OGH vom 22.06.1993, 1Ob567/93

OGH vom 22.06.1993, 1Ob567/93

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schlosser, Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker und Dr. Rohrer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V***** Versicherungs-Aktiengesellschaft, ***** vertreten durch Dr. Richard Heiserer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Verlassenschaft nach Alfred H*****, vertreten durch Dr. Johannes Ruckenbauer, Rechtsanwalt in Wien, sowie des Nebenintervenienten auf Beklagtenseite Ing. Andreas H*****, vertreten durch Dr. Erich Trachtenberg, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom , GZ 48 R 540/92-21, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom , GZ 42 C 658/90k-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, dem Nebenintervenienten auf Beklagtenseite binnen 14 Tagen die mit S 3.264,-- (darin enthalten S 544,-- Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin kündigte der Beklagten unter Geltendmachung des Kündigungsgrundes des § 30 Abs 2 Z 5 MRG am die im Haus W*****, G*****gasse 4, gelegene Wohnung Nr. 5 für den gerichtlich auf. Die Beklagte erhob Einwendungen, in welchen sie unter anderem die Aktivlegitimation der Klägerin bestritt. Der auf seiten der Beklagten beigetretene Nebenintervenient begründete sein rechtliches Interesse am Beitritt darin, daß er bei Stattgebung der Kündigung der Obdachlosigkeit preisgegeben wäre.

Zur Frage der Aktivlegitimation brachte die Klägerin in der Tagsatzung vom vor, daß zwar „formell“ im Grundbuch als Eigentümerin der Liegenschaft, auf welcher sich die gekündigte Wohnung befinde, die V***** Versicherungs-Aktiengesellschaft, Direktion für Österreich, aufscheine, diese Gesellschaft aber mit Sacheinlage- und Aktienübernahmevertrag vom in die V***** Versicherungs-Aktiengesellschaft eingebracht worden sei. Die V***** Versicherungs-Aktiengesellschaft sei in „V*****V***** Versicherungs-Aktiengesellschaft“, also die nunmehrige Klägerin, umbenannt worden (GZ 42 C 658/90k-6).

Das Erstgericht hob die zu AZ 42 K 267/90 ergangene Aufkündigung vom auf und wies das Klagebegehren, die Beklagte sei schuldig, der Klägerin die Wohnung W*****, G*****gasse 4, top.Nr. 5, geräumt von eigenen Fahrnissen zu übergeben, ab. Grundbücherliche Eigentümerin der EZ 1085 des Gerichtsbezirks L***** sei die V*****-Lebens-Versicherungs-Aktiengesellschaft, Direktion für Österreich. Am 3. und hätten die V*****-Lebens-Versicherungs-Aktiengesellschaft mit dem Sitz in B***** und die V*****-Feuer-Versicherungs-Aktiengesellschaft, ebenfalls mit Sitz in B*****, als Sacheinleger mit der V***** Versicherungs-Aktiengesellschaft einen Sacheinlage- und Aktienübernahmevertrag (Beilage A) geschlossen. Mit diesem Vertrag hätte die V*****Versicherungs-Aktiengesellschaft ihre beim Handelsgericht W***** protokollierte Zweigniederlassung, die V***** Lebensversicherungs-Aktiengesellschaft, Direktion für Österreich, als Sacheinlage mit Wirkung vom in die V***** Versicherungs-Aktiengesellschaft eingebracht. Die Einbringung sei nach Art. I § 1 Abs 2 Strukturverbesserungsgesetz ausschließlich gegen Gewährung von durch die Erhöhung des Grundkapitals zu schaffenden Aktien unter Fortführung der Buchwerte der eingebrachten Zweigniederlassungen erfolgt. Zum Betriebsvermögen der eingebrachten Zweigniederlassung hätte insbesondere auch die EZ 1085 KG L***** gehört. Die Firma des Unternehmens der V***** Versicherungs-Aktiengesellschaft sei mit Beschluß der Hauptversammlung vom in V*****-V***** Versicherungs-Aktiengesellschaft geändert worden. Der am verstorbene Alfred H***** sei bis zu seinem Tode Hauptmieter der Wohnung top.Nr. 5 im Hause G*****gasse 4 gewesen. Er habe seit 1984 die Wohnung alleine bewohnt. Die Miete der Wohnung sei bis Ende 1986 an die V*****-Lebensversicherungs-Aktiengesellschaft, Direktion für Österreich, bezahlt worden. In rechtlicher Hinsicht folgerte das Erstgericht aus diesem Sachverhalt, daß es der Klägerin an der Aktivlegitimation zur Kündigung mangle. Der Erwerber einer Liegenschaft trete den Bestandnehmern gegenüber erst mit der Verbücherung seines Eigentumsrechtes in die Bestandverträge ein. Erst durch seinen Eintritt werde er zur Kündigung legitimiert. Die Legitimation zur Aufkündigung stünde ihm auch schon zu, wenn eine vertragliche Regelung über die Vertragsübernahme (den Eintritt auf Vermieterseite) vorliege. Hiefür sei jedoch die ausdrückliche oder konkludente Zustimmung des Mieters erforderlich. Eine solche Zustimmung könne nicht festgestellt werden. Die Einbringung der Liegenschaftseigentümerin in die Klägerin aufgrund der Bestimmungen des Strukturverbesserungsgesetzes bedeute keine Gesamtrechtsnachfolge.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens, die darin gelegen sein sollte, daß der Erstrichter seine Absicht, die Aufkündigung mangels Aktivlegitimation zurückzuweisen, nicht erörtert habe, verneinte es. In rechtlicher Hinsicht führte es aus, daß der Erweber einer Liegenschaft erst mit Einverleibung seines Eigentumsrechtes in ein Bestandverhältnis eintrete. Die konkludente Zustimmung des Mieters zur Vertragsübernahme habe sich nicht ergeben, eine ausdrückliche Zustimmung oder eine Kenntnis des Mieters vom außerbücherlichen Erwerb durch die Klägerin sei nicht einmal behauptet worden. Die Einbringung der V***** Lebensversicherungs-Aktiengesellschaft, Direktion für Österreich, als Sacheinlage in die Klägerin sei nach Art. I § 1 Abs 2 Strukturverbesserungsgesetz erfolgt. Eine Gesamtrechtsnachfolge sei damit nicht verbunden.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage, ob bei der Einbringung einer Kapitalgesellschaft, insbesondere einer Versicherungs-Aktiengesellschaft, in eine andere Kapitalgesellschaft die Bestimmungen des AktG über die Verschmelzung (§§ 219 ff) analog anzuwenden seien, nicht vorliegt.

Die Revision ist aber nicht berechtigt.

Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Die Revisionswerberin zieht nicht in Zweifel, daß die Einverleibung ihres Eigentumsrechtes an der hier maßgeblichen Liegenschaft noch nicht erfolgt ist, daß daher ein Eintritt der Klägerin in das Bestandverhältnis durch Übergabe noch nicht eingetreten ist. Es wird von ihr auch nicht bekämpft, daß weder eine ausdrückliche noch eine konkludente Zustimmung des Mieters (= Beklagte) zur Vertragsübernahme vorliegt. Sie vertritt lediglich die Ansicht, aufgrund der Einbringung der V***** Lebensversicherungs-Aktiengesellschaft, Direktion für Österreich, in die Klägerin sei eine Gesamtrechtsnachfolge eingetreten, weil ein verschmelzungsähnlicher Tatbestand vorliege. Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden.

Nach den getroffenen Feststellungen hat die V***** Lebensversicherungs-Aktiengesellschaft, ihren inländischen Teilbetrieb, die V***** Lebensversicherungs-Aktiengesellschaft, Direktion für Österreich, in die Klägerin gemäß § 1 Abs 2 Strukturverbesserungsgesetz eingebracht. Bezüglich der Einbringung des gesamten Vermögens einer Personenhandelsgesellschaft in eine Kapitalgesellschaft wurde schon mehrfach zum Ausdruck gebracht, daß hiedurch keine Gesamtrechtsnachfolge bewirkt wird, weil § 8 Strukturverbesserungsgesetz nur die abgabenrechtliche Stellung der Beteiligten regelt, handelsrechtlich aber keine Gesamtrechtsnachfolge schafft (MuR 1991, 161; GesRZ 1979, 80; GesRZ 1983, 221; ÖBl 1977, 14; JBl 1983, 438; Kastner-Mayer-Frint, Kommentar zum Strukturverbesserungsgesetz, Anm 222; SZ 59/127).

Die Revisionswerberin verkennt nicht, daß die Bestimmungen des Aktiengesetzes über die Verschmelzung von Aktiengesellschaften im vorliegenden Fall nur analog herangezogen werden könnten. Es wurde ja die V***** Lebensversicherungs-Aktiengesellschaft, Direktion für Österreich, nicht mit der Klägerin verschmolzen, sondern im Wege einer Sacheinlage in die Klägerin eingebracht. Lediglich eine Verschmelzung würde gemäß § 219 AktG die Vereinigung der Gesellschaften unter Ausschluß der Abwicklung durch Gesamtrechtsnachfolge bewirken (1 Ob 542/85). Die Revisionswerberin vertritt allerdings die Auffassung, aufgrund des Umstands, daß ein „verschmelzungsähnlicher“ Tatbestand vorliege, sei im Wege der Analogie von einer Gesamtrechtsnachfolge auszugehen. Im Schrifttum wird mehrfach die analoge Anwendung der Verschmelzungsvorschriften gefordert bzw. als möglich dargestellt (Kastner, Zur Fortentwicklung des österreichischen Gesellschaftsrechts, JBl 1983, 461 ff; Reich-Rohrwig in JBl 1986, 456 ff; Helbich, Neuerungen im Strukturverbesserungsrecht2 , 45 ff). Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung SZ 59/20 zu den Ausführungen Kastners und Helbichs Stellung bezogen, wobei im dort zu lösenden Fall die Einbringung einer Genossenschaft in eine Aktiengesellschaft streitgegenständlich war. Er führte aus, daß Kastner selbst stets die Ansicht vertreten habe, Vorgänge, die der Abgabengesetzgeber abgabenrechtlich für möglich ansieht und aus wirtschaftspolitischen Gründen begünstigt, könnten privatrechtlich nur dann zulässig sein, wenn sie im Einzelfall nicht gegen zwingende Schutzvorschriften, insbesondere Gläubigerschutzbestimmungen, verstoßen. Nun ist nicht zu übersehen, daß bei den Vorschriften über die Verschmelzung von Aktiengesellschaften (§§ 219 ff AktG) im § 227 AktG ein besonderer Gläubigerschutz angeordnet ist, wonach die Gläubiger der übertragenden Gesellschaft binnen bestimmter Frist nach Veröffentlichung der Eintragung der Verschmelzung in das Firmenbuch des Sitzes der übertragenden Gesellschaft Sicherheitsleistung begehren können, soweit sie nicht Befriedigung verlangen können. Die Gläubiger sind in der Veröffentlichung der Eintragung sogar auf dieses Recht hinzuweisen. Das rein abgabenrechtliche Strukturverbesserungsgesetz regelt lediglich die öffentlich-rechtlichen Beziehungen zum Abgabengläubiger, Gläubigerschutzbestimmungen sind naturgemäß in diesem Gesetz nicht einmal erwähnt. Eine sinngemäße Übertragung der für gewisse mit der Gesamtrechtsnachfolge verbundene Vorgänge ohne Fusion bestimmten Grundsätze ist schon deshalb ausgeschlossen. Die Entscheidung SZ 59/20 verweist auch ausdrücklich auf die Ausführungen Hügels, Gesamtrechtsnachfolge und Strukturverbesserungsgesetz, 31 ff, wonach der Übergang von Vermögenswerten, die gemäß § 1 Abs 2 Strukturverbesserungsgesetz in eine Gesellschaft eingebracht werden, im Wege der Einzelrechtsnachfolge erfolge. Die Annahme einer zivilrechtlichen Gesamtrechtsnachfolge würde geradezu zu einer Umkehr aller Wertungen, die in den Fällen der herkömmlichen Gesamtrechtsnachfolge in das Gesetz Eingang gefunden haben, führen (Hügel, aaO, 36). Bei einer sogenannten „unechten Verschmelzung“ wäre die Einbringung eines Unternehmens in ein anderes Unternehmen, soweit § 1 Abs 2 Strukturverbesserungsgesetz auf sie zur Anwendung kommt, tatsächlich die Entlassung der übertragenden Gesellschaft aus der Haftung für die im Rahmen des übertragenen Unternehmens eingegangenen Verbindlichkeiten, es wäre dies ein probates Mittel, die für (echte) Verschmelzungen geltenden Gläubigerschutzbestimmungen zu umgehen (Hügel, aaO, 42). Mag es in der Tat aus wirtschaftspolitischer Sicht zweckmäßig erscheinen, an die Einbringung des gesamten Unternehmens einer übertragenden Gesellschaft die umfassende Gesamtrechtsnachfolge zu knüpfen, so bietet die geltende Rechtslage für die hiefür unbedingt erforderlichen flankierenden Maßnahmen (Publizität, Gläubigerschutz etc) keine ausreichende Grundlage (SZ 59/20 mwH). Es ist sohin auch für den Fall der Einbringung einer Aktiengesellschaft in eine andere Aktiengesellschaft gemäß § 1 Abs 2 Strukturverbesserungsgesetz die analoge Anwendung der Bestimmungen über die Verschmelzung von Aktiengesellschaften abzulehnen.

Der Revision ist der Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten der Revisionsbeantwortung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.