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OGH vom 27.11.2013, 2Ob59/13k

OGH vom 27.11.2013, 2Ob59/13k

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Fonds Soziales Wien, 1030 Wien, Gugelgasse 7 9, vertreten durch Mag. Christian Puck, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei G***** Versicherung AG, *****, vertreten durch Dr. Herbert Salficky, Rechtsanwalt in Wien, wegen 47.007,98 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 13 R 212/12k 55, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtsachen Wien vom , GZ 56 Cg 106/08p 51, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die bei einem Verkehrsunfall am schwer Verletzte benötigt durchgehend intensive Betreuung und ist in einem Pflegeheim der Stadt Wien aufhältig. Die Kosten für dieses Pflegeheim betragen laut einer Verordnung der Wiener Landesregierung 79,94 EUR pro Tag, unabhängig vom konkret erforderlichen Pflegebedarf. Mangels hinreichenden Einkommens oder verwertbaren Vermögens gewährt der klagende Fonds der Verletzten auf Grundlage des WSHG Sozialhilfe im Umfang der Differenz zwischen den tatsächlichen Kosten der Pflege und den Beiträgen aus dem für die Verletzte bezogenen Pflegegeld, der Pension sowie der Familienbeihilfe. Mit Schreiben vom zeigte er den Übergang der Rechtsansprüche der Verletzten nach § 27 WSHG an.

Die Beklagte hat aus der ursprünglichen Haftpflichtversicherungssumme von 872.074,01 EUR bis zum Zahlungen von 359.920,12 EUR geleistet, darunter 170.000 EUR Schmerzengeld inklusive Rechtsanwaltskosten. Demnach errechnet sich eine verbleibende Summe von 512.153,89 EUR.

Die Verletzte hat einen fiktiven Verdienstentgang vom Unfall am bis zum in Höhe von 267.657,39 EUR und einen weiteren bis zu ihrem statistischen Ableben in Höhe von 289.478,30 EUR, insgesamt somit 557.135,69 EUR. Sie hat aber bis dato keinen Verdienstentgang geltend gemacht. In der Korrespondenz wurde das Thema zwar angesprochen, eine konkrete Summe aber nie gefordert oder beziffert.

An zukünftigen Kosten der WGKK ist mit ca 180.000 EUR zu rechnen. Hochgerechnet auf die Lebenserwartung der Verletzten ist überdies mit weiteren Kosten für die notwendigen Anschaffungen wie Rollstühle oder speziell angepasste KFZ von ca 100.000 EUR zu rechnen.

Kosten, die die klagende Partei ab zukünftig noch zuschießen wird müssen, können hochgerechnet mit 114.415,46 EUR geschätzt werden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im zweiten Rechtsgang (nach 2 Ob 207/09v) statt, das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die Revision mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu.

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei macht zusammengefasst geltend, dass entgegen der Annahme der Vorinstanzen Deckungskonkurs vorliege. Zumindest der zukünftige und der drei Jahre zurückliegende Verdienstentgang sei nicht verjährt und daher zu berücksichtigen. Dies gelte auch für „rein rechnerisch“ verjährte Ansprüche, weil sich zu dieser Frage die Rechtsansicht ändern könne und es nicht der gesetzlichen Wertung entspreche, den Versicherer mit diesen Rechtsrisken zu belasten. Zwar sei der Versicherer zweifellos weder verpflichtet noch berechtigt, theoretische Gläubiger zu berücksichtigen, seien aber konkrete Gläubiger bekannt und hätten diese „nur“ noch keine Ansprüche gestellt, sei fraglich, ob sie deshalb unberücksichtigt bleiben könnten.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht zulässig.

1. Nach der ständigen Rechtssprechung hat der beklagte Versicherer, der sich auf eine gegenüber dem Klageanspruch nicht zureichende Deckungssumme beruft, diesen Einwand zu konkretisieren und Beweise anzubieten, was durch Vorlage eines kompletten, in Beachtung der Bestimmungen der §§ 155 und 156 VersVG aufgestellten Verteilungsplans geschehen kann. Der Haftpflichtversicherer muss behaupten und beweisen, welche Ansprüche außer den in der Klage geltend gemachten in welcher Höhe gegen ihn erhoben wurden (7 Ob 56/06w mwN; RIS Justiz RS0037519). Er hat selbst eine Aufteilung iSd § 156 Abs 3 VersVG vorzunehmen und ist nicht berechtigt, die Fülle der Arbeit und das Risiko, die ihm diese Gesetzesstelle aufbürden, auf andere abzuwälzen (7 Ob 56/06w; RIS Justiz RS0080795).

2. Bei der Verteilung iSd § 156 Abs 3 VersVG sind nach der ebenfalls bereits bestehenden Judikatur nicht alle „mutmaßlichen“ Gläubiger zu berücksichtigen, sondern neben den durch Vergleich, Urteil oder Anerkenntnis festgestellten Forderungen, die wenn auch noch nicht festgestellten, so doch bisher beim Versicherer geltend gemachten und schließlich jene, mit deren Geltendmachung der Versicherer bei entsprechender Sorgfalt rechnen muss (2 Ob 46/87; RIS Justiz RS0080810). Es sind daher nur die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Leistungen, nicht aber alle nur theoretisch denkbaren in Betracht zu ziehen (RIS Justiz RS0080696). Besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass weitere, bisher noch nicht berücksichtigte Forderungen auftreten werden, rechtfertigt die bloß abstrakte Möglichkeit einer solchen später entstehenden Forderung nicht die Verringerung des Deckungskapitals (RIS Justiz RS0080699).

3. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass verjährte Forderungen nicht zu berücksichtigen sind, ist daher nicht zu beanstanden.

4. Da im vorliegenden Fall die Verletzte selbst seit dem Unfall 1994 (!) keinerlei konkrete Verdienstentgangsforderungen gestellt hat, ist auch die weitere Ansicht des Berufungsgerichts, dass solche Forderungen, auch soweit sie noch nicht verjährt sind, hier im Rahmen der Beurteilung eines Deckungskonkurses nicht zu berücksichtigen sind, im Einzelfall vertretbar.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2013:0020OB00059.13K.1127.000