OGH vom 20.09.2013, 5Ob27/13a
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Hurch und Dr. Lovrek sowie die Hofräte Dr. Höllwerth und Mag. Wurzer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** E. B*****, vertreten durch Hon. Prof. Dr. Michael Walter, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei B***** A*****, wegen 63.000 EUR sA, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom , GZ 2 R 265/12y 5, womit infolge Rekurses der klagenden Partei der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom , GZ 42 Cg 97/12y 2, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Im Verfahren 42 Cg 89/09t des Handelsgerichts Wien wurde das Klagebegehren des hier Beklagten gegen die Klägerin auf Zahlung von 57. 332,06 EUR sA rechtskräftig abgewiesen (8 Ob 127/10z).
Der hier Beklagte hat zu 42 Cg 95/11b des Handelsgerichts Wien eine Wiederaufnahmsklage erhoben, wobei über die Wiederaufnahme des Verfahrens bisher noch nicht entschieden wurde.
Mit der gegenständlichen, als „Widerklage zu 42 Cg 89/09t des Handelsgerichts Wien“, bezeichneten Klage vom begehrt die Klägerin vom Beklagten, der seinen Wohnsitzgerichtsstand nicht im Sprengel des angerufenen Gerichts hat, Zahlung von 63.000 EUR sA und bringt dazu als anspruchsbegründend vor:
Die Klägerin habe im Jahr 1996 K***** P***** sen völlig unentgeltlich und nur aus Entgegenkommen eine Echtheitsbestätigung für das Bild „Au*****“ ihres Vaters A***** W***** ausgestellt. Bevor der Beklagte das Bild (von einem Dritten) angekauft habe, habe er J***** P***** veranlasst, es der Klägerin noch einmal vorzulegen, worauf diese das Bild mündlich unter Hinweis auf die seinerzeit erteilte Bestätigung im Jahr 2004 neuerlich als echt beurteilt habe. Im Jahr 2005 sei jedenfalls J***** P***** und K***** P***** bekannt gewesen, dass es sich bei dem Bild tatsächlich um eine Fälschung handelte, weil dieser Umstand vom Kunsthändler L***** W*****, dem das Bild zuvor angeboten worden wäre, sofort erkannt worden sei. Es bestehe der Verdacht, dass P***** und P***** der Klägerin die Echtheitsbestätigung in voller Kenntnis dieses Umstands herausgelockt hätten. Der Beklagte habe das Bild um 55.000 EUR erworben und bei der Wiener Kunstauktion zur Versteigerung bringen wollen, es aber wieder zurückgezogen. In der Folge habe er von der Klägerin mit Nachdruck die Rückzahlung des von ihm angeblich bezahlten Betrags von 60.000 EUR verlangt. Nach langwierigen Verhandlungen habe sich die Klägerin bereit gefunden, dem Beklagten 60.000 EUR zuzüglich 3.000 EUR an Zinsen und Aufwandersatz zu bezahlen, um das Bekanntwerden des ihr unterlaufenen Fehlers in der Öffentlichkeit und eine Verunsicherung des Kunstmarkts zu verhindern. Am habe sie aus diesem Grund mit dem Beklagten diesbezüglich eine Vereinbarung abgeschlossen, worin sich der Beklagte unter anderem verpflichten habe müssen, über die gegenständliche Angelegenheit absolutes Stillschweigen zu bewahren und alle Aktivitäten zu unterlassen, die dazu führen könnten, dass dies Dritten bzw der Öffentlichkeit zur Kenntnis gelangen könne. Der Beklagte habe in der Folge massiv gegen diese Geheimhaltungsverpflichtung verstoßen, weshalb die Geschäftsgrundlage der Vereinbarung vom weggefallen sei. Damit sei die Klägerin berechtigt, diesen Vertrag rückabzuwickeln; der Beklagte habe ihr aus diesem Grund 63.000 EUR sA rückzuerstatten.
Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts für den nicht im Sprengel des angerufenen Gerichts, sondern in ***** D***** wohnenden Beklagten sei zufolge § 96 Abs 1 JN gegeben, weil der mit der Widerklage geltend gemachte Anspruch mit dem Klagsanspruch im Verfahren 42 Cg 89/09t des Handelsgerichts Wien im Zusammenhang stehe und sich auch sonst zur Kompensation eigne. Im bezeichneten Vorverfahren habe der Beklagte die Klägerin auf Leistung von 57.332,06 EUR mit der Begründung in Anspruch genommen, sie habe ein angeblich von ihrem Vater A***** W***** stammendes Gemälde mit dem Titel „B*****“ mit einer Echtheitsbestätigung versehen, die sich in der Folge als unrichtig herausgestellt habe. Die Klage sei rechtskräftig abgewiesen worden, weil die Klägerin unter den gegebenen Umständen mangels Vorsatzes nicht für die aus reiner Gefälligkeit erteilte unrichtige Auskunft über die Herkunft des Gemäldes hafte.
Das Erstgericht wies die gegenständliche Widerklage a limine wegen Unzuständigkeit zurück. Beim Verfahren 42 Cg 95/11b handle es sich um eine Wiederaufnahmsklage hinsichtlich des Verfahrens 42 Cg 89/09t, beide des Handelsgerichts Wien. Ob es zu einer Wiederaufnahme komme, könne derzeit nicht beurteilt werden. Es liege in Bezug auf die Wiederaufnahmsklage weder Konnexität noch Kompensabilität vor. Dem wiederaufzunehmenden Verfahren lägen im Übrigen Ansprüche des Beklagten aus dem Erwerb des Gemäldes „B*****“ zugrunde, während Gegenstand der Widerklage Ansprüche aus der Verletzung einer in einem Vergleich vereinbarten Geheimhaltungspflicht seien. Es bestehe daher auch kein enger Sachzusammenhang zwischen dem in der ursprünglichen Klage und dem in der Widerklage geltend gemachten Anspruch.
Dem dagegen von der Klägerin erhobenen Rekurs (mit dem hilfsweise auch ein Überweisungsantrag verbunden ist) gab das Gericht zweiter Instanz nicht Folge.
Der von § 96 Abs 1 JN geforderte enge Sachzusammenhang zwischen Klage und Widerklage müsse in einem inhaltlichen Zusammenhang (Konnexität), in der Aufrechenbarkeit (Kompensabilität) oder im Fall einer Feststellungsklage in der Präjudizialität bestehen. Es sei nicht erforderlich, dass sich beide Ansprüche aus dem gleichen Rechtsgrund ableiten ließen, sondern reiche ein tatsächlicher, insbesondere auch ein wirtschaftlicher Zusammenhang aus. Es genüge nach der Rechtsprechung, wenn sich die Begehren beider Klagen auf dieselben Tatsachen stützen oder aus dem gleichen Tatsachenkomplex abgeleitet würden. Dass der vorhandene tatsächliche Zusammenhang zusätzlich noch besonders eng sein müsse, sei nicht zu fordern (RIS Justiz RS0046782).
Entgegen der Ansicht der Rekurswerberin liege zwischen der gegenständlichen Widerklage und der zu 42 Cg 95/11b anhängigen Wiederaufnahmsklage kein zur Begründung des Widerklagegerichtsstands ausreichender Sachzusammenhang vor. Ob dann, wenn die Wiederaufnahme bewilligt werde und es zur Aufnahme des Vorprozesses komme, die Voraussetzungen für eine Widerklage vorlägen, sei nicht maßgeblich. Gegenstand der Wiederaufnahmsklage sei nämlich zunächst das Rechtsschutzziel, im Aufhebungsverfahren die Aufhebung der vorangegangenen Entscheidung mit Wirkung ex tunc zu erwirken. Erst im folgenden Erneuerungsverfahren, dem wiederaufgenommenen Verfahren, komme es zu einer neuerlichen Entscheidung in der Hauptsache. Liege wie hier der Ausnahmefall des § 540 Abs 1 ZPO nicht vor, habe das Gericht zunächst nur das Aufhebungsverfahren durchzuführen und danach die Wiederaufnahme zu bewilligen oder die Wiederaufnahmsklage abzuweisen. Erst mit rechtskräftiger Bewilligung der Wiederaufnahme trete das im Vorprozess ergangene Urteil außer Kraft und sei das wiederaufgenommene Verfahren so durchzuführen, als hätte es keine frühere Entscheidung gegeben. Selbst wenn das Gericht nach § 542 Abs 1 ZPO zur Beschleunigung des Verfahrens das Urteil auf Bewilligung der Wiederaufnahme zunächst nur mündlich verkünde und noch vor dessen Ausfertigung und Rechtskraft das Erneuerungsverfahren durchführe, sei nur das prozessuale Rechtsgestaltungsbegehren, nicht aber der materielle Anspruch des wiederaufgenommenen Prozesses verfahrensgegenständlich. Das Begehren des wiederaufzunehmenden Verfahrens werde also erst nach Beseitigung der rechtskräftigen Vorentscheidung durch ein Rechtsgestaltungsurteil neuerlich zum Gegenstand des Verfahrens gemacht.
Zwischen dem derzeit allein vorliegenden prozessualen Rechtsgestaltungsanspruch des Wiederaufnahmsklägers und dem mit der vorliegenden Klage geltend gemachten Leistungsanspruch der nunmehrigen Klägerin sei daher weder Konnexität noch Kompensabilität verbunden. Es lägen damit die Voraussetzungen des § 96 Abs 1 JN für die Inanspruchnahme des Gerichtsstands der Widerklage nicht vor.
Das Rekursgericht erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage des Verhältnisses einer Widerklage zu einer Wiederaufnahmsklage im Zusammenhang mit § 96 Abs 1 JN vorliege.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Revisionsrekurs der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung der Beschlüsse der Vorinstanzen im Sinn einer Aufhebung des Zurückweisungsbeschlusses und Auftrag zur Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom Zurückweisungsgrund.
Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht bezeichneten Grund zulässig.
Er ist jedoch nicht berechtigt.
Die Klägerin vertritt zusammengefasst den Standpunkt, dass der nach § 96 JN geforderte Zusammenhang zwischen einer Widerklage und einem Wiederaufnahmsklagebegehren nicht am Gegenstand des Aufhebungsbegehrens der Wiederaufnahmsklage, sondern an jenem Anspruch zu messen sei, der Gegenstand des wiederaufzunehmenden Verfahrens sei. Wenn auch das auf die Wiederaufnahme gerichtete Klagebegehren nicht auf Zahlung, sondern zunächst rechtsgestaltend nur auf Wiederaufnahme des bereits rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens gerichtet sei, bestehe dessen ungeachtet ein enger tatsächlicher und vor allem auch wirtschaftlicher Zusammenhang. Ziel der Wiederaufnahmsklage sei nicht nur die Bewilligung der Wiederaufnahme in einem „Durchgangsverfahren“, sondern vor allem die Beseitigung des Urteils im Vorverfahren, woraus sich ein ausreichend innerer tatsächlicher und rechtlicher Zusammenhang für die Annahme des Gerichtsstands der Widerklage rechtfertigen lasse. Das Argument, dass es sich beim Prozessziel einer Wiederaufnahmsklage zunächst nur um ein Gestaltungsbegehren handle, lasse die mit § 96 Abs 1 JN angestrebte Prozessökonomie außer Betracht.
Im Übrigen sei es zulässig, bei bestimmten Wiederaufnahmsgründen (§ 530 Z 1 bis 4 ZPO) die Verhandlung und Entscheidung über den Grund und die Zulässigkeit der Wiederaufnahme sogar mit der Verhandlung in der Hauptsache selbst zu verbinden (§ 540 Abs 1 ZPO). Das mache deutlich, wie eng das Wiederaufnahmeverfahren einerseits und das erneuerte Verfahren andererseits im Zusammenhang zu sehen seien.
Rechtliche Beurteilung
Der erkennende Senat vermag diese Argumente nicht zu teilen:
1. Bei dem vom Revisionsrekurs angesprochenen Grundsatz der Verfahrensökonomie, der der Möglichkeit, den Widerklagsgerichtsstand des § 96 JN in Anspruch zu nehmen, zugrundeliegt, stellt das Gesetz auf den Zeitpunkt der Anbringung der Widerklage bei Gericht ab, zu dem die Vorklage beim angerufenen Gericht noch anhängig sein muss (§ 96 Abs 2 JN; Simotta in Fasching/Konecny ² § 96 JN Rz 1).
Weil zu diesem Zeitpunkt das Gericht die Voraussetzungen des § 96 JN für die Zulässigkeit einer Widerklage zu prüfen hat, muss auch der zu diesem Zeitpunkt bestehende Zusammenhang zwischen Klags und Widerklagsanspruch maßgeblich sein.
2 . Nach herrschender Ansicht tritt erst mit Rechtskraft des Urteils im Aufhebungsverfahren nach § 541 Abs 1 ZPO die im Hauptprozess ergangene Entscheidung in dem durch das Aufhebungsurteil abgesteckten Rahmen außer Kraft ( Ballon , Zivilprozessrecht 10 Rz 416; Jelinek in Fasching/Konecny ² § 541 ZPO Rz 5; E. Kodek in Rechberger ZPO³ § 541 ZPO Rz 2 mwN; Rechberger/Simotta , Zivilprozessrecht 8 Rz 891; 1098; 3 Ob 47/10y MietSlg 62.798 unter Hinweis auf Jelinek aaO).
3. Gegenstand des Aufhebungsverfahrens nach § 541 ZPO ist die Prüfung und Entscheidung, ob der behauptete Wiederaufnahmsgrund besteht und ob und inwieweit aufgrund dessen die vorangegangene Entscheidung bzw das vorangegangene Verfahren aufzuheben sind. Der in diesem Verfahren durchzusetzende Anspruch ist ein prozessualer Rechtsgestaltungsanspruch (RIS Justiz RS0041066; Jelinek aaO Vor §§ 529 ff ZPO Rz 5). Im Nichtigkeits und Wiederaufnahmsverfahren selbst (Aufhebungsverfahren) bildet die Lösung der Frage, ob der Aufhebungsanspruch besteht, das Meritum. In dem über den Aufhebungsanspruch ergehenden stattgebenden Urteil hat das Gericht auch ohne einschlägigen Urteilsantrag -auszusprechen, ob die angefochtene Entscheidung ganz oder zum Teil außer Kraft tritt.
4. Auf den Zeitpunkt der Erhebung der Widerklage bezogen, zu dem im vorliegenden Fall noch keine Entscheidung über das Aufhebungsbegehren vorlag, ergibt eine Prüfung des Anspruchs der Widerklage mit dem Anspruch der Wiederaufnahmsklage daher weder deren Konnexität noch deren Kompensabilität.
Vor Bewilligung der Wiederaufnahme des Verfahrens ist auch weder ein wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen beiden Klagen zu erkennen, noch können Gründe der Prozessökonomie dafür stichhältig sein, eine spezifische Zuständigkeitsregel anzuwenden, wenn nicht einmal feststeht, ob es überhaupt zu einem erneuerten Verfahren kommen wird.
5. Es trifft wohl zu, dass sowohl in den Fällen des § 540 Abs 1 ZPO als auch dann, wenn es nach § 542 Abs 1 ZPO nicht zu einer gesonderten Ausfertigung der Entscheidung über die Wiederaufnahme kommt, keine strenge formale Trennung des Wiederaufnahmsverfahrens und des erneuerten Verfahrens stattfindet. Es wird auch als unschädlich angesehen, wenn das Gericht die entsprechenden Verfahrensteile rechtswidrig nicht trennt (RIS Justiz RS0044672; Jelinek aaO § 541 ZPO Rz 3 und § 542 ZPO Rz 5 ff) und in diesen Fällen daher nach den obigen Ausführungen niemals eine Widerklage zu einer Wiederaufnahmsklage möglich wäre. Das ist jedoch in Anbetracht des Fortbestehens der Rechtskraft der Entscheidung im Vorverfahren und Bindung der Parteien an diese hinzunehmen. Auch wird der Wiederaufnahmskläger keineswegs an der Rechtsdurchsetzung gehindert, steht es ihm doch frei, die Klage beim allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten zu erheben.
Dass nach der Rechtsprechung der Streitgegenstand einer Wiederaufnahmsklage denknotwendig derselbe ist wie im Hauptprozess (RIS Justiz RS0042445), bedeutet nur, dass es keiner Bewertung bedarf und die Revisibilität in beiden Verfahren gleich zu beurteilen ist. Eine andere Beurteilung der Zulässigkeit einer Widerklage zu einer Wiederaufnahmsklage ergibt sich dadurch nicht.
Zu Recht haben daher die Vorinstanzen die Klage wegen Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts zurückgewiesen.