OGH 29.06.2022, 7Ob50/22m
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Hofrätin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätin und die Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R* N*, vertreten durch Mag. Ralph Kilches, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A* SE *, vertreten durch Mag. Martin Paar und Andere, Rechtsanwälte in Wien, wegen 3.709,62 EUR sA und Feststellung (Streitwert 8.129,98 EUR), über die Revisionen der klagenden und der beklagten Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 1 R 245/21g-19, womit das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom , GZ 4 C 580/20b-11, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:
Spruch
Den Revisionen der klagenden Partei und der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 83,13 EUR (darin enthalten 13,85 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
[1] Zwischen der Klägerin und der Beklagten besteht ein Rechtsschutzversicherungsvertrag, dem (unter anderem) die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 2018) zugrunde liegen. Diese lauten auszugsweise:
„Artikel 1
Was ist Gegenstand der Versicherung?
1. [Der Versicherer] sorgt für die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers und trägt die dem Versicherungsnehmer dabei entstehenden Kosten.
[…]
Artikel 6
Auf welche Verfahrensarten bezieht sich der Versicherungsschutz?
Welche Leistungen erbringt [der Versicherer]?
1. Der Versicherungsschutz erstreckt sich in den jeweils vereinbarten Risiken, […]
[...]
1.2. auf die Vertretung vor staatlichen Gerichten als
- Zivil- und Strafgericht
[…]
3. Verlangt der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz, übernimmt [der Versicherer] im Falle der Leistungspflicht die entstehenden notwendigen Kosten gemäß Punkt 5, 6 und 7. Notwendig sind die Kosten, wenn die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung zweckentsprechend und nicht mutwillig ist und hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.
[…]
4. [Der Versicherer] hat die Kostenleistung zum Zeitpunkt ihrer Fälligkeit zu erbringen.
4.1. Die Kostenleistung gemäß Punkt 6.1. ist fällig, sobald der Rechtsvertreter die Angelegenheit endgültig außergerichtlich erledigt hat oder das Verfahren rechtskräftig beendet ist und dem Versicherungsnehmer eine Honorarnote in geschriebener Form gelegt wurde. Der Versicherungsnehmer kann eine Zwischenabrechnung frühestens dann verlangen, wenn bei Verfahren über mehrere Instanzen eine Instanz beendet ist und dem Versicherungsnehmer eine Honorarnote in geschriebener Form gelegt wurde.
4.2. Die Kostenleistungen gemäß Punkt 6.2. bis 6.4. sind fällig, sobald der Versicherungsnehmer zu deren Zahlung verpflichtet ist oder diese Verpflichtung nachweislich bereits erfüllt hat.
[…]
Artikel 8
Welche Pflichten hat der Versicherungsnehmer zur Sicherung seines Deckungsanspruches zu beachten? (Allgemeine Obliegenheiten)
1. Wird die Wahrnehmung rechtlicher Interessen nach Eintritt eines Versicherungsfalles notwendig, dann ist der Versicherungsnehmer verpflichtet,
[...]
1.5. soweit seine Interessen nicht unbillig beeinträchtigt werden, für die Minderung des Schadens zu sorgen (siehe § 62 VersVG im Anhang). Damit ist der Versicherungsnehmer insbesondere verpflichtet,
[...]
1.5.2. alles zu vermeiden, was die Kosten unnötig erhöht. [...]
Artikel 9
Wann und wie hat [der Versicherer] zum Deckungsanspruch des Versicherungsnehmers Stellung zu nehmen?
Was hat bei Meinungsverschiedenheiten zwischen [dem Versicherer] und dem Versicherungsnehmer über die Art der Vorgangsweise oder die Erfolgsaussichten zu geschehen? (Schiedsgutachterverfahren)
1. [Der Versicherer] hat binnen zwei Wochen nach Geltendmachung des Deckungsanspruches durch den Versicherungsnehmer und Erhalt der zur Prüfung dieses Anspruches notwendigen Unterlagen und Informationen dem Versicherungsnehmer gegenüber in geschriebener Form den Versicherungsschutz grundsätzlich zu bestätigen oder begründet abzulehnen. [...]
2. Davon unabhängig hat [der Versicherer] das Recht, jederzeit Erhebungen über den mutmaßlichen Erfolg der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung anzustellen. Kommt [der Versicherer] nach Prüfung des Sachverhaltes unter Berücksichtigung der Rechts- und Beweislage zum Ergebnis,
2.1. dass hinreichende Aussicht besteht, in einem Verfahren im angestrebten Umfang zu obsiegen, hat [der Versicherer] sich zur Übernahme aller Kosten nach Maßgabe des Artikels 6 (Versicherungsleistungen) bereit zu erklären;
2.2. dass diese Aussicht auf Erfolg nicht hinreichend, d.h. ein Unterliegen in einem Verfahren wahrscheinlicher ist als ein Obsiegen, ist [der Versicherer] berechtigt, die Übernahme der an die Gegenseite zu zahlenden Kosten abzulehnen;
2.3. dass erfahrungsgemäß keine Aussicht auf Erfolg besteht, hat [der Versicherer] das Recht, die Kostenübernahme zur Gänze abzulehnen.
Artikel 11
Wann können Versicherungsansprüche abgetreten oder verpfändet werden und wann gehen Ansprüche auf [den Versicherer] über?
[…]
2. Ansprüche des Versicherungsnehmers auf Erstattung von Beträgen, die [der Versicherer] für ihn geleistet hat, gehen mit ihrer Entstehung auf [den Versicherer] über. […]“
[2] Der Klagsvertreter ersuchte die Beklagte mit Schreiben vom unter Anschluss eines Klagsentwurfs um Versicherungsdeckung für die Einbringung einer arbeitsgerichtlichen Klage gegen den früheren Arbeitgeber der Klägerin.
[3] Die Beklagte gewährte daraufhin am der Klägerin Versicherungsdeckung für das Verfahren erster Instanz im Rahmen der dem Versicherungsvertrag zugrundeliegenden Versicherungsbedingungen bis zur vereinbarten Versicherungssumme.
[4] Das Arbeits- und Sozialgericht Wien wies die Klage mit Urteil vom ohne Einvernahme der Klägerin ab. Für eine Kündigungsanfechtung wegen Sozialwidrigkeit nach § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG fehle die geforderte Mindestbeschäftigungszeit von 6 Monaten, für eine Anfechtung nach § 105 Abs 3 Z 1 lit j ArbVG fehle es an der Voraussetzung des Antrags von 100 Arbeitnehmern. Hinsichtlich der Kündigungsanfechtungen wegen eines verpönten Motivs nach § 105 Abs 3 Z 1 lit e und lit i ArbVG sei die Klage trotz Erörterung durch das Gericht unschlüssig geblieben.
[5] Die Beklagte überwies in der Folge über Ersuchen des Klagsvertreters 4.695,36 EUR an Kosten des Verfahrens erster Instanz.
[6] Mit Schreiben vom informierte der Klagsvertreter die Beklagte über den Ausgang des arbeitsgerichtlichen Verfahrens unter Anschluss des Verhandlungsprotokolls sowie des Urteils und ersuchte um Deckung für die Ausführung der Berufung. Er führte zusammengefasst aus, er habe ausreichend und konkret vorgebracht, die Klägerin sei gemobbt und genau dann gekündigt worden, als sie dies ihrem Arbeitgeber kommuniziert habe. Die Klägerin sei zum Zeitpunkt der Tagsatzung und auch davor krank gewesen, sodass mit ihr das Vorbringen des Arbeitgebers in dessen vorbereitenden Schriftsatz nicht erörtert werden habe können. Die Einvernahme der Klägerin sei daher willkürlich unterblieben. Das Urteil sei daher rechtlich unrichtig und das Verfahren mangelhaft.
[7] Die Beklagte gewährte daraufhin am der Klägerin Versicherungsdeckung für das Berufungsverfahren im Rahmen der dem Versicherungsvertrag zugrundeliegenden Versicherungsbedingungen bis zur vereinbarten/verbleibenden Versicherungssumme und bezahlte am die vom Klagsvertreter für die Berufung verzeichneten Kosten in Höhe von 3.434,62 EUR.
[8] Das Oberlandesgericht Wien gab der Berufung der Klägerin im Juni 2020 nicht Folge, bestätigte die Rechtsansicht des Erstgerichts, die Klage sei hinsichtlich der Motivkündigung unschlüssig geblieben und ließ die ordentliche Revision nicht zu.
[9] Mit Schreiben vom gewährte die Beklagte Kostendeckung für die außerordentliche Revision mit dem Hinweis: „Sollte die Entscheidung des Berufungsgerichts rechtskräftig werden, weil die Klage unschlüssig und die Anfechtung wegen Sozialwidrigkeit nicht zulässig war, so sind die gesamten Kosten des Verfahrens nicht [vom Versicherer] zu tragen.“
[10] Mit E-Mail vom antwortete der Klagsvertreter: „[…] Gemäß der Verzögerung ihrer Deckungsentscheidung haben wir die Revision nach 14 Tagen ausgearbeitet. Den sog. Einschränkungen ist deutlich zu widersprechen, weil der VN und der Anwalt nicht für die Durchsetzbarkeit berechtigter Ansprüche haften. Noch dazu bei dieser Verfahrenskonstellation. Wir rechnen hiermit die Vertretung ab und beenden diese mit der Einbringung, wie bereits erfolgt. […]“ Mit Schreiben vom gleichen Tag ersuchte der Klagsvertreter die Beklagte um Überweisung von 3.709,62 EUR an Honorar für die Revision.
[11] Die Beklagte führte im Schreiben vom aus, dass im Hinblick auf den Verweis in der E-Mail vom eine Abrechnung der Kosten erst nach Vorliegen der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs möglich sei.
[12] Mit E-Mail vom antwortete der Klagsvertreter: „[…] Die Vorgehensweise wird nicht akzeptiert. Die Instanz ist beendet. Namens der Mandantschaft wird die Deckungsklage in vollem Umfang vorbehalten samt Zahlungsklage. Ihre VN ist nun uns gegenüber im Zahlungsverzug. […]“.
[13] Mit Schreiben vom teilte die Beklagte dem Klagsvertreter mit: „Im Urteil des OLG Wien (Seite 7) wurde festgehalten, dass das Erstgericht 'den Klagevertreter sogar darauf hingewiesen hat, was er konkret vorzubringen habe. Dies hat der Klagevertreter unterlassen'. Ausgehend davon besteht kein Kostenanspruch gegenüber dem Mandanten. Ob der Oberste Gerichtshof die außerordentliche Revision zulässt und ihr Folge gibt, bleibt abzuwarten. Wir stellen ausdrücklich klar, dass für unseren Versicherungsnehmer Kostendeckung uneingeschränkt im Rahmen der Versicherungsbedingungen besteht. Für den Fall, dass Sie vor der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs einen Kostenanspruch gegenüber unserem Versicherungsnehmer als Ihrem Mandanten gerichtlich geltend machen sollten, wird unserem Versicherungsnehmer bereits jetzt Kostendeckung für dieses Verfahren bestätigt. Der Versicherer erfüllt seine vertragliche Leistungspflicht auch dann, wenn er den Versicherungsnehmer gegen einen Honoraranspruch seines Rechtsanwalts verteidigt und die Kosten eines Honorarstreits übernimmt (vgl. BGH IV ZR 266/14). […]“.
[14] Mit Beschluss vom , 9 ObA 67/20y, wies der Oberste Gerichtshof die außerordentliche Revision der Klägerin ohne Begründung zurück.
[15] Die Klägerin bezahlte das Honorar für die außerordentliche Revision bislang nicht an den Klagsvertreter.
[16] Die Klägerin begehrt Zahlung von 3.709,62 EUR an Kosten des Klagsvertreters für die Revision sowie die Feststellung, dass die Beklagte keinen Anspruch auf Bezahlung von 8.129,98 EUR aus dem Versicherungsfall mit der Schadennummer * habe. Darüber hinaus erhebt sie zum Zahlungsbegehren ein Eventualbegehren auf Zahlung an den Klagsvertreter und ein Eventualfeststellungsbegehren auf Bestehen der Zahlungspflicht. Die Beklagte habe der Einbringung der Revision gemäß dem vorgelegten Entwurf zugestimmt. Der Klagsvertreter habe die Vertretung der Klägerin mit der Einbringung der Revision ausdrücklich beendet und das Mandat abgerechnet. Die Beklagte habe daher die Kosten für die Revision zu bezahlen. Es sei sittenwidrig, den Rechtsanwalt im Namen des Versicherten zu beauftragen und diesen dann nicht zu bezahlen. Eine Rückzahlungspflicht der Klägerin bestehe nicht, weil die Beklagte in vollem Umfang informiert gewesen sei, die Deckung für das Verfahren erster und zweiter Instanz bestätigt und auch bezahlt habe. Die von der Beklagten behauptete Fehlvertretung durch den Klagsvertreter liege nicht vor, da die Rechtsansichten vertretbar gewesen seien und der Rechtsanwalt nur für eine lege artis Vertretung und nicht für die Durchsetzbarkeit der Ansprüche hafte.
[17] Die Beklagte beantragt Klagsabweisung. Die Klägerin habe die Kosten für die Revision noch nicht an den Klagsvertreter bezahlt, ihr stünde daher nur ein Befreiungs- und noch kein Zahlungsanspruch zu. Darüber hinaus sei die Klägerin zur Rückzahlung der bereits bezahlten Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz verpflichtet, da die Prozessführung durch den Klagsvertreter nicht lege artis erfolgt und daher wertlos gewesen sei. Die Einbringung einer unschlüssigen Klage und deren unveränderte Aufrechterhaltung trotz richterlicher Aufforderung zur Konkretisierung des Klagsvorbringens sei unvertretbar. Wertlose Anwaltsleistungen seien weder zweckentsprechend noch notwendig gemäß Art 6.3. ARB 2018. Die Klägerin habe zudem eine Obliegenheitsverletzung nach Art 8.1.5.2. ARB 2018 zu vertreten, weil durch die wertlosen Anwaltsleistungen die Kosten unnötig erhöht worden seien, sodass sie auch deshalb leistungsfrei sei. Die Beklagte habe anlässlich der erteilten Kostendeckungszusage für die Berufung keine Verpflichtung getroffen, die anwaltlich vertretene Klägerin auf die Konsequenzen einer – zum damaligen Zeitpunkt nur hypothetisch in Betracht kommenden – Fehlvertretung ihres Rechtsvertreters hinzuweisen.
[18] Das Erstgericht wies das Zahlungsbegehren samt den dazu erhobenen Eventualbegehren ab und gab dem Feststellungsbegehren statt. Da der Versicherer ein Wahlrecht habe, entweder den Anspruch anzuerkennen und zu zahlen oder die Kosten zu dessen Abwehr zu übernehmen, sei das Leistungsbegehren einschließlich der Eventualbegehren abzuweisen. Ein Rückforderungsanspruch der Beklagten bestehe nicht, weil dem Klagsvertreter keine Fehlvertretung vorzuwerfen sei. Dem Feststellungsbegehren sei daher Folge zu geben.
[19] Das Berufungsgericht gab den Berufungen der Klägerin und der Beklagten nicht Folge. Die Klägerin habe das Honorar des Klagsvertreters für die Revision noch nicht bezahlt, ihr stünde daher gegenüber der Beklagten nur ein Befreiungsanspruch und noch kein Zahlungsanspruch zu. Gleiches gelte für das auf Feststellung der Zahlungspflicht lautende Eventualbegehren. Der Beklagten stehe aber auch kein Anspruch auf Rückzahlung des bereits an den Klagsvertreter geleisteten Honorars zu. Die Beklagte habe durch die Bezahlung von ihrem Wahlrecht dahingehend Gebrauch gemacht, dass sie die Klägerin von der Forderung ihres Vertreters durch Zahlung des von diesem verrechneten Honorars freigestellt habe. Der Anspruch der Klägerin auf Rückzahlung der vom Versicherer allenfalls wegen Fehlvertretung zu Unrecht bezahlten Honorare des Klagevertreters sei gemäß § 67 VersVG mit Ausübung des Wahlrechts der Beklagten ex lege auf diese übergegangen. Aus Art 11 ARB 2018 ergebe sich, dass die Streitteile für den Fall des Bestehens eines Rückforderungsanspruchs gegen den mit der Vertretung beauftragten Anwalt eine Regelung getroffen hätten, die eine Rückforderung vom Versicherungsnehmer ausschließe. Ein Anspruch der Beklagten gegenüber der Klägerin auf Zahlung der an den Klagsvertreter überwiesenen Honorare bestehe daher nicht.
[20] Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil zu den strittigen Fragen der ARB 2018 noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.
[21] Gegen diese Entscheidung wenden sich die Revisionen der Klägerin und der Beklagten, jeweils mit einem Abänderungsantrag auf Stattgebung des Zahlungsbegehrens (bzw der Eventualbegehren) sowie auf Abweisung des Feststellungsbegehrens; hilfsweise werden Aufhebungsanträge gestellt.
[22] In ihren Revisionsbeantwortungen begehren die Parteien jeweils, die Revision der Gegenseite zurückzuweisen, hilfsweise ihnen nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[23] Beide Revisionen sind zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, jedoch nicht berechtigt.
I. Revision der Klägerin
[24] 1. Die Rechtsschutzversicherung als passive Schadensversicherung (RS0127808) schützt den Versicherungsnehmer gegen das Entstehen von Verbindlichkeiten (Passiva). Sie bietet Versicherungsschutz gegen die Belastung des Vermögens des Versicherungsnehmers mit Rechtskosten (7 Ob 215/11k mwN). Die Hauptleistungspflicht des Versicherers in der Rechtsschutzversicherung besteht in der Tragung der angemessenen Kosten des für den Versicherungsnehmer tätigen inländischen Rechtsanwalts (§ 158j Abs 1 VersVG; RS0081895 [T1]; 7 Ob 123/20v).
[25] 2. Beim aus der Rechtsschutzversicherung resultierenden Anspruch handelt es sich (zunächst) um einen Befreiungsanspruch, somit nicht (primär) um einen Geldanspruch (RS0129063). Wenn der Versicherungsnehmer seinen Kostengläubiger bereits selbst befriedigt hat, verwandelt sich sein Befreiungsanspruch in einen Kostenerstattungsanspruch gegen den Rechtsschutzversicherer (RS0129063 [T1]).
[26] 3. Art 6.4. ARB 2018 regelt in diesem Sinn vor Bezahlung der Kostenschuld die Fälligkeit des Befreiungsanspruchs (Freistellungsanspruchs) und nach deren Bezahlung die Fälligkeit des Kostenerstattungsanspruchs (7 Ob 41/22p vgl zur deutschen Rechtslage Schneider in Harbauer, Rechtsschutzversicherung9 § 5 ARB 2010 Rn 168 ff; Piontek in Prölss/Martin, VVG31 § 5 ARB 2010 Rn 43 ff).
[27] 4. Freistellung von Anwaltskosten bedeutet, dass der Versicherer entweder diese nach Grund und Höhe anerkennt und zahlt oder für Ansprüche, die er für unberechtigt hält, die Kosten zu deren Abwehr übernimmt (RS0127808 [T1]). In jedem Fall hat er dafür zu sorgen, dass der Versicherungsnehmer selbst keine Kosten zu tragen hat. Der Versicherer hat also ein Wahlrecht dahin, dass er alternativ zur Bezahlung der Rechnung – zunächst – Abwehrdeckung gewährt; dann muss er sich mit dem Anwalt als Kostengläubiger auseinandersetzen und den Versicherungsnehmer bei gerichtlicher Inanspruchnahme durch Kostenübernahme unterstützen. Lehnt somit der Versicherer den Ausgleich eines Teils der verrechneten Kosten oder – wie hier – aller Kosten eines Verfahrensabschnitts ab, so besteht der Freistellungsanspruch des Versicherungsnehmers darin, dass ihm der Versicherer Deckung für die Abwehr des von ihm als unberechtigt erachteten Anspruchs zu gewähren hat; ob und in welcher Höhe eine Kostenschuld des Versicherungsnehmers besteht, ist verbindlich nur in einem Verfahren zwischen dem Kostengläubiger und dem Versicherungsnehmer zu klären (7 Ob 143/20k).
[28] 5. Das Berufungsgericht führt zutreffend aus, dass der Zahlungsanspruch der Klägerin nicht zu Recht besteht, weil die Klägerin bislang keine Zahlung an den Klagsvertreter geleistet und ihr die Beklagte Abwehrdeckung für einen allfälligen Honorarprozess des Klagsvertreters gewährt hat. Gleiches gilt für die beiden Eventualbegehren, weil auch diese voraussetzen, dass die inhaltliche und umfängliche Berechtigung des Honoraranspruchs des Klagevertreters gegenüber der Beklagten festgestellt werde, was jedoch nicht im vorliegenden Verfahren zu erfolgen hat (vgl 7 Ob 143/20k).
[29] 6. Bei den Ausführungen in der Revision, wonach die Beklagte Abwehrdeckung nur für den Fall gewährt habe, dass der Klagsvertreter vor der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs im arbeitsgerichtlichen Verfahren einen Kostenanspruch gegenüber der Klägerin als seiner Mandantin gerichtlich geltend machen sollte, übersieht die Klägerin, dass die Beklagte die Kostenfreistellung für einen allfälligen Honorarprozess im gesamten Verfahren nicht bestritten hat.
[30] 7. Das Vorbringen der Revision, die Beklagte habe die Obliegenheit des § 158n VersVG verletzt, weil sie auf die Deckungsanfrage der Klägerin hinsichtlich des Verfahrens dritter Instanz nicht innerhalb der 14-tägigen Frist geantwortet habe, verstößt gegen das Neuerungsverbot und ist daher unbeachtlich.
[31] 8. Die Anregung der Klägerin auf Einleitung eines Vorabentscheidungsersuchens vor dem Gerichtshof der Europäischen Union war nicht aufzugreifen, weil sich Fragen der freien Anwaltswahl des Versicherungsnehmers nach Art 4 Abs 1 der Richtlinie 87/344/EWG des Rates zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Rechtsschutzversicherung im vorliegenden Fall nicht stellen. Es ist nämlich nicht erkennbar, wie und warum ein allfälliger Prozess zwischen Rechtsanwalt und Mandant die freie Anwaltswahl beeinträchtigen können soll.
[32] 9. Die Revision der Klägerin ist daher erfolglos.
II. Revision der Beklagten
[33] 1. Soweit der Oberste Gerichtshof die Feststellungen des Erstgerichts ergänzt hat, beruht dies auf unstrittigen Urkunden (vgl RS0121557 [insb auch T2, T3]).
[34] 2. Die Beklagte behauptete im Verfahren erster Instanz zusammengefasst, die Klägerin sei zur Rückzahlung der Kosten des arbeitsgerichtlichen Verfahrens erster und zweiter Instanz verpflichtet, weil die für die Klägerin wertlosen Leistungen ihres Vertreters, der trotz Erörterung durch das Gericht die Klage nicht schlüssig stellen habe können, einerseits nicht notwendig im Sinn von Art 6.3. ARB 2018 gewesen und andererseits als unnötige Kostenerhöhungen im Sinn von Art 8.1.5.2. ARB 2018 anzusehen seien.
[35] 3. Dabei übersieht die Beklagte, dass sie der Klägerin sowohl hinsichtlich der Kosten des arbeitsgerichtlichen Verfahrens erster Instanz, als auch der Kosten des Berufungsverfahrens eine zwar für den jeweiligen Verfahrensabschnitt begrenzte, jedoch im Übrigen unbedingte Deckungszusage im Sinn des Art 9 ARB 2018 bzw § 158n Abs 1 VersVG (vgl dazu Kronsteiner in Fenyves/Perner/Riedler § 158n VersVG Rz 6 f) erteilt hat. Eine Zusage „gemäß den Versicherungsbedingungen“ ist nämlich kein ausreichend konkreter Deckungsvorbehalt (Kronsteiner in Fenyves/Perner/Riedler § 158n VersVG Rz 4; Piontek in Prölss/Martin, VVG31 § 17 ARB 2010 Rn 10). Die beklagte Partei hat daher ihre Deckungspflicht für die beiden genannten Verfahrensabschnitte im Sinn eines deklarativen Anerkenntnisses bestätigt (vgl 7 Ob 205/19a) und in der Folge auch die vom Klagsvertreter geltend gemachten Kosten in Höhe von (gesamt) 8.129,98 EUR beglichen. Zu dem erstmals in der Revision geltend gemachten Rückforderungsanspruch gemäß § 1431 ABGB braucht nicht Stellung genommen werden, weil die Beklagte dazu in erster Instanz kein Tatsachenvorbringen erstattet hat. Der von der Beklagten behauptete Verstoß gegen Art 8.1.5.2. ARB 2018 ist nicht nachvollziehbar.
[36] Damit ist die Beklagte an ihre Deckungszusage für die Kosten des arbeitsgerichtlichen Verfahrens erster und zweiter Instanz gebunden. Die Vorinstanzen haben dem Feststellungsbegehren daher zu Recht stattgegeben.
[37] 4. Auch die Revision der Beklagten bleibt somit erfolglos.
III. Kostenentscheidung
[38] Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO. Der Klägerin steht der von ihr verzeichnete Zuschlag gemäß § 21 Abs 1 RATG nicht zu, weil es sich hier um eine typische Streitigkeit aus dem Versicherungsverhältnis handelt. Nach Saldierung der jeweiligen Kostenersatzansprüche ergibt sich der aus dem Spruch ersichtliche Zuspruch an die Beklagte.
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und die Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R* N*, vertreten durch Mag. *, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A* SE *, vertreten durch Mag. Martin Paar und andere, Rechtsanwälte in Wien, wegen 3.709,62 EUR sA und Feststellung (Streitwert 8.129,98 EUR), im Verfahren über die Revisionen der klagenden und der beklagten Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 1 R 245/21g-19, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Antrag des Klagevertreters auf Anonymisierung seines Namens in der Veröffentlichung der Entscheidung 7 Ob 50/22m vom im Rechtsinformationssystem des Bundes wird abgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Mit Urteil des Obersten Gerichtshofs vom wurde den Revisionen der Klägerin und der Beklagten gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts, mit der die Stattgebung des Feststellungsbegehrens und die Abweisung des Zahlungsbegehrens bestätigt wurde, nicht Folge gegeben. Diese Entscheidung wurde im Volltext in die Entscheidungsdokumentation Justiz im Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS) aufgenommen. Dabei wurden die Namen der Parteien anonymisiert, nicht aber jene der Parteienvertreter.
[2] Mit der vorliegenden Eingabe begehrt der Klagevertreter die Anonymisierung seines Namens in der Veröffentlichung im RIS.
Rechtliche Beurteilung
[3] Der Antrag des Klagevertreters ist nicht berechtigt.
[4] 1. Nach § 15 Abs 1 Z 1 OGHG sind Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs, die sich nicht in einer begründungslosen Zurückweisung des Rechtsmittels erschöpfen, in eine allgemein zugängliche Datenbank (Entscheidungsdokumentation Justiz) aufzunehmen. Dabei sind nach § 15 Abs 4 OGHG Namen, Anschriften und sonstige Orts- und Gebietsbezeichnungen, die Rückschlüsse auf die betreffende Rechtssache zulassen, so zu anonymisieren, dass die Nachvollziehbarkeit der Entscheidung nicht verloren geht. Anordnungen nach § 15 Abs 4 OGHG – also über die Anonymisierung – sind nach § 15 Abs 5 OGHG vom erkennenden Senat zu treffen. Dieser ist auch zur Entscheidung berufen, ob es einer nachträglichen bzw ergänzenden Anonymisierung bedarf, handelt es sich dabei doch um einen Akt der Rechtsprechung, und zwar um einen Teil der rechtsprechenden Tätigkeit im Rahmen der Entscheidungsfindung (RS0125183 [T5]; 6 Ob 177/20b mwN).
[5] 2. Nach der ständigen Praxis des Obersten Gerichtshofs werden in der Entscheidungsdokumentation Justiz zwar unter anderem die Namen der Parteien, nicht aber jene der als berufsmäßige Parteienvertreter einschreitenden Rechtsanwälte anonymisiert, deren Angebot sich an die Öffentlichkeit richtet und deren Auftreten regelmäßig auch nicht iSd § 15 Abs 4 OGHG „Rückschlüsse auf die betreffende Rechtssache“ zulässt. Auf den Ausgang des jeweiligen Rechtsstreits wird dabei nicht abgestellt (8 ObA 35/11x; Danzl/Hopf, OGH3 § 15 OGHG Anm 7).
[6] 3. Mit der Behauptung, dass das Unterbleiben der Anonymisierung seines Namens kreditschädigend sei, weil die Vorinstanzen „festgestellt hätten, dass kein Fehler des Anwalts vorliege, was in der OGH-Entscheidung nicht ausreichend zum Ausdruck komme“ stellt der Antragsteller nicht nachvollziehbar dar, warum in seinem Fall von der ständigen Praxis des Obersten Gerichtshofs abgegangen werden sollte, zumal in der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs bei der Wiedergabe des Ersturteils ohnehin festgehalten ist, dass dieses nicht von einer Fehlvertretung des Klagevertreters ausgegangen ist (vgl S 10 unten/11).
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2022:0070OB00050.22M.0629.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
WAAAD-61786