OGH vom 20.06.1996, 6Ob659/95

OGH vom 20.06.1996, 6Ob659/95

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kellner, Dr.Schiemer, Dr.Prückner und Dr.Schenk als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen M*****, geboren , und T*****, geboren , *****, gesetzlich vertreten durch das Amt für Jugend und Familie, 1210 Wien, Am Spitz 1, als Sachwalter zur Durchsetzung der Unterhaltsansprüche, infolge Revisionsrekurses des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgerichtes vom , GZ 44 R 663, 664/95-214, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Floridsdorf vom , GZ 13 P 126/90-204, ersatzlos behoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung:

Die Minderjährigen M***** T***** leben im gemeinsamen Haushalt mit ihrem obsorgeberechtigten ehelichen Vater S***** und dessen Mutter M*****. Mit Beschluß des Bezirksgerichtes Floridsdorf vom (ON 135) wurde die Mutter S*****, unter Anwendung des Anspannungsgrundsatzes und unter Berücksichtigung einer weiteren Sorgepflicht für den mj.P***** (geboren ) zu monatlichen Unterhaltsleistungen von S 1.700 pro Kind verpflichtet.

Aufgrund dieses Titels wurde den Minderjährigen für die Zeit vom bis Unterhaltsvorschüsse gewährt (ON 175, 176).

Die Kindesmutter bezieht seit Sozialhilfe in Höhe von zuletzt 12.271 S 10.510 S für sie und ihren Gatten sowie den am geborenen K***** zuzüglich 1.761 S Mietkosten).

Das Erstgericht nahm die Geburt des weiteren Kindes K***** zum Anlaß, die M***** T***** gewährten Unterhaltsvorschüsse per einzustellen (Beschluß vom ON 204). Es ging davon aus, daß die Anspannungstheorie auf die nunmehr auch für den in ihrem Haushalt lebenden K***** unterhaltspflichtige Kindesmutter nicht mehr angewendet werden könne. Die Kindesmutter könne auch aufgrund ihres tatsächlichen Einkommens zu einer Unterhaltsleistung nicht verpflichtet werden.

Das Rekursgericht gab dem vom Amt für Jugend und Familie für den

21. Bezirk als Sachwalter der Minderjährigen erhobenen Rekurs Folge und behob den angefochtenen Beschluß ersatzlos. Der ordentliche Revisionsrekurs wurde für zulässig erklärt.

Das Rekursgericht ging davon aus, daß der Ehegatte der Mutter in der Lage sei, Haushalt und Kind zu versorgen, während die Mutter einer Erwerbstätigkeit nachgehen könne. Sie sei daher nicht gezwungen, ihre Erwerbstätigkeit, die sie aufgrund des Anspannungsgrundsatzes ausüben müßte, für einen längeren Zeitraum zu unterbrechen und könnte nach Ablauf der Frist, für die sie Anspruch auf Fortbezug des Arbeitsentgeltes hätte, wieder einer Beschäftigung nachgehen, ohne einen Karenzurlaub zu absolvieren. Die grundsätzlich gerechtfertigte Anspannung auf die Ausübung einer außerhäuslichen Beschäftigung umfasse auch die Anspannung auf jene Bezüge, auf die die Mutter während der Arbeitsunterbrechung im Falle der Geburt eines Kindes Anspruch hätte. Bedenken gegen das Fortbestehen der Unterhaltspflicht seien daher nicht gegeben.

Rechtliche Beurteilung

Der vom Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien erhobene rechtzeitige Revisionsrekurs ist zulässig, weil zur Frage der Anwendung des Anspannungsgrundsatzes auf Zeiträume eines Beschäftigungsverbotes keine oberstgerichtliche Judikatur besteht. Er ist insoweit auch berechtigt, als er zur Aufhebung der Beschlüsse der Vorinstanzen führt.

Der Rekurswerber macht geltend, bei Anwendung des Anspannungsgrundsatzes müßte der Anspruch der Mutter auf Karenzgeld Grundlage für die Bemessung des Unterhaltes bilden, auf dieser Basis könne sie jedoch nicht zu Unterhaltsleistungen herangezogen werden, der Beschluß des Erstgerichtes auf Einstellung der Unterhaltsvorschüsse sei daher wiederherzustellen.

Gemäß § 20 Abs 1 Z 4 lit b iVm § 7 Abs 1 Z 1 UVG sind Unterhaltsvorschüsse auch von Amts wegen einzustellen, wenn begründete Bedenken bestehen, daß die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht (noch) besteht oder, der gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht entsprechend, zu hoch festgesetzt ist.

Die Mutter geht seit Jahren keiner Beschäftigung nach, der gegen sie bestehende Unterhaltstitel beruht auf der Anwendung des Anspannungsgrundsatzes, wobei als Bemessungsgrundlage früheres Einkommen als Hilfsarbeiterin von etwa 11.000 S herangezogen wurde.

Mit Rücksicht auf die Geburt eines weiteren Kindes (am ) bestünde eine Unterhaltspflicht der Mutter (als Voraussetzung für die Weitergewährung des Unterhaltsvorschusses) derzeit nur unter der Voraussetzung weiter, daß ihr eine berufliche (Teilzeit)Tätigkeit möglich und zumutbar wäre, wobei die Betreuungspflichten für den am geborenen K***** zu berücksichtigen sind (Purtscheller-Salzmann, Unterhaltsbemessung Rz 258 mwN).

Für den Zeitraum der Beschäftigungsverbote nach der Geburt des Kindes (§§ 4 a, 5 MSchG) - deren genaue Dauer mangels entsprechender amtswegig vorzunehmende Erhebungen durch das Erstgericht noch nicht feststeht - kann der Anspannungsgrundsatz zwar nicht deshalb Anwendung finden, weil die Mutter einer Beschäftigung nicht nachging, wohl aber im Hinblick darauf, daß sie Anspruch auf Fortbezug des Arbeitsentgeltes hätte, wenn sie davor - ihrer Pflicht entsprechend - einer Arbeit nachgegangen wäre. Unterläßt die unterhaltspflichtige Mutter eine zumutbare Beschäftigung und hindert dadurch die Fortzahlung des Entgeltes für die Dauer des Beschäftigungsverbotes nach dem Mutterschutzgesetz, ist eine Anspannung bis zur Höhe des Wochengeldes möglich. Die im Mutterschutzgesetz verankerten Beschäftigungsverbote nach der Geburt schließen eine der Anspannung zu Grunde zu legende Tätigkeit nur im Fall eines in diesen Zeitraum fallenden erstmaligen Antrages auf Unterhaltsbemessung aus. Für die Zeiträume des Beschäftigungsverbotes nach §§ 4 a, 5 MSchG wird daher im gegenständlichen Fall der Unterhaltsvorschuß nicht einzustellen sein. Den Entscheidungen der Vorinstanzen sind jedoch keine Feststellungen zu entnehmen, die eine Festlegung der Dauer des tatsächlichen Beschäftigungsverbotes zulassen, sodaß sich eine Ergänzung des Verfahrens als erforderlich erweist.

Für die Zeiträume nach Beendigung der Schutzfrist nach dem Mutterschutzgesetz bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres des mj.K***** wäre der Mutter eine berufliche Tätigkeit als Voraussetzung für die Anwendung des Anspannungsgrundsatzes dann zumutbar, wenn die Versorgung des Minderjährigen sichergestellt ist (vgl Purtscheller-Salzmann, aaO Rz 258 mwN). Die vom Rekursgericht getroffenen Feststellungen reichen jedoch zur endgültigen Beurteilung nicht aus. Das Rekursgericht ging zwar von den Angaben der Kindesmutter aus, wonach ihr Ehegatte in der Lage sei, Haushalt und Kind zu versorgen, räumte jedoch selbst ein, das Kind müsse erst an die längere Abwesenheit der Kindesmutter gewöhnt werden. Weitere Erhebungen wurden entgegen § 2 Abs 2 Z 5 AußStrG nicht gepflogen, insbesondere wurden auch weder der Vater einvernommen noch eine Äußerung des zuständigen Jugendamtes eingeholt, obwohl dem Akt entnommen werden kann, daß die Arbeitslosigkeit des Vaters durch - wie die Kindesmutter selbst angibt - zahlreiche Vorstrafen bedingt ist. Diese Umstände sind jedoch für die Beurteilung der Frage, inwieweit die Versorgung des mj.K***** durch den Vater sichergestellt ist und der Mutter eine berufliche Tätigkeit erlaubt (gegebenenfalls auch in welchem Umfang) bedeutsam, da damit erst die Voraussetzungen für eine Anspannung der Mutter geschaffen würden. Es kann daher derzeit nicht verläßlich beurteilt werden, ob und inwieweit eine die Einstellung des Unterhaltsvorschusses hindernde Unterhaltspflicht der Mutter gegeben ist, sodaß dem Erstgericht unter Aufhebung der Beschlüsse der Vorinstanzen die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen ist.