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OGH vom 30.05.2006, 3Ob49/06m

OGH vom 30.05.2006, 3Ob49/06m

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner, Dr. Prückner, Dr. Sailer und Dr. Jensik als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei I***** s.p.a., *****, Italien, vertreten durch Dr. Karl Newole und Dr. Agnes Maria Kienast, Rechtsanwälte in Wien, wider die verpflichtete Partei E*****gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Prunbauer, Themmer & Toth Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 1.785.437,74 EUR sA, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der verpflichteten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 47 R 896/05w, 897/05t-20, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , GZ 63 E 1483/05v-13, bestätigt und der Beschluss desselben Gerichts vom , GZ 63 E 1483/05v-16, abgeändert wurde, den Beschluss

gefasst:

Spruch


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1.
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
2.
Der Antrag auf Aussetzung des Verfahrens bis zur rechtskräftigen Beendigung des Titelverfahrens wird abgewiesen.
3. Dagegen wird die (weitere) Zwangsvollstreckung von einer Sicherheitsleistung der betreibenden Partei von 2 Millionen EUR abhängig gemacht.

Text

Begründung:

Zu 1.: Das Gericht zweiter Instanz bestätigte u.a. die Vollstreckbarerklärung eines italienischen Mahnbescheids für Österreich und die Bewilligung der Hereinbringungsexekution auf Fahrnisse sowie durch Pfändung eines Gewerbes sowie der diesem zugrunde liegenden Konzession (Punkt I.1.). Außerdem wies es in Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung einen Aufschiebungsantrag der verpflichteten Partei „bis zur rechtskräftigen Erledigung ihres Rekurses gegen die Exekutionsbewilligung" ab (Punkt II.). Es sprach zu beiden Entscheidungsteilen aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Der gegen die genannten Punkte der zweitinstanzlichen Entscheidung gerichtete (teils außerordentliche) Revisionsrekurs der verpflichteten Partei ist teils nicht zulässig, teils jedenfalls unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

a) Wenn es auch zutrifft, dass der Oberste Gerichtshof bisher noch nicht zu entscheiden hatte, ob die Vollstreck[barerklär]ung eines italienischen Mahnbescheids (decreto ingiuntivo) gegen den ordre public verstößt (in concreto offen lassend 3 Ob 248/98m = SZ 73/74 = RdW 2001, 39 [zum LGVÜ]), ist dennoch im vorliegenden Fall eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 78 EO iVm § 528 Abs 1 ZPO nicht zu beantworten. Die bloße Tatsache, dass auf Grund einer nicht rechtskräftigen erstinstanzlichen Entscheidung bereits Befriedigungsexekution geführt werden kann, begründet für sich keinesfalls einen solchen Verstoß. Wie sich aus Art 34 EuGVVO ergibt, geht es dabei um die öffentliche Ordnung des betroffenen Vollstreckungsstaats (Burgstaller/Neumayr in Burgstaller, IZVR, Art 34 EuGVO Rz 9 mwN der ausländischen Rsp; Kropholler, Europäisches ZPR8 Art 34 Rz 5), demnach Österreichs. Zum ordre public gibt es eine Rsp des Obersten Gerichtshofs zu § 81 Z 3 (früher Abs 4) EO, auf die zurückgegriffen werden kann (G. Kodek in Czernich/Tiefenthaler/G. Kodek, Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht² Art 34 Rz 7). Demnach ist ein Verstoß gegen diesen nur dann zu bejahen, wenn die Anerkennung oder Vollstreckbarerklärung einer ausländischen Entscheidung mit der österreichischen Rechtsordnung völlig unvereinbar wäre (3 Ob 251/02m = SZ 2002/142 [zu einem deutschen Urkundenvorbehaltsurteil] mwN). Zudem müsste nach Art 34 Z 1 EuGVVO der Verstoß gegen die öffentliche Ordnung offensichtlich sein, was verdeutlicht, dass dieser Versagungsgrund nur in Ausnahmefällen geltend gemacht werden kann (Burgstaller/Neumayr aaO; G. Kodek aaO; Kropholler aaO Rz 6 Rz 3). Die verpflichtete Partei kann keine Gründe ins Treffen führen, aus denen eine solche Unvereinbarkeit der Vollstreckbarerklärung des vorliegenden decreto ingiuntivo mit der österreichischen Rechtsordnung ableitbar wäre. Dafür reicht es eben nicht aus, dass etwa nach innerstaatlichem Recht ein Wechselzahlungsauftrag nach § 371 Z 2 EO nur zur Exekution zur Sicherstellung, aber noch nicht zur Befriedigung berechtigt; ebenso wenig, dass schon die Beschaffenheit der (in § 379 Abs 3 EO taxativ aufgezählten) Sicherungsmittel die Vorwegnahme des Ergebnisses des Hauptverfahrens - und auch der Vollstreckung der Geldforderung - im Wege einer einstweiligen Verfügung verhindert (s dazu Sailer in Burgstaller/Deixler-Hübner, EO, § 378 Rz 20 mwN). Es gehört eben nicht nur wesentlich zum Inhalt der EuGVVO, dass nach dieser auch nicht rechtskräftige, aber (zumindest vorläufig) vollstreckbare Entscheidungen in einem anderen Mitgliedsstaat bereits für vollstreckbar zu erklären sind und damit vollstreckt werden können (3 Ob 145/03z; Burgstaller/Neumayr aaO Art 32 EuGVO Rz 10; G. Kodek aaO Art 38 Rz 5; Kropholler aaO Art 32 Rz 21 je mwN), auch die rein innerstaatliche Norm des § 79 EO (idF der EO-Nov 1995 iVm § 80 Z 3 EO) setzt nur die Vollstreckbarkeit, nicht die Rechtskraft einer Entscheidung im Erststaat voraus (Burgstaller/Höllwerth aaO § 79 Rz 3, § 80 Rz 34, 36 je mwN). Das gilt im Anwendungsbereich der EuGVVO unabhängig davon, wie solche Entscheidungen im Erststaat bezeichnet werden (Art 32 EuGVVO). Gerade zum Ausgleich für die Vollstreckbarkeit noch nicht rechtskräftiger ausländischer Entscheidungen werden (Art 38 EuGVÜ entsprechend: 3 Ob 209/05i) durch Art 46 EuGVVO Schutzmaßnahmen für den Verpflichteten (s dazu unten unter 2.) ermöglicht (G. Kodek aaO Art 46 Rz 1), um irreversible Folgen der Vollstreckung zu vermeiden (Burgstaller/Neumayr aaO Art 46 Rz 2; ähnlich Kropholler aaO Art 46 Rz 1). Eine parallele Regelung enthält innerstaatlich der Art 38 EuGVÜ nachgebildete § 84 Abs 5 EO (Burgstaller/Höllwerth aaO § 84 Rz 39). Aus diesem wie dargelegt auch im rein innerstaatlichen Recht der Vollstreckbarerklärung geltenden Regelungssystem folgt, dass die Vollstreckbarerklärung nicht rechtskräftiger ausländischer Entscheidungen welcher Instanz immer nicht gegen die österreichischen ordre public verstoßen kann. Besondere Gründe die - entgegen diesen allgemeinen Erwägungen - im Einzelfall einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung begründen könnten trägt die verpflichtete Partei nicht vor.

b) Der Revisionsrekurs gegen die Exekutionsbewilligung ist nach § 78 EO iVm § 528 Abs 2 Z 2 ZPO jedenfalls unzulässig, weil die Ausnahmeregelung nach § 84 Abs 4 EO nur auf abweisende Entscheidungen über den Exekutionsantrag auszudehnen ist, es bei bewilligenden Entscheidungen in zwei Instanzen aber bei der Unanfechtbarkeit wegen Vollbestätigung bleibt (3 Ob 205/04z; 3 Ob 76/05f).

c) Infolge Rechtskraft der Exekutionsbewilligung durch die bestätigende Entscheidung zweiter Instanz (s oben b) ist zugleich mit dem Aufschiebungsgrund auch die Beschwer der verpflichtenden Partei durch Abweisung ihres Aufschiebungsantrags ON 14 in zweiter Instanz weggefallen, begehrte sie doch damit die Aufschiebung der Exekution auf Grund - und folglich bis zur Erledigung - ihres Rekurses gegen die Exekutionsbewilligung. Dies machte den Revisionsrekurs insoweit von Anfang an unzulässig. Damit liegt aber auch kein Fall des § 50 Abs 2 ZPO vor.

Zu 2.: Die verpflichtete Partei ließ im Hinblick auf die stRsp des Obersten Gerichtshofs (RIS-Justiz RS0118738) die Abweisung der mit ihrem Rekurs verbundenen (jeweils hilfsweise gestellten) Anträge unbekämpft, die Entscheidung des Erstgerichts ON 1 dahin abzuändern, dass die Zwangsvollstreckung bis zur rechtskräftigen Beendigung des Titelverfahrens ausgesetzt und sie von einer Sicherheitsleistung der betreibenden Partei abhängig gemacht werde. Allerdings verband sie mit ihrem Revisionsrekurs wiederum dieselben Anträge (die Aussetzung nunmehr aber anders als in zweiter Instanz vor Sicherheitsleistung begehrt), und zwar ausdrücklich jeweils „in eventu", was nur so verstanden werden kann, dass sie nur für den Fall gestellt werden, dass der jeweils voranstehende Antrag (in erster Linie daher der Antrag des Revisionsrekurses) erfolglos bliebe.

Wie sich aus Art 46 Abs 1 EuGVVO unmissverständlich ergibt, geht es bei der danach möglichen Aussetzung um die des Vollstreckbarerklärungsverfahrens (so ausdrücklich § 84 Abs 5 EO;3 Ob 20/04v = EvBl 2004/179; 3 Ob 209/05i; ebenso § 84 Abs 5 erster Satz EO; Kodek aaO Art 46 Rz 8), speziell des Rechtsbehelfsverfahrens nach Art 43, 44 EuGVO (Burgstaller/Neumayr aaO Art 46 Rz 3), das jedoch mit der Zurückweisung des außerordentlichen Revisionsrekurses sein Ende findet, weshalb eine Aussetzung dieses Verfahrens danach schon begrifflich nicht in Betracht kommt, daher auch nicht im vorliegenden Fall. Einen solchen Antrag stellte die verpflichtete Partei auch nicht. Für die dagegen von der betreibenden Partei begehrte Aussetzung der Zwangsvollstreckung bietet weder Art 46 EuGVVO noch eine Bestimmung der EO eine Grundlage. Daher kann dem Antrag kein Erfolg beschieden sein.

Zu 3.: Anders als Art 46 Abs 1 EuGVVO ermöglicht es dessen Abs 3 (wie auch nach österreichischem Recht § 84 Abs 5 zweiter Satz EO) - unter den Voraussetzungen des Abs 1 (Burgstaller/Neumayr aaO Art 46 EuGVO Rz 3; G. Kodek aaO Art 46 Rz 13; Kropholler aaO Art 46 Rz 3) -, die Zwangsvollstreckung von einer Sicherheitsleistung abhängig zu machen, und zwar erst im Zuge der endgültigen Entscheidung über den Rechtsbehelf nach Art 43 oder 44 EuGVVO, also in zweiter oder dritter Instanz (3 Ob 209/05i mwN). Die Sicherheitsleistung nach Art 46 Abs 3 EuGVVO (bzw. § 84 Abs 5 zweiter Satz EO) soll die für den Schuldner mit der Zwangsvollstreckung eines ausländischen Titels, die auch Verwertungshandlungen umfasst, verbundene Gefahr ausgleichen, zumal die EuGVVO die Zwangsvollstreckung einerseits zur Hereinbringung auch noch nicht rechtskräftig festgestellter Forderungen (s oben 1.a) sowie andererseits noch vor Rechtskraft der Vollstreckbarerklärung (G. Kodek aaO Art 47 EuGVVO Rz 3; Kropholler aaO Art 47 Rz 7) zulässt. Die Sicherheitsleistung hat zweifellos auch den Zweck, den Verpflichteten vor dem Einbringlichkeits- und Insolvenzrisiko in Ansehung seines Gegners zu schützen und ihm eine gewisse Sicherheit bei einer langdauernden Prozessführung im Ursprungsstaat und einer allenfalls dadurch lang dauernden Unmöglichkeit, über gepfändete Vermögenswerte zu verfügen, zu bieten (3 Ob 209/05i). Dass die verpflichtete Partei im Ursprungsstaat Italien einen noch nicht erledigten „ordentlichen Rechtsbehelf" (Widerspruch) gegen das vorläufig vollstreckbare decreto ingiuntivo einlegte, ergibt sich aus der angefochtenen Entscheidung zweiter Instanz. Im Gegensatz zum zweitinstanzlichen Antrag enthält der nunmehr zu beurteilende eine nähere Begründung. Da nach Rechtskraft der Vollstreckbarerklärung die Einschränkung der Vollstreckung auf Sicherungsmaßnahmen nach Art 47 Abs 3 EuGVVO wegfällt, ist als bescheinigt anzusehen, dass der verpflichteten Partei ein nicht oder nur schwer zu ersetzender Vermögensnachteil droht. Das ist bei der bewilligten Fahrnisexekution nach innerstaatlichem österreichischen Recht offenkundig (Deixler-Hübner in Burgstaller/Deixler-Hübner, EO, § 44 Rz 3 mwN). Aber auch die Tatsache, dass sich die betreibende Partei in Zahlungsschwierigkeiten („Schwierigkeiten, ihren Verbindlichkeiten nachzukommen") befindet, ist durch die Vorlage einer Entscheidung des zuständigen italienischen Konkursgerichts vom (in ON 10) bescheinigt. Da auch nicht gesagt werden kann, der im Ursprungsstaat eingelegte Rechtsbehelf habe keine oder nur geringe Erfolgsaussichten, liegen nach Auffassung des erkennenden Senats die - nicht näher umschriebenen - Voraussetzungen des Art 46 Abs 3 EuGVVO vor. Im Hinblick auf die Verzinsung der betriebenen Forderung mit 4 % per anno und die zu erwartende Verfahrensdauer ist die Sicherheitsleistung mit 2 Mio. EUR festzusetzen. Der Nichterlag der aufgetragenen Sicherheitsleistung würde zum Unterbleiben weiterer Exekutions-, insbesondere von jeglichen Verwertungsmaßnahmen (Verkauf, Überweisung) führen, nur die Sicherungsvollstreckung iSd Art 47 Abs 3 EuGVVO bliebe weiter zulässig (3 Ob 209/05i). Bis zum Erlag haben solche Maßnahmen ab sofort zu unterbleiben (arg „abhängig machen").