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OGH vom 30.10.1989, 6Ob688/89

OGH vom 30.10.1989, 6Ob688/89

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr.Melber, Dr. Schlosser und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Regina U***, Verkäuferin, Eduard Nittner-Straße 8, 4063 Hörsching, vertreten durch Dr. Bernhard Humer, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei Tibor F***, derzeit Strafvollzugsanstalt Stein, vertreten durch Dr. Michael Stern, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 655.000 s.A. (Streitinteresse S 650.000) infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom , GZ 3 R 87/89-20, womit das Urteil des Landesgerichtes Linz vom , GZ 9 Cg 177/87-12, unter Rechtskraftvorbehalt aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Prozeßkosten.

Text

Begründung:

Das Geschwornengericht beim Landesgericht Linz erkannte den Beklagten mit Urteil vom , 22 Vr 659/86-288, des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB, des Vergehens der Zuhälterei nach § 216 Abs 2 erster, dritter und vierter Fall StGB sowie des Vergehens nach § 36 Abs 1 Z 1 WaffenG schuldig; der Beklagte habe - unter anderem - zum Teil im bewußten und gewollten Zusammenwirken mit der gesondert verfolgten Eva F*** die Klägerin von Ende September 1984 bis mit dem Vorsatz ausgenützt, sich aus der gewerbsmäßigen Unzucht der Klägerin eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, ihr dabei auch die Bedingungen der Ausübung der Unzucht vorgeschrieben und sie ab September 1985 ausgebeutet. Die Klägerin begehrte zuletzt die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von S 655.000 s.A., und zwar S 600.000 in Rückforderung des ihr vom Beklagten abgenommenen Schandlohnes, S 30.000 als Schmerzengeld, S 5.000 an Verunstaltungsentschädigung und S 20.000 als Ersatz für den Beklagten getätigter Aufwendungen. Hiezu brachte sie vor, der Beklagte habe sie im Herbst 1984 der Prostitution zugeführt und ihr in der Folge den vereinnahmten Schandlohn von insgesamt zumindest S 600.000 abgenommen, welchen sie angesichts seiner Verurteilung wegen Zuhälterei zurückfordere. Er habe ihr ferner im November 1985 einen Sehnenriß im linken kleinen Finger, kurz vor Weihnachten 1985 einen Nasenbeinbruch und außerdem einmal durch den Stoß gegen eine Tischkante eine Rißquetschwunde am Kopf zugefügt. Infolge dieser Verletzungen sei sie auch verunstaltet. Der Beklagte habe überdies in Linz den "Bunny-Club" betrieben, die Klägerin jedoch als Lokalinhaberin vorgeschoben. In den letzten Monaten vor der Schließung des Lokales sei der Beklagte für Mietzins, Strom- und Telefonkosten sowie Getränkesteuer nicht mehr aufgekommen, weshalb die Klägerin für ihn insgesamt S 20.000 habe auslegen müssen.

Der Beklagte wendete insbesondere ein, er habe der Klägerin den "Bunny-Club" auf ihren Wunsch überlassen. Sie habe verlangt, daß er sie (und andere Prostituierte) beschütze, wofür sie freiwillig Entgelt geleistet habe. Dabei habe es sich um Leistungen zu unerlaubtem Zweck gehandelt, so daß sie den Schandlohn von ihm nicht zurückverlangen könne. Er bestreite, der Klägerin Verletzungen zugefügt zu haben; sie habe sich die Verletzungen vielmehr bei "masochistischer" Ausübung der Prostitution zugezogen. Diese Ansprüche seien außerdem verjährt.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit S 650.000 s.A. statt; lediglich das Mehrbegehren auf Verunstaltungsentschädigung von S 5.000 wies es ab.

Das Berufungsgericht hob infolge Berufung des Beklagten das erstinstanzliche Urteil auf, verwies die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurück und ordnete einen Rechtskraftvorbehalt an. Es führte - soweit zur Erledigung der Revision überhaupt bedeutsam - aus, der Beklagte rüge als Verfahrensmangel, daß das Erstgericht seine Vernehmung als Partei zu Unrecht nicht durchgeführt habe. Die Mängelrüge erweise sich als berechtigt. Die Parteienvernehmung habe sich grundsätzlich auf beide Parteien zu erstrecken. § 374 ZPO dürfe nicht entnommen werden, daß nur die beweispflichtige Partei zu vernehmen sei. Diese Ausnahmeregelung ermögliche es dem Gericht bloß, wenigstens eine Partei allein einzuvernehmen, wenn die andere gemäß § 372 ZPO nicht vernommen werden dürfe. Nach § 381 ZPO könne unter anderem das Erscheinen der Partei nicht erzwungen werden. Das Gesetz lasse das Nichterscheinen durch den Richter ebenso frei würdigen wie Widersprüche zwischen beeideter und unbeeideter Aussage derselben Partei. Nach der Rechtsprechung lasse § 381 ZPO keinen Zweifel offen, daß die Beweiswürdigung nach dieser Gesetzesstelle nur dann einzutreten habe, wenn die zu vernehmende Partei vor Gericht nicht erscheinen wolle. Der Beklagte habe erstmals in der Klagebeantwortung die Parteienvernehmung beantragt. Diese sei vom Erstgericht mit Beweisbeschluß vom zugelassen worden. Mit in der Verhandlungstagsatzung vom vorgetragenem Schriftsatz habe der Beklagte zu den einzelnen Teilansprüchen umfangreiches Sachvorbringen erstattet und sich im wesentlichen nur auf Parteienvernehmung berufen. Die Streitteile seien vom Erstgericht erstmals zur Verhandlungstagsatzung vom mit ZPForm 44) zur Parteienvernehmung geladen worden und dort auch erschienen. Das Erstgericht habe im Protokoll dazu festgehalten, der Beklagte befinde sich offenbar in schlechtem Gesundheitszustand, weshalb von seiner Parteienvernehmung Abstand genommen werde und die Vernehmung beider Parteien der nächsten Verhandlungstagsatzung vorbehalten bleibe. Zur Verhandlungstagsatzung vom seien die Streitteile abermals mit ZPForm 44 zur Parteienvernehmung geladen worden. Der Beklagte sei der Verhandlungstagsatzung ferngeblieben. Das Erstgericht habe im Protokoll hiezu vermerkt, eine Rückfrage bei der Strafvollzugsanstalt Stein ergebe, daß der Beklagte für seine Vorführung nicht Sorge getragen habe, weil er der Meinung gewesen sei, es genüge, daß sein Vertreter einschreite, und er infolge der Vorführung größere Unkosten befürchtet habe. Der Auskunft erteilende Beamte der Anstalt bestätige, daß der Strafgefangene bei einem Zivilprozeß mit dem öffentlichen Gefangenenbus ohne Vorführbefehl nicht vorgeführt werde, wie dies die Verhandlungsrichterin angenommen habe. Zur Verhandlungstagsatzung vom sei der Beklagte neuerlich mit ZPForm 44 zur Parteienvernehmung geladen worden. Dessen Fernbleiben habe sein Vertreter dort damit entschuldigt, ihm habe dessen Vater tags zuvor mitgeteilt, daß der Beklagte vor einer Überstellung in das landesgerichtliche Gefangenenhaus Linz Angst habe. Der Anstaltspsychologe in Stein, Dr. S***, den er deshalb konsultiert habe, habe auch tatsächlich im Hinblick auf den Gesundheitszustand des Beklagten von einer Überstellung abgeraten, weil für den Fall der Überstellung erhöhte Selbstmordgefahr bestanden habe. Der Beklagtenvertreter habe deshalb für den Fall, daß dem bereits vorher gestellten Unterbrechungsantrag nicht stattgegeben werde, die Erstreckung der Verhandlungstagsatzung bis zur Besserung des Gesundheitszustandes des Beklagten und ferner die Druchführung der Vernehmung des Beklagten als Partei durch das zuständige Bezirksgericht Krems an der Donau im Rechtshilfeweg beantragt.

Daraus folge, daß das Erstgericht eine Sachentscheidung zu Unrecht ohne Vernehmung des Beklagten als Partei getroffen habe. Den Erwägungen des Erstgerichtes zur Beweiswürdigung sei zu entnehmen, daß es das Verhalten des Beklagten § 381 ZPO unterstelle und nicht schon unabhängig davon allein aufgrund der übrigen Beweisergebnisse den festgestellten Sachverhalt als erwiesen angenommen habe. So habe das Erstgericht dargelegt, aus dem Verhalten des Beklagten könne nur der Schluß gezogen werden, daß es bloß der Verfahrensverzögerung hätte dienen sollen und er dem Klagebegehren in Wahrheit nichts entgegenzusetzen gehabt hätte. Demgegenüber könne aber nicht davon ausgegangen werden, daß der Beklagte "ohne genügende Gründe" im Sinne des § 381 ZPO der Parteienvernehmung ferngeblieben sei. Die Gründe für sein Ausbleiben von der Verhandlungstagsatzung vom bedürften keiner weiteren Prüfung, weil der Beklagte ohnehin zur Verhandlungstagsatzung vom zwecks Parteienvernehmung geladen worden sei. Die Beurteilung der Gründe, weshalb der Beklagte am ausgeblieben sei, sei dagegen mit einem entscheidungswesentlichen Verfahrensmangel behaftet. Da der Beklagte zu seiner Entschuldigung erhöhte Selbstmordgefahr bei Überstellung nach Linz angegeben und zur Bescheinigung dieser Behauptung die Vernehmung des Anstaltspsychologen angeboten habe, hätte dieses Vorbringen nicht ohne weiteres Verfahren übergangen werden dürfen. Dabei wäre eine förmliche Vernehmung der Auskunftsperson unter Umständen entbehrlich gewesen, weil Entschuldigungsgründe auch im Wege amtswegiger Erhebungen geprüft werden könnten. Erst nach Überprüfung der Entschuldigung hätte das Erstgericht entscheiden dürfen, ob der Beklagte neuerlich zur Parteienvernehmung vor das erkennende Gericht oder das zuständige Rechtshilfegericht zu laden oder nach § 381 ZPO vorzugehen sein werde. Das Verfahren erster Instanz leide an wesentlichen Mängeln, die eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Streitsache hinderten.

Rechtliche Beurteilung

Der von der Klägerin gegen den berufungsgerichtlichen Aufhebungsbeschluß erhobene Rekurs ist nicht berechtigt. Die Klägerin beschränkt sich darin auf Ausführungen, das Erstgericht habe von der Vernehmung des Beklagten mit Recht Abstand nehmen dürfen, so daß der vom Gericht zweiter Instanz angenommene Verfahrensmangel zu verneinen sei. Wenngleich die Klägerin als Anfechtungsgrund im Rekurs unrichtige rechtliche Beurteilung der Sache geltend macht, kann es doch nicht zweifelhaft sein, daß sie damit dem Berufungsgericht in Wahrheit nur Vestöße gegen Vorschriften über die Parteienvernehmung - und damit gegen Prozeßvorschriften - zur Last legt. Da aber - wie im vorliegenden Fall - die behauptete Verletzung von Prozeßvorschriften, soweit dieser Verstoß die Ergänzung der Verhandlung erster Instanz nach sich zieht, die erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Streitsache nicht nur nicht zu hindern geeignet ist (§ 503 Abs 1 Z 2 ZPO), sondern im Gegenteil eine Verbreiterung der Entscheidungsgrundlagen zur Folge hat, kann ein solcher Verstoß keinem der Revisionsgründe - und damit auch nicht dem der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens - unterstellt werden. Dennoch kann der Klägerin die Anfechtung des berufungsgerichtlichen Beschlusses aus den von ihr ins Treffen geführten Beschwerdepunkten nicht schon deshalb verwehrt werden. Hebt das Berufungsgericht das Urteil des Erstgerichtes infolge eines zu Unrecht erkannten Verfahrensverstoßes auf und trägt es dem Erstgericht deshalb die Ergänzung der Verhandlung und die neuerliche Entscheidung auf, so kann die verfahrensrechtliche Ansicht des Berufungsgerichtes - den Rechtskraftvorbehalt vorausgesetzt - auch dann mit Erfolgt gerügt werden, wenn mit der unrichtigen Anwendung der Verfahrensvorschriften durch das Gericht zweiter Instanz keine Verletzung der Stoffsammlungspflicht verbunden wäre, weil die Rekursgründe nicht erschöpfend aufgezählt sind und das Verfahren durch die Aufhebung und Rückverweisung aus solchen Gründen gesetzwidrig verlängert wird (vgl Fasching, Zivilprozeßrecht, Rz 1733 zu dem insoweit vergleichbaren Verstoß gegen das Neuerungsverbot; vgl auch Art 6 Abs 1 MRK, soweit sich dieser gegen die überlange Prozeßdauer wendet). Damit ist aber für den Standpunkt der Klägerin nichts gewonnen.

Soweit sie unterstellt, das Erstgericht habe den streiterheblichen Sachverhalt schon aufgrund der vorhandenen Beweisergebnisse für genügend geklärt halten dürfen, übersieht sie, daß sich das Beweismittel der Parteienvernehmung - schon aus dem Gesichtspunkt des beiderseitigen Gehörs - auf die Vernehmung der Parteien (§ 371 ZPO) erstreckt und - wie das Berufungsgericht zutreffend hervorgehoben hat - deshalb grundsätzlich beide Parteien zu vernehmen sind. Die Vernehmung bloß einer Partei ist nur als Säumnisfolge nach § 380 Abs 2 ZPO zulässig (EvBl 1975/223). Die Ausnahmeregelung des § 374 ZPO schränkt diesen Grundsatz keineswegs ein. Vor allem kann der Vorschrift nicht entnommen werden, daß etwa nur die beweispflichtige Partei zu vernehmen sei (Fasching Komm III 523). Dafür, daß die Vernehmung des Beklagten als Partei gemäß § 372 ZPO unstatthaft wäre, bieten die Verfahrensergebnisse keinen Anhaltspunkt.

Soweit die Klägerin ins Treffen führt, der Beklagte habe sich schon für das Fernbleiben von der Verhandlungstagsatzung vom nicht ausreichend entschuldigt, genügt der Hinweis darauf, daß das Erstgericht die mündliche Streitverhandlung bei dieser Tagsatzung erstreckt und für die Verhandlungstagsatzung vom beide Parteien neuerlich mit ZPForm 44 unter - wenngleich kursorischer - Bekanntgabe des Vernehmungsgegenstandes geladen hat. Die Beurteilung der Frage, ob der Beklagte ohne zureichende Gründe dort zur Parteienvernehmung nicht erschienen ist, was allein das Erstgericht zur Beweiswürdigung im Sinne des § 381 ZPO berechtigt hätte, hat sich deshalb ausschließlich auf die Umstände zu beschränken, die für sein Fernbleiben von der Verhandlungstagsatzung maßgebend waren.

Zutreffend bemerkte das Berufungsgericht, § 381 ZPO lasse (arg. "ohne zureichende Gründe") keinen Zweifel daran, daß die Beweiswürdigung nur dann nach dieser Gesetzesstelle vorzunehmen ist, wenn die zu vernehmende Partei vor Gericht nicht erscheinen will (RZ 1961, 183 mwN). Der Beklagtenvertreter hat das Ausbleiben des Beklagten von der Verhandlungstagsatzung vom damit entschuldigt, dieser sei bei Überstellung an das landesgerichtliche Gefangenenhaus Linz infolge seines Gesundheitszustandes erhöhter Selbstmordgefahr ausgesetzt, weshalb der Psychologe der Strafvollzugsanstalt Stein von einer solchen Überstellung abgeraten habe. Zum Beweis des Vorbringens berief sich der Beklagtenvertreter auf die Vernehmung des Anstaltspsychologen. Die Gefahr derart weitreichender Folgen für den Beklagten wäre gewiß ein zureichender Grund gewesen, von der Beweiswürdigung im Sinne des § 381 ZPO Abstand zu nehmen, hätten sich die Behauptungen des Beklagten in diesem Zusammenhang bewahrheiten lassen. Zu deren Überprüfung hätten amtswegige Erhebungen ohne förmliche Beweisaufnahme genügt. Das Erstgericht hat aber auch davon abgesehen, weil es das Verhalten des Beklagten schon an sich als Prozeßverschleppungsversuch gedeutet hat. Das erstinstanzliche Verfahren ist deshalb mangelhaft geblieben, weil das Gericht den Beklagten von der Parteienvernehmung ausgeschlossen hatte, ohne daß es ausreichende Erhebungen darüber gepflogen hätte, ob die Voraussetzungen hiefür vorlagen. Das Berufungsgericht hat das erstgerichtliche Verfahren somit zu Recht für ergänzungsbedürftig gehalten, weshalb dem Rekurs der Klägerin ein Erfolg zu versagen war.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 51 ZPO.