OGH vom 05.11.1968, 4Ob57/68

OGH vom 05.11.1968, 4Ob57/68

Norm

ABGB § 870;

ABGB § 871;

ABGB § 879 (1);

ABGB § 918;

Mutterschutzgesetz § 12;

Kopf

SZ 41/144

Spruch

Keine rückwirkende Anfechtung eines Dienstvertrages, der bereits begonnen hat; ein bei Abschluß des Vertrages unterlaufener Irrtum bildet in diesem Fall nur einen Auflösungsgrund.

Entscheidung vom , 4 Ob 57/68.

I. Instanz: Arbeitsgericht Wien; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Die Klägerin war vom bis bei der Beklagten als Arbeiterin beschäftigt. Sie hatte sich dort auf Grund einer Zeitungsankündigung um die Aufnahme als Schichtarbeiterin beworben. Vor ihrer Aufnahme wurden ihr die von ihr zu leistenden Arbeiten vom Betriebsleiter des Unternehmens genau erklärt. Im Personalauskunftsbogen beantwortete sie die Frage, ob sie schwanger sei, wahrheitswidrig mit "nein". Auch bei einer zweiten Vorsprache verneinte sie die vom Betriebsinhaber an sie gerichtete diesbezügliche Frage. In der Folge arbeitete sie in wöchentlich abwechselnden Schichten von 6 bis 14 Uhr und von 14 bis 22 Uhr an Pressen, an denen die Arbeit nur stehend geleistet werden konnte. Sie fühlte sich jedoch trotz ihrer Schwangerschaft stark genug, die von ihr verlangten Arbeiten zu verrichten, und konnte dies auch, weil sie kräftig genug war. Am teilte sie dem Betriebsleiter mit, daß sie schwanger sei. Am nächsten Tag legte sie das von ihm begehrte ärztliche Zeugnis vom hierüber vor, wobei sie ihm erklärte, der Arzt habe sich im Datum der Untersuchung verschrieben, dieses solle statt richtig heißen. Eine sofortige fernmündliche Anfrage beim Arzt ergab jedoch die Richtigkeit des Ausstellungsdatums . Im Zeugnis war der als voraussichtlicher Entbindungstermin angeführt. Der Betriebsleiter erkundigte sich beim Arbeitsinspektorat, ob die bisherige Verwendung der Klägerin mit Rücksicht auf ihre nunmehr festgestellte Schwangerschaft gestattet sei, worauf ihm mitgeteilt wurde, daß diese Verwendung den Vorschriften des Mutterschutzgesetzes widerspreche. Daraufhin wurde die Klägerin entlassen.

Die Klägerin begehrt die Feststellung, daß ihr Dienstverhältnis weiterhin ungelöst fortbestehe.

Die Beklagte beantragt, das Begehren abzuweisen. Der Dienstvertrag sei gemäß § 879 ABGB. nichtig, weil er gegen ein gesetzliches Verbot verstoße. Die Klägerin habe die Arbeiten an der Kunststoffpresse in der Nachmittagszeit bis 22 Uhr verrichtet, eine derartige Arbeit sei nach den Bestimmungen des § 4 (2) lit. b und d und des § 6 (1) MutterSchG. verboten. Durch die wahrheitswidrige Behauptung, sie sei nicht schwanger, habe sie auch den Entlassungsgrund der Pflichtvernachlässigung nach § 12 (1) lit. a und der Untreue im Dienst nach § 12 Abs. 1 lit. b MutterSchG. gesetzt.

Das Erstgericht gab dem Begehren statt.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 15.000 S übersteige. Aus der wahrheitswidrigen Beantwortung der Frage nach der Schwangerschaft der Dienstnehmerin erwachse dem Dienstgeber nicht das Recht zur Auflösung des Dienstverhältnisses. Der Sinn des Mutterschutzgesetzes liege nicht darin, den Dienstgeber zu schützen, sondern die schwangere Dienstnehmerin. Dieser Schutz gehe ihr nicht verloren, auch wenn sie ihren Zustand durch eine Lüge verheimliche. Durch das Mutterschutzgesetz solle die Begründung von Dienstverhältnissen schwangerer Dienstnehmer nicht ausgeschlossen werden. Die Vorschrift des § 3 (4) MutterSchG. über die Verpflichtung der werdenden Mutter, ihren Zustand dem Dienstgeber mitzuteilen, normiere nur eine sanktionslose Ordnungsvorschrift. Teile eine werdende Mutter ihre Schwangerschaft dem Dienstgeber nicht mit, so zeitige dies nach den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage keine Sanktionen, insbesondere könne aus der Unterlassung der Mitteilung der Schwangerschaft kein Grund zur Kündigung oder Entlassung abgeleitet werden, weil § 10 (2) MutterSchG. ausdrücklich vorsehe, daß der Kündigungsschutz auch dann noch wirksam sei, wenn die Tatsache der Schwangerschaft dem Dienstgeber binnen 5 Arbeitstagen nach Ausspruch der Kündigung bekannt gegeben werde. Die Verschweigung der Schwangerschaft habe für die betroffene Dienstnehmerin nur zur Folge, daß sie nicht der zu ihrem und des Kindes Schutz vorgesehenen Beschäftigungsverbote teilhaftig werden könne. Die Nichtigkeit des abgeschlossenen Dienstvertrages könne daher nicht damit begrundet werden, daß sich die Dienstnehmerin zu einer Arbeit verpflichtet habe, die sie als werdende Mutter nicht ausüben sollte. Eine im Interesse der schwangeren Dienstnehmerin getroffene Schutznorm könne nicht zur Rechtfertigung ihrer Entlassung herangezogen werden, wenn die Dienstnehmerin infolge ihrer körperlichen Konstitution dieser Schutznorm nicht bedürfe und auf die vom Gesetz vorgesehenen Begünstigungen verzichte. Ein Irrtum des Dienstgebers über die Schwangerschaft der Dienstnehmerin bei Abschluß des Dienstvertrages und seine listige Irreführung über den schwangeren Zustand könnten nicht als die Entlassung rechtfertigende Umstände anerkannt werden und begrundeten auch keine Nichtigkeit des Dienstvertrages. Die unwahren Angaben der Dienstnehmerin könnten auch nicht als beharrliche Pflichtverletzung oder als Untreue im Sinne des § 12 (1) MutterSchG. qualifiziert werden. Der Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit werde im § 12 MutterSchG. nicht angeführt. Die Entlassung der Klägerin sei daher nicht rechtswirksam.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Beklagte wirft dem Berufungsgericht vor, es habe auf die rechtlichen und faktischen Konsequenzen des Umstandes nicht Bedacht genommen, daß die Beklagte die Klägerin gar nicht mehr weiterbeschäftigen könnte, ohne straffällig zu werden, und verweist auf die Tatsache, daß eine andere als die bisherige Beschäftigung der Klägerin nicht möglich gewesen wäre. Die Tatsache, daß dem Dienstgeber keine anderen als die in den §§ 4, 6 MutterSchG. aufgezählten Verwendungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, kann weder das in diesen Gesetzesstellen angeordnete Beschäftigungsverbot aufheben, noch über § 879 (1) ABGB. zu einer vorzeitigen Auflösung des Dienstverhältnisses führen.

Die Auffassung der Beklagten, ein Dienstvertrag könne rückwirkend als nichtig angefochten werden, wenn ein Teil von seinem Vertragspartner durch List zum Vertrag veranlaßt worden sei, erweist sich für das österreichische Arbeitsrecht nicht als stichhältig. Der Oberste Gerichtshof folgt in seiner Rechtsprechung (Arb. 7665 = SZ. XXXV 120 = EvBl. 1963 Nr. 84) der Auffassung Gschnitzers, Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts, S. 182 unten, Schuldrecht, Allgemeiner Teil, S. 15, in Klang[2] IV/1 137, Iherings Jahrb. 76, S. 411, wonach Irrtum bei Abschluß eines Dienstvertrages, sobald einmal das Dienstverhältnis - wie im vorliegenden Fall - tatsächlich begonnen hat, nicht mehr als Anfechtungsgrund, sondern nur als Auflösungsgrund wirkt. Das faktische Bestehen des Arbeitsverhältnisses kann nämlich nicht ungeschehen gemacht werden und bringt so wie das fehlerfrei begrundete Arbeitsverhältnis soziale Beziehungen hervor, die ihre übereinstimmende Behandlung erheischen (ähnlich wohl auch Migsch: Ist nach österreichischem Recht eine Anfechtung des Dienstvertrages möglich? Festschrift für Hans Schmitz I, S. 217). Dies ergibt sich bei Dienstverhältnissen, die nach den Vorschriften der Gewerbeordnung zu beurteilen sind, etwa auch aus der Vorschrift des § 82 lit. a GewO. Dort wird ein bei Abschluß des Dienstvertrages unterlaufener Irrtum als Grund zur vorzeitigen Lösung des Vertrages bezeichnet. Eine rückwirkende Anfechtung ist bei Dienstverhältnissen, die bereits begonnen haben, im allgemeinen, im besonderen aber bei solchen, die der Gewerbeordnung unterliegen, ausgeschlossen.

Der Oberste Gerichtshof hat in zahlreichen Entscheidungen bei Dauerschuldverhältnissen auch die Möglichkeit eines Rücktrittes vom Vertrag nach den §§ 918 ff. ABGB., der ja gleichfalls die rückwirkende Lösung des Vertrages bewirkt (vgl. Gschnitzer in Klang[2] IV/1 457 oben), verneint, und zwar auch mit der Begründung, daß das Dauerrechtsverhältnis faktisch bestanden hat und seine Wirkungen nicht ohneweiters rückgängig gemacht werden können (Gschnitzer in Klang[2] IV/1 446 ff. Entscheidungen z. B. 7 Ob

221/66, MietSlg. 16053, SZ. XXXIV 123, MietSlg. 8560 = EvBl. 1961

Nr. 294 = JBl. 1962. S. 319, EvBl. 1960 Nr. 223, JBl. 1959, S. 633, MietSlg. 4909, 4402, 2228 (47), ZBl. 1928 Nr. 194, die letztere Entscheidung mit der freilich nicht näher begrundeten Einschränkung, daß bei "voller Nichtigkeit" der Vertrag ex tunc aufgelöst werde).

Die dargelegte Rechtsansicht muß dazu führen, daß Umstände, die an sich die rückwirkende Vertragsauflösung zur Folge haben, auf ihre Eignung als Entlassungs- oder Kündigungsgrunde geprüft werden müssen, wobei es mit Rücksicht auf diese Umdeutung keine Rolle spielen kann, daß die Umstände schon vor oder bei Vertragsabschluß und nicht erst, wie im Normalfall, während des Vertragsverhältnisses entstanden sind.

Wenn die Entlassungsgrunde des § 12 MutterSchG. auf ihre Anwendbarkeit im vorliegenden Fall untersucht werden, scheidet der von der Beklagten angeführte Entlassungsgrund des § 12 (1) lit. a MutterSchG. (beharrliche Pflichtvernachlässigung) schon deshalb aus, weil sich dieser Entlassungsgrund in erster Linie auf die Arbeitspflichten bezieht, die die Klägerin trotz ihrer Schwangerschaft erfüllt hat, und von einer beharrlichen Pflichtvernachlässigung schon überhaupt nicht gesprochen werden kann. Untreue im Dienst (§ 12 (1) lit. b MutterSchG.) setzt nach der Judikatur bewußtes vorsätzliches Zuwiderhandeln gegen die Interessen des Dienstgebers, also krasse Verletzung dienstvertraglicher Pflichten voraus (vgl. Kuderna, Das Entlassungsrecht, S. 85 ff. Soz. III B S. 121). Ein solches Handeln liegt in der Verschweigung der Schwangerschaft nicht, mag der vorliegende Fall auch schwerwiegender als der zur Arb. 7665 behandelte sein. Noch viel weniger liegt etwa die Übertretung des Betruges (§ 12 (1) lit. e MutterSchG.) vor, da die Schädigungsabsicht der Klägerin fehlt. Das an sich zu mißbilligende Verhalten der Klägerin macht sie allenfalls in anderer Weise vertrauensunwürdig (vgl. § 82 lit. a GewO.). Dieser Entlassungsgrund fehlt aber im § 12 MutterSchG.

Die Klägerin hat ihre Schwangerschaft verschwiegen, um eine Anstellung zu erlangen und dadurch für die bevorstehende Begründung eines ehelichen Haushalts Geld verdienen zu können. Davon, daß sie damit die Begünstigungen des Mutterschutzgesetzes erschleichen wollte, kann mangels geeigneter Anhaltspunkte nicht gesprochen werden. Die unwahre Angabe über die Datierung des dem Dienstgeber vorgelegten ärztlichen Zeugnisses stellt sich im übrigen als Deckungshandlung dar.