OGH vom 10.06.2009, 2Ob6/09k
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*****, vertreten durch Dr. Gerald Kreuzberger, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei Fachverband der Versicherungsunternehmungen, 1030 Wien, Schwarzenbergplatz 7, vertreten durch Dr. Thomas Mader, Rechtsanwalt in Wien, wegen 11.462,70 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 141/08k-16, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom , GZ 42 Cg 5/08v-12, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 768,24 EUR (darin 128,04 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am wurde die seinerzeit bei der klagenden Partei beschäftigte Gudrun S***** in Graz beim Überqueren der Reininghausstraße von einem Kraftfahrzeug erfasst, niedergestoßen und schwer verletzt. Das Alleinverschulden am Unfall trägt der fahrerflüchtige Lenker, der nicht ermittelt werden konnte. Die klagende Partei hat der verletzten Dienstnehmerin gemäß § 8 AngG Lohnfortzahlungen von 11.462,70 EUR geleistet.
Die klagende Partei begehrt diesen Betrag vom beklagten Fachverband. Mit der ohne Gegenleistung erfolgten Lohnfortzahlung seien die diesbezüglichen Ansprüche der Geschädigten auf die Klägerin analog § 1358 ABGB und § 67 VersVG gegen die Beklagte übergegangen (2 Ob 303/04d). Der Schaden sei auf die Klägerin als Dienstgeberin überwälzt worden.
Die beklagte Partei brachte vor, eine Analogie zu § 1358 ABGB und § 67 VersVG sei nicht berechtigt. Das Bundesgesetz über den erweiterten Schutz der Verkehrsopfer (BGBl 1977/322) sei gegenüber dem allgemeinen Zivilrecht eine lex specialis.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge. Der geltend gemachte Anspruch sei auf der Grundlage des VerkehrsopferG vor dessen Änderung durch das Kraftfahrrechts-Änderungsgesetz 2007, BGBl I 2007/37 zu beurteilen. In der Entscheidung 8 Ob 162/83 habe das Höchstgericht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber mit dem Wort „ausschließlich" in § 3 Abs 1 VerkehrsopferG die nach diesem Gesetz anspruchsberechtigten Personen auf einen bestimmten Personenkreis, nämlich das Verkehrsopfer bzw seine Hinterbliebenen, beschränken habe wollen. Die erläuternden Bemerkungen zum Bundesgesetz über den erweiterten Schutz der Verkehrsopfer (BGBl 1977/322; 506 BlgNR 14. GP 2) wiesen ausdrücklich darauf hin, dass der Zweck der gesetzlichen Bestimmung, die Opfer von Verkehrsunfällen in bestimmten Härtefällen zu entschädigen, notwendig mache, den Kreis der Anspruchsberechtigten auf die verletzte Person und die unterhaltsberechtigten Hinterbliebenen getöteter Personen zu beschränken. Ausgenommen blieben danach also insbesondere Regressansprüche von Sozialversicherungsträgern. In der Entscheidung 7 Ob 2030/96x = ZVR 1997/20 habe der Oberste Gerichtshof ausdrücklich ausgeführt, dass mit dieser gesetzlichen Bestimmung ein „selbständiger zivilrechtlicher Anspruch" (des Unfallopfers und seiner Hinterbliebenen) geschaffen worden sei, mit dem ungeachtet (bewusst) offenbleibender Lücken die ärgsten Härtefälle gelindert werden sollten. Schon deshalb sollte etwa eine Legalzession zugunsten von Sozialversicherungsträgern nicht stattfinden. Ausgehend von der Grundsatzentscheidung zur Lohnfortzahlung 2 Ob 21/94 = SZ 67/52 vertrete das Höchstgericht in ständiger Rechtsprechung, dass bei Fehlen einer Legalzessionsnorm betreffend die Lohnfortzahlung eine Regelungslücke vorliege, die in Analogie zu § 1358 ABGB und § 67 VersVG geschlossen werden könne (zuletzt 2 Ob 205/07x). Warum eine derart im Analogieschluss bejahte Legalzession anders zu behandeln sein solle als eine gesetzlich ausdrücklich normierte, sei nicht einzusehen. Kathrein, Verkehrsopferschutz neu - Das Verkehrsopfer-Entschädigungsgesetz, ZVR 2007, 243 (245, bei und in FN 14), führe zum (im vorliegenden Fall noch nicht anwendbaren) Verkehrsopfer-Entschädigungsgesetz (VOEG) aus, Sozialversicherungs-, Krankenanstalten- und Sozialhilfeträger könnten die auf sie im Weg von Legalzessionen übergangenen Ansprüche eines Verkehrsopfers nach dem VOEG nach wie vor nicht geltend machen. Auch könne der Arbeitgeber eines Verkehrsopfers seinen Schaden aus einer Lohnfortzahlung nicht vom Fachverband der Versicherungsunternehmungen ersetzt erhalten. Auch hier sei die Rechtslage mit jenen anderen Fällen vergleichbar, in denen Ansprüche unmittelbar aufgrund des Gesetzes auf dritte Träger übergingen. Zudem ließe sich beim Lohnfortzahlungsschaden des Arbeitgebers wohl typischerweise nicht von einem „Härtefall" für den Geschädigten (hier den Arbeitgeber) sprechen, den das VOEG im Auge habe.
Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil zur Rechtsfrage, ob der Dienstgeber die unfallbedingt geleistete Lohnfortzahlung (§ 8 AngG) auch gemäß § 3 Abs 1 VerkehrsopferG (aber wohl auch nach der im Wesentlichen sinngemäßen neuen Bestimmung des § 3 VOEG idF des Kraftfahrrechts-Änderungsgesetzes 2007) vom Fachverband der Versicherungsunternehmungen ersetzt begehren könne, Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehle. Der Entscheidung dieser Frage komme für die Rechtsentwicklung durchaus Bedeutung über den Einzelfall zu.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der klagenden Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das Urteil des Berufungsgerichts im Sinne einer Klagsstattgebung abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht angeführten Grund zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.
Der Revisionswerber macht geltend, die Legalzession etwa nach § 332 ASVG sei mit der Rechtsprechung in den Lohnfortzahlungsfällen nicht vergleichbar, weil der Anspruch nach § 332 ASVG insoweit übergehe, als der Sozialversicherungsträger Leistungen zu erbringen habe, während bei den Lohnfortzahlungsfällen der Anspruchsübergang erst mit der Lohnfortzahlung stattfinde. Für den direkt Geschädigten müsse ein „Härtefall" nicht zwingend vorliegen, wenn er nämlich über erhebliches Vermögen verfüge. Dass ein Sozialversicherungsträger (im Gegensatz zu einem Arbeitgeber) vermutlich „härtefallresistent" sei, liege auf der Hand. Die Leitjudikatur zu den Lohnfortzahlungsfällen (insbesondere 2 Ob 21/94) habe sich erst nach der Erlassung des VerkehrsopferG entwickelt, sodass auf Basis der Lohnfortzahlungsjudikatur die Gesetzeslage nach dem VerkehrsopferG „anzupassen" sei. Die Ansprüche von Sozialversicherungs-, Krankenanstalten- und Sozialhilfeträger lägen in einem „völlig anderen System - Sozialsystem", und seien mit den Fällen der Lohnfortzahlung nicht zu vergleichen.
Der Oberste Gerichtshof hält diese Ausführungen nicht für stichhaltig, sondern vielmehr die Begründung des berufungsgerichtlichen Urteils für zutreffend, sodass darauf verwiesen wird (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO).
Für die hier zu beantwortende Rechtsfrage ist durch § 3 Verkehrsopfer-Entschädigungsgesetz (VOEG, BGBl I 2007/37) keine relevante Rechtsänderung eingetreten. Auch aus den Materialien zum VOEG geht die eindeutige Absicht des Gesetzgebers hervor, am (engen) Kreis der Anspruchsberechtigten nichts zu ändern (ErläutRV 80 BlgNR 23. GP 6).
Zusammenfassend ist festzuhalten: Hat ein bei einem Verkehrsunfall Geschädigter, der an sich nach § 3 VerkehrsopferG bzw § 3 VOEG anspruchsberechtigt wäre, deshalb keinen Schaden, weil sein Dienstgeber nach den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen Lohnfortzahlung leistet, so kann der Dienstgeber die Lohnfortzahlung nicht vom Fachverband der Versicherungsunternehmungen (vgl § 2 VOEG) ersetzt erhalten.