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OGH vom 20.05.2014, 4Ob57/14g

OGH vom 20.05.2014, 4Ob57/14g

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Markenrechtssache der Antragstellerin B***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Müllner Dipl. Ing. Katschinka OG, Patentanwälte in Wien, und der Antragsgegnerin P***** A/S, *****, vertreten durch BLS Rechtsanwälte Boller Langhammer Schubert KG in Wien, wegen Widerspruchs gegen die angemeldete österreichische Marke Nr 258 295, über die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Rechtsmittelabteilung des Österreichischen Patentamts vom , GZ BM 21/2012 4, mit dem der Beschluss der Rechtsabteilung des Österreichischen Patentamts vom , GZ WM 5/2011 7, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Die Antragstellerin ist Inhaberin der österreichischen Marke Nr 258 795 IONIT, die mit Priorität vom für folgende Waren registriert wurde:

Klasse 1: Chemische Erzeugnisse für gewerbliche Zwecke; bauchemische Erzeugnisse; Klebstoffe für Bauzwecke;

Klasse 2: Farben;

Klasse 19: Baumaterialien (nicht aus Metall), Zement, Putze, Kalk, Mörtel, Gips und Kies;

Klasse 32: Biere; Mineralwässer und kohlensäurehaltige Wässer und andere alkoholfreie Getränke; Fruchtgetränke und Fruchtsäfte; Sirupe und andere Präparate für die Zubereitung von Getränken.

Weiters wurde mit Priorität vom eine Warenerweiterung für folgende Klassen eingetragen:

Klasse 3: Putz , Polier , Fettentfernungs und Schleifmittel; Seifen; Mittel zur Körper und Schönheitspflege, ausgenommen Zahnputzmittel; Haarwässer;

Klasse 4: Staubbenetzungs und Staub-bindemittel;

Klasse 5: Pharmazeutische und veterinär-medizinische Erzeugnisse, ausgenommen Zahnfüllmittel und Abdruckmassen für zahnärztliche Zwecke; Hygienepräparate für medizinische Zwecke; diätetische Erzeugnisse für medizinische Zwecke, Babykost; Pflaster, Verbandsmaterial; Desinfektionsmittel; Mittel zur Vertilgung von schädlichen Tieren; Fungizide, Herbizide;

Klasse 11: Koch , Kühl , Trocken , Lüftungs- und Wasserleitungsgeräte sowie sanitäre Anlagen;

Klasse 21: Geräte und Behälter für Haushalt und Küche; Putzzeug;

Klasse 37: Bauwesen.

Die Antragsgegnerin erhob gestützt auf ihre internationale Marke Nr 897032 IsoNit, die mit Priorität vom für folgende Waren Schutz in Österreich erlangte, Widerspruch gegen diese Markenregistrierung im Umfang der von der Antragstellerin beantragten Klassen 1 und 2:

Kl 1 Chemicals used in industry, science and photography, as well as in agriculture, horticulture and forestry; unprocessed artificial resins, unprocessed plastics; manures; fire extinguishing compositions; tempering and solderin preparations; chemical substances for preserving foodstuffs; tanning substances; adhesives used in industry.

Kl 2 Paints, varnishes, lacquers; preservatives against rust and against deterioration of wood; colorants; mordants; raw natural resins; metals in foil and powder form for painters, decorators, printers and artists.

Kl 17 Rubber, gutta percha, gum, asbestos, mica and goods made from these materials and not included in other classes; plastics in extruded form for use in manufacture; packing, stopping and insulating materials; flexible pipes, not of metal.

Die Rechtsabteilung des Österreichischen Patentamts gab dem Widerspruch statt. Die beanspruchten Waren der widerspruchsverfangenen Marke seien nahezu ident oder zumindest verwechslungsfähig ähnlich mit jenen der widersprechenden. Die Zeichen seien sowohl in schriftbildlicher als auch in klanglicher Hinsicht ähnlich. Keine der beiden Marken hätte in begrifflicher Hinsicht eine Bedeutung.

Die Rechtsmittelabteilung bestätigte mit Beschluss vom diese Entscheidung. Warenähnlichkeit oder Warenidentität stehe in diesem Verfahren außer Streit. Ein Vergleich der streitverfangenen Marken ergebe einen hohen Grad bildlicher Ähnlichkeit. Beide Marken hätten keine unmittelbare Bedeutung, weil der Durchschnittsverbraucher aber auch der Gewerbetreibende in der Hektik des täglichen Verkehrs bei Erwerb von Produkten wie Farben oder Klebstoffen nicht an ein elektronisch geladenes Atom oder eine Waffe aus einem Film, den er vielleicht gesehen habe, denke. Auch dem Wortbestandteil bei der Widerspruchsmarke „Iso“ werde keine besondere Bedeutung zugeordnet. Auch die klangliche Verwechslungsgefahr könne nicht ausgeschlossen werden, weil beide Marken zumindest am Anfang und in der Endsilbe übereinstimmten.

Der Beschluss wurde den Vertretern der Antragstellerin am zugestellt. Sie erhob, vertreten durch die bisher einschreitenden Patentanwälte, am Beschwerde an den Obersten Patent und Markensenat. Darin beantragte sie, den von der Antragsgegnerin erhobenen Widerspruch abzuweisen.

Die Antragsgegnerin beantragte in ihrer Revisionsrekursbeantwortung die Zurück bzw Abweisung der als Revisionsrekurs zu behandelnden Beschwerde.

Rechtliche Beurteilung

Die Beschwerde ist als Revisionsrekurs zu behandeln; dieser ist zulässig, aber nicht berechtigt.

1. Zur Zulässigkeit:

Über die Beschwerde hätte nach der Rechtslage vor der Patent und Markenrechtsnovelle 2014 der Oberste Patent und Markensenat zu entscheiden gehabt. Mit Inkrafttreten dieser Novelle am wurde diese Behörde aufgelöst. Statt dessen sind nun die ordentlichen Gerichte zuständig, wobei in Verfahren über die Begründung eines Immaterialgüterrechts die Rechtsmittelbeschränkungen des AußStrG anzuwenden sind.

Da der Oberste Patent und Markensenat im vorliegenden Fall in dritter Instanz tätig geworden wäre, ging die Zuständigkeit für das Beschwerdeverfahren nach § 176b Abs 1 Z 2 PatG 1970 auf den Obersten Gerichtshof über. Dabei gilt eine Beschwerde, die bis zum gegen eine Entscheidung der Rechtsmittelabteilung (gemeint offenkundig: rechtzeitig) erhoben wurde, nach § 176b Abs 5 Satz 3 PatG 1970 als rechtzeitig erhobener Revisionsrekurs. Ein solcher Fall liegt hier vor. Da kein Grund erkennbar ist, warum bei sonst identischem Verfahrensablauf eine vor dem Inkrafttreten der Novelle erhobene Beschwerde nur in engeren Grenzen zulässig sein sollte als ein danach erhobener Revisionsrekurs, wäre eine Verschiedenbehandlung sachlich nicht gerechtfertigt. Deswegen ist § 176b Abs 5 Satz 2 PatG 1970 auch auf eine noch vor Inkrafttreten der Novelle erhobene, aber nach § 176b Abs 5 Satz 3 PatG 1970 schon vom Obersten Gerichtshof zu erledigende Beschwerde anzuwenden. Über die Beschwerde der Antragstellerin ist daher jedenfalls in der Sache zu entscheiden; auf das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage kommt es nicht an (4 Ob 11/14t).

Die Antragstellerin war bei Erhebung der Beschwerde durch Patentanwälte vertreten. Dies entsprach dem zu diesem Zeitpunkt geltenden Recht, das für ein an den Obersten Patent und Markensenat gerichtetes Rechtsmittel keine Rechtsanwaltspflicht vorsah (§ 61 MSchG idF vor der Patent und Markenrechtsnovelle 2014). Im neuen Recht sind zwar mangels besonderer Regelung im Markenschutzgesetz gemäß § 6 Abs 1 und 2 AußStrG im Revisionsrekursverfahren nur Rechtsanwälte und Notare vertretungsbefugt. Das ist hier aber unerheblich, weil eine Rückwirkung von Verfahrensgesetzen auf Verfahrensschritte, die wie hier vor Inkrafttreten der Neuregelung gesetzt wurden, ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung nicht in Betracht kommt (4 Ob 11/14t mwN). Daher bleibt die von den Vertretern der Antragstellerin gesetzte Verfahrenshandlung (Beschwerde) wirksam; das Rechtsmittel ist ohne Durchführung eines Verbesserungsverfahrens zu erledigen.

2. Zur Sache:

Die von den Vorinstanzen angenommene Verwechslungsgefahr zwischen den beiden hier zu beurteilenden Marken „IONIT“ und „IsoNit“, die die Antragstellerin auch in ihrem Revisionsrekurs bestreitet, ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen. Ein geringer Grad der Gleichartigkeit der erfassten Waren oder Dienstleistungen kann durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken ausgeglichen werden und umgekehrt (RIS Justiz RS0121482, RS0121500). Für den Ähnlichkeitsvergleich sind die einzelnen Zeichenbestandteile nicht isoliert zu betrachten und dürfen nicht nur die nicht übereinstimmenden Zeichenteile zugrunde gelegt werden; vielmehr ist in jedem Einzelfall zu prüfen, welcher Einfluss auf den Gesamteindruck des Zeichens den einzelnen Markenteilen zukommt (RIS Justiz RS0066753, RS0117324). Ob die eine Marke der Marke des Konkurrenten in Bild, Klang oder Bedeutung ähnlich ist, richtet sich daher nach dem Gesamteindruck, den die Marken hervorrufen. Dabei sind die sie unterscheidenden und dominierenden Elemente zu berücksichtigen (4 Ob 124/06y). Der Wortsinn ist nur eines der Elemente, die bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr zu berücksichtigen sind. Verwechslungsgefahr ist nach der Rechtsprechung im Allgemeinen schon dann anzunehmen, wenn sie bei einem der drei Ähnlichkeitskriterien (Wortbild, Wortklang, Wortsinn) gegeben ist (RIS Justiz RS0066753 [T7]). Jedenfalls ist es nicht erforderlich, dass die Verwechslungsgefahr in allen drei Aspekten besteht. Bestimmte Unterschiede in einem dieser Aspekte in dem beim Verbraucher hervorgerufenen Gesamteindruck können durch in anderen Aspekten bestehende Ähnlichkeiten neutralisiert werden. Andererseits kann die Ähnlichkeit in einem Merkmal durch Abweichungen bei anderen Merkmalen ausgeglichen werden, sofern diese Abweichungen vom Verkehr sofort erfasst werden ( Schumacher in Kucsko , marken.schutz², § 10 Rz 141 mwN zur Rsp). Verbindet der Verbraucher nur eine abstrakte Bedeutung mit einem Wort, das im Zusammenhang mit den mit den Marken gekennzeichneten Produkten keine Assoziationen hervorruft, die die Erinnerung an das Zeichen ausgehend von der Bedeutung des einzelnen enthaltenen Worts erleichtern, ist dies zur Neutralisierung anderer Ähnlichkeiten nicht geeignet. Sind die visuellen und klanglichen Ähnlichkeiten der beiden Zeichen für die maßgeblichen Verkehrskreise sehr ausgeprägt, läuft der begriffliche Unterschied Gefahr, ihrer Aufmerksamkeit zu entgehen ( Schumacher aaO Rz 151, 153; EuG , T 353/02 INTEA INTESA; C 22/10P Clina Clinair; Quantum Quantième).

Entscheidend ist die Wirkung auf einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher der betreffenden Waren oder Dienstleistungsart, der die Marke regelmäßig als Ganzes wahrnimmt und nicht auf die Einzelheiten achtet (RIS Justiz RS0117324). Gehören zu den angesprochenen Kreisen sowohl Fachleute als auch Endverbraucher, genügt es, wenn Verwechslungsgefahr nur für einen dieser Verkehrskreise besteht (4 Ob 7/12a).

Die Zeichenbestandteile „ION“ und „Iso“ haben jeweils einen eigenen und unterschiedlichen Wortsinn. ION bezeichnet ein elektrisch geladenes Atom und Iso eine griechische Vorsilbe (gleich). Diese Worte rufen aber im Zusammenhang mit den hier zu beurteilenden chemischen Erzeugnissen für gewerbliche Zwecke, bauchemischen Erzeugnissen, Klebstoffen für Bauzwecke und Farben lediglich sehr vage Assoziationen hervor, die die Erinnerung an die jeweiligen Zeichen wohl kaum wesentlich stützen können. Im Hinblick auf die zwischen den beiden zu beurteilenden Marken auffallende hochgradige bildliche und klangliche Ähnlichkeit ist der beschriebene unterschiedliche Wortsinn im Sinn der vorangestellten Grundsätze der Rechtsprechung nicht geeignet die Ähnlichkeiten zu neutralisieren.

Die klangliche Ähnlichkeit der Marken ergibt sich aus der Verwendung des Buchstabens I am Beginn, des O in der Mitte und der gleichen Silbe NIT am Ende der Wortmarken. Das bloße Zwischenschieben eines Zischlauts im hier zu beurteilenden Fall ist nicht geeignet, den Gesamteindruck wesentlich zu verändern. Der begriffliche Unterschied von „ION“ und „Iso“ ist zu abstrakt und zu gering, um die Aufmerksamkeit des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers auf sich zu ziehen. Beim Erwerb von Farben oder Klebstoffen wird der Durchschnittsverbraucher ebenso wie bei chemischen Erzeugnissen für gewerbliche Zwecke oder bauchemischen Erzeugnissen keine bleibenden Assoziationen mit den Begriffsinhalten von ION oder Iso haben.

Dem Revisionsrekurs musste daher ein Erfolg versagt bleiben.

Da beide Parteien im Widerspruchsverfahren ihre Kosten selbst zu tragen haben, hat auch die mit ihrem Widerspruch erfolgreiche Antragsgegnerin die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2014:0040OB00057.14G.0520.000