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OGH vom 06.04.2016, 7Ob46/16i

OGH vom 06.04.2016, 7Ob46/16i

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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P***** G*****, vertreten durch Eisenberger Herzog Rechtsanwalts GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei A*****, vertreten durch Dr. Peter Schaden und Mag. Werner Thurner, Rechtsanwälte in Graz, wegen 50.000 EUR sA und Feststellung, über die außerordentlichen Revisionen der klagenden und beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom , GZ 3 R 204/15t 36, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentlichen Revisionen werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

I Zur außerordentlichen Revision der Beklagten:

1. Die geltend gemachten Verfahrensmängel liegen nicht vor:

1.1 Richtig ist, dass Zeugen im Verfahren mündlich zu vernehmen, schriftliche Zeugenaussagen dem österreichischen Recht hingegen fremd sind. Schriftliche Zeugenaussagen laufen sowohl dem Grundsatz der Unmittelbarkeit als auch dem Gebot der Mündlichkeit zuwider und sind somit als Beweismittel unzulässig (RIS Justiz RS0036711). Soweit der Brief des Hausarztes des Klägers über dessen Wahrnehmung hinsichtlich der Behandlungen des Klägers und Verordnungen an diesen hinausgehend die Einschätzung enthält, die Verzögerung der Behandlung habe den Heilungsverlauf nicht verschlechtert, handelt es sich nicht um eine unzulässige schriftliche Zeugenaussage, sondern um ein Privatgutachten.

1.2 Entgegen der Ansicht der Beklagten wurde die Frage, ob durch die Behandlungsverzögerung der Heilungsverlauf beeinträchtigt wurde, auch nicht von den Vorinstanzen „aus Eigenem“ beurteilt, sondern gründet die getroffene Feststellung auf besagtem Privatgutachten.

1.3 Angebliche Mängel des Verfahrens erster Instanz, die vom Berufungsgericht nicht als solche erkannt worden sind, können nicht nach § 503 Z 2 ZPO geltend gemacht werden (RIS Justiz RS0042963). Dieser Grundsatz kann auch nicht durch die Behauptung, das Berufungsverfahren sei weil das Berufungsgericht der Mängelrüge infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung nicht gefolgt sei mangelhaft geblieben, umgangen werden (RIS Justiz RS0042963 [T55, T 58]).

So verneinte das Berufungsgericht die Mangelhaftigkeit des erstgerichtlichen Verfahrens wegen Unterbleibens der von der Beklagten beantragten Einvernahme des Hausarztes des Klägers bereits unter Hinweis darauf, dass ein von den Parteien gestellter Beweisantrag die Tatsachen, die bewiesen werden sollen, also das Beweisthema, im Einzelnen genau zu bezeichnen hat (RIS Justiz RS0039882). Die Frage, ob die Einvernahme des Hausarztes trotz Berufung auf die ärztliche Verschwiegenheitspflicht zumindest zu einzelnen nicht dem Berufsgeheimnis unterliegenden Fragen durchgeführt hätte werden müssen, stellt sich demnach nicht. Auch die gerügte auf die ausschließliche Verwertung des Privatgutachtens gegründete Mangelhaftigkeit des erstgerichtlichen Verfahrens wurde vom Berufungsgericht nicht revisibel verneint.

2. Eine Aktenwidrigkeit ist nur dann gegeben, wenn Feststellungen auf aktenwidriger Grundlage getroffen werden, das heißt, wenn der Inhalt der Urkunde eines Protokolls oder eines sonstigen Aktenstücks unrichtig wiedergegeben und infolge dessen ein fehlerhaftes Sachverhaltsbild der rechtlichen Beurteilung unterzogen wird (RIS Justiz RS0043347 [T9]). Dies trifft hier nicht zu. Die Vorinstanzen bezogen sich auf den Arztbrief, der die gerügte Aussage enthält.

3. Wenn der Arzt erkennt, dass bestimmte ärztliche Maßnahmen erforderlich sind, dann hat er den Patienten auf deren Notwendigkeit und die Risiken ihrer Unterlassung hinzuweisen (RIS Justiz RS0038176 [T9]). Auch nach Versorgung einer Verletzung muss der Arzt den Patienten über die nachteiligen Folgen einer Nichtbefolgung der therapeutischen Anweisungen aufklären (vgl RIS Justiz RS0026578 [T2]). Ärzte sind daher je nach den Umständen des Einzelfalls verpflichtet, den Patienten über das richtige Verhalten nach der Behandlung aufzuklären. Der Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht ist eine Frage des Einzelfalls (RIS Justiz RS0026529) und als solche abgesehen von auffälligen Fehlbeurteilungen nicht revisibel.

Es steht fest, dass es aus medizinischer Sicht bei der Abschlussbesprechung vorhersehbar war, dass der Kläger bei Aufnahme seines Berufs als Aufzugsmonteur mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Reluxation der Schulter erleiden würde und dies lediglich dadurch hätte verhindert werden können, wenn er nur „Schonarbeit“ verrichtet oder den Beruf gewechselt hätte. Darüber wurde der Kläger aber nicht aufgeklärt, insbesondere nicht darüber, dass er keine schweren Lasten heben durfte. Vielmehr waren die Ärzte damit einverstanden, dass er seine Tätigkeit in einem „Arbeitsversuch“ beginnen und nur bei Problemen nachträglich mit dem Arbeitgeber „Schonarbeit“ vereinbart werden sollte. Sie begegneten der im Zusammenhang mit dem Anheben von Lasten ausdrücklich vom Kläger im Hinblick auf seine fehlende Kraft geäußerten Sorge damit, dass mit der Arbeit die Kraft schon kommen würde. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass der erfolgte Hinweis bloß auf eine notwendige Schonung bei Arbeiten über Kopfhöhe, nicht ausreichend gewesen und den Ärzten der Beklagten eine Aufklärungspflichtverletzung, dem Kläger aber kein Mitverschulden anzulasten sei, ist nicht zu beanstanden.

II. Zur Revision des Klägers:

Bei der Bemessung des Schmerzengeldes ist jede Verletzung in ihrer Gesamtauswirkung nach den besonderen Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu betrachten und auf dieser Basis eine Bemessung vorzunehmen (RIS Justiz RS0125618 [T1]). Es ist zwar zur Vermeidung einer völligen Ungleichmäßigkeit der Rechtsprechung auch ein objektiver Maßstab anzulegen (RIS Justiz RS0031075), doch ist beim Vergleich mit anderen Fällen zu beachten, dass kaum je ein identer Sachverhalt vorliegt. Ausgehend von diesen Grundsätzen vermag die Revision des Klägers im vorliegenden Fall keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbemessung aufzuzeigen, die völlig aus dem Rahmen der Rechtsprechung fällt und eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 2 ZPO aufwerfen würde (RIS Justiz RS0031075 [T7]; RS0042887 [insb T 5, T 6]), auch wenn man die vom Revisionswerber dargestellten Entscheidungen berücksichtigt. So hat nämlich der Oberste Gerichtshof etwa einem Verletzten, der 12 Tage starke, 49 Tage mittlere und 133 Tage leichte Schmerzen erlitten hatte, im Jahr 2004 etwa 36.000 EUR zugesprochen, auch dieser hatte eine Minderung der Erwerbsfähigkeit erlitten und musste seine bevorzugten Sportarten aufgeben (2 Ob 261/04b). Einer Klägerin, die bis dahin 21 Tage starke, 70 Tage mittlere und 147 Tage leichte Schmerzen erlitten hatte, sprach der Oberste Gerichtshof 45.000 EUR als vertretbar zu (2 Ob 113/09w). Jüngst merkte der Oberste Gerichtshof allgemein an, dass ein Zuspruch von 45.000 EUR regelmäßig bei schweren Brüchen und damit einhergehenden weiteren Verletzungen oder Schädelhirntrauma erfolge (2 Ob 108/15v). Der Schmerzengeldzuspruch an den Kläger von 41.000 EUR hält sich demnach im Rahmen der Rechtsprechung.

III. Die Revisionen waren daher zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2016:0070OB00046.16I.0406.000

Fundstelle(n):
DAAAD-61013

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