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OGH vom 28.09.2011, 7Ob48/11a

OGH vom 28.09.2011, 7Ob48/11a

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B*****aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Dr. Michael Böhme, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Verband der Versicherungsunternehmen Österreichs, 1030 Wien, Schwarzenbergplatz 7, vertreten durch Dr. Thomas Mader, Rechtsanwalt in Wien, wegen 32.047,15 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 14 R 228/10t 47, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 19 Cg 19/09t 41, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil lautet:

Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 32.047,15 EUR samt 4 % Zinsen seit zu zahlen, wird abgewiesen .

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 17.892,76 EUR (darin enthalten 2.029,46 EUR an USt und 5.716 EUR an Barauslagen) bestimmten Prozesskosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am ereignete sich um etwa 03:00 Uhr früh auf einer Schnellstraße in Österreich ein Verkehrsunfall, an dem das bei der Klägerin kaskoversicherte und von ihrer Versicherungsnehmerin gehaltene Fahrzeug mit einem deutschen behördlichen Kennzeichen und ein im Ausland haftpflichtversichertes Fahrzeug mit einem rumänischen behördlichen Kennzeichen beteiligt waren.

Die Klägerin begehrt vom Beklagten die Hälfte der Reparaturkosten, die sie im Rahmen der Kaskoversicherung an ihre Versicherungsnehmerin habe zahlen müssen sowie die Hälfte des an sie zedierten Selbstbehalts. Den Lenker des Fahrzeugs mit rumänischem behördlichen Kennzeichen treffe an dem Unfall ein 50%iges Verschulden. Sie begehre 50 % des Schadens, der ihrer Versicherungsnehmerin entstanden sei.

Der Beklagte bestreitet das Klagebegehren soweit für das Revisionsverfahren noch relevant damit, dass es im Verhältnis der Parteien an der Klagslegitimation fehle.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es kam zu dem Ergebnis, dass beiden Lenkern ein 50%iges Verschulden an dem Verkehrsunfall anzulasten sei. Der Schadenersatzanspruch der Versicherungsnehmerin sei auf die Klägerin gemäß § 67 Abs 1 VersVG übergegangen, die Hälfte des Selbstbehalts sei ihr zediert worden.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil. Aus § 62 KFG ergebe sich zwar nicht, wer diese Haftungsbestimmung in Anspruch nehmen könne, doch bestimme § 26 KHVG, dass der geschädigte Dritte den ihm zustehenden Schadenersatzanspruch im Rahmen des betreffenden Versicherungsvertrags auch gegen den Versicherer direkt geltend machen könne. Nach der Judikatur stehe das Direktklagerecht gegen den Versicherer auch einem Abtretungsgläubiger zu. Dritter nach dieser Bestimmung (vergleichbar mit § 115 VVG [vor dem §§ 3 und 3a PflVG]) sei nicht nur der Geschädigte, sondern auch dessen Rechtsnachfolger (so beispielsweise der Sozialversicherungsträger). Bestehe ein Direktanspruch eines Abtretungsgläubigers gegen den Versicherer, so sei auch ein Drittanspruch gegen den Beklagten, der an die Stelle des Haftpflichtversicherers trete, zu bejahen.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig sei.

Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision des Beklagten mit einem Abänderungsantrag, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt in der ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil zu der vorliegenden Rechtsfrage oberstgerichtliche Rechtsprechung fehlt; sie ist auch berechtigt.

Zwischen den Parteien ist unstrittig, dass die Beklagte für die am entstandenen Sachschäden der Versicherungsnehmerin der Klägerin nach § 62 KFG haftet. Der Beklagte wendet ein, dass aber nur das unmittelbar geschädigte Unfallopfer aktiv legitimiert sei, nicht hingegen sein Kaskoversicherer, auf den die Forderung im Wege der Legalzession übergegangen sei.

Für Kraftfahrzeuge und Anhänger mit ausländischem Kennzeichen, die nicht auf Grund des Art 4 lit b der Richtlinie 72/166/EWG (ABl Nr L 103 vom , S 1, zuletzt geändert durch die Richtlinie 2005/14/EG, ABl Nr L 149 vom , S 14) von der Versicherungspflicht ausgenommen sind, muss, wenn sie im Inland auf Straßen mit öffentlichem Verkehr verwendet werden, die Haftung des Verbands der Versicherungsunternehmen Österreichs auf der Grundlage einer Grünen Karte oder auf der Grundlage einer unterstellten Versicherungsdeckung im Sinn des Übereinkommens zwischen den nationalen Versicherungsbüros der Mitgliedstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums und anderen assoziierten Staaten vom (ABl Nr L 192 vom , S 23) oder auf Grund eines beim Eintritt in das Bundesgebiet abgeschlossenen Versicherungsvertrags (Grenzversicherung) bestehen. Dies gilt auch für Motorfahrräder, die in ihrem Herkunftsstaat nicht als Kraftfahrzeuge gelten oder keine Kennzeichen führen müssen (§ 62 Abs 1 KFG). Der Fachverband (für Versicherungsunternehmungen [§ 2 VerkehrsopferentschädigungsG VOEG]) hat unter bestimmten Voraussetzungen Entschädigung für Personen- und Sachschäden zu leisten, die im Inland durch ein nach den kraftfahrrechtlichen Bestimmungen versicherungspflichtiges Fahrzeug verursacht wurden (§ 4 Abs 1 VOEG). Der Fachverband hat Leistungen nach Abs 1 so zu erbringen, als ob ihnen ein Schadenersatzanspruch des Verkehrsopfers und das Bestehen einer Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung im Rahmen der in den kraftfahrrechtlichen Bestimmungen festgesetzten Versicherungspflicht zugrunde lägen. Der Fachverband kann gegen einen Entschädigungsanspruch nicht einwenden, dass ein Haftpflichtiger Ersatz zu leisten habe, oder dass ein Haftpflichtversicherer einzutreten habe, wenn dieser seine Deckungspflicht bestreitet (§ 4 Abs 2 VOEG).

In § 62 Abs 1 KFG ist die Haftung des Beklagten für Kraftfahrzeuge und Anhänger mit ausländischem Kennzeichen geregelt, nicht jedoch, wer die Geschädigten sind, die Ansprüche gegen ihn geltend machen können. Zum VOEG wurde bereits ausgesprochen, dass der Dienstgeber die Lohnfortzahlung nicht vom Fachverband der Versicherungsunternehmungen ersetzt erhalten kann, wenn ein bei einem Verkehrsunfall Geschädigter, der an sich nach § 3 VerkehrsopferG bzw § 3 VOEG anspruchsberechtigt wäre, deshalb keinen Schaden hat, weil eben sein Dienstgeber nach den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen Lohnfortzahlung leistet (2 Ob 6/09k mwN). Die dem Verkehrsopfer zu zahlende Entschädigungsleistung unterliegt keiner Legalzession des Sozialhilfeträgers (RIS Justiz RS0102507). Zu prüfen ist nun, ob dieser Grundsatz auch für das KFG Geltung hat:

Auf Grund der rasch zunehmenden grenzüberschreitenden Mobilität des Güter und Personenverkehrs verfolgten ausgehend von einer UN Empfehlung bereits im Jahr 1948 die Staaten Europas schon in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts eine Harmonisierung ihrer Haftpflichtversicherungsrechte für Kraftfahrzeuge zunächst durch privatrechtliche Vereinbarungen ihrer nationalen Kfz Haftpflichtversicherer im Rahmen des sogenannten „Systems der Grünen Karte“, später mit der Zunahme obligatorischer Kfz Haftpflichtversicherungen in den teilnehmenden Staaten durch multilaterale Abkommen samt entsprechenden Richtlinien im Rahmen des EG Kfz Versicherungsrechts (7 Ob 103/03b mwN). Nach dem Londoner Abkommen über die Einführung des Grüne Karte Systems übernimmt in jedem besuchten Land das Büro des Landes hinsichtlich des Gebrauchs des in der Versicherungskarte bezeichneten Fahrzeugs die Verpflichtung eines Haftpflichtversicherers in Übereinstimmung mit den Gesetzen über die Haftpflichtversicherung in diesem Land. Im Rahmen dieser Regelung soll durch die in der Grünen Karte erklärte Einstandsgarantie des Behandelnden Büros (Abwicklungsbüro in dem besuchten Land) der Geschädigte so gestellt werden, als ob ihm der Schaden von einem inländischen, zu den gesetzlichen Mindestversicherungssummen versicherten Kraftfahrer zugefügt worden wäre (RIS Justiz RS0065673). Es wird damit also ein (sich nach Landesrecht richtendes) Versicherungsverhältnis fingiert, in dem das Behandelnde Büro gleichsam als Versicherungsunternehmer und der Inhaber der Grünen Karte als Versicherungsnehmer gilt (RIS Justiz RS0065697, RS0045431). Der Versicherungsnehmer ist auf Grund der Grünen Karte so zu behandeln, als ob er einen Versicherungsvertrag mit einem Versicherer des Besuchslandes abgeschlossen hätte. Dieses Verhältnis zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer richtet sich nach dem Recht des Besuchslandes (RIS Justiz RS0045431; Reisinger in Fucik/Hartl/Schlosser , Handbuch des Verkehrsunfalls², Teil 3 Versicherungsrecht, Rz 91). Um die Regulierung von Kfz Schäden innerhalb der Europäischen Union, des Europäischen Wirtschaftsraums sowie der Schweiz zu vereinfachen, wurde die Richtlinie 2000/26/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Kraftfahrzeug Haftpflichtversicherung und zur Änderung der Richtlinien 73/239/EWG und 88/357/EWG (4. Kraftfahrzeughaftpflicht Richtlinie, in der Folge: 4. KH RL) verabschiedet, die am in Kraft getreten ist und von den Mitgliedstaaten bis längstens in nationales Recht umzusetzen war. Sie wurde am durch die 5. KH RL, deren Hauptpunkt die Einführung eines inländischen Gerichtsstands bei einem Unfall in einem Mitgliedstaat war, ergänzt (vgl auch Reisinger aaO Rz 94b).

Nach Art 2 lit d der 4. KH RL ist (unter Hinweis auf Art 1 Z 2 der Richtlinie 72/166/EWG) Geschädigter jede Person, die ein Recht auf Ersatz eines von einem Fahrzeug verursachten Schadens hat. Diese an sich sehr weite Definition des Geschädigten in Art 2 lit d muss man im Zusammenhang mit dem Erwägungsgrund 27 der genannten Richtlinie sehen. Danach sollen juristische Personen, auf die die Ansprüche des Geschädigten gegen den Unfallverursacher oder dessen Versicherungsunternehmen gesetzlich übergegangen sind (zB andere Versicherungsunternehmen oder Einrichtungen der sozialen Sicherheit), nicht berechtigt sein, den betreffenden Anspruch gegenüber der Entschädigungsstelle geltend zu machen. Daraus ergibt sich, dass der Versicherer, auf den der Anspruch des Geschädigten im Wege der Legalzession übergeht wie hier der klagende Kaskoversicherer , jedenfalls insoweit nicht vom Schutzzweck der Richtlinie umfasst ist, als ein Anspruch gegen die Entschädigungsstelle geltend gemacht wird (vgl auch Lemor in Feyock/Jacobsen/Lemor , Kraftfahrtversicherung³, § 12a PflVG, Rn 11; Kath , Kfz Haftpflicht Versicherungsrecht, 210, 230 ff). Auch die auf den vorliegenden Rechtsfall noch nicht anzuwendende (der Verkehrsunfall ereignete sich am ) Richtlinie 2009/103/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Kraftfahrzeug Haftpflichtversicherung und die Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht (kodifizierte Fassung), die aus Gründen der Klarheit und der Übersichtlichkeit die vier vorhergehenden KH RL sowie (ua) die Richtlinie 2000/26/EG kodifiziert, entspricht in ihrem Erwägungsgrund 49 dem Erwägungsgrund 27 der 4. KH RL. Auch nach Erwägungsgrund 49 der Richtlinie 2009/103/EG sollen juristische Personen, auf die die Ansprüche des Geschädigten gesetzlich übergegangen sind, nicht berechtigt sein, den Anspruch gegenüber der Entschädigungsstelle geltend zu machen. Nach Art 6 der 4. KH RL (nunmehr Art 24 der Richtlinie 2009/103/EG) ist Entschädigungsstelle die Stelle, die den Geschädigten in den Fällen des Art 1 eine Entschädigung gewährt. Entschädigungsstelle in Österreich ist wie oben dargelegt der Beklagte. Es ist nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber von der ihm durch die Richtlinien eingeräumten Möglichkeit, für Geschädigte günstigere Bestimmungen als die, die die Umsetzung der Richtlinien erfordern, zu normieren (Art 10 Abs 4 der 4. KH RL [nunmehr Art 28 Abs 1 der Richtlinie 2009/103/EG]), Gebrauch gemacht hätte. Das in den Richtlinien genannte Ziel, den Schutz des Unfallopfers (selbst) zu erhöhen, war auch Grundlage der innerstaatlichen Regelungen. § 62 Abs 1 KFG muss daher im Sinn des Erwägungsgrundes 27 der 4. KH RL (nunmehr Art 28 Abs 1 der Richtlinie 2009/103/EG) ausgelegt werden. Demnach sind juristische Personen (wie zB andere Versicherungsunternehmen oder Einrichtungen der sozialen Sicherheit) nicht berechtigt, auf sie übergegangene Ansprüche des Geschädigten gegen den Unfallverursacher oder gegen dessen Versicherungsunternehmern gegenüber der Entschädigungsstelle geltend zu machen.

Aus § 26 KHVG, nach dem der geschädigte Dritte den ihm zustehenden Schadenersatzanspruch im Rahmen des betreffenden Versicherungsvertrags auch gegen den Versicherer geltend machen kann, ist für die Klägerin nichts zu gewinnen, weil sich diese Bestimmung auf Rechtsfälle bezieht, in denen ein Haftpflichtversicherungsverhältnis besteht. Im vorliegenden Fall besteht ein derartiges Rechtsverhältnis eben nicht, es wird nur wie bereits gezeigt fingiert. Die Klägerin als Kaskoversicherer ist kein Unfallopfer und daher vom Schutzzweck dieser (Ausnahme )Bestimmungen nicht umfasst. Sie ist nicht klagslegitimiert.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO. Den Einwendungen der Klägerin gegen das Kostenverzeichnis der Beklagten kommt Berechtigung zu. Der Schriftsatz vom wurde vom Gericht nicht aufgetragen und war auch nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig. Das darin enthaltene Vorbringen hätte in der nächsten Tagsatzung erstattet werden können. Für den Schriftsatz sind keine Kosten zuzusprechen.