OGH vom 16.02.1984, 7Ob511/84

OGH vom 16.02.1984, 7Ob511/84

Norm

ZustG § 16 Abs 5;

ZustG § 17 Abs 3;

Kopf

SZ 57/34

Spruch

Eine Zustellung durch Hinterlegung an einen vorübergehenden ortsabwesenden Empfänger ist wirksam, wenn ihm für ein Rechtsmittel ein gleicher Zeitraum zur Verfügung stand wie einem ortsanwesenden Empfänger, an den nur wegen Abwesenheit von der Abgabestelle durch Hinterlegung zugestellt wurde

(LG Linz 13 R 864/83; BG Linz 2 P 300/81) = RdW 1984, 367 (Schwaighofer)

Text

In der Pflegschaftssache des am 10. 11. 1897 geborenen, beschränkt entmundigten Johann B hat das Erstgericht einen Antrag der Eheleute Helene und Rudolf S abgewiesen. Der Beschluß des Erstgerichtes konnte am Montag, dem , unter der Anschrift der Eheleute S nicht zugestellt werden, weshalb er beim Postamt mit dem Vermerk "Beginn der Abholfrist " hinterlegt wurde. Die Eheleute S haben die Sendung nach ihren eigenen Angaben am Mittwoch, dem , behoben. Den am zur Post gegebenen Rekurs der Eheleute S hat das Rekursgericht mit dem angefochtenen Beschluß als verspätet zurückgewiesen.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Eheleute S nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Rekurswerber behaupten die nicht ordnungsgemäße Zustellung des erstgerichtlichen Beschlusses, weil Helene S am nach K gefahren war und erst am zurückkam, während Rudolf S seine Wohnung am verließ und erst am dorthin zurückkehrte.

Maßgebend für die Beurteilung der ordnungsgemäßen Zustellung sind die nun in Geltung stehenden Bestimmungen des Zustellgesetzes. Daß sich die Rekurswerber regelmäßig an der Abgabestelle (ihrer Wohnung) aufhalten und daher grundsätzlich Zustellungen unter dieser Anschrift vorgenommen werden dürfen, wird von ihnen nicht bestritten. Strittig ist lediglich, ob im konkreten Falle eine Ersatzzustellung wegen vorübergehender Ortsabwesenheit der Rechtsmittelwerber nicht vorgenommen hätte werden dürfen. Diesbezüglich ordnet § 17 Abs. 3 ZustG an, daß hinterlegte Sendungen mit dem ersten Tag der Abholfrist als zugestellt gelten. Dieser erste Tag war hier der , weshalb, ausgehend von ihm, die vierzehntägige Rekursfrist bei Einbringung des Rechtsmittels bereits abgelaufen war. Ginge man dagegen erst vom aus, wäre das Rechtsmittel gegen den Beschluß der ersten Instanz rechtzeitig erhoben worden.

Nach § 17 Abs. 3 vierter Satz ZustG gelten Sendungen nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, daß der Empfänger oder dessen Vertreter iS des § 13 Abs. 3 ZustG wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte; doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem die hinterlegte Sendung behoben werden könnte.

Bei Erlassung der oben angeführten Bestimmung hatte der Gesetzgeber die bisherige Judikatur im Auge, derzufolge eine periodische kurzfristige Abwesenheit tagsüber nicht als Ortsabwesenheit galt, vielmehr eine in ihrer Dauer entweder unbestimmte oder aber eine, wenn auch kurzfristige, doch unregelmäßige und nicht vorhersehbare Abwesenheit gefordert wurde (Fasching II 590). Daraus hat die Judikatur abgeleitet, daß die bloß berufsbedingte Abwesenheit untertags ein Zustellhindernis auch dann nicht begrunde, wenn der Empfänger am Tage des Zustellversuches nicht mehr in der Lage war, die Sendung zu beheben. Insbesondere wurde hiebei auch ausgeführt, daß eine Ortsabwesenheit, die einer Zustellung durch Hinterlegung entgegensteht, selbst dann nicht anzunehmen ist, wenn sich der Empfänger untertags nicht in der Gemeinde der Zustellung, sondern außerhalb dieser aufgehalten hat (7 Ob 763/82).

Das Zustellgesetz hat gegenüber der bisherigen Rechtslage, zumindest im Wortlaut, insofern eine Änderung gebracht, als bei den Erfordernissen für die Wirksamkeit einer Zustellung durch Hinterlegung die rechtzeitige Kenntnis vom Zustellvorgang angeführt wurde. Über die Bedeutung dieses Zusatzes sind bisher in der Literatur mehrere Stellungnahmen erfolgt. Achatz (in NZ 1983, 124) und Walter-Mayer (Zustellrecht, Anm. 35 zu § 16) haben ausgeführt, daß die Kenntniserlangung des Empfängers vom Zustellvorgang dann rechtzeitig sein wird, wenn etwa eine mit der gemäß § 16 Abs. 1 ZustG zulässig vorgenommenen Ersatzzustellung ausgelöste Frist noch insoweit dem Empfänger bei der Rückkehr an die Abgabestelle offen ist, daß angemessene Zeit zur Verfügung steht, um auf den Inhalt der Sendung rechtzeitig, also wirksam, reagieren zu können. Diese Auffassung geht auf Berchtold (Zustellgesetz, 33) zurück, der sie ausdrücklich auch für Rechtsmittelfristen vertritt und hiebei ausführt, daß die Frage der "angemessenen Zeit" immer nur anhand der Umstände des Einzelfalles beurteilt werden könne.

Gegen die oben dargestellte Rechtsansicht hat sich Schwaighofer (in AnwBl. 1983, 381) gewandt, wobei er ausführte, eine derartige individuelle Behandlung des Einzelfalles sei nicht erstrebenswert. "Angemessen" sei die Frist für die Erhebung eines Rechtsmittels immer nur dann, wenn dem Rechtsmittelwerber noch die volle Rechtsmittelfrist zur Verfügung steht. Es sei nämlich Sache des Gesetzgebers zu beurteilen, welche Frist er für die Erhebung von Rechtsmitteln für notwendig erachtet. Wenn daher durch die Zustellung eines Schriftstückes Fristen in Lauf gesetzt werden, konnte der Empfänger nur dann rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen, wenn ein pflichtbewußter Mensch in dessen Lage Zeit gefunden hätte, die Sendung am ersten Tag, an dem sie zur Abholung bereit lag, entgegenzunehmen.

Die Erwägungen Schwaighofers sind sicher nicht unbegrundet. Insbesondere wird es nicht angehen, die vom Gesetzgeber festgesetzten Rechtsmittelfristen nach Belieben, etwa unter Wertung der objektiven Schwierigkeiten, die die Erhebung des Rechtsmittels mit sich bringen könnte, zu verkürzen. Andererseits darf aber nicht übersehen werden, daß im heutigen Berufsleben in einem Großteil der Fälle eine persönliche Zustellung gerichtlicher Entscheidungen an die Partei deshalb nicht möglich sein wird, weil die Partei untertags berufsbedingt nicht unter ihrer Anschrift anzutreffen ist. In einer großen Zahl der Fälle kommt es daher zu einer Hinterlegung der Entscheidung, wobei häufig die Rückkehr des Empfängers in seine Wohnung so spät erfolgt, daß eine Behebung des Schriftstückes am selben Tage nicht mehr möglich ist. Schon nach den bisherigen Zustellvorschriften hat dies dazu geführt, daß die gesetzliche Rechtsmittelfrist in vielen Fällen dem Rechtsmittelwerber tatsächlich nicht im vollen Ausmaß zur Verfügung stand. Wie oben aufgezeigt wurde, hat die Judikatur diesen Zustand, als vom Gesetzgeber gewollt, in Kauf genommen und trotz der durch die Berufstätigkeit des Empfängers bedingten Verkürzung der Rechtsmittelfrist die Zustellung durch Hinterlegung als ordnungsgemäß bezeichnet. Wenn es daher auch richtig ist, daß Rechtsmittelfristen nicht aus Ermessungserwägungen nach Maßgabe der Schwierigkeit der Verfassung des Rechtsmittels verkürzt werden dürfen, muß doch davon ausgegangen werden, daß unbedeutende Verkürzungen der oben aufgezeigten Art keine dem Sinn des Gesetzes widersprechende Beeinträchtigung des Rechtsmittelwerbers darstellen.

Bei der Auslegung der Bestimmung des § 17 Abs. 3 ZustG muß nun davon ausgegangen werden, daß es sich bei dem Ausdruck "rechtzeitig" nicht nur um eine inhaltsleere Floskel handelt, diesem Ausdruck vielmehr für die Auslegung Bedeutung zukommt. Hiebei ist zu berücksichtigen, daß der Gesetzgeber die bisherige Rechtslage zumindest nicht iS einer Verschlechterung der Möglichkeit der Hinterlegung ändern wollte. Sinn der Zustellvorschriften (ZPO, AVG) war es schon bisher, den Empfänger vor Nachteilen zu bewahren, die durch eine gesetzwidrige Zustellung entstehen konnten. Die eher schematische Regelung durch die bisherige Rechtslage hat jedoch manchmal dazu geführt, daß über den angestrebten Zweck hinaus auch Verfahrensverzögerungen bewirkt worden sind, die nicht mehr im Interesse des Schutzes einer an der mangelhaften Zustellung nicht schuldigen Partei lagen. Diese nicht gewünschten Nebenwirkungen der bisherigen Zustellregelungen sollten durch die Neufassung beseitigt oder zumindest eingeschränkt werden. Dies zeigt schon der Schlußsatz der Bestimmungen der §§ 16 Abs. 5 und 17 Abs. 3 ZustG, denen zufolge eine Sanierung mangelhafter Zustellungen nicht mehr vom tatsächlichen Zukommen der Sendung abhängig ist. Das Wort "rechtzeitig" muß daher auch iS dieser Bestrebungen verstanden werden. Der Gesetzgeber will dem Empfänger nur jenen Schutz zukommen lassen, der notwendig ist, ihn nicht schlechter zu stellen als Empfänger, denen ordnungsgemäß zugestellt worden ist. Sohin kann eine Auslegung der Bestimmung des § 17 Abs. 3 ZustG nur dahin erfolgen, daß der Empfänger von der Zustellung dann nicht rechtzeitig Kenntnis erlangt hat, wenn er nicht in der Lage war, auf die Sendung zum selben Zeitpunkt zu reagieren, zu dem ein Empfänger üblicherweise reagieren hätte können, dem nach dem Willen des Gesetzgebers durch Hinterlegung zugestellt werden durfte. Wenn daher der Empfänger durch den Zustellvorgang nicht erst später die Möglichkeit erlangt hat, in den Besitz der Sendung zu kommen, als dies bei einem großen Teil der Bevölkerung infolge ihrer Berufstätigkeit der Fall gewesen wäre, so muß die Zustellung durch Hinterlegung als ordnungsgemäß angesehen werden.

Im vorliegenden Fall wurde die Sendung am hinterlegt. Dies wäre bei einem Großteil der Berufstätigen notwendig gewesen. Dieser Teil hätte die Sendung infolge des nachfolgenden Feiertages nicht vor dem beheben können. Die Rekurswerber haben die Sendung an diesem Tage behoben, weshalb sie durch den Zustellvorgang nicht gegenüber dem Durchschnitt der Empfänger derartiger Sendungen benachteiligt wurden. Ihnen stand vielmehr die Rechtsmittelfrist im gleichen Ausmaß zur Verfügung, wie dies im Regelfall bei anderen Rechtsmittelwerbern der Fall gewesen wäre. Demnach gilt die Zustellung iS des § 17 Abs. 3 ZustG als mit dem Tage der Hinterlegung, der zugleich jener Tag ist, an dem die Abholfrist begann, erfolgt.