OGH vom 03.05.2017, 4Ob60/17b
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Schwarzenbacher, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** I*****, vertreten durch Niedermayr Rechtsanwalt GmbH in Steyr, gegen die beklagte Partei G***** AG, *****, vertreten durch Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OG in St. Pölten, wegen Feststellung (Streitwert 7.500 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 1 R 103/16t13, womit das Urteil des Bezirkgerichts für Handelssachen Wien vom , GZ 15 C 344/15w9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 833,88 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin 138,98 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger schloss im Mai 2005 mit der beklagten Bank einen Fremdwährungskreditvertrag (Schweizer Franken) im Gegenwert von 160.000 EUR ab. Nach dem endfällig gestalteten Kreditvertrag sind nur die vierteljährlich anfallenden Zinsen und Kontoführungsspesen während der Kreditlaufzeit zu zahlen. Der variable Zinssatz errechnet sich aus dem für einen Zinsfestsetzungstermin maßgeblichen Indikatorwert zuzüglich eines fixen Aufschlags von 1,250 %. Als „Indikator“ liegt der Libor-Zinssatz für 3-Monatsgelder in Schweizer Franken zugrunde.
Die beklagte Bank räumte dem Kläger im Februar 2006 mit Kreditvertrag einen weiteren Kredit über 20.000 EUR ein, der in 180 monatlich aufeinander folgenden Pauschalraten ab März 2006 zurückzuzahlen ist. Zunächst vereinbarten die Parteien einen Zinssatz von jährlich 4 %. Ab April 2007 wurde ein variabler Zinssatz vereinbart, dessen vierteljährliche Anpassung (Senkung oder Erhöhung) an den 3-Monat-Euribor gebunden ist, der für den 10. des Vormonats des jeweiligen Zinsanpassungstermines ermittelt wird. Zum ersten Zinsanpassungstermin am wurde vereinbarungsgemäß der bisherige Fixzinssatz von 4 % als Ausgangszinssatz und der diesem zugrundeliegende Indikatorwert zum als Basis-(Indikator-)wert herangezogen. Der Sollzinssatz erhöht oder senkt sich um die jeweilige Erhöhung oder Senkung des Indikators seit der letzten Zinsanpassung, sofern die Mindestveränderung (hier: 0,125 %) erreicht wird.
Bei Abschluss der Kreditverträge haben die Parteien nicht daran gedacht, dass die vereinbarten Referenzzinssätze Libor und Euribor jemals einen negativen Wert haben würden.
Der Libor wurde erstmals im Jahr 1989 veröffentlicht und war im Dezember 2014 erstmals negativ. Am betrug der 3-Monats-Libor für Schweizer Franken -0,779 %. Der Euribor wurde im Jahr 1999 eingeführt und wies erstmals im Mai 2015 einen negativen Wert von -0,007 % auf.
Der Kläger begehrt die Feststellung, dass die beklagte Partei bezüglich beider Kreditverhältnisse nicht berechtigt sei, den für die Höhe des variablen Kreditzinssatzes relevanten Indikator bei negativer Entwicklung von Referenzzinssätzen mit Null anzusetzen. Er brachte im Wesentlichen vor, die beklagte Bank habe angekündigt, den Referenzwert bei einem negativen Indikator mit Null anzusetzen und ihm damit den gesamten Zinsaufschlag zu verrechnen. Mit der eigenmächtig angedrohten Maßnahme weiche die beklagte Partei von der getroffenen Vereinbarung ab und schädige sein Vermögen. Zur Klärung der Rechtslage sei er zur Klagsführung genötigt.
Die beklagte Partei wandte ein, dass ein fixer Aufschlag vereinbart worden sei. Die Sollzinsen würden sich zum vereinbarten Indikator entwickeln. Steige der Indikator, steigen die Zinsen im selben Ausmaß und umgekehrt. Nach dem Willen beider Parteien sollte die beklagte Partei ihre im Aufschlag einkalkulierten Kosten und die Gewinnmarge jedenfalls über die gesamte Laufzeit erhalten. Durch die von ihr vertretene Auslegung werde das absurde Ergebnis verhindert, dass der zu zahlende Zinssatz sogar einen negativen Wert erreiche. Sowohl ein Negativ- als auch ein Nullzins seien sowohl nach einfacher als auch nach ergänzender Vertragsauslegung ausgeschlossen.
Das Erstgericht wies die Klage ab. Ausgehend vom eingangs zusammengefassten Sachverhalt ging es in rechtlicher Hinsicht davon aus, dass die Parteien in beiden Verträgen bei der Anpassung des variablen Kreditzinses jeweils die absolute Berechnungsmethode unter Zugrundelegung eines fixen Aufschlags vereinbart hätten. Mangels Vereinbarung einer Zinsbegrenzung oder eines Zinskorridors mit einer Ober- und Untergrenze könne es rein rechnerisch dazu kommen, dass der zu zahlende Zinssatz Null oder sogar einen negativen Wert erreiche. Diesbezüglich liege eine Vertragslücke vor, weshalb eine ergänzende Vertragsauslegung anzuwenden sei. Es widerspreche dem hypothetischen Parteiwillen, dass der Kreditnehmer für eine bestimmte Periode keine Zinsen („Nullverzinsung“) oder der Kreditgeber sogar „Zinsen“ zu zahlen habe („Negativzinsen“). Die gewählte absolute Berechnungsmethode und der vereinbarte fixe Aufschlag führten bei einem negativen Referenzzinssatz dazu, dass der vereinbarte Indikator bei Null einzufrieren sei und der Kreditnehmer daher jedenfalls den Aufschlag zu zahlen habe.
Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung des Klägers Folge und änderte das Ersturteil im stattgebenden Sinn ab. Aufgrund des eindeutigen Wortlauts komme mangels Lücke keine ergänzende Vertragsauslegung in Betracht. Zudem dürfe sich die ergänzende Vertragsauslegung nicht zu dem in Widerspruch setzen, was die Parteien eindeutig vereinbart haben. Nach der Vereinbarung könne der Zinssatz auch dann berechnet werden, wenn der Indikator einen negativen Wert aufweist. Es widerspreche nicht dem entgeltlichen Charakter des Kreditvertrags, wenn der Kreditnehmer zu einzelnen Perioden keine Zinsen zahlen müsse. Eine Unentgeltlichkeit sei hier schon deshalb zu verneinen, weil der Kläger für beide Kredite eine Bearbeitungsgebühr und auch jahrelang nach Beginn der Kreditverhältnisse Zinsen zahlen musste.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige und die Revision zulässig sei. Es fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der Auslegung einer Zinsgleitklausel im Fall eines negativen Referenzzinssatzes, was für eine große Anzahl von Kreditnehmern und Kreditgebern bedeutend sei.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Sie ist aber nicht berechtigt.
1.1 Das Rechtsmittel der beklagten Partei setzt sich über weite Strecken damit auseinander, ob ein Kreditgeber für die Zurverfügungstellung von Kapital ein Entgelt („negative Zinsen“) zahlen muss. Nach Ansicht der Revisionswerberin sei ein solches Ergebnis ausgeschlossen bzw „geradezu absurd“.
1.2 Diese Frage ist hier aber nicht verfahrensgegenständlich, weil mit dem Feststellungs-begehren nur geklärt werden soll, ob der Kreditgeber bei einem negativen Referenzzinssatz berechtigt ist, den Indikator mit Null anzusetzen. Eine allfällige Verpflichtung der beklagten Bank zur Zahlung von „negativen Zinsen“ musste hier daher nicht untersucht werden (vgl dazu im Zusammenhang mit § 28a KSchG zuletzt 10 Ob 13/17k). Die Berechtigung des Feststellungsbegehrens hängt vorliegend ausschließlich davon ab, ob der zu leistende Zinssatz bei einem negativen Referenzzinssatz gegebenenfalls bis Null gesenkt werden muss oder der Kreditgeber in einem solchen Fall den Indikator bei Null ansetzen darf, sodass der Kreditnehmer wenigstens den vereinbarten Aufschlag zahlen muss.
2. Im Schrifttum wird die hier relevante Frage durchaus unterschiedlich gelöst. Neben jenen Autoren, die die hier nicht weiter zu klärende Frage einer Zinszahlungspflicht der Banken bejahen (zB Kriegner, Negativzinsen – pacta sunt servanda? ÖBA 2016, 507; Leupold, Negativzinsen beim Kreditvertrag, VbR 2015/53; vgl auch Haghofer, Wer trägt das Risiko über dem Referenzzinsatz liegender Refinanzierungskosten? Negativzinsen, VbR 2016/41; Kolba, Fremdwährungskredit – Judikaturüberblick und aktuelle Fragen, VbR 2015/28), vertritt die Lehre noch zwei weitere Ansätze. Zum einen gehen mehrere Autoren davon aus, dass die negative Zinsentwicklung im Vertrag nicht bedacht worden sei. Die ergänzende Vertragsauslegung führe zu dem Ergebnis, dass der Kreditgeber mindestens die vereinbarte Marge verlangen könne (zB Graf, Rechtliche Konsequenzen der verpflichtenden Verzinsung von Spareinlagen für den Streit über die Negativzinsen, ÖBA 2016, 722; Ch. Rabl, Auslegung einer Entgeltsvereinbarung und kein Additionsautomat – Negativzinsen, VbR 2016/42; Zöchling-Jud, Zum Einfluss von negativen Referenzwerten auf Kreditzinsen, ÖBA 2015, 318; ähnlich B. Koch, Negativzinsen beim Kreditvertrag – Eine Replik, VbR 2015/104 [„Einlagenindikator-Floor“ zuzüglich Aufschlag]). Zum anderen lehnt ein anderer Teil der Lehre die Ansicht ab, dass sich im Wege der Vertragsauslegung ein derartiger Mindestsollzinssatz in Höhe des Aufschlags begründen lässt (idS Kronthaler, Negativzinsen – eine erste Einschätzung, Zak 2016/247; Kronthaler,Negativzinsen, ÖJZ 2017/17; Aichberger-Beig in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.03§ 988 Rz 12/1). Der Kreditgeber könne zwar nicht zur Zinszahlungspflicht verpflichtet werden, je nach Ausmaß des negativen Referenzzinssatzes sei vom Kreditnehmer aber keine oder eine geringere Marge als der Aufschlag zu zahlen.
Die hier zu prüfenden Kreditvereinbarungen zwischen den Streitteilen sind im Sinne der zuletzt genannten Ansicht zu lösen.
3.1 Eines Rückgriffs auf die ergänzende Vertragsauslegung bedarf es nicht. Ein solcher kommt dann in Betracht, wenn nach Vertragsabschluss Probleme auftreten, die die Parteien nicht bedacht und daher nicht geregelt haben (RIS-Justiz RS0017758; Bollenberger in KBB4 § 914 ABGB Rz 8). Für die Anwendung der ergänzenden Auslegung reicht es noch nicht hin, dass die Vertragsparteien an einen bestimmten Umstand nicht gedacht haben (hier: negativer Wert der Referenzzinssätze). Es ist vielmehr erforderlich, dass zur Lösung von Problemfällen auch keine Regelung getroffen wurde (Rummel in Rummel/Lukas, ABGB4§ 914 Rz 20).
Eine ergänzende Vertragsauslegung hat nur dann Platz zu greifen, wenn eine „Vertragslücke“ vorliegt (RIS-Justiz RS0017829). Sie kommt somit nur in Betracht, wenn die offene Auslegungsfrage durch „einfache Auslegung“ nicht (vollständig) zu lösen ist (Busche in MüKoBGB7§ 157 Rz 26). Die Auslegung kann nämlich nicht dazu führen, eindeutige Vereinbarungen zu korrigieren; auch die ergänzende Vertragsauslegung darf sich nicht zu dem in Widerspruch setzen, was die Parteien eindeutig vereinbart haben (Heiss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.01§ 914 Rz 82), selbst wenn dies nach der einen oder der anderen Richtung hin unbillig sein sollte (RIS-Justiz RS0087314).
3.2 Das Berufungsgericht hat zutreffend darauf verwiesen, dass aufgrund des eindeutigen Wortlauts des Kreditvertrags von keiner Vertragslücke auszugehen ist, weshalb auch keine zu ergänzende Unvollständigkeit des Vertrags vorliegt (vgl Heiss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.01§ 914 Rz 75). Weder aus dem Wortlaut noch aus dem Vertragszweck ergibt sich, dass die beklagte Bank mindestens den Aufschlag als Sollzinsen verlangen kann. Ein derartiger Mindestzinssatz würde sich hier somit mit dem tatsächlichen Parteiwillen in Widerspruch setzen (Kronthaler, Negativzinsen – eine erste Einschätzung, Zak 2016/247), was – wie ausgeführt – eine ergänzende Vertragsauslegung ausschließt. Die Vertragsparteien haben die Chancen und Risiken zukünftiger Schwankungen der Finanzierungskosten vielmehr bewusst durch die Bindung des Sollzinssatzes an den Referenzzinssatz geregelt (Aichberger-Beig in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.03§ 988 Rz 12/1). Der Kreditnehmer, der einer Zinsänderungsklausel zustimmt und keinen Fixzinssatz wünscht, geht – auch für den Kreditgeber erkennbar – von einer symmetrischen Verteilung von Chancen und Risiken aus (Leupold, Negativzinsen beim Kreditvertrag, VbR 2015/53). Dem kann auch nicht die Höhe der Refinanzierungskosten der Bank entgegengehalten werden, zumal diese dem Kläger weder offengelegt wurde noch bekannt sein musste.
3.3 Zudem darf eine ergänzende Vertrags-auslegung zu keinem gesetzwidrigen Ergebnis führen (vgl Kriegner, Negativzinsen – pacta sunt servanda? ÖBA 2016, 507). Auch bei Annahme einer Lückenhaftigkeit der Zinsgleitklausel müsste die von der beklagten Partei vertretene (ergänzende) Vertragsauslegung am Symmetriegebot des § 6 Abs 1 Z 5 KSchG scheitern. Nach dem Zweck dieser Norm hat bei Zinsgleitklauseln eine Entgeltsenkung im gleichen Ausmaß und in der gleichen zeitlichen Umsetzung wie eine Entgeltsteigerung zu erfolgen, um den Verbraucherschutz zu gewährleisten (RIS-Justiz RS0117365). Ein weder aus dem Wortlaut der Kreditverträge noch dem Vertragszweck abzuleitendes Recht der beklagten Bank, den Indikator bei einem negativen Referenzwert einseitig mit Null anzusetzen und vom Kreditnehmer jedenfalls den Aufschlag zu verlangen, stünde im Widerspruch zu § 6 Abs 1 Z 5 KSchG, weil sich der Sollzinssatz dann nicht zu Gunsten des Konsumenten bis nach unten (nämlich bis Null) entwickeln kann, während nach oben eine entsprechende Grenze fehlt (vgl Kronthaler,Negativzinsen, ÖJZ 2017/17).
4.1 Gegen das hier vertretene Auslegungsergebnis kann auch nicht eingewandt werden, die Parteien seien sich nach dem „typischen Fall“ eines Verbraucherkreditvertrags regelmäßig darüber einig, dass der Kreditnehmer als Gegenleistung für die Zurverfügungstellung der Kreditvaluta Zinszahlungen zu leisten hat (vgl 10 Ob 13/17k).
4.2 Nach Ansicht des Senats geht der entgeltliche Charakter des Kreditvertrags nämlich nicht schon dadurch verloren, dass der Kreditnehmer für eine gewisse Zeitspanne keine Zinsen zahlen muss. Im Hinblick auf die Rechtsnatur des Kreditvertrags als Dauerschuldverhältnis ist die Entgeltlichkeit hier schon deshalb zu bejahen, weil der Kläger zu Beginn des Vertragsverhältnisses eine Bearbeitungsgebühr und in den ersten Jahren des Vertragsverhältnisses auch Zinsen zahlen musste. Vom klagsgegenständlichen Rechtsschutzbegehren ist zudem – wie eingangs ausgeführt – nicht die Zahlung von „negativen Zinsen“ durch die Bank umfasst, sodass nicht zu prüfen war, ob eine allfällige Zahlungsverpflichtung der Bank Zweifel an der Natur des Kreditvertrags erwecken könnte.
Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2017:0040OB00060.17B.0503.000 |
Schlagworte: | ;Gruppe: Konsumentenschutz,Produkthaftungsrecht; |
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