OGH vom 16.01.1986, 6Ob716/85
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch, Dr. Schobel, Dr. Riedler und Dr. Schlosser als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Renate G***, Hausfrau, Heßstraße 57, D-8 München 40, BRD, vertreten durch Dipl.Vw. DDr. Armin Santner und Dr. Peter Lechner, Rechtsanwälte in Innsbruck, wider die beklagte Partei Heriberta G***, Schneidermeisterin, Bergiselweg 1a, 6020 Innsbruck, vertreten durch DDr. Hubert Fuchshuber, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Erstellung eines Vermögensverzeichnisses, Rechnungslegung und Eidesleistung (Gesamtstreitwert S 90.000,--), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom , GZ. 6 R 164/85-10, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom , GZ. 5 Cg 582/84-6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 8.979,75 bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin S 707,25 Umsatzsteuer und S 1.200,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der am verstorbene Franz Ignaz G*** (im folgenden Erblasser) hinterließ seine Ehegattin (die Beklagte), die er mit Testament vom zu seiner Alleinerbin bestimmt hatte, und eine Tochter aus erster Ehe (die Klägerin). Das Testament machte der Gerichtskommissär am kund. In der Verlassenschaftsabhandlung bezeichnete die Beklagte (am ) als einzigen Nachlaßgegenstand den Hälfteanteil an einem PKW im Wert von S 37.500,--. Da die Nachlaßverbindlichkeiten S 39.818,60 betrügen, beantragte die Beklagte mit Rücksicht auf die Überschuldung des Nachlasses dessen Überlassung an Zahlungs Statt. Diesem Antrag gab das Abhandlungsgericht mit Beschluß mit statt und sprach aus, daß der Nachlaß, bestehend aus Aktiven von S 37.500,--, der erblasserischen Witwe auf teilweisen Abschlag der von ihr bezahlten Nachlaßpassiven, und zwar der Krankheitskosten von S 3.329,62, der Arztkosten von S 2.410,-- und der Todfallskosten von S 34.078,98, an Zahlungs Statt überlassen werde.
Die Klägerin begehrte mit ihrer am eingebrachten Klage die Verurteilung der Beklagten zur Erstellung eines Verzeichnisses des vom Erblasser hinterlassenen Vermögens, zur Angabe, wo sich das Vermögen befinde und ob Schenkungen erfolgt seien, zur Rechnungslegung betreffend die Vermögensgebarung, zur Leistung eines Eides, daß ihre Angaben richtig und vollständig seien, und zur Zahlung eines Viertels des Wertes des sich aus der Rechnungslegung ergebenden Vermögens. Sie brachte vor, es müsse ein wesentlich größerer Nachlaß vorhanden sein; allenfalls habe der Erblasser sein Vermögen der Beklagten im Wege von Schenkungen zukommen lassen. Mangels ausreichender Unterlagen könne die Klägerin ihren Pflichtteilsanspruch nicht beziffern. Die Beklagte sei zur Verzeichnung des Vermögens des Erblassers, zur Rechnungslegung und zur Beeidigung ihrer Angaben verpflichtet; bis dahin müsse sich die Klägerin die Bezifferung ihrer Forderung vorbehalten. Die Beklagte wendete insbesondere ein, sie habe das vorhandene Vermögen ordnungsgemäß angegeben; weitere Vermögenswerte seien nicht vorhanden. Die Beklagte sei zu den begehrten Leistungen nicht verpflichtet, der Pflichtteilsanspruch sei außerdem verjährt. Im übrigen liege keine Erbfolge vor, sodaß die Beklagte passiv nicht legitimiert sei. Auf den Pflichtteilsanspruch müsse sich die Klägerin die Nachlaßpassiven anrechnen lassen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es beurteilte den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt dahin, nach Art. XLII EGZPO könne zu Vermögensangaben verhalten werden, wer hiezu nach bürgerlichem Recht verpflichtet sei oder von der Verschweigung oder Verheimlichung eines Vermögens vermutlich Kenntnis habe. Der zweite Tatbestand setze eine auf die Verschweigung oder Verheimlichung abzielende Tätigkeit voraus; derartiges habe die Klägerin nicht behauptet. Es sei zwar richtig, daß der Erbe dem Noterben zur Rechnungslegung und Eidesleistung verpflichtet sei, doch sei die Beklagte nicht Erbin geworden, weil ihr der Nachlaß nicht eingeantwortet worden sei.
Das Berufungsgericht gab dem Klagebegehren statt, sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes zwar S 15.000,--, nicht aber S 300.000,-- übersteige, und ließ die Revision zu. Es führte aus, nach einhelliger Auffassung könne der Noterbe, gestützt auf Art. XLII EGZPO, vom Erben Rechnungslegung und Eidesleistung verlangen, wenn die Verlassenschaftsabhandlung abgeschlossen sei; keine Voraussetzung sei es, daß Anhaltspunkte für eine Verschweigung oder Verheimlichung von Nachlaßvermögen vorlägen. Die Auslegung des Erstgerichts, unter Erben seien nur jene Personen zu verstehen, denen der Nachlaß eingeantwortet worden sei, erscheine zu eng und sei mit dem Zweck des Art. XLII EGZPO nicht zu vereinbaren. Der Noterbe werde durch zahlreiche gesetzliche Bestimmungen in seinen Rechten geschützt; diese Rechtsbehelfe nützten dem Noterben jedoch nichts, wenn der Haupterbe, der wie hier auch Besitzer des Nachlaßvermögens sei, einen Teil hievon verschweige oder auf andere Weise keine Auskunft zu erreichen sei. Das treffe auf alle Fälle zu, in welchen sich eine Person in den Besitz des Nachlaßvermögens setze, also auch im Wege der Überlassung an Zahlungs Statt. Daß es nicht zur Einantwortung des Nachlasses gekommen sei, könne seine Ursache gerade in den unrichtigen Angaben des Erben über das Nachlaßvermögen haben. Es wäre nicht einzusehen, weshalb der Erbe in diesem Fall gegenüber dem Noterben besser gestellt sein sollte. Der Noterbe sei im Verlassenschaftsverfahren auch Beteiligter, wenn es mit einer Überlassung an Zahlungs Statt ende. Schließlich sei auch auf § 532 ABGB zu verweisen, wonach Erbe sei, wem das Erbrecht gebühre. Dem Verjährungseinwand sei entgegenzuhalten, daß die Frist des § 1487 ABGB erst mit der Kundmachung des Testaments zu laufen beginne.
Rechtliche Beurteilung
Die von der Beklagten gegen das berufungsgerichtliche Urteil erhobene Revision ist zulässig, weil zur Frage, ob dem Noterben der Manifestationsanspruch auch gegen den Nachlaßgläubiger zustehe, dem der Nachlaß an Zahlungs Statt überwiesen wurde, wenn er zugleich letztwillig zum Erben berufen ist, eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehlt; sie ist auch berechtigt.
Vorauszuschicken ist, daß dem Vorbringen der Klägerin in erster Instanz nicht mit genügender Deutlichkeit entnommen werden kann, auf welchen der beiden Gründe des Art. XLII Abs 1 EGZPO sie ihren Anspruch stütze. Im Rechtsmittelverfahren behauptete sie allerdings, sie habe ihren Manifestationsanspruch auch darauf gegründet, daß die Beklagte von der Verweigerung oder Verheimlichung des Vermögens vermutlich Kenntnis habe. Es ist zunächst zu prüfen, ob die Voraussetzungen des zweiten Tatbestandes im Art. XLII Abs 1 EGZPO vorliegen, weil es dann gar nicht darauf ankommt, ob die Beklagte in ihrer Eigenschaft als berufene Erbin zur Manifestation verpflichtet wäre. Bei diesem Tatbestand handelt es sich nämlich um eine echte Norm des bürgerlichen Rechtes mit materiellrechtlichem Inhalt, die bei Zutreffen ihrer Voraussetzungen auch ohne sonstige Verpflichtung zur Vermögensangabe und Eidesleistung zwingt (Fasching Komm. II 89 und Zivilprozeßrecht Rz 1046; SZ 48/114). Sie setzt allerdings eine Tätigkeit der Beklagten voraus, die die Verschweigung oder Verheimlichung bezweckt; durch bloß passives Verhalten oder die bloße Verschweigung der Auskunft über ein Vermögen wird hingegen dieser Tatbestand nicht hergestellt (SZ 48/114 mwN; Fasching Komm. II 95). Mit ihrem Vorbringen in erster Instanz legte die Klägerin der Beklagten ausschließlich eine solche Auskunftsverweigerung zur Last, sodaß sie ihr Manifestationsbegehren nicht aus dem zweiten Fall des Art. XLII Abs 1 EGZPO ableiten kann. Sie könnte ihren Anspruch damit nur auf den ersten Tatbestand der genannten Bestimmung stützen, der die Verpflichtung der Beklagten zur Angabe ihres Vermögens aufgrund der Vorschriften des bürgerlichen Rechtes voraussetzt. Dieser erste Tatbestand schafft keinen neuen materiellrechtlichen Anspruch auf Vermögensangabe, Rechnungslegung oder Auskunftserteilung, sondern setzt voraus, daß eine solche Verpflichtung schon nach bürgerlichem Recht besteht. Eine derartige Verpflichtung trifft nach Lehre und Rechtsprechung den Erben gegenüber dem Noterben und schließt von ihm in Empfang genommene Schenkungen ein (SZ 48/114 mwN uva; Fasching Komm. II 91 f.; Koziol-Welser, Grundriß 7 II 355), allerdings kann der Manifestationsanspruch vom Pflichtteilsberechtigten erst nach der Einantwortung gegen den (Haupt-)Erben geltend gemacht werden; vorher ist der Anspruch gegen die (ruhende) Verlassenschaft zu richten (SZ 48/19 mwN; 7 Ob 644/81 ua.; Koziol-Welser aaO). Demgegenüber will das Berufungsgericht den Manifestationsanspruch dem Noterben auch gegen den berufenen Erben zubilligen, wenn es zwar nicht zur Einantwortung des Nachlasses an ihn kommt, wenn ihm aber die Nachlaßgegenstände an Zahlungs Statt überlassen werden. Dabei übersieht das Gericht zweiter Instanz jedoch, daß im Falle der Überlassung an Zahlungs Statt (§ 73 AußStrG) - ebenso wie in den beiden Fällen des § 72 AußStrG - der Zustand des ruhenden Nachlasses andauert (RZ 1984/24; EvBl 1959/293; Welser in Rummel, ABGB, Rdz 19 zu §§ 797, 798; Ehrenzweig, System 2 II/2 523). Kommt nachträglich hinreichendes Vermögen hervor, ist das Verlassenschaftsverfahren zu eröffnen, das bereits verteilte Vermögen ist aber nicht mehr einzubeziehen (RZ 1984/24; SZ 15/65; Welser aaO Rdz 17). Dauert der Zustand des ruhenden Nachlasses auch bei der Iure-crediti Einantwortung fort, so ist der Manifestations- und der Pflichtteilsanspruch gegen diesen - vertreten durch einen Verlassenschaftskurator - geltend zu machen. Daran ändert nichts, daß der einzige (aktenkundige) Nachlaßgegenstand dem Testamentserben überlassen wurde; zu dieser Verfügung war das Abhandlungsgericht nicht etwa wegen deren Berufung im Testament, sondern deshalb veranlaßt, weil sie Forderungen anmeldete, deren Höhe den Nachlaßwert überstiegen. Versagt die Rechtsprechung dem erbserklärten Erben vor der Einantwortung die Passivlegitimation (SZ 48/19; 7 Ob 644/81), so trifft das umso mehr auf jene Fälle zu, in welchen die zur Erbschaft berufenen Personen noch keine Erbserklärungen abgegeben haben.
Aber auch, soweit die Klägerin der Beklagten gemäß § 785 ABGB anrechenbare Geschenke des Erblassers unterstellt, ist diese passiv nicht legitimiert. Grundsätzlich besteht keine Verpflichtung des Beschenkten, einem Pflichtteilsberechtigten das vom verstorbenen Geschenkgeber noch durch Rechtsgeschäft unter Lebenden erhaltene Vermögen anzugeben (SZ 48/114); eine solche Verpflichtung trifft bloß - wie gesagt - den Erben in Ansehung der ihm gemachten Geschenke. Da das Manifestationsbegehren bis zur Einantwortung nur gegen die ruhende Verlassenschaft angebracht werden kann, ist der Erbanwärter, auch soweit er zur eidlichen Angabe über anrechenbare Geschenke verhalten werden soll, so zu behandeln wie jeder dritte Beschenkte (7 Ob 644/81; vgl. SZ 48/114).
Ist aber schon die Passivlegitimation der Beklagten zu verneinen, ist das Manifestationsbegehren in Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung abzuweisen, ohne daß auf die weiteren aufgeworfenen Rechtsfragen eingegangen werden müßte. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.