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OGH vom 17.12.1997, 3Ob313/97v

OGH vom 17.12.1997, 3Ob313/97v

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Pimmer, Dr.Zechner und Dr.Sailer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Herbert W*****, vertreten durch Dr.Franz Bixner jun., Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Erika W*****, vertreten durch Dr.Manfred C. Müllauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 45 R 1039/96v-34, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Fünfhaus vom , GZ 4 C 179/94f-26, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird dahin Folge gegeben, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 15.008,80 (darin enthalten S 2.164,80 USt S 2.020,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile waren seit 1965 miteinander verheiratet. Ihre Ehe verlief bis ca. 1978 harmonisch und ohne jegliche Probleme. Ab diesem Jahr litt die Beklagte unter Schlafstörungen, die sehr unangenehm waren, weswegen sie manchmal Schlaftabletten einnahm. Aufgrund der Schlafstörungen stand sie manchmal nächtens auf, ging vom Schlafzimmer ins Nebenzimmer, um fernzusehen oder Geschirr zu putzen. Eine gewisse Störung der Nachtruhe in der ehelichen Wohnung wurde zwar dadurch verursacht, der Kläger kümmerte sich allerdings nicht um die Ursache der Schlafstörungen und meinte, er sei kein Arzt und könne daher sowieso nicht helfen. Im Jahr 1979 verübte die Beklagte einen Selbstmordversuch, da sie den Verdacht hegte, der Kläger unterhalte ehewidrige Beziehungen. Ob dies tatsächlich der Fall war, kann nicht festgestellt werden. Bis ungefähr zum Jahr 1985 verlief die Ehe dann wieder relativ gut und harmonisch, nur von Zeit zu Zeit hatte die Beklagte Schlafstörungen. Als sie wieder den Verdacht hinsichtlich ehewidriger Beziehungen des Klägers schöpfte, kam es zu einem Streit, wobei die Beklagte das Gewand des Klägers in einen Koffer packte und aus dem Fenster warf. In den folgenden Jahren, nämlich bis 1994, verlief die Ehe der Streitteile wieder ohne Besonderheiten.

Im Februar 1994 verbrachten die Parteien einen glücklichen und harmonischen Urlaub auf Tahiti.

Am stürzte die Beklagte während ihrer Arbeitszeit und fügte sich einen Sehnenmuskelriß [gemeint offenbar: Seitenmuskelriß] zu. Die Schwester des Klägers nahm die Beklagte zwecks Pflege bei sich auf, da der Kläger eine Betreuung ablehnte. Am zog er aus der Ehewohnung in die Wohnung des gemeinsamen Sohnes. Ein Grund für den Auszug des Klägers kann nicht festgestellt werden. Insbesondere kann nicht festgestellt werden, ob der Kläger außereheliche Beziehungen unterhalten hat.

Aufgrund des überraschenden Auszuges aus der Ehewohnung verschlechterte sich der psychische Zustand der Beklagten, sie zerschnitt Kleidungsstücke des Klägers und unternahm in der Nacht vom

19. auf den einen Selbstmordversuch. Sie befand sich daraufhin eine Woche in stationärer Behandlung; der Kläger hat sie in diesem Zeitraum kein einziges Mal besucht.

Im September 1994 kam es zu einem Vorfall im Stiegenhaus des Hauses, in dem der Kläger wohnt, wobei die Beklagte den Kläger in Begleitung einer attraktiven Frau traf. Sie grüßten einander, doch vermutete die Beklagte, daß es sich bei dieser Frau um die Freundin des Klägers handle. Ob dies tatsächlich der Fall war, kann nicht festgestellt werden. In der Folge fuhr die Beklagte in ihre Wohnung, trank Alkohol und ließ sich in alkoholisiertem Zustand von ihrer Tochter zur Wohnung des Klägers führen. Sie war sehr aufgebracht und wollte den Kläger zur Rede stellen. Es kam zu einem Handgemenge, bei dem sowohl der Kläger durch die Beklagte Kratzwunden im Gesicht, als auch die Beklagte durch Stöße des Klägers blaue Flecken erlitt.

Eines der Hauptprobleme der Ehegatten lag im sexuellen Bereich. Die Beklagte ist sehr gefühlsbetont, sie wünschte sich mehr körperlichen Kontakt; der Kläger zeigte eher weniger Interesse, mit ihr geschlechtlich zu verkehren, er war seiner Frau gegenüber sehr abweisend. Die Beklagte kränkte sich über diese Interessenlosigkeit, sie versuchte immer wieder, mit dem Kläger über dieses Problem zu sprechen; der Kläger lehnte dies und die Möglichkeit einer Therapie ab; diese sei aussichtslos.

Eine Rohypnol- bzw Alkoholabhängigkeit der Beklagten kann nicht festgestellt werden. Es kam aber zweimal, nämlich im März 1994 unmittelbar vor dem Selbstmordversuch und im September 1994 nach dem Vorfall mit dem Kläger dazu, daß die Beklagte betrunken war. Sonstige Alkohol- oder Tablettenexzesse können nicht festgestellt werden. Ansonsten konsumierte sie Alkohol im normalen Bereich und nahm Rohypnol-Tabletten nur gegen ihre Schlafstörungen, die größtenteils aufgrund der ehelichen Probleme auftraten. Daß die Beklagte gegenüber dem Kläger aggressiv war und ihn oftmals attackierte, kann ebenfalls nicht festgestellt werden.

Der Kläger unterhielt eine enge Beziehung zu einer Frau "von 35 Jahren".

Mit seiner Protokollarklage begehrte der Kläger die Scheidung aus dem Verschulden der Beklagten. Dazu brachte er vor, sie trinke Alkohol und nehme gleichzeitig Rohypnol-Tabletten ein. In diesem Zustand sei sie ihm gegenüber sehr aggressiv, beschimpfe ihn und attackiere ihn auch. Da das Zusammenleben unzumutbar geworden sei, sei er aus der Ehewohnung bereits ausgezogen, worauf die Beklagte seine gesamte Wäsche zerschnitten habe. Sie habe ihm auch am Kratzwunden im Gesicht zugefügt.

Weiters brachte der Kläger vor, daß er sich bereits vor Jahren genötigt gesehen habe, sich eine andere Wohnung zu besorgen, weil die Beklagte bei gleichzeitigem Genuß von Rohypnol-Tabletten und Alkohol nachts in einem Zustand gewesen sei, in welchem sie kurzfristig immer wieder aufgestanden sei, ihn aus dem Schlag geweckt habe und, nachdem er wieder eingeschlafen sei, sich diese Störungen etwa in Abständen von einer halben Stunde bis einer Stunde wiederholt hätten. Als er ihr daraufhin erklärt habe, daß er unter diesen Umständen nicht mehr die Ehewohnung mit ihr teilen könne, habe sie seine Koffer, in denen sich seine Wäsche und seine Kleidungsstücke befunden hätten, aus dem Parterrefenster der Ehewohnung auf die Straße geworfen. Er habe daraufhin im Magazin seines Dienstgebers notdürftig übernachten müssen. Alle seine Versuche, in der Folge durch Rückkehr in die Ehewohnung und Zuspruch an die Beklagte, die Ehe fortzusetzen, seien fehlgeschlagen, da sie immer wieder rückfällig geworden sei, Rohypnol-Tabletten und Alkohol zu sich genommen habe und in diesem Zustand nicht ansprechbar gewesen sei, ihn ständig in der Nachtruhe gestört habe, obwohl er als Installateur eine verantwortungsvolle Arbeit zu verrichten gehabt habe und daher am nächsten Tag wieder voll dienstfähig habe sein müssen. Daher habe er schließlich am endgültig in die aus besagten Gründen angeschaffte Wohnung übersiedeln müssen.

Im März 1994 habe die Beklagte wieder dermaßen häufig in großen Ausmaß Rohypnol mit Alkohol zu sich genommen, da es ihre Kinder abgelehnt hätten, sie aufzunehmen und zu betreuen. Daraufhin habe die Schwester des Klägers sie vorübergehend in ihre Wohnung aufgenommen. Einige Tage, nachdem er seine Frau wieder in die Ehewohnung zurückgebracht habe, in der Hoffnung, sie dort zu einem normalen Leben zu bewegen, habe er feststellen müssen, daß sie sich einen tiefen Schnitt in die linke Hand zugefügt habe. Aufgrund des im Unfallkrankenhaus abgegebenen ausdrücklichen Versprechens, sich einer ärztlichen Behandlung gegen den Genuß von Rohypnol mit Alkohol zu unterziehen, sei sie dann wieder in die Ehewohnung zurückgebracht worden.

Am habe die Beklagte an die Tür seiner Wohnung geklopft und habe in diese eindringen wollen, was er abgelehnt habe. Darauf sei sie gegen ihn tätlich geworden, habe ihm die Brille heruntergerissen, wobei sie ein Brillenglas zerbrochen habe, und habe ihn mit den Nägeln an der Stirn und unter dem Auge Kratzwunden zugefügt.

Die Beklagte beantragt in erster Linie Klagsabweisung und wandte ein, daß die Ehe durch 29 Jahre im wesentlichen harmonisch und glückhaft verlaufen sei. Noch im Februar 1994 hätten sie einen wunderschönen und harmonischen Urlaub miteinander verbracht. Daher sei die Ehe noch keineswegs unheilbar zerrüttet. Sie habe im März 1994 durch Zufall einen Liebesbrief einer Frau gefunden. Als sie ihren Mann zur Rede gestellt habe, habe er ihr den Brief entrissen und ihr dabei durch Verbiegen der Hand starke Schmerzen zugefügt. Unmittelbar darauf habe er den Brief in tausend Stücke zerrissen und bestritten, eine Freundin zu haben. Seit damals habe sie dies aber vermuten müssen. Schließlich habe er sich immer mehr und mehr aus der Wohnung zurückgezogen und die Wohnung des gemeinsamen Sohnes okkupiert. Im September 1994 habe sie den Kläger dort in Begleitung einer attraktiven Frau, seiner Freundin, angetroffen. Darüber sei sie sehr aufgebracht gewesen und habe tatsächlich etwas getrunken. Sei sei jedoch keineswegs eine Trinkerin. Als sie ihren Mann zur Rede stellen habe wollen, habe er sie ohne Anlaß von der Wohnung weggestoßen, worauf es zu einem Handgemenge gekommen sei, bei welchem sie blaue Flecken erlitten habe.

Hilfsweise stellte die Beklagte den Antrag, das überwiegende Mitverschulden des Klägers an der Zerrüttung der Ehe festzustellen.

Das Erstgericht gab der Scheidungsklage statt, sprach jedoch aus, daß das überwiegende Verschulden den Kläger treffe. Es traf im wesentlichen die eingangs wiedergegebenen Feststellungen. In rechtlicher Hinsicht warf es beiden Ehegatten schwere Eheverfehlungen im Sinne des § 49 EheG vor, wodurch sie die Ehe so tief zerrüttet hätten, daß die Wiederherstellung einer ihrem Wesen entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht mehr erwartet werden könne. Dem Kläger warf das Erstgericht vor, keinen Versuch unternommen zu haben, sich mit den Problemen der Beklagten hinsichtlich ihrer Schlafstörung auseinanderzusetzen, grundlos aus der Ehewohnung ausgezogen zu sein, die Beklagte nach ihrem Selbstmordversuch nicht im Spital besucht und sich nicht mit den diesem zugrundeliegenden Problemen auseinandergesetzt zu haben; sich aus dem Eheleben zurückgezogen und zu einer Person des anderen Geschlechts eine obzwar nur freundschaftliche Beziehung aufgenommen und aufrechterhalten zu haben; von vornherein einen Versuch, die sexuellen Probleme zu lösen, abgeschlagen zu haben und darüber hinaus wortkarg, meistens gefühlskalt und oft unhöflich gewesen zu sein.

Die Beklagte habe dadurch eine schwere Eheverfehlung begangen, daß sie die Kleider des Klägers zerschnitten habe. Dies sei aber eine berechtigte Reaktion auf den Auszug des Klägers aus der Ehewohnung gewesen. Schließlich habe sie sich keiner ärztlichen Behandlung nach dem Selbstmordversuch unterzogen. Die zweimalige Trunkenheit könne der Beklagten nicht angelastet werden, weil beiden Situationen außergewöhnliche pyschische Belastungen vorangegangen seien, deren Ursache im Verhalten des Klägers gelegen sei. Auch die Schlafstörungen an sich seien keine Eheverfehlungen. Die durch die Beklagte hervorgerufenen Störungen der Nachtruhe des Klägers seien nur von Zeit zu Zeit erfolgt. Sicher hätte sich der Gesundheitszustand der Beklagten verbessert, wenn der Kläger besser auf die Probleme der Beklagten eingegangen wäre. Bei Abwägung der beiderseitigen Eheverfehlungen überwiege das Verschulden des Klägers ganz bedeutend.

Gegen dieses Urteil erhob der Kläger Berufung mit dem Antrag, den Verschuldensausspruch dahin abzuändern, daß die Ehe aus dem überwiegenden Verschulden der Beklagten geschieden werde.

Mit dem angefochtenen Urteil gab das Berufungsgericht der Berufung teilweise Folge und änderte das angefochtene Urteil, das im Ausspruch über die Scheidung als unbekämpft unberührt blieb, dahin ab, daß das Verschulden an der Ehezerrüttung beide Teile treffe. Zur Beweisrüge des Klägers vertrat das Berufungsgericht in erster Linie den Standpunkt, daß diese nicht gesetzmäßig ausgeführt sei. Im übrigen sei die vom Erstgericht vorgenommene Beweiswürdigung umfassend, logisch und stichhältig begründet.

Die Rechtsrüge sei aber teilweise berechtigt. Soferne das Erstgericht dem Kläger einen grundlosen Auszug aus der Ehewohnung anlaste, sei festzuhalten, daß sich diese rechtlichen Schlußfolgerungen nicht mit den Feststellungen deckten. Das Erstgericht habe deutlich zum Ausdruck gebracht, daß es den Grund für den Auszug des Klägers nicht feststellen könne. Daraus könne nicht gefolgert werden, der Kläger sei grundlos ausgezogen. Eine non liquet Situation führe nämlich zum Eingreifen der Beweislastregel. Ein grundloser Auszug des Klägers sei aber auch nicht einmal vom Vorbringen der Beklagten gedeckt, weshalb eine diesbezügliche Feststellung entbehrlich sei und dem Kläger aus diesem Grund eine Eheverfehlung nicht zum Vorwurf gemacht werden könne.

Die Revision ist zulässig, weil zur Frage, zu wessen Nachteil es im Scheidungsverfahren ausschlägt, wenn der Grund für die einseitige Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft nicht erweislich ist, nicht vorliegt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist auch berechtigt.

Zu Recht wendet sich die Beklagte in ihrer außerordentlichen Revision gegen die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, dem Kläger könne das Verlassen der Ehewohnung am nicht als schwere Eheverfehlung angelastet werden, weil das Erstgericht den Grund dafür nicht feststellen haben können.

Auszugehen ist zunächst von der Regel des § 90 ABGB. Ehegatten sind einander zur umfassenden ehelichen Lebensgemeinschaft, besonders zum gemeinsamen Wohnen verpflichtet. Ausnahmen von dieser Regelung enthalten § 92 Abs 2 ABGB und Vorschriften der Exekutionsordnung (Schwimann/Schwimann ABGB2 I Rz 8 zu § 90 ABGB). Wer behauptet, daß auf ihn eine Ausnahme von einer allgemeinen Regel zutrifft, den trifft dafür die (Behauptungs- und) Beweislast (EvBl 1994/134; ÖA 1986, 75 ua).

Dies bedeutet, daß in einem Scheidungsverfahren nach § 49 EheG der verlassene Partner nicht behaupten und beweisen muß, daß die Aufhebung der Hausgemeinschaft ohne rechtfertigenden Grund erfolgte. Die Unaufklärbarkeit der Gründe, aus denen der Kläger aus der gemeinsamen Ehewohnung ausgezogen ist, gehen daher zu seinen Lasten. Nach einhelliger Rechtsprechung rechtfertigen nur besonders schwere Eheverfehlungen die Aufgabe der ehelichen Gemeinschaft durch den anderen Teil (EFSlg 20.338, 27.338 uva E zu RIS-Justiz RS0047204); solche wurden aber nicht festgestellt.

Berücksichtigt man, daß nur von den Parteien auch behauptete Eheverfehlungen bei der Verschuldensbeurteilung maßgeblich sind (EFSlg 31.713, 41.278 und 54.453; Schwimann aaO Rz 5 und 18 zu § 60 EheG), dann ist nur erwiesen, daß die Beklagte manchmal "während der Nacht infolge von Schlafstörungen durch Tätigkeiten die Nachtruhe des Klägers gestört" und im Jahr 1985 anläßlich eines Streites die Kleidung des Klägers in einem Koffer aus dem Fenster geworfen hatte. Derartige Verhaltensweisen, von denen die zuletzt genannte etwa neun Jahre vor dem Auszug des Klägers erfolgte, rechtfertigen keinesfalls die Aufgabe der ehelichen Gemeinschaft.

Die hier vorgenommene Beweislastverteilung steht auch nicht im Widerspruch zu der E 5 Ob 569/93 (= EFSlg 73.177). In dieser ging es um die Frage, ob die Geltendmachung des Unterhalts durch den Ehepartner, der den Haushalt verlassen hatte, ein Rechtsmißbrauch nach § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB wäre. Damals war der Oberste Gerichtshof zu der Auffassung gelangt, daß derjenige, der sich auf einen Unterhaltsverwirkungstatbestand berufe, auch beweisen müsse, daß sich im Verlassen der ehelichen Gemeinschaft der völlige Verlust oder die ihm nahekommende Verflüchtigung des Ehewillens manifestiere. Auch in dieser Entscheidung wird aber daran festgehalten, daß niemand verhalten ist, den Beweis dafür zu erbringen, er habe für ein bestimmtes Verhalten seines Prozeßgegners keinen Anlaß gegeben.

Was nun die weiteren vom Berufungsgericht der Beklagten vorgeworfenen Eheverfehlungen angeht, so ist es durchaus fraglich, ob der Kläger der Beklagten tatsächlich die zwei festgestellten Selbstmordversuche zum Vorwurf gemacht hat. Keinesfalls gilt dies für den länger zurückliegenden Vorfall. Es wird ja lediglich vorgebracht, daß sich die Beklagte im Jahr 1994 einen tiefen Schnitt in die linke Hand beigebracht habe. Wenn auch nach EFSlg 38.704 ein Selbstmordversuch, zu dem der Ehepartner keinen Anlaß gegeben hat, als Eheverfehlung zu werten ist, gilt dies keinesfalls, wenn der Selbstmord etwa aus Verzweiflung verübt wurde (EFSlg 2199). Nun steht aber nach den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichtes fest, daß der zweite Selbstmordversuch von der Beklagten in einem durch den Auszug des Klägers verschlechterten psychischen Zustand durchgeführt wurde, sodaß dieser als Reaktion auf die schwere Eheverfehlung des Klägers zu werten ist und damit keine solche der Beklagte darstellt. Selbst wenn man das unter denselben Umständen erfolgte Zerschneiden der Kleidungsstücke des Klägers nicht als völlig entschuldigt ansehen wollte, könnte dem doch nur geringes Gewicht zugemessen werden. Dasselbe gilt für die Einnahme von Tabletten und Alkohol im Anschluß an den Auszug des Klägers. Was die weiteren Vorwürfe der aggressiven Behandlung, des Beschimpfens und des häufigen Trinkens und Tabletteneinnehmens durch die Beklagte angeht, ist dem Kläger der ihm obliegende Beweis mißlungen.

Auf der anderen Seite hat aber auch das Erstgericht ohne entsprechendes Vorbringen ein im einzelnen dargelegtes liebloses und teilnahmsloses Verhalten des Klägers als Eheverfehlung gewertet, ohne daß dafür entsprechende Behauptungen aufgestellt worden wären. Was den Vorfall im September 1994 (gegenseitige Verletzung der Ehegatten) angeht, ist beiden eine schwere Eheverfehlung im Sinn des § 49 EheG anzulasten, weil ja nicht feststeht, wer die Tätlichkeiten begonnen hat. Daraus, daß die Beklagte den Kläger zur Rede stellen wollte, kann ihr kein Vorwurf gemacht werden, wenn man das vorangegangene Verhalten des Klägers berücksichtigt. Schließlich ist noch festzuhalten, daß die Beklagte in dem Schriftsatz ON 3 dem Kläger mit hinreichender Deutlichkeit ehewidrige Beziehungen zu einer anderen Frau vorwarf, die auch festgestellt wurden.

Richtig ist, wie schon das Berufungsgericht ausgeführt hat, daß bei der Beurteilung des Verschuldens beider Ehegatten deren Gesamtverhalten heranzuziehen ist, wobei auch verfristete oder verziehene Eheverfehlungen mitzuberücksichtigen sind und auch eine Mehrzahl von Verfehlungen von geringerem Gewicht insgesamt eine schwere Eheverfehlung bedeuten können (ständige Rechtsprechung; Nachweise bei Schwimann aaO Rz 9 zu § 49 EheG).

Zwar ist es auch möglich, daß spätere schwere Eheverfehlungen eines Ehegatten nur eine Folge der bereits durch Verschulden des anderen Teiles eingetretenen Zerrüttung sind (RIS-Justiz RS0057416). Im vorliegenden Fall gilt dies aber nicht für den Auszug des Klägers aus der Ehewohnung im März 1994, weil feststeht, daß die Streitteile erst wenige Tage zuvor einen harmonischen Südseeurlaub verbracht hatten und daher nicht gesagt werden kann, es sei zu diesem Zeitpunkt bereits durch die der Beklagten anzulastenden Störungen der Nachtruhe des Klägers eine unheilbare Zerrüttung der Ehe eingetreten. Diese erfolgte vielmehr dadurch, daß der Kläger sich völlig von der Beklagten zurückzog und in seine zweite Wohnung übersiedelte. Bei richtiger rechtlicher Würdigung der festgestellten Tatsachen muß daher der Auffassung des Erstgerichtes beigepflichtet werden, daß das Verschulden des Klägers erheblich schwerer wiegt, und das der Beklagten im Vergleich dazu fast völlig in den Hintergrund tritt, sodaß sein überwiegendes Verschulden auszusprechen ist (ständige Rechtsprechung Nachweise bei Schwimann aaO Rz 11 zu § 60 EheG).

Da sich der Kläger auf eine (schuldhafte) sexuelle Überforderung durch die Beklagte in erster Instanz niemals berufen hat, können seine diesbezüglichen Ausführungen in der Revisionsbeantwortung keine Berücksichtigung finden. Im Gegenteil, der Kläger war es, der eine mögliche Therapie von vornherein als aussichtslos ablehnte. Entgegen seinen Ausführungen kann auch nicht gesagt werden, daß das Berufungsgericht zu Unrecht seine Beweisrüge nicht erledigt hätte. Der behauptete Mangel des berufungsgerichtlichen Verfahrens liegt daher nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Demnach war der Berufung Folge zu geben und das Ersturteil wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung im Rechtsmittelverfahren gründet sich auf die §§ 50, 41 ZPO.