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OGH vom 11.03.1996, 1Ob560/95

OGH vom 11.03.1996, 1Ob560/95

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) Stephen A*****, und 2.) M***** Corporation, *****, beide vertreten durch Dr.Peter Lambert, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei H***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Schönherr, Barfuss, Torggler & Partner, Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterlassung (hier Sicherheitsleistung nach § 57 ZPO, Streitwert S 500.000), infolge Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgerichts vom , GZ 3 R 4,5/95-30, womit der Beschluß des Handelsgerichts Wien vom , GZ 11 Cg 269/94-11, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom , GZ 11 Cg 269/94-16, teils abgeändert und teils aufgehoben wurde, den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

„Wird ein britischer Staatsangehöriger, der zugleich auch Staatsangehöriger der Vereinigten Staaten von Amerika ist und im Gebiet dieses Staats (Florida) seinen Wohnsitz hat, der eine Aktiengesellschaft mit dem Sitz in Österreich klageweise auf Unterlassung der Veräußerung oder sonstigen Abtretung von Anteilen an genau bezeichneten Tochtergesellschaften an deren italienische Tochtergesellschaft oder an deren Tochtergesellschaften mit dem Sitz in Italien ohne Zustimmung der Hauptversammlung mit qualifizierter Dreiviertel- bzw. - hilfsweise - mit einfacher Mehrheit vor einem österreichischen Zivilgericht in Anspruch nimmt und der in Österreich keinen Wohnsitz und kein Vermögen hat, entgegen Art 6 Abs 1 EGV wegen seiner Staatsangehörigkeit dadurch diskriminiert, daß ihm das zuständige österreichische (Erst-)Gericht auf Antrag der beklagten Aktiengesellschaft gemäß § 57 Abs 1 der österreichischen Zivilprozeßordnung aufträgt, wegen der Prozeßkosten Sicherheit in einer bestimmten Höhe zu leisten?“

Text

Begründung:

Die klagenden Parteien - von welchen der Erstkläger ein in den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) lebender Staatsangehöriger der USA und Großbritanniens und die zweitklagende Partei eine in den USA domilizierte Gesellschaft ist - sind Aktionäre der beklagten österreichischen Aktiengesellschaft.

Mit der Behauptung, der Vorstand der beklagten Partei habe im Juli 1994 in der Aufsichtsratsitzung der beklagten Partei bekanntgegeben, eine Totaländerung der Struktur des H*****-Konzerns zu planen, indem an die Stelle der beklagten Partei als zentraler Holdinggesellschaft deren italienische Tochtergesellschaft H***** SpA treten solle, alle bisherigen „Töchter“ der beklagten Partei mit Ausnahme zweier nicht operativer Gesellschaften Tochtergesellschaften der italienischen Tochtergesellschaft werden sollten, eine dieser beiden ausgenommenen Tochtergesellschaften innerhalb der gesamten Firmenstruktur verschoben werden solle und wesentliche Teile der Produktion der italienischen Tochtergesellschaft (Baubereich) in eine eigene Tochtergesellschaft derselben ausgelagert werden sollten, begehrten die klagenden Parteien im Ausgangsverfahren von der beklagten Partei, es zu unterlassen, ohne Zustimmung der Hauptversammlung mit Dreiviertelmehrheit Anteile an im Klagebegehren aufgezählten Tochtergesellschaften an die italienische Tochtergesellschaft oder an deren Tochtergesellschaften mit Sitz in Italien zu veräußern oder abzutreten; das angefügte Hilfsbegehren deckt sich mit dem Hauptbegehren, nur sollen danach die Rechtshandlungen der beklagten Partei, deren Unterlassung begehrt wird, nur dann zulässig sein, wenn die Hauptversammlung - auch ohne qualifizierte Mehrheit - zustimmt.

Die beklagte Partei beantragte, beiden klagenden Parteien den Erlag einer Sicherheit für die Prozeßkosten in der Höhe von zumindest S 500.000 aufzuerlegen, weil sie in Österreich kein zur Deckung der Prozeßkosten hinreichendes Vermögen hätten und die im Verfahren ergehende Entscheidung über die Prozeßkosten in Florida, USA, nicht vollstreckt werden könne.

Das Erstgericht trug beiden klagenden Parteien zur ungeteilten Hand gemäß § 57 Abs 1 ZPO den Erlag einer Sicherheitsleistung für die Prozeßkosten der beklagten Partei von 500.000 S auf, weil kein Ausnahmefall nach § 57 Abs 2 ZPO vorliege, und sprach aus, daß bei fruchtlosem Ablauf der Erlagsfrist die Klage über Antrag der beklagten Partei als zurückgenommen erklärt werden würde.

Das Gericht zweiter Instanz änderte diese Entscheidung, soweit sie sich gegen den Erstkläger richtet, dahin ab, daß es den Antrag der beklagten Partei auf Erlag einer Sicherheitsleistung für deren Prozeßkosten abwies, hob sie in Ansehung der zweitklagenden Partei auf und trug dem Erstgericht in diesem Umfang eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf; soweit diese Entscheidung die zweitklagende Partei betrifft, blieb sie unangefochten.

In rechtlicher Hinsicht meinte das Rekursgericht, soweit es um den Erstkläger geht, dieser habe schon in der Klage behauptet und im Rekurs bescheinigt, britischer Staatsangehöriger zu sein. Die beklagte Partei habe diesen Umstand in der Klagebeantwortung nicht bestritten. Nach Art 7 - richtig Art 6 - des EG-Vertrags (EGV) sei jedwede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten. Der Anwendungsbereich des EGV umfasse das gesamte Wirtschaftsleben, somit auch alle für die zwangsweise Durchsetzung wirtschaftlicher Ansprüche bestimmten Vorkehrungen. Unter diesem Gesichtspunkt falle auch das Prozeßrecht in den Anwendungsbereich des EGV. Da die Verpflichtung zum Erlag einer Prozeßkostensicherheit nach § 57 Abs 1 ZPO allein auf der „ausländischen Nationalität“ des Klägers beruhe, widerspreche sie dem Diskriminierungsverbot. Eine verfassungskonforme Interpretation der soeben genannten Bestimmung und des darin enthaltenen Vorbehalts anderslautender Staatsverträge erfordere daher, die Angehörigen aller Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) bei Verfolgung wirtschaftlicher Angelegenheiten von der Verpflichtung zum Erlag einer Prozeßkostensicherheit auszunehmen. Die Doppelstaatsangehörigkeit des Erstklägers könne an diesem Ergebnis ebensowenig ändern wie der Umstand, daß er seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort nicht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union habe, weil durch den EGV Angehörige der Mitgliedstaaten den Inländern gleichgestellt würden; im Ausland lebende Österreicher träfe aber bei Verfahren vor inländischen Gerichten jedenfalls keine Verpflichtung zum Erlag einer Prozeßkostensicherheit. Ob die Rechtslage vor dem eine andere Entscheidung ermöglicht hätte, könne dahingestellt bleiben, weil die Verpflichtung zum Erlag einer Prozeßkostensicherheit bei Entfall ihrer Voraussetzungen jedenfalls wegfalle.

Rechtliche Beurteilung

Der erkennende Senat des Obersten Gerichtshofs erachtet aus folgenden Überlegungen eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) als erforderlich:

Gemäß § 57 Abs 1 ZPO haben Ausländer, wenn sie vor einem im Geltungsgebiet dieses Gesetzes gelegenen Gericht als Kläger auftreten, dem Beklagten auf dessen Verlangen für die Prozeßkosten Sicherheit zu leisten, sofern nicht durch Staatsverträge etwas anderes festgesetzt ist. Diese Bestimmung soll die vor inländischen Gerichten beklagten Parteien vor mißbräuchlicher oder kostenverursachender Rechtsanmaßung durch ausländische Kläger, die Ausländer sind und im Inland keinen gewöhnlichen Aufenthalt haben, schützen (Oberster Gerichtshof in 2 Ob 593/95 und andere; Fasching, Zivilprozeßrecht, Lehr- und Handbuch2 Rz 475 f). Nach § 57 Abs 2 ZPO tritt eine Verpflichtung zur Sicherheitsleistung jedoch - unter anderem - nicht ein, wenn der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hat oder wenn eine gerichtliche Entscheidung, die dem Kläger den Ersatz von Prozeßkosten an den Beklagten auferlegte, im Staat des gewöhnlichen Aufenthalts des Klägers vollstreckt würde. Der Erstkläger lebt in den USA im Bundesstaat Florida; zwischen Österreich und den USA bzw diesem Bundesstaat besteht kein Übereinkommen, das die Vollstreckung einer Kostenentscheidung gegen den Erstkläger in diesem Verfahren ermöglichen würde (vgl § 37 des Erlasses vom über die internationale Rechtshilfe und andere Rechtsbeziehungen mit dem Ausland in Zivilsachen, JABl 1986/53, und die dort angeführte Länderübersicht). Der Oberste Gerichtshof hat daher bereits ausgesprochen, daß einem Kläger, der im Bundesstaat Florida (USA) seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, mangels Vorliegens eines internationalen Übereinkommens über die Vollstreckbarkeit von Kostenentscheidungen grundsätzlich der Erlag einer Prozeßkostensicherheit aufzuerlegen ist (Oberster Gerichtshof in 9 ObA 225/94 = EvBl 1995/115 = RdW 1995, 220, und in 2 Ob 593/95 unter ausdrücklicher Ablehnung der Auffassung von Czernich in WBl 1995, 10, 11).

Österreicher, die im Ausland ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, sind zur Leistung einer Kaution nach § 57 ZPO nicht verpflichtet. Es wird somit in Übereinstimmung mit den meisten kontinentaleuropäischen Rechten (aber im Gegensatz zu den angelsächsischen Rechten) nicht danach gefragt, ob im Inland dem Vollstreckungszugriff offenes Vermögen vorhanden ist. Maßgebend dafür waren erkennbar einerseits der Gedanke, die im Ausland ansässigen eigenen Staatsangehörigen zu schonen, andererseits aber der Gesichtspunkt, für die Frage der Gewährung des Gegenrechts als Ausgangspunkt die gleiche Regelung anzunehmen wie die meisten europäischen Rechte (vgl Stein/Jonas, ZPO21 § 110 Rz 1 mwN; vgl dazu auch Wolff, Rechtswidrigkeit der Ausländersicherheit nach § 110 ZPO nach EG- und Verfassungsrecht, in RIW 1993, 797, 798).

Großbritannien und Österreich sind Mitglieder der Europäischen Union. Die Annahme der zweiten Instanz, der Kläger sei (auch) britischer Staatsangehöriger („british citizen“), kann vom Obersten Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, nicht überprüft werden (vgl Kodek in Rechberger, ZPO, § 528 Rz 1 mwN). Die Rechtsmittelausführungen der beklagten Partei, der Erstkläger sei in Bombay, also im ehemaligen Kaiserreich Britisch-Indien, geboren, es fehle ihm eine echte soziale Bindung, ein „genuine link“, zu Großbritannien, das seinen Reisepaß ausstellte, ist als erstmals im Rechtsmittel vorgetragene Neuerung unbeachtlich.

Fraglich könnte es dagegen sein, ob der erkennende Senat bei seiner Entscheidung über die beantragte Kaution auf Art 6 EGV überhaupt Bedacht zu nehmen hat: Das Erstgericht erkannte nämlich schon am auch den Erlag einer Prozeßkostensicherheit durch die klagenden Parteien; Österreich ist dagegen erst am Mitglied der EU geworden (Art 2 Abs 2 des Beitrittsvertrags, BGBl 1995/45), so daß auch die genannte EGV-Bestimmung für den österreichischen Rechtsbereich erst mit diesem Tag in Kraft trat. Da aber Art 6 EGV zwingendes Recht ist und die Rechtsmittelgerichte nach österreichischem Verfahrensrecht - wie hier mangels davon abweichenden Übergangsrechts - auch erst nach der erstinstanzlichen Entscheidung eingetretene Änderungen des zwingenden Rechts ohne weiteres von Amts wegen zu berücksichtigen haben, auch wenn der zu beurteilende Tatbestand schon vor Inkrafttreten des neuen Rechts konkretisiert wurde (Fasching aaO Rz 1927; Kodek aaO § 503 Rz 5), hat der Oberste Gerichtshof die einschlägigen Bestimmungen des EGV seiner Rechtsmittelentscheidung ohne weiteres zugrundezulegen. Welche Bedeutung es hat, daß Art 4 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), dessen Mitglied Österreich seit war, dessen Regelungen indessen im Verhältnis zwischen Österreich und den Mitgliedstaaten der EU seit überholt sind (OGH in 4 Ob 140/94 = WBl 1995, 191 = EvBl 1995/94), ein dem Art 6 Abs 1 EGV gleichlautendes Diskriminierungsverbot anordnete, muß deshalb nicht näher geprüft werden.

Gemäß Art 6 Abs 1 EGV ist unbeschadet besonderer Bestimmungen dieses Vertrags in seinem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten. Letztere Bestimmung trat ohne inhaltliche Änderungen an die Stelle des Art 7 des EWG-Vertrags (EWGV).

Der Oberste Gerichtshof hat zuletzt in seiner Entscheidung 9 ObA 163/95 unter Hinweis auf von Bogdany (in Grabitz/Hilf, Kommentar zur Europäischen Union, Art 6 EGV Rz 46 f mwN) die Auffassung vertreten, die Begünstigungen des EWRA und nunmehr des EGV erfaßten nur solche nationale Regelungen, die die Durchsetzung privatrechtlicher Forderungen betreffen, die unter der Geltung der vereinbarten Freiheiten begründet würden. Bestimmungen über die Prozeßkostensicherheit könnten gegenüber EU-Ausländer nicht mehr angewendet werden, „soweit das zugrundeliegende Geschäft vom EGV erfaßt“ sei. Zum Spannungsverhältnis zwischen § 57 Abs 1 ZPO und dem EWRA hat der Oberste Gerichtshof in der weiteren Entscheidung 9 ObA 225/94 (= EvBl 1995/115 = RdW 1995, 220) ausgeführt, Fragen der Zivilgerichtsbarkeit fielen zwar grundsätzlich nicht in die Zuständigkeit der Gemeinschaft, die Mitgliedstaaten dürften jedoch keine Maßnahmen ergreifen, die die in EWRA vorgesehenen Freiheiten in irgendeiner Weise zu beschränken geeignet seien; die Problematik der Prozeßkostensicherheit sei aufs engste mit der Gewährleistung der vertraglichen Freiheiten verknüpft.

Gemeinschaftsrecht hat Vorrang vor entgegenstehenden Gesetzen der Mitgliedstaaten. Art 6 EGV umfaßt nationale Regelungen, die die Durchsetzung privatrechtlicher Forderungen betreffen, die unter den Freiheiten begründet wurden (von Bogdany aaO Art 6 EGV Rz 47 mwN). Daher hängt die Frage, ob der Erstkläger im Verfahren eine Prozeßkostensicherheit nach § 57 Abs 1 ZPO leisten muß oder aber von deren Leistung befreit ist, hier vorerst von der Lösung der Vorfrage ab, ob Art 6 Abs 1 EGV auch den Unionsbürger schützt, der als Ausländer in einem österreichischen Rechtsstreit ein privatrechtliches Begehren durchsetzen will, bei dem zwar das zugrundeliegende „Geschäft“ möglicherweise nicht unter die vereinbarten Freiheiten fällt, aber dennoch in den maßgeblichen „Anwendungsbereich des EGV“ (vgl von Bogdany aaO Art 6 EGV Rz 27; Lenz in Lenz, EG-Vertrag [1994], Art 6 Rz 1 und 5 mwN; Zuleeg in von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Kommentar zum EWG-Vertrag4 Art 7 Rz 11), ist doch im Anwendungsbereich des EGV - räumlich, personal und sachlich-thematisch - das Diskriminierungsverbot von dessen Art 6 Abs 1 unmittelbar anwendbar (Lenz aaO Art 6 Rz 7 mwN). Wenn auch die Zivilgerichtsbarkeit nicht in die Unionszuständigkeit fällt, dürfen doch die Mitgliedstaaten auch in den ausschließlich ihrer Kompetenz zuzurechnenden Gebieten keine solchen Maßnahmen erlassen, die die vom EGV vorgesehenen Freiheiten irgendwie zu beschränken geeignet sind (Kampf, Sicherheitsleistungen durch britische Staatsangehörige, in NJW 1990, 3054, 3056 mwN in FN 19). Maßgeblich für den „Anwendungsbereich des EGV2 sind die Rechtswirkungen der einzelnen Bestimmungen des Vertrags und der darauf gegründeten Rechtsakte der Unionsorgane (vgl Zuleeg aaO Art 7 Rz 11).

Der Slg 1984, 4277-Haug-Adrion, ausgesprochen, das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art 7 EWGV und die dieses Verbot konkretisierenden Art 48, 59 und 65 dieses Vertrags hätten die Beseitigung aller Maßnahmen zum Ziel, die auf dem Gebiet der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und der Dienstleistungsfreiheit Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats strenger behandeln oder sie gegenüber eigenen Staatsangehörigen, die sich in derselben Lage befinden, rechtlich oder tatsächlich benachteiligen. Demnach bedarf Art 7 EWGV (jetzt Art 6 EGV) erst einer Konkretisierung in anderen Rechtsvorschriften und hängt seine Anwendung davon ab, daß Freiheiten betroffen sind. Etwa auch im Slg 1990 I-4071 - Procurator Fiscal, wurde dieser Konnex zwischen Art 7 EWGV und einer Freiheit - dem Grundrecht auf freie Berufsausübung - hergestellt und offenbar als erforderlich erachtet. Mit Urteil vom , EuZW 1993, 514 - Hubbard, wurde vom EuGH aufgrund einer Vorlageentscheidung des Landgerichts Hamburg zu § 110 dZPO - welche Bestimmung § 57 Abs 1 ZPO entspricht - unter Hinweis auf die Dienstleistungsfreiheit nach Art 59 f EWGV judiziert, Art 7 EWGV erfasse nationale Regelungen, die die Durchsetzung privatrechtlicher Forderungen betreffen, soweit das zugrundeliegende Geschäft vom EGV erfaßt ist. Mit der Wendung „unbeschadet besonderer Bestimmungen dieses Vertrages“ verweise Art 7 EWGV insbesondere auf andere Bestimmungen des Vertrags, die das allgemeine Verbot des Art 7 EWGV für besondere Anwendungsfälle konkretisieren, wie etwa die Bestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr. Im NJW 1989, 2183-Cowan (mit Anmerkung von Hackspiel, Opferentschädigung und Europäisches Gemeinschaftsrecht, in NJW 1989, 2166), wurde die Verweigerung der Zahlung einer Opferentschädigung an einen in Frankreich einer Gewalttat zum Opfer gefallenen britischen Touristen als Diskriminierung im Sinne des Art 7 EWGV beurteilt, obgleich es sich beim Opferentschädigungsrecht an sich um keine in den Anwendungsbereich des EWGV fallende Materie handelte. Der EuGH erachtete aber mit der Feststellung, daß der Schutz der Integrität der Person als Ausfluß der Freizügigkeit gleichermaßen für Angehörige anderer Mitgliedstaaten wie für die eigenen Staatsangehörigen sichergestellt werden müsse, eine besonders enge Verknüpfung des Opferentschädigungsrechts mit der vertraglich gewährleisteten Freizügigkeit als gegeben.

Das Diskriminierungsverbot ist „Leitmotiv“ des Vertrags, das sich in verschiedenen Konkretisierungen durch den Gesamtvertrag zieht und Interpretationsmaxime aller weiteren Bestimmungen ist. Denn nationale Präferenzen für die eigenen Staatsangehörigen bilden das als erstes zu überwindende Hindernis bei der Verwirklichung der Ziele des Vertrags. Ihre Überwindung ist nicht nur Voraussetzung für einen funktionierenden Binnenmarkt, sondern weitgehend die Grundlage für die Verwirklichung einer immer engeren Union der Völker. Nur bei einer weitreichenden Überwindung des Fremdenstatus wird diese Union möglich; alle weiteren Integrationsschritte bauen auf der Überwindung der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit auf (von Bogdany aaO Art 6 EGV Rz 1 mwN). Der Anwendungsbereich des Art 6 EGV geht nach einer zu Beginn der 80er-Jahre etablierten Rechtsprechung über die speziellen Diskriminierungsverbote hinaus, die Bestimmung qualifiziert sich als Grundsatznorm, der der Charakter eines Grundrechts zukommt (von Bogdany aaO Art 6 EGV Rz 2 mwN). Den Zweck des Diskriminierungsverbots erblickt der EuGH darin, aus Rechtsvorschriften oder Verwaltungspraktiken eines einzelnen Mitgliedstaates herrührende Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit zu beseitigen, nicht aber auch eine Ungleichbehandlung, die für die Unternehmen der Mitgliedstaaten mangels einer gemeinsamen Politik aus den Unterschieden in den nationalen Rechtsvorschriften folgt (Zuleeg aaO Art 7 Rz 7 mwN). Eine Diskriminierung liegt danach stets vor, wenn der Betroffene von bestimmten Leistungen ganz ausgeschlossen, wenn ihm das Erbringen einer entgeltlichen Leistung versagt oder aber eine Zahlungspflicht auferlegt wird, die einen Staatsangehörigen in vergleichbarer Situation nicht oder nur in geringerer Höhe trifft, oder wenn er ein belastenderes Verfahren auf sich nehmen muß (von Bogdany aaO Art 6 EGV Rz 10 mwN).

Schlosser (Prozeßkostensicherheitsleistung durch Ausländer und gemeinschaftsrechtliches Diskriminierungsverbot, in EuZW 1993, 659) leitete aus der Entscheidung des EuZW 1993, 514 - Hubbard, ab, Art 6 Abs 1 EGV zufolge sei § 110 dZPO EU-Ausländern gegenüber überhaupt nicht mehr anwendbar. Dies hieße bei Übertragung auf den österreichischen Rechtsbereich, daß angesichts der vergleichbaren Rechtslage auch § 57 Abs 1 ZPO Unionsbürgern gegenüber nicht mehr angewendet werden dürfte.

Im vorliegenden Fall ist daher die Vorfrage zu lösen, ob aus Mitgliedschaftsrechten abgeleitete privatrechtliche Unterlassungsansprüche des Aktionärs gegen dessen Aktiengesellschaft, die offenbar zumindest unmittelbar nicht den im EWRA und nunmehr im EGV verankerten Freiheiten - also Freizügigkeit der Arbeitnehmer (Art 48 EGV), Niederlassungsfreiheit (Art 52 EGV) und Freiheit des Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs (Art 30, 59 ff und 67 ff EGV) - unterstellt werden können, dennoch in den weiten (vgl Entscheidung des NJW 1989, 2183 - Cowan) Schutzbereich des Art 6 Abs 1 EGV fallen, etwa weil das Gesellschaftsrecht als solches „Gegenstand des EGV“ ist. Art 54 Abs 3 lit g EGV regelt lediglich die Rechtsetzungsermächtigung des Rates und der Kommission, soweit erforderlich die Schutzbestimmungen zu koordinieren, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Art 58 Abs 2 EGV im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten. Dabei handelt es sich nicht um die Beseitigung von Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit im Sinne der Inländergleichbehandlung, sondern um die (faktische) Erleichterung der Gründung und Leitung von Unternehmen (Art 52 Abs 2), insbesondere durch Regeln über die Sitzverlegung in einen anderen Mitgliedstaat und durch Harmonisierung gesellschaftsrechtlicher Schutzvorschriften zugunsten von Gesellschaftern und Gläubigern. Die Vorschrift diente auch als Rechtsgrundlage zahlreiche Richtlinien auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts (Erhard in Geiger, EG-Vertrag2 Art 54 Rz 12); wenngleich sie nicht unmittelbar Aktionärsrechte betrifft, bezieht sich die genannte Vorschrift doch auf gemeinschaftsrechtliche Sachregelungen. Nach der Rechtsprechung des EuGH kommt Art 6 EGV auf Sachverhalte zur Anwendung, die „Berührungspunkte mit irgendwelchen Sachverhalten aufweisen, auf die das Gemeinschaftsrecht abstellt“ (von Bogdany aaO Art 6 EGV Rz 43 mwN). Eine Norm des Gemeinschaftsrechts kann in ein Sachgebiet auch nur punktuell eindringen und damit dennoch das Diskriminierungsverbot nach sich ziehen (Zuleeg aaO Art 7 Rz 11).

Ob die Grenzen des Anwendungsbereichs des Art 6 EGV noch weiter zu ziehen wären, betrifft hier keine präjudizielle Vorfrage.

Die Frage, ob der Erstkläger zur Leistung einer Prozeßkostensicherheit nach § 57 Abs 1 ZPO zu verhalten oder aber von dieser Pflicht befreit ist, hängt auch von der weiteren Vorfrage ab, ob Art 6 Abs 1 EGV auch den Unionsbürger schützt, der wie der Erstkläger seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb der Europäischen Union hat. Erhard in Lenz aaO Art 52 Rz 3 vertritt zwar im Zusammenhang mit der Niederlassungsfreiheit die Auffassung, zu deren Inanspruchnahme seien (natürliche) Personen berechtigt, die die Staatsangehörigkeit mindestens eines Mitgliedstaates besitzen, gleichviel, ob sie ihren Wohnsitz im Gebiet der Gemeinschaft oder in einem Drittstaat haben, soweit für den erkennenden Senat hingegen überblickbar ist, hat der EuGH aber bisher erst in anderem Zusammenhang zum Wohnsitzerfordernis innerhalb der EU Stellung genommen und in seinem Urteil vom , Slg 1992 I-1071-Bernini, zu Art 7 Abs 2 der Verordnung (EWG) Nr 1612/68 des Rats ausgesprochen, ein Kind (eines EU-Ausländers) könne daraus einen mittelbaren Anspruch auf vollständige Gleichbehandlung mit Kindern inländischer Arbeitnehmer unabhängig vom Wohnort auch dann herleiten, wenn die betreffenden nationalen Rechtsvorschriften für Kinder inländischer Arbeitnehmer kein Wohnorterfordernis aufstellen.

Die Frage, ob die Drittstaatsangehörigkeit des Erstklägers, der zugleich auch Unionsbürger ist, der Anwendung des EGV entgegenstehe, hat der EuGH bereits mit Urteil vom , Slg 1992, I-4239-Micheletti, zum EWGV dahin entschieden, daß bei Doppelstaaten die Staatsangehörigkeit des Drittstaats außer Betracht bleibt (vgl auch Lenz aaO Art 48 Rz 8, Art 52 Rz 3; Geiger aaO Art 52 EGV Rz 7); sobald ein Mitgliedstaat unter Beachtung des Gemeinschaftsrechts einer Person seine Staatsangehörigkeit verliehen habe, sei es nicht zulässig, daß ein anderer Mitgliedstaat die Wirkung einer solchen Verleihung dadurch beschränke, daß eine zusätzliche Voraussetzung für die Anerkennung dieser Staatsbürgerschaft im Hinblick auf die Ausübung der im Vertrag vorgesehenen Grundfreiheiten verlangt werde.

Nach Art 177 Abs 1 lit a EGV entscheidet der EuGH im Wege der Vorabentscheidung unter anderem über die Auslegung dieses Vertrags. Nur dann, wenn eine solche Frage bereits Gegenstand einer (Vorab-)Entscheidung des EuGH war oder die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, daß die Beantwortung der Frage gar nicht zweifelhaft sein kann, wäre das nationale Gericht einer Vorlagepflicht enthoben (Oberster Gerichtshof in 1 Ob 39/95 = JBl 1996, 35 = AnwBl 1995, 778 mit Anm von Graff = EuGRZ 1995, 570 = ecolex 1995, 886 mit Anm von Graff; weitere Nachweise bei Wohlfart in Grabitz/Hilf aaO Art 177 Rz 16; Hailbronner in Hailbronner/Klein/Magiera/Müller-Graff, Handkommentar zum EU-Vertrag, Art 177 Rz 15). Davon kann nach Ansicht des erkennenden Senats gerade bei der von ihm vorgelegten Frage keine Rede sein.

Gemäß Art 177 Abs 3 EG-Vertrag ist das Gericht, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, zur Anrufung des EuGH verpflichtet, wenn eine derartige (also im Abs 1 genannte) Frage in einem schwebenden Verfahren bei ihm gestellt wird. Da der Oberste Gerichtshof gemäß Art 92 Abs 1 des Bundes-Verfassungsgesetzes in Österreich oberste Instanz in Zivil- und Strafrechtssachen ist, dessen Entscheidungen somit keiner wie immer gearteten innerstaatlichen Überprüfung unterliegen, ist er bei Zutreffen der übrigen Voraussetzungen jedenfalls zur Vorlage verpflichtet, gleichviel, ob er nun der abstrakten oder der herrschenden konkreten Betrachtungsweise den Verzug geben wollte, nach der die Vorlagepflicht nicht nur die obersten Gerichte, deren Zuständigkeit sich über das gesamte Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates erstreckt, trifft, sondern schon immer dann besteht, wenn im konkreten Ausgangsstreit kein ordentliches Rechtsmittel mehr eingelegt werden kann (JBl 1996, 35 mwN).

Der Oberste Gerichtshof erachtet sich verpflichtet, den EuGH zur Vorabentscheidung über die vorgelegte Frage anzurufen.