OGH vom 21.03.2002, 2Ob60/02s
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verlassenschaft nach Leopoldine A*****, vertreten durch Dr. Hans Christian Kollmann, Dr. Edgar Hofbauer und Mag. Jürgen W. Zahradnik, Rechtsanwälte in Lambach, gegen die beklagte Partei Leopoldine S*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Berger und Dr. Josef W. Aichlreiter, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen EUR 47.397,22 sA (S 652.200,--) über den namens der klagenden Partei erhobenen Rekurs des Dr. Roland Mühlschuster, Rechtsanwalt in Thalheim, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom , GZ 1 R 182/01t-14, womit die von Dr. Roland Mühlschuster namens der klagenden Partei erhobene Berufung gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom , GZ 7 Cg 90/00x-9, zurückgewiesen wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung ON 10 nach Verfahrensergänzung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Mit ihrer am überreichten Klage begehrte Leopoldine A*****, vertreten durch den Sachwalter Franz A*****, vertreten durch Dr. Hans Christian Kollmann, Dr. Edgar Hofbauer und Mag. Jürgen W. Zahradnik, Rechtsanwälte in Lambach, von der Beklagten die Rückzahlung eines Darlehens. Die Klägerin verstarb am . Die vom Sachwalter in Vertretung der Klägerin bevollmächtigten Rechtsanwälte schritten im weiteren Verfahren erster Instanz unter Berufung auf die ihnen erteilte Vollmacht ein.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Dieses Urteil wurde an Dr. Edgar Hofbauer, Rechtsanwalt in Lambach, zugestellt.
Gegen dieses Urteil richtete sich eine von Dr. Roland Mühlschuster, Rechtsanwalt in Thalheim, unter Berufung auf eine ihm von der klagenden Partei erteilte Vollmacht für die klagende Partei erhobene Berufung (ON 10). Auf der Berufungsschrift fehlte die Unterschrift des einschreitenden Rechtsanwaltes.
Das Berufungsgericht wies die Berufung als unzulässig zurück.
Aus Anlass der Prüfung der Vertretungsbefugnis des Rechtsanwaltes Dr. Roland Mühlschuster für die Verlassenschaft nach der am verstorbenen Leopoldine A***** hat das Berufungsgericht aus dem Verlassenschaftsakt folgendes erhoben:
Leopoldine A***** ist unter Hinterlassung der Kinder Franz A***** (des vormaligen Sachwalters), Elisabeth A*****, Eva H*****, Johanna H*****, Gertraud K***** und Leopoldine S***** (der Beklagten) sowie der Kinder ihres vorverstorbenen Sohnes Friedrich A*****, nämlich Andreas A*****, Franz A***** und Mag. Eva A*****, verstorben. Leopoldine A***** hat in ihrer letztwilligen Verfügung vom ein Legat zu Gunsten ihrer Tochter Elisabeth A***** angeordnet.
Im Verlassenschaftsakt erliegen derzeit die Kopien eines am , somit am Tag nach der Überreichung der Berufungsschrift, vom Gerichtskommissär aufgenommenen Protokolls sowie der vom Gerichtskommissär an Leopoldine S***** ergangenen Vorladungen zu Tagsatzungen am und am , welche jeweils Rechtsbelehrungen gemäß § 120 Abs 1 2. Satz AußStrG enthalten, sowie Kopien der Rückscheine betreffend die an Leopoldine S***** gerichteten Ladungen. Selbst wenn daher Leopoldine S***** im Protokoll vom als anwesend geführt wurde, ist davon auszugehen, dass keine der im Protokoll aufscheinenden, teils unleserlichen Unterschriften der Leopoldine S***** zuzuordnen ist.
Nach dem Inhalt des über die Tagsatzung vom aufgenommenen Protokolls gaben Franz A*****, Elisabeth A*****, Eva H*****, Johanna H***** und Gertraud K***** bedingte Erbserklärungen zu je 1/7 und Andreas A*****, Franz A***** und Mag. Eva A***** bedingte Erbserklärungen zu je 1/21 des Nachlasses ab. Sie verwiesen zum Erbsrechtsausweis gemäß § 123 AußStrG auf die unbedenklichen Angaben in der Todfallsaufnahme und beantragten, diese Erklärungen zu Gericht anzunehmen. In das sodann errichtete Hauptinventar wurde die im vorliegenden Rechtsstreit geltend gemachte Forderung der Verstorbenen gegen Leopoldine S***** nicht aufgenommen. Die Parteien erstatteten sodann den Legatsausweis, beantragten diesen als erbracht anzusehen, ihnen den Nachlass einzuantworten und Franz A***** abhandlungsbehördlich zu ermächtigen, über das in den Nachlass fallende Guthaben, die Einlagebücher sowie den Personenkraftwagen der Erblasserin frei zu verfügen. Die in der Tagsatzung vom gestellten Anträge wurden bislang dem Abhandlungsgericht noch nicht zur Entscheidung vorgelegt.
Hieraus ergab sich für das Berufungsgericht folgendes:
Die durch einen Sachwalter vertretene Verstorbene habe den Rechtsanwälten Dr. Hans Christian Kollmann, Dr. Edgar Hofbauer und Mag. Jürgen W. Zahradnik Prozessvollmacht erteilt. Diese hätten noch vor dem Tod der Leopoldine A***** eine sachwalterschaftsgerichtlich genehmigte Klage überreicht. Die für Leopoldine A***** angeordnete Sachwalterschaft sei gemäß § 283 Abs 1 iVm § 249 ABGB durch den Tod der Betroffenen erloschen, sodass ihr Sohn und Sachwalter Franz A***** ab diesem Zeitpunkt zu Änderungen am bestehenden Prozessvollmachtsverhältnis nicht mehr legitimiert gewesen sei. Da die Prozessvollmacht gemäß § 35 Abs 1 ZPO durch den Tod der Vollmachtgeberin nicht aufgehoben worden sei, sei das weitere Einschreiten der vom Sachwalter zu Lebzeiten der Leopoldine A***** in deren Vertretung bevollmächtigten Rechtsanwälte in erster Instanz nach deren Tod sowie weiters die an diese erfolgte Zustellung des Urteils zulässig.
Gemäß § 35 Abs 2 ZPO seien nur die Rechtsnachfolger des Vollmachtgebers zum Widerruf der Prozessvollmacht berechtigt. Es könne für die Beurteilung des vorliegenden Sachverhaltes dahingestellt bleiben, ob § 35 Abs 2 ZPO den Erben zum Widerruf der Prozessvollmacht tatsächlich ausschließlich ab der die Universalsukzession bewirkenden Einantwortung als legitimiert erachte, oder ob hiefür die Überlassung der Verwaltung und Besorgung des Nachlasses (§ 145 AußStrG) oder allenfalls bereits die Annahme der Erbserklärung durch das Verlassenschaftsgericht ausreiche, denn bislang seien nicht einmal die - im Übrigen erst nach Überreichung der Berufungsschrift abgegebenen - Erbserklärungen angenommen worden.
Gemäß § 145 Abs 1 AußStrG habe das Gericht dem Erben oder dessen gesetzmäßigem Vertreter, dessen Erbrecht hinreichend ausgewiesen sei (§ 810 ABGB), die Besorgung und Verwaltung der Verlassenschaft zu überlassen. Nach nunmehr herrschender Lehre erfolge die Überlassung der Besorgung und Verwaltung nicht kraft Gesetzes, sondern durch konstitutiven Beschluss des Abhandlungsgerichtes. Solange der Beschlus nicht erlassen worden sei, hätten auch die Erben, die den Nachlass angetreten und ihr Erbrecht ausgewiesen hätten, kein Vertretungsrecht und es mangle an der gehörigen Vertretung des Nachlasses, wenn sie dennoch für ihn im Verfahren aufträten. In der uneinheitlichen Judikatur fehle eine ausdrückliche Stellungnahme zur Notwendigkeit eines konstitutiven Beschlusses des Abhandlungsgerichtes. Jedenfalls bis in das Jahr 1982 sei die Auffassung vertreten worden, im Zweifel sei anzunehmen, dass dann, wenn das Gericht die Erbserklärung annehme und erkläre, dass es den Erbrechtsausweis für erbracht ansehe, damit dem Erben auch die Besorgung und Verwaltung des Nachlasses überlassen worden sei.
In der zweitinstanzlichen Judikatur sei die Notwendigkeit der Übertragung der einstweiligen Verwaltung und Besorgung des Nachlasses an den erbserklärten Erben durch einen konstitutiven Beschluss ausdrücklich bejaht worden. Weiters werde in einer Reihe höchstgerichtlicher Entscheidungen ohne Erörterung der Notwendigkeit der Überlassung der Besorgung und Verwaltung des Nachlasses durch einen Beschluss des Verlassenschaftsgerichtes davon ausgegangen, dass es eines solchen bedürfe.
Aus dieser Darstellung ergebe sich für den zu beurteilenden Sachverhalt jedenfalls, dass - selbst der in SZ 49/149 vertretenen Auffassung folgend - mangels bislang erfolgter Annahme von Erbserklärungen kein Fall vorliegen könne, in dem ein für die Verlassenschaft Vertretungsbefugter die den Rechtsanwälten Dr. Hans Christian Kollmann, Dr. Edgar Hofbauer und Mag. Jürgen W. Zahradnik erteilte Vollmacht widerrufen und an Rechtsanwalt Dr. Roland Mühlschuster Vollmacht erteilt haben könne. Hieraus folge, dass eine zur Erhebung eines Rechtsmittels nicht legitimierte Person an Rechtsanwalt Dr. Roland Mühlschuster die Vollmacht zur Erhebung der Berufung erteilt haben müsse. Da die Legitimation des Rechtsmittelwerbers eine Zulässigkeitsvoraussetzung sei, führe deren Fehlen zur Zurückweisung der Berufung in nichtöffentlicher Sitzung. Damit erübrige sich auch die Durchführung eines Verbesserungsverfahrens zur Nachholung der fehlenden Unterfertigung durch Rechtsanwalt Dr. Roland Mühlschuster.
Es bestehe weder ein Anlass zur Einleitung eines Sanierungsversuches gemäß §§ 6 f ZPO noch eines Verbesserungsverfahrens gemäß §§ 84, 85 ZPO. Die §§ 6 f ZPO bezögen sich auf den Mangel der Prozessfähigkeit, der gesetzlichen Vertretung sowie der etwa erforderlichen besonderen Ermächtigung zur Prozessführung. Das Fehlen der Rechtsmittellegitimation sei kein verbesserungsfähiger Form- oder Inhaltsmangel im Sinne der §§ 84 f ZPO. Festzuhalten sei, dass ein Eingriff in die bereits eingetretene Rechtskraft des erstgerichtlichen Urteils vorläge, sollte man demjenigen, der - offensichtlich nach Widerruf der zunächst vom Sachwalter erteilten Vollmacht - dem Rechtsanwalt Dr. Roland Mühlschuster Vollmacht erteilt habe, ermöglichen, nunmehr vom Verlassenschaftsgericht nachträglich eine seine Legitimation zur Erhebung der Berufung begründende Entscheidung zu erwirken.
Gegen diesen Zurückweisungsbeschluss richtet sich der namens der klagenden Verlassenschaft erhobene Rekurs des Dr. Roland Mühlschuster wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass seine Berufung - allenfalls nach Durchführung eines Sanierungs- und Verbesserungsverfahrens - zugelassen und dem Berufungsgericht eine Entscheidung über die Berufung aufgetragen werde.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO zulässig, er ist im Sinne des implicite gestellten Aufhebungsantrages auch berechtigt.
Vorauszuschicken ist, dass der Einschreiter - der auch in dritter Instanz das von der zweiten Instanz verneinte Vertretungsrecht in Anspruch nimmt - im Streit über seine Vertreterstellung rechtsmittellegitimiert ist (1 Ob 362/97k = SZ 70/246).
Der Einschreiter versucht seine Vertretungsbefugnis, für die klagende Partei Berufung zu erheben, aus mehreren - hiefür allerdings untauglichen - Umständen abzuleiten:
Aus dem Schreiben des Rechtsanwaltes Dr. Hofbauer, welcher die klagende Partei im erstinstanzlichen Verfahren vertreten hat, vom an den vormaligen Sachwalter ergibt sich lediglich die Bitte um Weisung, ob gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung erhoben werden soll; eine Bevollmächtigung durch Dr. Hofbauer ist daraus nicht ersichtlich.
Für eine weitere Tätigkeit des Sachwalters (iSd § 1022 ABGB) nach dem Tod der Betroffenen im Zusammenhang mit dem anhängigen Zivilprozess bestand kein Anlass, weil die Verlassenschaft ohnehin anwaltlich (durch Dr. Hofbauer und Kanzleikollegen) vertreten war (§ 35 Abs 1 ZPO). Der Einschreiter hat lediglich behauptet, die Erben wären "größtenteils mit der Vertretung im erstinstanzlichen Verfahren nicht zufrieden" gewesen. Dieser Umstand kann aber dem in § 1022 ABGB geregelten Fall, dass sich die angefangene Geschäftsbesorgung ohne offenbaren Nachteil für die Erben nicht unterbrechen lässt (vgl Strasser in Rummel3 §§ 1020 bis 1026 ABGB Rz 21) nicht gleichgehalten werden.
Eine Duldungsvollmacht des Dr. Hofbauer zu Gunsten des Dr. Mühlschuster ist im Prozessrecht ausgeschlossen; die Prozessvollmacht muss ausdrücklich (und nicht schlüssig) erteilt werden (5 Ob 2179/96v = MietSlg 48.581).
Eine für die Verlassenschaft wirksame Vollmachtserteilung durch Erben kommt nicht in Frage, weil vor Überreichung der Berufungsschrift Erbserklärungen weder abgegeben noch gerichtlich angenommen waren. Es erübrigt sich daher die Erörterung der vom Berufungsgericht diskutierten Frage, ob es für die Überlassung der Besorgung und Verwaltung des Nachlasses eines konstitutiven Beschlusses des Abhandlungsgerichtes bedarf.
Dr. Mühlschuster war somit bei Überreichung der Berufung ON 10 nicht Vertreter der klagenden Verlassenschaft. Die auf diesem Schriftsatz fehlende Unterschrift hat er inzwischen auf einer nach Zurückweisung seiner Berufung eingebrachten weiteren Ausfertigung seines Berufungsschriftsatzes nachgeholt (ON 17), sodass insoweit kein Anlass zu einem Verbesserungsauftrag besteht.
Obwohl also die namens der klagenden Partei erhobene Berufung ON 10 nicht von den Klagevertretern (Dr. Hofbauer ua), sondern von einem anderen Rechtsanwalt stammte, hätte das Berufungsgericht vor Zurückweisung der Berufung doch einen Sanierungsversuch - durch Nachholung der Unterschrift eines Klagevertreters - unternehmen müssen, um es der klagenden Partei zu ermöglichen, weiteren Rechtschutz zu erhalten. Die Rechtssache war daher unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Sollte Dr. Hofbauer (oder einer seiner mitbevollmächtigten Kanzleikollegen) im fortgesetzten Verfahren innerhalb einer zu setzenden Frist die Berufung ON 10 unterfertigen, wäre über diese meritorisch zu entscheiden. Sollte er dies nicht tun, wäre neuerlich mit Zurückweisung der vollmachtslos erhobenen Berufung ON 10 vorzugehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.