OGH vom 31.03.2005, 3Ob275/04v
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer, Dr. Zechner, Dr. Sailer und Dr. Jensik als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Andreas V*****, und 2. Nena Diana K*****, vertreten durch Dr. Gerhard Schatzlmayr und Dr. Klaus Schiller, Rechtsanwälte in Schwanenstadt, wider die beklagte Partei Matthias R***** GmbH, *****, wegen 15.491,37 EUR sA und Feststellung (Erstkläger) sowie 5.360,58 EUR sA und Feststellung (Zweitklägerin), infolge Revisionsrekurses der zweitklagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom , GZ 3 R 158/04g-7, womit der Beschluss des Landesgerichts Wels vom , GZ 6 Cg 155/04g-3, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden in Ansehung der zweitklagenden Partei ersatzlos aufgehoben. Dem Erstgericht wird die Fortsetzung des Verfahrens über das Klagebegehren der zweitklagenden Partei unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die beiden Kläger erwarben von der beklagten Errichterin eines Wohnhauses jeweils Miteigentumsanteile, mit denen Wohnungseigentum an einer Wohnung (top Nr. 4 und 5) verbunden werden soll. Sie machen aus der jeweiligen Verletzung ihrer in der Klage näher dargestellten Kaufverträge Schadenersatzansprüche wegen schuldhaften Verzugs betreffend Übergabe und Fertigstellung, noch erforderliche Sanierungskosten für weiterhin bestehende verschuldete Mängel an den Wohnungen, den Kelleraußenwänden und der Sauna sowie weitere Schäden durch erfolglose Verbesserungsversuche und die verspätete Übergabe. Während der Erstkläger 15.491,37 EUR sA begehrt, macht die Zweitklägerin 5.360,58 EUR sA geltend; beide stellen auch Feststellungsbegehren.
Das Erstgericht wies mit seinem Beschluss vom (in den Ausfertigungen unrichtig datiert mit ) das Klagebegehren der Zweitklägerin wegen sachlicher Unzuständigkeit zurück, weil deren Ansprüche 10.000 EUR nicht überstiegen. Eine materielle Streitgenossenschaft bestehe zwischen den Klägern nicht.
Mit dem angefochtenen Beschluss bestätigte das Rekursgericht diese Entscheidung. Gestützt auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Linz vom , RZ 2002/30, lehnte die zweite Instanz die auf M. Roth zurückgehende Lehre sowie die Entscheidung des OLG Wien, WR 521, ab, wonach § 227 ZPO auch zur Anwendung komme, wenn der Gerichtshof nur für einen einzigen Anspruch eines einzigen formellen Streitgenossen zuständig sei. § 227 Abs 2 ZPO stelle ebenso wenig wie dessen Abs 1 auf einen tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang der geltend gemachten Ansprüche, auf eine Gleichartigkeit der Anspruchsgründe (§ 11 Z 2 ZPO) oder einen sonstigen inhaltlichen Zusammenhang der Ansprüche oder der Anspruchsgründe ab, weshalb für den hinter diese Bestimmung stehenden Gedanken einer einfachen, raschen und kostengünstigen Streiterledigung durch die Möglichkeit der Miterledigung weiterer, bei selbständiger Einklagung vor das Bezirksgericht gehörender Ansprüche (allein) im Vordergrund stehe, dass der(selbe) Beklagte von einem Kläger belangt werde, die eine oder mehrere vor dem Gerichtshof durchzusetzende Ansprüche gegen ihn geltend mache. Auch die Ausnahmebestimmung des § 227 Abs 2 ZPO könne sich wie dessen Abs 1 nur auf die objektive Klagenhäufung beziehen. Prozessökonomische und teleologische Überlegungen sprächen gegen das von M. Roth erzielte Ergebnis. Unter anderem würde dem oder den Beklagten für die in die Zuständigkeit des Bezirksgerichts fallenden Klagen eine sonst nicht bestehende Anwaltspflicht aufgezwungen werden, was aber nach den Gesetzesmaterialien gerade nicht geschehen solle.
Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil höchstgerichtliche Rsp zu der zu lösenden Rechtsfrage fehle, die Rsp der Rechtsmittelgericht uneinheitlich sei und die Rechtsfrage auch für die Rechtsfortentwicklung zu den Voraussetzungen der Zulässigkeit von „Sammelklagen" bedeutsam erscheine.
Der Revisionsrekurs der Zweitklägerin ist aus den vom Rekursgericht angeführten Gründen zulässig, er ist auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Zutreffend geht die Rekursinstanz offenbar davon aus, dass die Kläger (nur, aber doch immerhin) formelle Streitgenossen iSd § 11 Z 2 ZPO sind. Tatsächlich machen sie gleichartige, auf einem im Wesentlichen gleichartigen tatsächlichen Grund beruhende Ansprüche geltend. Beide Kläger berufen sich auf die Verletzung von parallel abgeschlossenen Kaufverträgen über Eigentumswohnungen in ein und demselben Haus, teilweise auch auf Schäden an denselben allgemeinen Teilen der Liegenschaft, die durch die beklagte Partei verursacht worden seien. Nach § 11 Z 2 ZPO setzt allerdings die formelle Streitgenossenschaft weiters voraus, dass die Zuständigkeit des Gerichts „hinsichtlich jedes einzelnen Beklagten" begründet ist, was so zu verstehen ist, dass das Gericht für die Ansprüche aller Streitgenossen örtlich und sachlich zuständig sein muss (Schubert in Fasching/Konecny, ZPO² § 11 Rz 19). Gälte diese Regel ausnahmslos, hätten die Vorinstanzen zweifellos mit Recht die sachliche Zuständigkeit des Erstgerichts für das Klagebegehren der Zweitklägerin verneint, deren Ansprüche insgesamt den Betrag von 10.000 EUR nicht übersteigen. Die Verbindung der beiden Klagebegehren wäre daher nur dann zulässig, was zugleich auch die Zuständigkeit des Erstgerichts für das Begehren der Zweitklägerin begründen müsste, wenn dies durch § 227 ZPO ermöglicht würde.
Schon 1985 vertrat M. Roth (Neuerungen der Zivilverfahrensnovelle 1983 im Bereich der Klagenhäufung in BeitrZPR II 209) die Auffassung, § 227 ZPO sei dahin zu interpretieren, dass in dessen Abs 1 unter „Kläger" nicht nur eine einzelne Person, sondern auch eine Personenmehrheit zu verstehen sei (237), während andererseits eine teleologische Reduktion des Begriffs „gegen denselben Beklagten" abzulehnen sei (237 f). Bei passiver formeller Streitgenossenschaft (die hier nicht vorliegt) scheitere die Verbindung von Klagen gegen mehrere Beklagte, von denen einzelne die Wertgrenze des Bezirksgerichts überschritten und einzelne nicht - bei eindeutigem Gesetzeswortlaut - am Normzweck. Zwar wäre die Häufung solcher Ansprüche iS einer ökonomischen Inanspruchnahme der Gerichte durchaus wünschenswert und läge auch im Interesse des Klägers; dem stünde jedoch das schützenswerte Interesse der Beklagten entgegen, deren Verbindlichkeiten die Wertzuständigkeit des Bezirksgerichts bedingten. Sie würden vor einen Gerichtshof zitiert, bei dem Rechtsanwaltspflicht herrsche und der bisweilen weiter entfernt sei als das zuständige Bezirksgericht. Unter Umständen würde sich auch der Rechtsstreit vor dem Gerichtshof beschwerlicher gestalten. Insoweit habe demnach der Gesetzgeber absichtlich von einer Erwähnung der passiven Streitgenossenschaft nach § 11 Z 2 ZPO abgesehen, weshalb eine Lückenfüllung ausscheide.
Dagegen sprächen jene Überlegungen, die grundsätzlich bei der objektiven Klagenhäufung für die Verbindung von Ansprüchen über und unter der Wertgrenze des Bezirksgerichts/Gerichtshof sprechen, auch für die aktive formelle Streitgenossenschaft. Weder Gericht noch Beklagter würden durch die Einbeziehung eines weiteren Anspruchs in das Gerichtshofsverfahren zusätzlich belastet. Da der Beklagte ohnehin vor einem Gerichtshof in Anspruch genommen werden müsse, erscheine es selbst für ihn zweckmäßiger, auch die weiteren Rechtsstreite bloß bei einem Gericht wahrnehmen zu müssen; es werde ihm kein sonst nicht bestehender Rechtsanwaltzwang aufgedrängt. Auch auf ihn treffe der alle Häufungsbestimmungen tragende Gedanke einer einfachen, raschen und kostengünstigen Streiterledigung in gleicher Weise zu.
Dieser Auffassung schloss sich das OLG Wien als Rekursgericht in seiner Entscheidung vom , 13 R 174/91 = WR 521, an. Sie betraf die Geltendmachung von Schäden mehrerer durch einen Unfall geschädigter Personen gegen einen Beklagten. Wie schon M. Roth verwies auch das OLG Wien darauf, dass schon vor der ZVN 1983 § 227 ZPO in seiner früheren Fassung so verstanden worden sei, dass er auch für Ansprüche von Streitgenossen auf Klägerseite gegen denselben Beklagten gelte. Daran habe die ZVN 1983 nichts geändert; die Regelung sei auch nunmehr keineswegs zwingend dahin zu verstehen, dass es sich um mehrere Ansprüche desselben Klägers handeln müsse, zumal das Klammerzitat dann richtig auf § 55 Abs 1 Z 1 JN lauten müsste. § 11 Z 2 ZPO werde durch § 227 leg cit sinnvoll ergänzt. Sinn und Zweck des § 227 Abs 2 ZPO sprächen dafür, diese Regelung auch für die Ansprüche formeller Streitgenossen gegen denselben Beklagten anzuwenden.
Dagegen vertrat das OLG Linz als zweite Instanz in seiner Entscheidung vom , 4 R 145/012y = RZ 2002/30, die Auffassung, § 227 ZPO regle ausschließlich die Verbindung mehrere Ansprüche eines Klägers (objektive Klagenhäufung), nicht aber die Verbindung von Klagen mehrerer Kläger (subjektive Klagenhäufung). Demnach könne sich auch die Ausnahmebestimmung des § 227 Abs 2 ZPO nur auf die objektive Klagenhäufung beziehen. Auch in den Materialien zur ZVN 1983 sei stets von Ansprüchen, nicht von Klägern die Rede. Prozessökonomische und teleologische Überlegungen sprächen nicht für, sondern gegen das von M. Roth erzielte Ergebnis. Nach diesem müsste nämlich ein Gerichtshof etwa nach einem Großschadensereignis die Klagen aller Geschädigten behandeln, nur weil es für einen einzigen Anspruchs eines einzigen Geschädigten zuständig sei. Außerdem würde dadurch dem oder den Beklagten für die in die Zuständigkeit des Bezirksgerichts fallenden Klagen eine sonst nicht bestehende Anwaltspflicht aufgezwungen, was aber nach den Materialien gerade nicht geschehen sollte.
Die Lehre folgte praktisch einhellig der Auffassung von M. Roth (Rechberger/Frauenberger in Rechberger² § 227 ZPO Rz 2; Schubert in Fasching/Konecny², § 11 ZPO Rz 19; Fasching aaO § 227 Rz 9 und 13; G. Kodek, Die „Sammelklage" nach österreichischem Recht in ÖBA 2004, 615). Dem Aufsatz von Madl (Ausgewählte Rechtsfragen zur Rückforderung zu viel bezahlter Zinsen bei mangelnder Bestimmtheit einer Zinsanpassungsklausel in ÖBA 2003, 722 [723 f]) ist in Wahrheit keine gegenteilige Stellungnahme zu entnehmen, wendet er sich doch im Wesentlichen nur gegen die Möglichkeit eines Inkassozessionars, im Wege einer Klagenhäufung Ansprüche, die über und unter der Gerichtshofsgrenze liegen, gemeinsam vor dem Gerichtshof geltend zu machen und befürwortet insofern eine teleologische Reduktion des § 227 Abs 1 ZPO.
G. Kodek trat nach einer Analyse der Entstehungsgeschichte der maßgebenden Normen der Entscheidung RZ 2002/30 entgegen (aaO 622). Der Gedanken der Prozessökonomie ziele nicht auf die Minimierung der Arbeitsbelastung eines bestimmten Gerichts, sondern auf eine Reduktion des Verfahrensaufwands insgesamt. Demnach spräche auch unter diesem Aspekt viel dafür, § 227 Abs 2 ZPO auch auf die aktive Streitgenossenschaft anzuwenden. Wie die Entstehungsgeschichte zeige, stelle die damit möglicherweise verbundene Ausdehnung der Anwaltspflicht kein zwingendes Gegenargument dar. Vor allem bei Großschadensereignissen bringe die Lösung den zusätzlichen Vorteil, dass dadurch zumindest in erster und zweiter Instanz die grundsätzlich wünschenswerte einheitliche Beurteilung erreicht werden könne. Der Gesetzgeber (konkret in Gestalt des Justizausschusses) habe der Notwendigkeit, dass der Beklagte seinen ohnehin vorgeschriebenen Anwalt auch mit der Vertretung der zusätzlich vor dem Gerichtshof gezogenen Ansprüche betrauen müsste, kein ausreichendes Gewicht beigemessen. Der allfälligen unerwünschten Aufblähung des Prozesses und der Verzögerung der Entscheidung über vielleicht früher spruchreife Einzelansprüche könne durch Maßnahmen der Prozessleitung (getrennte Verhandlung) oder durch Fällung von Teilurteilen begegnet werden (aaO 623).
Der Oberste Gerichtshof schließt sich der ganz herrschenden Auffassung der Lehre entgegen der des Gerichts zweiter Instanz an. Dass insbesondere auch die Neuregelung des § 227 ZPO auf prozessökonomischen Erwägungen beruht, ist nach dem JAB (1337 BlgNR 15. GP, 11) nicht zu bezweifeln. Dass, wie in RZ 2002/30 ausgeführt, ein Gerichtshof erster Instanz nach einem Großschadensereignis die Klagen aller Geschädigter behandeln müsste, auch wenn sie teilweise nicht in seine Wertzuständigkeit fielen, bedeutet keine vom Justizausschuss als wesentlich angesehene Mehrbelastung der Gerichte „im Durchschnitt". Auch das Argument, dem Beklagten werde für die unter die maßgebende Wertgrenze fallenden Ansprüche eine sonst nicht bestehende Anwaltspflicht aufgezwungen, wurde in diesen Materialien bereits als unerheblich abgetan. Berücksichtigt man diesen. den Gesetzeszweck veranschaulichenden und verdeutlichenden Erwägungen, ist tatsächlich der weiten (allenfalls sogar ausdehnenden) teleologischen und systematischen Interpretation von M. Roth (so dieselbe aaO 241) zu folgen. Angesichts dieser Interpretation nach dem Gesetzeszweck muss die Berufung des Rekursgerichts auf den Gesetzeswortlaut im vorliegenden Fall versagen, zumal nicht gesagt werden kann, dieser sei völlig eindeutig, wenn zwar im Zusammenhang mit dem Beklagten das präzisierende Wort „derselbe" verwendet wird, beim Kläger dagegen nicht. Daraus, dass M. Roth selbst (aaO 241) einen ihrer Ansicht nach deutlicheren Gesetzestext für § 227 ZPO vorschlug, kann keineswegs abgeleitet werden, ihre Interpretation des tatsächlichen wäre unzutreffend. Da § 227 Abs 2 ZPO nicht ausdrücklich sagt, ob die Bestimmung auch auf die subjektive Klagenhäufung anwendbar ist, bleibt auch insoweit die grammatikalische Interpretation ohne eindeutiges Ergebnis. Entgegen der Auffassung der zweiten Instanz ist keineswegs ersichtlich, auch bei dieser Bestimmung stehe allein im Vordergrund, dass mehrere Ansprüche nur eines Klägers gegen einen einzigen Beklagten (dagegen nicht solche mehrerer) vor einem Gerichtshof gemeinsam durchgesetzt werden können, auch wenn für einzelne von ihnen isoliert betrachtet das Bezirksgericht zuständig wäre. Zusammenfassend ergibt sich daher: Die Ansprüche mehrerer Kläger als formelle Streitgenossen gegen denselben Beklagten können zufolge § 227 Abs 2 ZPO vor dem Gerichtshof durchgesetzt werden, wenn der Streitwert der Ansprüche auch nur eines Klägers die Gerichtshofsgrenze übersteigt.
Daher haben die Vorinstanzen die Klage der Zweitklägerin zu Unrecht zurückgewiesen. Ihre Entscheidungen sind demnach ersatzlos aufzuheben und dem Erstgericht ist die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahnme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.