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OGH vom 30.06.2010, 3Ob47/10y

OGH vom 30.06.2010, 3Ob47/10y

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie die Hofräte und Hofrätinnen Hon. Prof. Dr. Sailer, Dr. Lovrek, Dr. Jensik und Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Anke Reisch, Rechtsanwältin in Kitzbühel, gegen die beklagten Parteien 1. H***** S 2. P***** S 3. S***** KG und 4. D***** S*****, alle *****, alle vertreten durch Waldbauer, Paumgarten, Naschberger Partner, Rechtsanwälte in Kufstein, wegen Räumung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom , GZ 1 R 272/09w 35, womit das Urteil des Bezirksgerichts Kitzbühel vom , GZ 1 C 14/07t 33, in der Hauptsache bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Rechtssache an das Berufungsgericht zur neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung:

Die Klägerin ist Eigentümerin einer Liegenschaft, auf der ein aus einem Alttrakt (Bauernhaus) und einem Neubautrakt bestehendes Wohngebäude errichtet ist. Die Rechtsvorgängerin der Klägerin schloss mit dem Erst und dem Zweitbeklagten einen mit beginnenden Mietvertrag. Der Erstbeklagte übte schon vor Abschluss des Mietvertrags das Hausbesorgergewerbe aus, das mittlerweile zusammen mit der Viertbeklagten (Ehegattin des Erstbeklagten) in der Form einer KG (Drittbeklagte) betrieben wird. Der Zweitbeklagte ist der Sohn des Erst und der Viertbeklagten.

Am kündigte die Klägerin zu AZ 6 C 166/07g des Erstgerichts den nunmehr vier Beklagten das Bestandsverhältnis auf, wobei sie neben zahlreichen anderen Gründen auch geltend machte, dass dem Zweitbeklagten das dringende Wohnbedürfnis fehle. Diese Aufkündigung hob das Erstgericht mit Urteil vom auf und wies das Räumungsbegehren ab. Diese Entscheidung erwuchs in Rechtskraft.

Bereits vor diesem Verfahren hatte die Klägerin am gegen alle vier Beklagten zu AZ 1 C 14/07t des Erstgerichts Räumungsklage erhoben, ua ebenfalls mit der Behauptung, der Zweitbeklagte wohne nicht mehr im Mietgegenstand. Diese Klage wies das Erstgericht mit Urteil vom ab; der von der Klägerin dagegen erhobenen Berufung wurde nicht Folge gegeben (Urteil des Berufungsgerichts vom ).

Bereits am hatte die Klägerin zu AZ 1 C 11/08b des Erstgerichts die Wiederaufnahme des Verfahrens 1 C 14/07t beantragt. Sie brachte vor, ihr sei erst jetzt bekannt geworden, wo der Zweitbeklagte wohne. Hiezu stehe ihr auch ein neues Beweismittel (Zeuge) zur Verfügung.

Zunächst wies das Erstgericht die Wiederaufnahmsklage im Vorprüfungsverfahren zurück (Beschluss vom ). Dem Rekurs der Klägerin gegen diesen Beschluss gab das Rekursgericht am Folge, hob den Beschluss ersatzlos auf und trug dem Erstgericht die Fortsetzung des Wiederaufnahmsverfahrens auf.

In der Tagsatzung vom verkündete das Erstgericht den Beschluss, die Wiederaufnahme des Verfahrens zu 1 C 14/07t zu bewilligen. Die anwesenden Parteien verzichteten auf Beschlussausfertigung und Rechtsmittel. Das in diesem Verfahren vom Erstgericht daraufhin gefällte, über das Räumungsbegehren erneut abweislich erkennende Urteil vom hob das Berufungsgericht mit Beschluss vom als nichtig auf. Das Erstgericht berichtigte daraufhin mit Beschluss vom den seinerzeit in der Tagsatzung vom verkündeten Beschluss dahin, dass er als Urteil zu bezeichnen ist, und hob darüber hinaus mit Ergänzungsurteil das erstgerichtliche Urteil vom infolge bewilligter Wiederaufnahme auf.

Im daraufhin wieder aufgenommenen Verfahren zu 1 C 14/07t wies das Erstgericht das Räumungsbegehren der Klägerin neuerlich ab. Es verwies zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen im ursprünglichen Ersturteil vom und im Berufungsurteil vom . An der Sachverhaltsgrundlage habe sich nichts Entscheidendes geändert. Den Beklagten sei weder ein nachteiliger Gebrauch des Mietobjekts noch unleidliches Verhalten anzulasten.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin (in der Hauptsache) nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil das Berufungsgericht der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs gefolgt sei. Die Klägerin habe ihre Klage lediglich auf diverse Kündigungsgründe des § 30 Abs 2 MRG gestützt, diese Tatbestände seien im Rahmen einer Räumungsklage nach § 1118 ABGB aber nicht zu prüfen. Die Frage eines mangelnden Wohnbedürfnisses des Zweitbeklagten sei daher nicht relevant; daran könne auch die bewilligte Wiederaufnahme des Verfahrens nichts ändern. Die Bewilligung der Wiederaufnahmsklage sei nur zu einem sehr eingeschränkten Beweisthema erfolgt. Darüber hinausgehendes Vorbringen der Klägerin und weitere angebotene Beweismittel seien von der Zulassung der Wiederaufnahme nicht umfasst, auf diesbezügliche Ausführungen in der Berufung wäre daher nicht einzugehen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin, mit der sie die Stattgebung der Räumungsklage anstrebt, ist zulässig und im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

Infolge ausdrücklicher Aufhebung des Ersturteils des Vorprozesses, die wohl auch auf das diesbezügliche Berufungsurteil wirkt (vgl Jelinek in Fasching/Konecny ² Rz 5 zu § 541 ZPO, der die hA referiert, wonach mit dem Eintritt der Rechtskraft des Urteils im Aufhebungsverfahrens die im Hauptprozess ergangene Entscheidung in dem durch das Aufhebungsurteil abgesteckten Rahmen außer Kraft tritt), ist davon auszugehen, dass die klageabweisenden Urteile beider Instanzen im wiederaufgenommenen Räumungsverfahren außer Kraft getreten sind. Das zu AZ 6 C 166/07g des Erstgerichts geführte Kündigungsverfahren und die in diesem Verfahren ergangene die Kündigung aufhebende und das Räumungsbegehren abweisende Entscheidung stehen entgegen der in der Revisionsbeantwortung vertretenen Ansicht der Beklagten der Führung des nunmehr anhängigen Verfahrens gleichfalls nicht entgegen. Die jetzt zu behandelnde Räumungsklage nach § 1118 ABGB stützt sich (unter anderem geltend gemacht ist auch nachteiliger Gebrauch) auf einen zur Beendigung des Mietverhältnisses berechtigenden Sachverhalt, der nicht Gegenstand des vorher erwähnten Kündigungsverfahrens war.

Manche von der Klägerin aufgegriffenen in sich widersprüchlichen Formulierungen des Berufungsgerichts mögen zwar keine Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 9 ZPO begründen (in sich widersprüchlicher Spruch der Entscheidung, RIS Justiz RS0042133) , weil letztlich davon auszugehen ist, dass das Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde legte, sich im wiederaufgenommenen Verfahren zu befinden. Das Berufungsgericht lässt aber offenbar außer Betracht, dass für Parteien und Gericht nach herrschender Ansicht im wiederaufgenommenen Verfahren in dem durch das Aufhebungsurteil abgesteckten Rahmen neue Tatsachen und Beweise vorgebracht werden dürfen und der Fall umfassend neu zu beurteilen ist (Neuverhandlungsgrundsatz; 1 Ob 552/94; RIS Justiz RS0044655; Jelinek aaO § 541 ZPO Rz 17 ff mwN).

Der von der Klägerin von Anfang an (auch) geltend gemachte erheblich nachteilige Gebrauch vom Bestandobjekt sowie das behauptete unleidliche Verhalten der Beklagten ist als mögliche Anspruchsgrundlage im Rahmen der geltend gemachten Vertragsauflösung nach § 1118 ABGB zu prüfen. Hiezu hat das Erstgericht Feststellungen getroffen und diese rechtlich beurteilt, wobei es zur Klageabweisung gelangte. Eine Auseinandersetzung mit der diesbezüglichen Mängel und Tatsachenrüge der Klägerin in ihrer Berufung hat das Berufungsgericht zu Unrecht unterlassen. Dies wird bei neuerlicher Entscheidung über die Berufung der Klägerin nachzuholen sein.

Auf die Frage der Berechtigung des Wiederaufnahmebegehrens, etwa infolge fehlender Relevanz der ins Treffen geführten neuen Beweismittel, zumal die Räumungsklage nach § 1118 ABGB nicht auf das Vorliegen des Kündigungsgrundes der Nichtbenützung des Bestandobjekts nach § 30 Abs 2 Z 6 MRG gestützt werden kann, ist infolge rechtskräftiger Bewilligung der Wiederaufnahme nicht einzugehen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.