIETAC) mit (Haupt-)Sitz in Peking aus denselben Gründen unzumutbar. Das Verfahren sei sogar noch kostenintensiver; so sei im vorliegenden Fall etwa mit Verfahrensgebühren und Kostenvorschüssen von rund 30.000 EUR zu rechnen, die vorweg zu erlegen seien; dies überfordere die Antragstellerin finanziell. In der Literatur werde das Verfahren vor der CIETAC als nicht hinreichend fair und zu chinafreundlich kritisiert; die Kritikpunkte seien auch durch die aktuelle Verfahrensordnung nicht ausgeräumt worden. Hervorgehoben werde das unausgewogene Verhältnis von auswählbaren chinesischen und nichtchinesischen Schiedsrichtern. Zu berücksichtigen sei auch die in der Volksrepublik China herrschende politische Einflussnahme auf alle ihre Institutionen. Dies begründe bei jeder nichtchinesischen Partei erhebliche Bedenken dagegen, bei der CIETAC ein hinreichend faires Verfahren vorzufinden und eine hinreichend objektive Entscheidung zu erhalten. Die Antragsgegnerin beliefere den europäischen Gemeinschaftsraum immer wieder mit Waren, lagere diese hier auch ein und unterhalte in Deutschland eine Handelsniederlassung. Es bestehe daher die Möglichkeit, den aus einem Exekutionstitel eines österreichischen Gerichts resultierenden Anspruch gegen die Antragsgegnerin in Österreich und anderen europäischen Staaten im Weg der Fahrnis- und/oder Forderungsexekution zwangsweise durchzusetzen.

Rechtliche Beurteilung

Der Ordinationsantrag ist nicht berechtigt.

1. Die Ordination kann in der Regel nur für einen bestimmten Anspruch, der im streitigen Verfahren grundsätzlich durch Vorlage einer Klage entsprechend zu individualisieren ist, bewilligt werden (RIS-Justiz RS0036093 [T1], RS0046300). Allerdings wird es auch als ausreichend angesehen, wenn dem Ordinationsantrag der gesamte Klagsinhalt zu entnehmen ist, was dann die zur Individualisierung des Anspruchs in der Regel erforderliche Vorlage der Klage entbehrlich macht (RIS-Justiz RS0036093 [T3], RS0046300 [T2]). Dem vorliegenden Antrag ist der Inhalt der beabsichtigten Klage ausreichend zu entnehmen, weshalb die unterbliebene Vorlage einer Klage hier die Ordination nach § 28 JN grundsätzlich nicht hindert.

2. Die begehrte Ordination nach § 28 Abs 1 Z 2 JN setzt voraus, dass der Kläger österreichischer Staatsbürger ist oder seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz im Inland hat und im Einzelfall die Rechtsverfolgung im Ausland nicht möglich oder unzumutbar wäre. Gemäß § 28 Abs 4 zweiter Satz JN hat der Kläger in streitigen bürgerlichen Rechtssachen das Vorliegen der Voraussetzungen nach Abs 1 Z 2 oder 3 zu behaupten und zu bescheinigen.

3. § 28 Abs 1 Z 2 JN soll die Fälle abdecken, in denen trotz Fehlens eines Gerichtsstands im Inland ein Bedürfnis nach Gewährung inländischen Rechtsschutzes vorhanden ist, weil ein Naheverhältnis zum Inland besteht und im Einzelfall keine effektive Klagemöglichkeit im Ausland gegeben ist (vgl Garber in Fasching/Konecny³ § 28 JN Rz 54).

4. Die Antragstellerin erfüllt die erste der beiden von § 28 Abs 1 Z 2 JN aufgestellten Voraussetzungen (Naheverhältnis zum Inland) im Hinblick auf ihren Sitz in Österreich. Das Vorliegen der zweiten Voraussetzung (nämlich die Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland) wird in der Rechtsprechung insbesondere dann bejaht, wenn die ausländische Entscheidung in Österreich nicht anerkannt oder vollstreckt wird (allerdings unter der weiteren Voraussetzung, dass überhaupt eine Exekutionsführung im Inland geplant ist; RIS Justiz RS0046148 [T10]), eine dringende Entscheidung im Ausland nicht rechtzeitig erreicht werden kann, eine Prozessführung im Ausland wenigstens eine der Parteien politischer Verfolgung aussetzen würde oder wenn die Prozessführung im Ausland äußerst kostspielig wäre (RIS Justiz RS0046148; Mayr in Rechberger 4 § 28 JN Rz 4 mwN).

5. Der vorliegende Vertrag über eine Warenlieferung sieht die Durchführung eines Schiedsverfahrens vor der CIETAC für alle Streitigkeiten im Zusammenhang mit diesem Vertrag oder der Durchführung desselben vor, wenn keine Einigung durch Verhandlungen erzielt wird. Nach den Angaben im Ordinationsantrag sagte die Antragsgegnerin bloß die nachträgliche Erfüllung im Umfang ihrer nicht (ordnungsgemäß) erbrachten Leistung zu; bezogen auf den von der Antragstellerin nunmehr verfolgten Anspruch infolge Verletzung des Liefervertrags fand zwischen den Parteien jedoch keine Einigung statt. Die Schiedsklausel ist schon aus diesem Grund auf diese Streitigkeit als im Zusammenhang mit dem Vertrag stehend anwendbar. Der Anspruch ist daher grundsätzlich vor der CIETAC geltend zu machen, sodass sich Fragen im Zusammenhang mit der Geltendmachung von Ansprüchen vor einem chinesischen Volksgericht nicht stellen.

6. Dem New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom (NYÜ) sind China und alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union beigetreten. Es knüpft an den Schiedsort an, der nicht im Anerkennungs- oder Vollstreckungsstaat liegt (Art I Abs 1 Satz 1 NYÜ), hier die Volksrepublik China. Damit ist aber ein Schiedsspruch der CIETAC grundsätzlich im gesamten europäischen Gemeinschaftsraum vollstreckbar und kann daher grundsätzlich auch in Österreich anerkannt und vollstreckt werden (vgl 3 Ob 208/15g). Aus diesem Zusammenhang heraus ergibt sich demnach keine Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland.

7. Es liegt keine Bescheinigung dafür vor, dass mit Verfahren vor der CIETAC die Rechtsverfolgung stark beeinträchtigende Verfahrensverzögerungen, welche die Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland rechtfertigen könnten, zu gewärtigen wären.

8. Das von der Antragstellerin ins Treffen geführte Kostenargument ist nach ständiger Rechtsprechung nur in Ausnahmefällen geeignet, einen Ordinationsantrag zu begründen. Im Regelfall stellt sich das Prozesskostenargument nämlich bei Distanzprozessen für beide Parteien jeweils mit umgekehrten Vorzeichen und geht daher zu Lasten des Klägers (RIS-Justiz RS0046420). Vorzuschießende Kosten des Schiedsverfahrens von 30.000 EUR sind bei einem Streitwert von über 450.000 EUR nicht so außergewöhnlich, dass sie eine Ordination rechtfertigen könnten. Dass sich die Antragstellerin diese Kosten nicht leisten könnte, wurde nicht bescheinigt und ist auch im Hinblick auf den zu Grunde liegenden Umsatz nicht erkennbar.

9. Konkrete politische Einflussnahmen bezogen auf die CIETAC werden im Ordinationsantrag nicht dargelegt. Solche ergeben sich auch nicht aus den vorgelegten Unterlagen.

10. Bezogen auf die aktuelle Verfahrensordnung hat die Antragstellerin keine Bestimmungen dargelegt, die für die Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung vor der CIETAC sprechen würden. So wird beispielsweise zum Hauptargument der – mangels Parteieneinigung allein maßgeblichen – Schiedsrichterliste eingeräumt, dass darin auch Schiedsrichter aus dem deutschen Sprachraum genannt sind. Im Übrigen hat sich die Antragstellerin bei Vertragsabschluss mit einem Verfahren vor der CIETAC einverstanden erklärt. Zwischenzeitlich eingetretene Verschlechterungen in der Verfahrensführung werden nicht behauptet; vielmehr ergeben sich aus dem vorgelegten Beitrag von Öhlberger (Die neue Schiedsordnung der CIETAC, ecolex 2012, 487) sogar zahlreiche Verbesserungen infolge der am in Kraft getretenen neuen Schiedsordnung.

11. Die Ausführungen der Antragstellerin in ihrem Ordinationsantrag vermögen somit insgesamt die Voraussetzungen des § 28 Abs 1 Z 2 JN nicht darzustellen. Der Antrag war daher abzuweisen.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2016:0070NC00018.16F.1019.000

Fundstelle(n):
BAAAD-62645