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OGH 29.03.2017, 3Ob5/17g

OGH 29.03.2017, 3Ob5/17g

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin Dr. Lovrek, die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch und die Hofrätin Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. W*, vertreten durch Dr. Ägidius Horvatits Rechtsanwalts GmbH in Salzburg, gegen die beklagte Partei V*, vertreten durch Mag. Gernot Strobl, Dr. Wolf Stumpp, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen Räumung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom , GZ 22 R 215/16w-76, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom , GZ 32 C 1484/12a-71, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die Beklagte zeigt in ihrer Revision keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf, weshalb diese – ungeachtet des nicht bindenden Zulässigkeitsausspruchs des Berufungsgerichts – nicht zulässig ist. Das ist wie folgt kurz zu begründen (§ 510 Abs 3 ZPO):

Rechtliche Beurteilung

1. Der Vorwurf der Beklagten, das Berufungsurteil leide an Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 9 ZPO, zumindestens aber sei es wegen fehlender Überprüfbarkeit und Widersprüchlichkeit mangelhaft begründet, trifft nicht zu, weil eine nachvollziehbare Begründung vorliegt.

2. Zum Auflösungsgrund:

2.1. Der Auflösungsgrund des erheblichen nachteiligen Gebrauchs (§ 1118 erster Fall ABGB, § 30 Abs 2 Z 3 erster Fall MRG) liegt vor, wenn durch eine wiederholte, länger andauernde vertragswidrige Benützung des Bestandobjekts oder durch eine längere Reihe von Unterlassungen notwendiger Vorkehrungen wichtige Interessen des Vermieters verletzt werden oder eine erhebliche Verletzung der Substanz des Mietgegenstands erfolgt ist oder auch nur droht (stRSp; RIS-Justiz RS0067832; RS0068076, RS0102020). Hat ein Mieter vertraglich eine Instandsetzungspflicht übernommen, so kann der Vermieter vom Auflösungsrecht des § 1118 ABGB dann Gebrauch machen, wenn der Mieter dieser Verpflichtung in einem erheblichen Maße nicht nachgekommen ist (6 Ob 35/11g = RIS-Justiz RS0021031 [T7]). Sorgloser Umgang mit Wasser, wenn dadurch Wasserschäden drohen, stellt nachteiligen Gebrauch dar (RIS-Justiz RS0020981 [T24]). Bei der Beurteilung, ob ein erheblich nachteiliger Gebrauch der Bestandsache vorliegt, ist von den Umständen des Einzelfalls, aber in ihrer Gesamtheit auszugehen (RIS-Justiz RS0102020 [T3]). Die Revision vermag keine unvertretbare Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts aufzuzeigen:

2.2. Das wiederholte Anzweifeln der in dritter Instanz unangreifbaren erstgerichtlichen Feststellungen geht ins Leere.

2.3. Die Beklagte zieht gar nicht in Zweifel, dass sie für das Verhalten ihres Unterbestandnehmers einzustehen hat (RIS-Justiz RS0026282; vgl RS0070371 [T4; T5]).

Demgemäß ist aber auch der Versuch, den nachvollziehbaren Vorwurf, das Übersehen eines undichten Wasserhahns und der Undichtheiten bei den Abflüssen von Gläserspülern und Kühlboxen sowie das Anbohren einer Wasserleitung durch einen Mitarbeiter des Unterbestandnehmers stelle einen sorglosen Umgang mit Wasser dar, damit zu entkräften, undichte Armaturen seien in einem Gastronomiebetrieb völlig üblich und auch nicht zu verhindern, weshalb sie mit einer vertragsgemäßen Benutzung einhergingen, völlig untauglich. Dies bedarf keiner weiteren Begründung.

2.4. Die Beklagte tritt auch der Rechtsansicht der Vorinstanzen, sie habe die Instandhaltungspflicht für das Bestandobjekt wirksam vertraglich übernommen, nicht entgegen, gelangt jedoch durch Auslegung des Bestandvertrags zum Ergebnis, die Pflicht zur Sanierung des tragenden Bodens der Küche = Decke der darunter liegenden Bar als Teil des Hauses treffe sie nicht.

Tatsächlich war die Durchnässung der tragenden Geschossdecke (und die daraus folgende Notwendigkeit ihrer Sanierung) aber nur die Folge ua der unterbliebenen Instandhaltung des (zumindestens seit dem Jahr 2006 offenkundig schadhaften und undichten) Fliesenbodens der Küche des Bestandobjekts. Nur diese Unterlassung machte der Kläger als Verletzung der Erhaltungspflicht geltend; dies nach den Feststellungen zu Recht, weil eine offenkundig notwendige und taugliche Sanierung dieses Bodens über Jahre unterblieb.

2.5. Soweit die Beklagte mehrfach unterstellt, die Verwirklichung des Auflösungsgrundes des § 1118 erster Fall ABGB setze ein grob fahrlässiges Verhalten voraus, ist ihr zu erwidern, dass nach ständiger Rechtsprechung ein Verschulden des Mieters nicht erforderlich ist; vielmehr genügt es, dass er sich des nachteiligen Verhaltens bewusst war oder bewusst sein musste, wobei der Maßstab eines durchschnittlichen Bestandnehmers zugrunde zu legen ist (RIS-Justiz RS0020867 ua).

Einem durchschnittlichen Gasthauspächter musste offenkundig bewusst sein, dass durch Wasseraustritte von Wasserhähnen und in der Gastronomie benötigten Geräten (die deren unzureichende Wartung indizieren) und durch das zweifellos vermeidbare Anbohren einer Wasserleitung eine erhebliche Verletzung der Substanz des Mietgegenstands zumindest drohte. Das gilt auch für das jahrelange Belassen eines offenkundig schadhaften und undichten Küchenbodens, der nicht nur einer mehrfachen täglichen Reinigung mit Wasser ausgesetzt war, sondern – wie die Revision selbst darlegt – auch anderen ungeplanten, aber unvermeidbaren Wasseraustritten (zB durch Umstoßen von Reinigungskübeln und Kochtöpfen) und auch den Folgen von Schlampereien des Unterbestandnehmers. Auch der Beklagten musste jedenfalls seit Juli 2008 bekannt sein, dass ständiges Bodenreinigen zu Wassereintritten in den Boden führte und dessen Sanierung erforderlich war (vgl ./AA = ./5).

2.6. Zusammengefasst zeigt sich daher zum einen der sorglosen Umgang mit Wasser im Bestandobjekt in mehreren konkreten Fällen zwischen 2006 und 2011 und zum anderen als Dauertatbestand die jahrelange Vernachlässigung der vertraglich übernommenen Instandhaltungspflicht, die die Undichtheit des Bodens der Küche des Bestandobjekts beließ und zu starker Durchnässung des darunter im Keller liegenden Lokals führte.

Die Qualifizierung dieses Verhaltens im Rahmen der gebotenen Gesamtschau als erheblich nachteiliger Gebrauch hält sich im Rahmen der dargestellten Judikatur und ist deshalb jedenfalls vertretbar.

3. Zum stillschweigenden Verzicht:

3.1. Der in der Judikatur zu findende Grundsatz, dass Auflösungs- und Kündigungsgründe ohne unnötigen Aufschub geltend zu machen sind (RIS-Justiz RS0014427), muss hier unter dem Blickwinkel eines schlüssigen Verzichts auf einen Auflösungs- oder Kündigungsgrund geprüft werden (vgl Lovrek FS Würth 111). Allgemein gilt, dass bei der Beurteilung der Frage, ob ein schlüssiger Verzicht auf ein Recht vorliegt, besondere Zurückhaltung und Vorsicht geboten ist. Er darf immer nur dann angenommen werden, wenn besondere Umstände darauf hinweisen, dass er ernstlich gewollt ist (RIS-Justiz RS0014190, RS0014229).

Der Verzicht auf einen Auflösungsgrund hat zur Voraussetzung, dass das Zuwarten des Vermieters mit der Aufkündigung oder der Räumungsklage unter Umständen erfolgt, aus denen mit Überlegung aller Umstände kein vernünftiger Grund daran zu zweifeln übrig bleibt, dass der Vermieter den ihm bekannten Sachverhalt nicht mehr als Auflösungs- oder Kündigungsgrund geltend machen will. Es ist daher erforderlich, dass der Mieter weiß oder aus dem Verhalten des Vermieters doch mit Recht ableiten kann, dass dieser den vollen Sachverhalt, der die Auflösung oder die Kündigung rechtfertigt, kennt und dem Mieter keine Umstände bekannt sind, die ein Zuwarten des Vermieters mit der Kündigung oder einer Räumungsklage aus einem anderen Grund als dem eines Verzichts auf das Auflösungs- bzw Kündigungsrecht erklärlich erscheinen lassen (RIS-Justiz RS0014423, RS0067163). Bei Vorliegen eines Dauertatbestands ist ein besonders strenger Maßstab anzulegen (RIS-Justiz RS0014427 [T4], RS0014416). Im Zweifel ist ein konkludenter Verzicht des Vermieters auf das Kündigungsrecht nicht anzunehmen (RIS-Justiz RS0014416 [T2]). Die Beweislast für das Vorliegen eines solchen Verzichts trifft den Mieter (RIS-Justiz RS0102001).

Ob nach den Umständen des Einzelfalls ein Verzicht anzunehmen ist oder nicht, stellt im Regelfall keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO dar (RIS-Justiz RS0107199).

3.2. Eine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung ist angesichts der geforderten besonders strengen Prüfung in der Auffassung des Berufungsgerichts, das passive Verhalten des Klägers könne angesichts der Geringfügigkeit der ersten Schäden auch als Vertragstreue verstanden werden (die es nicht erlaube, das Zuwarten des Klägers mit der Räumungsklage aus einem anderen Grund als dem eines Verzichts auf das Auflösungsrecht erklärlich erscheinen zu lassen), nicht zu erkennen. Denn schon angesichts der notwendigen Vorbereitungen einer Klageführung fehlt der Rechtsansicht der Beklagten, das mehr als dreimonatige Zuwarten mit der Klage (= Auflösungserklärung) nach dem letzten Schaden stelle einen schlüssigen Verzicht darauf dar, jede Grundlage.

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin Dr. Lovrek, die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch und die Hofrätin Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. W*****, vertreten durch Dr. Ägidius Horvatits Rechtsanwalts GmbH in Salzburg, gegen die beklagte Partei V*****, vertreten durch Mag. Gernot Strobl, Dr. Wolf Stumpp, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen Räumung, aus Anlass der Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom , GZ 22 R 215/16w-76, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom , AZ 3 Ob 5/17g, wird wie folgt ergänzt:

„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.206,08 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin enthalten 367,68 EUR an USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Mit dem im Spruch genannten Beschluss wies der Oberste Gerichtshof die ordentliche Revision der Beklagten zurück, ohne über die vom Kläger verzeichneten Kosten seiner Revisionsbeantwortung zu entscheiden. Das war über rechtzeitigen Antrag des Klägers gemäß §§ 423, 430 ZPO zu ergänzen.

Bei der Bemessungsgrundlage von 39.418,08 EUR (= Jahresmietzins laut Klage [§ 10 Z 2 lit a RATG]) beträgt der Ansatz jedoch nur 1.224,20 EUR. Kosten für den Ergänzungsantrag wurden nicht verzeichnet.

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
Schlagworte
1 Generalabonnement
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2017:E118319
Datenquelle

Fundstelle(n):
IAAAD-61623